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Erstes Kapitel.
Das Fest der Gardes du Corps

Die Nacht des ersten Oktober hatte sich still und nebelig in die Straßen von Versailles niedergesenkt. Der früh eintretende Herbst des Jahres 1789 ließ sich allenthalben als ein unfreundlicher Gast vermelden. Wenige Leute gingen auf den Straßen; am traulichen Kaminfeuer im Innern der Häuser saßen hin und wieder plaudernde Gesellschaften; doch waren es keine fröhlichen. Das ernst begonnene Jahr schien sich gegen sein Ende zu in weit finsterere Schleier hüllen zu wollen und übte sein allgewaltiges Recht auch über die Gemüter des leichtsinnig gescholtenen französischen Volkes. Darum hatten alle Zusammenkünfte sowohl in der Hauptstadt als in der Provinz ein düsteres, starres Äußere gewonnen. Die angesehenen Leute unterhielten sich von den Hoffnungen des Vaterlandes oder von dem Verlust ihrer Privilegien, oder von den Mitteln, dieselben wieder zu erringen, oder von der unbegreiflichen Untätigkeit des Hofes, den sie noch als ihren Leitstern betrachten mochten. Der Bürgerstand baute dagegen in seinen stillen Kammern Luftschlösser des allgemeinen Wohls, einer allgemeinen Glückseligkeit; hin und wieder brütete er in geheimen Klubs das Verderben einer gehaßten Aristokratie; hin und wieder wartete er mit Furcht der Ereignisse, die sich ankündigten. Das gemeine Volk aber, kaum erwacht aus dem schweren Traum seines Lehens- und Frohnzwanges, mit Gewalt aus seiner knechtischen Trägheit emporgeschüttelt, kroch zusammen in seinen Hütten, um sich des Umschwungs der Dinge staunend zu erinnern, um zu hungern und zu frieren; denn Brot- und Holzmangel war überall eingerissen, Not und Teuerung, ob nun natürlich entstanden oder künstlich erregt, waren groß geworden. Seit geraumer Zeit schon hatte der Sitz des Hofes das düstere Schweigen von Versailles geteilt. Seit dem denkwürdigen Tage des vierzehnten Juli, wo die Bastille gefallen war, schien die Freude, die geräuschvolle Heiterkeit und der Glanz der Feste aus dem Königshause verschwunden.

In der heutigen Nacht jedoch war der Tumult der alten Gelage, wie sie unter dem verstorbenen König häufig gewesen, wieder erwacht. Aus dem Opernsaale des königlichen Schlosses tönte die Pauke, schmetterten lustige Fanfaren, die Stimmen vieler fröhlichen Gäste mischten sich jubelnd in das Tosen der Musik. Becherklang, Vivatgeschrei, kriegerische Lieder wechselten ab; mit der Nacht schien die Fröhlichkeit zu steigen. Es hatten sich viele Leute aus allen Klassen in die Nähe des Festsaales, an seine Pforten, unter seine Fenster gedrängt. Die dumpfe Neugierde, die ehrfurchtsvolle Anhänglichkeit an alles, was sich nach dem König nannte, der finster brütende Patriotismus, die hungrige Armut und der knirschende Neid horchten und lauschten aus diesem Volkshaufen. Die bei dem Gastmahl, das in dem Opernsaal gegeben wurde, beschäftigten Bedienten, sowie die davor aufgestellten Wachen des Regiments Flandern mußten bald Güte, bald Gewalt anwenden, um die ungebetenen Zuschauer in Schranken zu halten. Da kam ein Wagen schnell herangefahren; er hielt unfern der Pforte. Ein junger Mann im einfachen Überrock sprang mit vieler Gewandtheit heraus und eilte, sich nach dem Platze des Festes zu beheben. Ein junger, schlanker Fremder traf mit ihm auf den ersten Stufen der Treppe zusammen.

»Guten Abend, Viktor!« sagte er zu dem Ankommenden, »du scheinst sehr eilig. Welch' ein Fest wird denn hier gefeiert?«

Viktor schüttelte mit zerstreutem Wesen dem Fremden die Hand und erwiderte: »Ein Gastmahl ist's, welches wir nach altem Militär- und Garnisonsbrauch den Offizieren des neu einmarschierten Regiments geben. Die Sitte fordert diese Höflichkeit.«

»Du kommst indessen zu spät, am Fest teilzunehmen,« sagte der Fremde mit bitterem Spott, »der Champagnerschaum der Fröhlichkeit wird schon verbraust sein, wenn du in den Saal trittst!«

»Ach, guter Camille,« versetzte Viktor, indem ein leichtes Lächeln über seine Züge fuhr, »ich bin der Meinung, daß mein Erscheinen erst den Jubel zum höchsten Gipfel treiben werde. Du jedoch, Pariot, geh' heim. Hier ist deine Stelle nicht, und du dürftest Beleidigungen nicht entgehen, wenn man deine Nähe ahnte. Leb' wohl; ich hätte mich fast mit dir verplaudert und darf doch kühn behaupten, daß meiner Ankunft mit Ungeduld entgegengesehen wird. Lebe wohl und bessere dich!«

Mit einem leichtfertigen Gelächter sprang Viktor die Treppe vollends hinauf, winkte einen Bedienten, der mit ihm vom Wagen gestiegen war und ein Paket unter den Armen trug, und hüpfte durch den Korridor, der längs der Logenreihe hinlief. Er trat in eine der vordersten Logen, warf einen unzufriedenen Blick in die leeren Ecken derselben und fragte eine Kammerfrau, die, einsam an der Balustrade lehnend, in den Saal hinunter nach ihrer Gebieterin sah.

»Sie wartet Ihrer mit Sehnsucht, und ich eile, sie von Ihrer Ankunft zu unterrichten,« antwortete die Dienerin mit einer höflichen Verbeugung, sah noch einmal in das bunte Gewühl zu ihren Füßen und verschwand. Viktor stützte sich auf das Geländer und beobachtete einige Augenblicke lang das Schauspiel, das seine zechenden Kameraden mit den Offizieren des fremden Regiments unten aufführten. Die Tafeln waren geschmackvoll geziert und reich besetzt. Zahllose Batterien der feinsten Weine blinkten von den Schenktischen; die ausgezeichnetste Kunst hatte das Dessert geordnet; Blumensträuße, in glänzenden Gefäßen zwischen den Tafelaufsätzen zerstreut, zauberten den Frühling auf die herbstliche Tafel, die mit der Fülle der Trauben- und Rebengewinde prangte. In bunter Reihe saßen längs den Tischen die Gäste in ungezwungener Haltung, und der Genuß der allgemeinen Fröhlichkeit schien die Scheidewand des militärischen Ranges niedergerissen zu haben. Die Garde du Corps in ihren reich galonierten Uniformen, mit ihren schimmernden Wehrgehängen, hielten traulich ihre Nachbarn umschlungen, die Offiziere von Flandern in ihren schlichten Röcken. Der Major fraternisierte mit dem Fähnrich, der Brigadier mit dem Hauptmann, der Nationalgardist mit dem Schweizer, und jeder neue Toast, der von den Stimmführenden zu Ehren des einen oder des anderen Korps ausgebracht wurde, steigerte die Begeisterung, welche der vaterländische Rebensaft bereits in hohem Grade erregt hatte. Das Gebrause der vielen Stimmen, des Gelächters, des Gesanges stieg verworren und undeutlich zu den Ohren Viktors auf; die Logen ringsum waren mit Hofleuten und Anhängern der königlichen Partei angefüllt; Zuschauer und Gäste schienen eine Freude zu teilen. Hie und da standen Gruppen von Offizieren von der Tafel auf und schwankten Arm in Arm, vom Geist des Weins überwältigt, im Saale auf und nieder; andere stießen lärmend die Gläser zusammen; andere reichten sich über den Tisch hinüber die Hände zum Freundschaftsbund; wieder andere brachten den Feinden des königlichen Hauses, der Nationalversammlung und den Parisern ein tumultarisches Pereat. In diesem Augenblick wurden von einigen erhitzten Gardes du Corps die Türen des Saales weit geöffnet und herein strömten im bunten Gemisch die Soldaten des Regiments Flandern, um ihren Teil an dem Fest zu nehmen. Hundert Hände trugen ihnen die gefüllten Kelche entgegen; der Offizier kredenzte seinem Untergebenen den Wein und die hochmütige Leibwache des königlichen Hauses verschmähte es nicht, manchen gedienten Unteroffizier mit freundschaftlicher Gewalt zum Tische zu führen und ihm von den Kostbarkeiten des Desserts mitzuteilen.

Viktor wandte sich verdüstert von dem Schauspiel ab und begrüßte freudig überrascht die Frau von Espremenil, die in die Loge trat und ihm mit günstigem Lächeln die Hand zum Kuß reichte. »Mein guter Dammartin! Sie ließen sich solange erwarten, daß ich beinahe Lust gehabt hätte, an der Aufrichtigkeit Ihrer Versicherungen zu zweifeln.«

Viktor antwortete mit schelmischer Miene: »War ich nicht der Unglücklichste, der ich Ihre Gesellschaft, meine Gräfin, und das Fest meiner Kameraden entbehren mußte? Der saumselige Bertrand hatte den ihm gegebenen Auftrag noch nicht vollkommen erfüllt, weil er sich vor dem Spürauge seines revolutionären Gesellen fürchtete. Indessen habe ich seinen Eifer beflügelt, und bin ihm nicht von der Seite gegangen, bis alles vollendet und gepackt gewesen.«

»O, geschwind!« versetzte die Gräfin mit leidenschaftlicher Heftigkeit, »haben Sie sie mitgebracht, die Talismane, welche anzuwenden gerade jetzt der rechte Zeitpunkt ist?«

Viktor nahm seinem Bedienten das Paket ab und übergab es den Händen der schönen Gräfin, um welche sich mehrere Damen versammelten, die ihr halfen, es zu öffnen. Eine große Anzahl von weißen Kokarden rollte in die niedlichen Körbchen, womit sich eine jede der Hofdamen versehen hatte. Mit Enthusiasmus schmückten sich die Frauen selbst mit dem Zeichen des Königtums, verzierten damit den Busen oder das Haar, wiesen triumphierend die bedeutsamen Schleifen in die gegenüberliegenden Logen, und ein plötzlich ausbrechendes Händeklatschen der darin versammelten Zuschauerinnen begrüßte das willkommene Signal. Mit einem dankbaren Händedruck und einem Blick, der Süßeres noch verhieß, verließ die Gräfin den jungen Dammartin, der sich nun, seines Auftrages entledigt, in die bereit gehaltene Uniform warf und in den Saal eilte, wo freundschaftliche Vorwürfe den zu spät Gekommenen empfingen.

Deshuttes, sein Nachbar in dem Hotel der Garden, kam auf ihn zu, den schäumenden Burgunderkelch in der Hand, rot von Wein und Gesang, rief ihm zu: »Was bringst du Neues aus Babylon? Was macht unsere gute Stadt Paris? Trägt sie uns noch immer im Herzen, wie die Mutter ihr frommes Kind? Was machen die Herren von der Mairie, die sich eine so glänzende Rolle zugeteilt haben? Wird Seiner Majestät dem König Bailly nicht nachgerade Angst für seinen Komödienthron?«

»Bei Gott!« fiel der junge Herr von Artriaux ein, einer der übermütigsten aus der königlichen Leibwache, »es wird nicht lange dauern, und wir kommen nach Paris in Sturmmarsch, um den Munzipalitäts-Pöbel zu Paaren zu treiben! Die Zeiten der Fronde sind wieder los! Wir wollen die Zeiten Heinrichs IV. draus machen und uns vor Paris hin legen wie die Katze vor die Falle, bis der Hunger dergestalt einreißt, daß eine Vorstadt die andere aufzehrt.«

»Was ist auch natürlicher?« fiel ein anderer ein, »für uns sind Gott und der König, sind alle braven Edelleute in Frankreich. Mit uns ficht das wackere Regiment Flandern und die Ehrenmänner werden ihren Schwur redlicher halten als die französischen Garden, die der Teufel holen mag, wann's ihm beliebt!«

»Sind schon genug gestraft, daß sie unter dem hochnäsigen Lafayette dienen müssen,« spottete ein Offizier von Flandern; »die Schufte haben den Ehrenrock des Königs ausgezogen und lassen sich jetzt von den Pariser Tuchhändlern uniformieren! Schande auf ihren Kopf! Ich freue mich des Tages, wo ich meine Kompagnie auf die Rebellen feuern lassen kann!«

»Zuvor müssen wir aber in Versailles anfangen!« rief Moreau, der Garde du Corps, wütend dazwischen, »die Nationalversammlung muß gesprengt werden! Was sage ich, gesprengt? Aufgehängt! Aufgeknüpft samt den Machthabern in Paris! An den Laternen des Schloßhofs aufgehängt, wie die Ungeheuer es in Paris schon getrieben haben! Ober geköpft, wie sie den armen Launay, meinen Vetter, geköpft haben!«

»Die Versammlung weg!« donnerte Deshuttes. »Vor allem den verdammten Mirabeau, der leider Gottes ein Adeliger und noch obendrein ein Graf ist. Sodann den Herzog von Orleans! Weg mit ihm!«

»Er ist doch ein Prinz von Geblüt,« erinnerte einer der Offiziere.

Artriaux schlug ein helles Gelächter auf: »Die Orleans haben nie etwas getaugt. Der jetzige wäre imstand, ein zweiter Regent zu werden; ein Cromwell, ein Revaillac an seinem Vetter. Weg mit ihm! Ich mache mich anheischig, ihm eine Kugel durch den Leib zu jagen, wenn mir der König das Palais Royal zum Erbe verspricht.«

Die Umstehenden lachten unbändig über den Witz, und auch Viktor verzog, um mit den Wölfen zu heulen, das Gesicht; da raunte ihm eine Stimme ins Ohr: »Sei doch so gut und sage den übermütigen jungen Herren, daß das Volk von Paris weit geneigter ist, sie in Versailles zu besuchen, als von ihnen einen Besuch anzunehmen.«

Viktor sah sich überrascht um und erkannte mit Erstaunen seinen Freund Camille, der sich in die Uniform eines Soldaten des Regiments Flandern gesteckt und somit den Eingang zum Fest gewonnen hatte. Viktor sagte ihm erschreckt und leise: »Unbesonnener! Was hast du getan? Es ist dein Tod, wenn man dich erkennt.«

Camille lächelte sorglos und versetzte, sich wegdrehend: »Ich muß doch meinen Landsleuten erzählen, wie es da zugeht. Ich bin ein gewissenhafter Zeitungsschreiber und will den Parisern haarklein sagen, was man hier von ihnen spricht.«

Er verschwand in der Menge, die sich just, wie von einem Orkan getrieben, durcheinander wühlte. Es war ein allgemeiner Aufstand im Saal. Alle Zecher flogen von ihren Sitzen empor; durch diese gleichförmige und unerwartete Bewegung wurden Tafeln umgeworfen, Stühle und Schenkgefäße zu Boden geschmettert. Die Augen starrten nach der Tür. »Der König! Die königliche Familie!« rief jeder Mund. Die Gardes du Corps wie die fremden Offiziere machten sich gewaltsam Bahn durch die Masse der zuschauenden Soldaten, um dem Monarchen entgegenzueilen und ihm ihre Ergebenheit zu bezeigen.

Ludwig XVI. war in der Tat, begleitet von der Königin, die den Dauphin an der Hand führte, unter die fröhliche Menge im Opernsaal getreten. Er trug ein einfaches Jagdkleid und auf seiner Stirne lag Rührung, Hoffnung und zugleich die Scheu, die der Fürst gewöhnlich empfand, wenn er sich in einer zahlreichen Versammlung einfinden mußte. Sein Lächeln war gutmütig, aber verlegen; seine Haltung die eines Hausvaters im Kreise der Seinigen; die Würde, die er anzunehmen versuchte, stimmte nicht mit dem schwankenden Schritt zusammen; sein ganzes Äußere war das eines Mannes, der wohl allenfalls weiß, was zu tun gut wäre, immer jedoch seiner angeborenen Trägheit in der Ausführung unterliegt; eines Mannes, der bis auf einen gewissen Grad ohne Falsch ist und daher für sein Leben gern sehen möchte, daß man auch ohne Falsch gegen ihn sei; eines Mannes endlich, der, von der Jagd ermüdet, gut zu Nacht gegessen hat, einem jeden gern ein paar freundliche Worte sagen möchte, aber sich dennoch von ganzem Herzen sehnt, die ihm durch Überraschung abgewonnene Repräsentation sobald als möglich zu enden und das stille Lager zu suchen, wo weder die Mißgriffe der Minister, noch das Geschrei des Volks den Regenten stören.

Ein ganz anderes Bild stellte die Königin dar. Aufrechten Ganges, das Haupt hoch erhoben, die doppelte Zuversicht auf ihre Würde und auf ihre Schönheit in den Augen, schritt sie daher wie eine Siegerin. Sie war sich bewußt, durch ein paar Worte der Herablassung die Menge zu gewinnen, wie einst Maria Theresia die stolzen Ungarn zu binden und zu begeistern wußte. Aber, wie die große Kaiserin, konnte Maria Antoinette nur gegen diejenigen herablassend sein, die sie nicht verachtete. Zu den dem königlichen Hause ergebenen Dienern ein Wort der Bitte zu sprechen, wurde ihr leicht; sie hätte es aber nicht über sich gewonnen, dem Pöbel eine gleiche Gunst zu gönnen. Dem Beispiel ihrer erlauchten Mutter folgend, hatte sie den Kronprinzen mit sich geführt. Der rührende Anblick seiner unschuldigen Kindheit sollte den Eindruck vollenden, den schon die besondere Lage der königlichen Familie hervorbrachte. Wenn etwas noch in den Augen der französischen Krieger, die im Opernsaal versammelt waren, den herrlichen Anblick der in ihre Mitte heruntergestiegenen königlichen Personen zu verschönern vermochte, so war es die Reihe auserlesener, reizender Damen, die der Königin folgten, wie die Grazien der paphischen Göttin. Die gefährlichsten Schönheiten des Hofes, strahlend in der Pracht ihrer Gewänder, vom Glanze der trügerischen Schminke und im Widerschein der hundert Kerzen, die jeden Reiz zu verdoppeln verstehen, nahten sich den Offizieren der Gardes du Corps und selbst den gemeinen Soldaten, hier ein Wort spendend, dort ein Lächeln gewährend, und aus ihren Händen streuten sie mit zauberischer Leichtigkeit die weißen Kokarden unter die Gäste aus, während aus den Logen weiße Tücher gleich Panieren wehten, ein dröhnend-jauchzendes: »Hoch lebe der König! die Königin! der Dauphin!« wohl zehnmal hintereinander durch den Saal tobte und mit ergreifender Begeisterung, wie verabredet, die Musik der beiden Korps das Lied anstimmte: » O Richard, o mon roi, l'univers t'abandonne

Das Gemüt des Königs widerstand diesen so schnell auf ihn eindringenden Erscheinungen nicht. Tränen benetzten seine Wangen. Die Rührung machte ihn stumm. Die Königin, die Wangen gerötet und die Augen glänzend, glücklich in dem Meere von Huldigungen, die sie sich und den Ihrigen von Ehrfurcht und Liebe dargebracht sah, redete an seiner Statt. »Ja, meine Freunde,« sagte sie, mit edler Hingebung in Wort und Gebärde, »wir teilen euer Vergnügen, wie ihr unser Schicksal teilen werdet. Seht hier euern König, seht zugleich den Prinzen, der euch künftig beherrschen soll und trotz seines zarten Alters schon von seinem Vater gelernt hat, wie man das schöne Frankreich im Herzen tragen muß. Unser Vertrauen zu euch gleicht eurer Treue. Ihr werdet den Feinden des Throns kühn entgegenstehen, und euer Vereinigungszeichen sei nicht die Livree eines verräterisch gesinnten Hauses, sondern die Farbe der königlichen Fahnen Frankreichs, die jeden Gegner zum Weichen brachten!«

Bei diesen Worten, denen der ungeteilteste, lauteste Beifall entgegenrauschte, hielt die Königin in ihrer erhabenen Hand eine silberne, funkelnde Kokarde in die Höhe. Mit einem Schrei kriegerischer Wut hatten die Gardes du Corps nichts Eiligeres zu tun, als die Körbe der Hofdamen völlig zu plündern, die weißen Feldzeichen an Hut und Brust zu stecken und tausendfache Verwünschungen gegen die von der Nation gewählten Farben auszustoßen.

»Alles für Gott und den König!« jubelte Artriaux, indem er seinen Hut schwang, den Säbel zog und hoch in die Luft streckte. Im Nu waren alle Säbel der Anwesenden entblößt und blitzten im Scheine der Kronleuchter, während ein Gesang zur Ehre des Bourbonschen Hauses angestimmt wurde.

»Zu Boden mit der Nationalversammlung!« riefen dazwischen viele Stimmen. Die Offiziere des Regiments Flandern und die Nationalgarden wurden auf diesen Ruf hin stiller.

»Laßt uns schwören, den König und sein Haus niemals zu verlassen, es gehe wie es wolle!« forderten wieder andere Stimmen, und sogleich sprang eine Anzahl der Gardes du Corps auf die Tische, um den vorgeschlagenen Schwur zu leisten und zu empfangen.

»Treue dem König!« riefen die Offiziere von Flandern, und ihre Soldaten riefen es nach.

»Tod den Rebellen! Weg mit der Nationalkokarde!« schrie Deshuttes, von Wein und Tollheit beinahe über den Haufen geworfen; schwenkte eine große dreifarbige Kokarde in der Luft, warf sie dann zu Boden und trat sie mit Füßen, während in anderen Gegenden des Saals andere dreifarbige Schleifen von den mutwilligen Herren der Leibwache an den Flambeaux verbrannt oder von Säbeln zerstochen und zerfetzt wurden. Die Offiziere des fremden Regiments und ihre Soldaten murrten leise darüber, doch folgte ihr Jubelruf noch dem König, der sich mit seiner Familie, nachdem er einigemal die Tafeln umkreist hatte, in das Innere des Schlosses zurückzog. Die Herrschaften, welche die Logen gefüllt hatten, folgten dem Beispiel des Königs; aber die Gardes du Corps hielten den Saal noch besetzt und ließen den bacchantischen Tumult freier und losgelassener als vorher fortdauern. Dammartin war fast in Verzweiflung, daß sein Verhältnis zu einigen seiner Kameraden ihn bei dem Bacchanal zurückhielt. Der taumelnde Kreis seiner Dienstgefährten widerte ihn an, und je höher der trunkene Mut desselben stieg, je mehr nahm seine Verachtung des unnützen Prahlens zu. Das Gewühl wurde immer toller; die Musik konnte nicht mehr der Anforderung der wüsten Gesellen genügen, denn immer heftiger sollten die Pauken wirbeln, die Trompeten immer lauter schmettern, und endlich wurde die ganze Truppe rasend wie Mänaden.

»So wie ich dies Glas zerschmettere, mögen die Rebellen zugrunde gehen!« rief ein flaumbärtiger Vicomte, indem er einen Schenktisch zu Boden warf.

»Ich werde noch das Gebäude der Revolution zusammenhauen, wie ich diesen Tempel zerstöre,« schrie ein neugebackener Adeliger, indem er mit seinem Säbel auf die Tafel hieb und einen prächtigen Konditorenaufsatz in Staub verwandelte.

»Wäre ich Gouverneur der Bastille gewesen,« brüllte ein Dritter, einen Stuhl in der Luft schwingend, »ich hätte das ganze Gesindel von Paris mit Kartätschen zusammenschießen lassen!«

»Paris muß untergehen!« riefen die Gardes du Corps im Einklang. »Kein Stein soll auf den andern bleiben; des Königs Lager ist seine Hauptstadt! Paris muß niedergebrannt und die ganze Kanaille von Bürgerschaft in die Seine geworfen werden!«

Deshuttes sprang mit einem Satz über die Tafel wie ein Besessener, hieb mit dem Säbel um sich her und lallte außer sich: »Zum Sturm, Kameraden! Zum Sturm! Seid ihr gestiefelt, gespornt und treue Leibwächter des Königs? Mir nach! Dort liegt Paris! Frisch darauf los!«

Er deutete auf die Logenreihe, die ihm gegenüberlag. Er schritt wie zum Sturme darauf los. Ein Phalanx von betrunkenen jungen Leuten folgte ihm, den Degen in der Faust. Tische, Stühle, Banketten, alles, was ihnen in die Hände fiel, wurde aufeinander getürmt und mit unbändigem Getöse erstiegen sie die Logenbrüstung. Alle trunkenen Köpfe der Gesellschaft folgten dem Beispiel. Die Kronleuchter wurden zerschlagen, alles, was zerstörbar, fiel in Trümmer. Nur wenige vernünftig gebliebene Leute retteten sich achselzuckend aus dem abscheulichen Wirrwarr. Viktor war unter ihnen. Einsam und grollend wandte er den Wüstlingen den Rücken und murmelte zwischen den Zähnen, nach der Tür eilend: »Und diese Leute sollen den Thron retten? Diese übermütigen Gesellen sollen es mit der vereinten Macht eines Volkes aufnehmen? Ich fürchte, Sans-Regret hat recht, und die Zeit ist nicht ferne, wo in Frankreich eine andere Dynastie aufsteht!«

»Fehlgeschossen, mein Freund,« erwiderte ihm unversehens Camille, der mit grimmigem Gesicht an ihm vorbei zur Türe rannte. »Hinter diesem Ludwig kommt, wenn Gerechtigkeit im Volke ist, kein anderer. Ich bin im Begriff,« – hier hob er eine von den durchlöcherten und zu Boden getretenen Nationalkokarden in die Höhe – »der Nation ein Dokument zu bringen, das ihr beweise, welch' Vertrauen sie dem König zu schenken hat. Wenn diese Kokarde nicht die Grundlage von Ludwig's Sarkophag wird, so will ich nicht Desmoulins heißen.«

Er stürzte durch das Peristil davon und Viktor rief ihm vergebens nach, um den Lauf des Wütenden aufzuhalten.


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