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Zweites Kapitel.
Der dritte Oktober

Es war am Samstag, um die Mittagsstunde, als sich ein bedeutender Volkshaufen vor dem Gitter des königlichen Schlosses zu Versailles versammelt hatte. Aus Handwerksleuten, Müßiggängern und Gaffern bestehend, schaute und gestikulierte er ohne Unterlaß gegen die Fenster des Schlosses. Unter den schlechteren Kleidern des Pöbels, wie unter den besseren der Müßiggänger, ließen sich einige Nationalgarden-Uniformen bemerken. Die Leute schienen in einem heftigen Gespräch begriffen und höhnisches Gelächter wechselte darin mit groben Verwünschungen ab. Da kam ein Mann daher, groß, breitschultrig und in die Kleider eines wandernden Landmanns gehüllt. Seine mit Staub und Kot bedeckten Gamaschen verrieten, daß er einen weiten Weg gemacht. In der Hand trug er einen dicken Knotenstock, und man traute der athletischen Kraft, die aus allen seinen Bewegungen sprach, zu, daß er im Notfall den Knüppel zu führen verstehe. Er drängte sich barsch in die Mitte des Haufens, der, das Übergewicht seiner Stärke würdigend, ihm gern und willig Platz machte.

»Was gibt's hier?« rief er mit seiner derben Stimme und schlug dabei einen Nationalgardisten auf die Schulter. Der Mensch sah sich um und verzog sein Gesicht zu einem freundlichen Lächeln.

»Sieh da, Vater Adam!« sagte er, dem Wanderer die Hand reichend. »Ich habe Euch ja seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Woher des Landes?«

»Ich komme von Mâcon. Seitdem mir die Kommune zu Paris den Streich gespielt hat, mich zu verhindern, nach Versailles zu ziehen, wie ich es mir am dreißigsten August vorgenommen, habe ich mir ein kleines Vergnügen in der Provinz gemacht. Gott verdamme den Bailly und seine Gesellen! Ich und meine Braven werden schon zur Zeit ein Wort mit ihnen reden. Aber Sacrebleu, wie oft soll ich noch fragen, was hier vorgeht? Weshalb Ihr gafft?«

»Das will ich Euch sagen,« erwiderte ein bleicher Perückenmacher, indem er sein Brenneisen heftig in der Luft bewegte; »die Tyrannen verschwören sich einmal wieder. Vorgestern sollte der Hauptschlag gemacht werden. Sie wollten nach dem Gastmahl ganz Versailles einäschern. Das hat mir Herr Fleuriot, der Sergeant vom Regiment Flandern, den ich täglich zu pudern die Ehre habe, offen und redlich gesagt.«

»Versailles niederbrennen? Die Bürger erwürgen? Ist das möglich?« riefen mehrere Stimmen von angstvoll Gläubigen.

»Wie sage ich. Um Mitternacht sollte der Generalmarsch geschlagen werden; die Lunten, um die Stadt anzuzünden, lagen schon bereit. Die Aristokraten von Rambouillet hatten sie heimlicherweise hereingebracht.«

Die Blässe des Entsetzens malte sich auf den Wangen derjenigen, die allenfalls noch ein Haus oder eine Budike zu verlieren hatten. Der eigentliche Pöbel, der nur mit Verdruß eine so günstige Gelegenheit, zu plündern, vereitelt sah, lächelte neidisch.

»He, guter Freund, endigt doch Eure Erzählung!« rief Vater Adam dazwischen. »So lächerlich das Ding klingt, so glaub' ich's Euch doch, weil ich auf den elysäischen Feldern Euch als einen der Sprecher Eurer Zunft bewundert habe. Ihr erinnert Euch doch noch der glorwürdigen Tage des Julius?«

Der Perückenmacher schlug die Augen begeistert gen Himmel und versetzte lebendig: »Ei wohl, mein Herr. Wir waren dort unser achtzig hiesige Perückenmacher und Gesellen. Versailles mochte sich damals selbst frisieren. Wir sind Patrioten, Herr, und wenn ich etwas lauter geschrien habe als andere meiner Kollegen, so haßte ich dafür auch die Tyrannen von ganzem Herzen. Ihr aber, Herr, seid mir so bekannt, daß ich darauf schwören möchte, Ihr seid ein Adeliger, den ich schon einmal auf dem Schlosse Dijon zu bedienen die Ehre hatte.«

»So lang's noch einen Adel gab,« versetzte der andere höhnisch, »nannten mich die dummen Leute den Marquis von St. Huruge. Seither will ich nur Adam genannt sein, wie der erste aller Menschen, von dem doch alle Schufte von Aristokraten herstammen, sie mögen sich wehren wie sie wollen. – Der Tyrann da drin im Schlosse hat mich freilich einmal in Dijon einsperren lassen, und wenn Ihr der flinke Crispin seid, der so zierlich den Kamm zu führen und die Seife zu handhaben wußte, so seid mir willkommen. Macht Euch jedoch nicht Rechnung darauf, ferner von mir einen Liard zu verdienen. Ein freier Bürger trägt sein Haar, wie die Natur es wachsen ließ. Solange noch ein gepuderter Kopf in Frankreich lebt, ist die Revolution nicht geendigt und das Wohl des Staates hängt von der Vertilgung des letzten Haarbeutels ab. – Macht nur kein sauersüßes Gesicht, Crispin. Ob Euer Metier dabei zum Teufel geht oder nicht, was liegt daran? Die dreitausend Haarkräusler auf den elysäischen Feldern haben sich als wackere Patrioten gezeigt und der Staat muß auf ihr anderweitiges Fortkommen bedacht sein. Sagt uns nur, wie denn der entsetzliche Plan, von dem Ihr vorhin spracht, gescheitert ist?«

Crispin fuhr fort: »Es war also alles bereit, die Sturmglocke sollte gezogen werden. Da vermerkten die Nationalgarden, die bei dem Feste waren, übel, daß man die Farben der Nation mit Füßen getreten hat. Sie brachen plötzlich auf und die guten Offiziere von Flandern folgten ihrem Beispiel. Was war also weiter zu tun? Die paar hundert Gardes du Corps haben kein Herz gegen einen Versailler Bürger; die Schweizer waren nach ihrer Gewohnheit besoffen; die Dragoner weigerten sich, zu Pferde zu steigen und der Schuß hatte versagt.«

»Bravo! Gut gemacht!« schrie das Volk und klatschte enthusiastisch in die Hände.

Ein bankerotter Tuchhändler nahm das Wort auf und sagte: »Für diesmal hat uns der Schutzengel der Nation durchgeholfen. Jetzt aber sitzen die Verräter wieder beisammen und schmieden bei einem schwelgerischen Frühstück neue Pläne gegen die Nation.«

»Das Frühstück kostet sechstausend Livres!« schrie ein Lastträger, aus dessen hohlen Augen der Mangel sah; »das Volk verhungert, während die Tyrannen sich mit Leckerbissen mästen!«

»Greuliche Verräterei!« rief der Perückenmacher. »Lügen an allen Ecken! Die Gardes du Corps geben das Mahl? Ich weiß es besser. Die Österreicherin trägt alle Kosten. Die Furie macht ihre Helfershelfer in Burgunder trunken und verspricht ihnen zum Dessert das Blut des Volkes!«

»Weg mit der Österreicherin!« schallte es zu wiederholten Malen aus dem Haufen.

»Uns geschieht recht!« sprach der Tuchhändler. »Handel und Gewerbe liegen darnieder! Der ehrliche Kaufmann kann nicht mehr bestehen, und wo die Kaufleute leiden, schmachtet das Volk. Ich weiß von einem Deputierten, daß die Königin alle ihre Bedürfnisse und die des Hofes aus Wien bezieht, mit Ausnahme der Spitzen, die aus den verfluchten Niederlanden kommen, wo auch der österreichische Stock regiert. Ist das nicht himmelschreiend? Und wir dulden, was mit uns vorgeht? Wären alle Versailler gesinnt wie ich, so schlügen wir noch heute die Gardes du Corps nieder und zögen nach Rambouillet, um die Aristokraten zu lehren, wie man Lunten gegen das Volk macht.«

»Richtig! Weg mit den Gardes du Corps! Fort nach Rambouillet! Revolution muß sein!« brüllte das Gesindel.

St. Huruge klopfte indessen, höhnisch lächelnd, den Bankerotteur auf das Genick und sagte: »Friede, mein guter Mann. Ohne uns zu Paris macht man keine Revolution. Ihr seid Schwachköpfe, Hofgeschmeiß, das nur von den Tyrannen lebt und ohne den Tyrannen verhungern muß.«

Ein Gewürzkrämer stellte sich hoch auf die Zehenspitzen und sagte mit vielem Aufwand von Emphase: »Der wahre Patriot begnügt sich mit einer Kruste Brot, wenn er dieselbe auf seinem Felde gezogen hat. Er verschmäht die Gaben des Hofes, und« – fuhr er mit gewöhnlicher, geläufiger Zunge fort – »wenn heute der Tyrann mit allen seinen Leuten über die Grenze springen müßte, so haben wir an seiner Statt die Nationalversammlung. Die zwölfhundert Mäuler brauchen auch etwas. Erst diesen Morgen hat mir der wackere Robespierre von Arras einen Konto von fünfundsiebenzig Livres saldiert und der edle Graf von Mirabeau steht mit dreimal mehr in meinem Buche.«

St. Huruge lachte wie ein Satan. »Der ist nicht der beste Kunde,« spottete er; »er ist seit langem gewöhnt, seine Gläubiger und die Nation mit Worten zufriedenzustellen. Wer weiß, wie es sich noch mit ihm wendet.«

Die Umstehenden nahmen laut und heftig die Partei des Grafen, und ihre Begeisterung wurde vermehrt, als, wie gerufen, der genannte Deputierte, über den Platz schreitend, an ihnen vorüberkam. Das Volk lief auf seinem Wege zusammen, die Gruppen wurden größer und mehrere hundert Stimmen brachen in den Ruf aus: »Es lebe der Mann des Volkes! Der Patriot Mirabeau soll leben! Weg mit der Österreicherin! Weg mit dem Herrn Veto! Mirabeau hoch! Orléans hoch! Die Nation über alles! Herunter mit der Calotte!«

Der Graf, an dergleichen Auftritte gewöhnt, begnügte sich, auf sein finsteres, unschönes und mit Blatternarben besäetes Gesicht jenes wohlwollende Lächeln zu zwingen, das ihm des Volkes Herzen zugewendet hatte, begrüßte die Begeisterten mit leutseligem Kopfnicken und herablassender Handbewegung und ging ruhig zwischen ihnen hindurch. Seiner derb zugehauenen Gestalt folgte, einige Schritte immer zurückbleibend, eine Figur, die den schreiendsten Kontrast mit der des Grafen bildete, aber den Wunsch zu hegen schien, einerlei Haltung und Manieren mit ihm zu haben und durch Mirabeau's Mittel Mirabeau's Zwecke zu erreichen. Ein hagerer, kleiner, gestreckter Mann mit raschem, schiebendem Gange, sorgfältig gekleidet, mit steifen Ailes de Pigeon, den Hut unterm Arm und die Füße sorgfältig von einem Stein zum andern setzend, damit kein Schmutzflecken auf die seidenen Strümpfe komme. Unter dem Jubelgeschrei, das dem Grafen galt, stieß der Gewürzkrämer seinen Nachbar, den Perückenmacher an und sagte: »Das ist mein Fünfundsiebenzig-Livres-Mann. Das ist Herr Robespierre. Mein Kaffee schmeckt ihm am besten und mein Zucker scheint ihm köstlich, obgleich Ludwigs Intendant seinen Lieferanten verboten hat, welchen von mir zu beziehen. Er sei nicht einmal gut genug, meinte der schlechte Kerl, daß man den Hund der Mademoiselle damit füttere. Die Österreicherin samt ihrer Brut würde einst froh sein, wenn sie von meinem Zucker hätte, der Herrn Robespierre lieber ist, als der meines Nachbars Joly. Laßt uns dafür dem wackern Deputierten auch ein Lebehoch bringen! Es kostet nichts und schmeichelt doch und ermutigt für die Zukunft.«

»Gerne,« versetzte Crispin, »mein Geselle soll mitschreien helfen. Der lange Strick ist ja selbst aus Arras und darf schon seinem Deputierten einige Ehre erweisen!«

Alle drei hoben an, aus voller Kehle dem Belobten ein Vivat zu bringen. Eine Handvoll Stimmen mischten sich in das Geschrei, und der Ruf, der Herrn Robespierre galt, wurde hiermit so deutlich, daß Mirabeau, seinem Doppelgänger ohnehin nicht hold, sich unwirsch umdrehte und dabei St. Huruge gewahrte.

»Guten Tag,« sagte er, indem er den Marquis aus dem Tumult beiseite zog. »Deine Ankunft macht mir Freude. Du hast dich in Mâcon unsterblich gemacht. Die Revolution hat dort ihre Zähne tüchtig gewiesen. Wie viel der Schlösser hast du angezündet?«

»Ein Dutzend, Mirabeau. Doch ist mir der Schauplatz in der Provinz zu eng, und ich beeile mich, nach der Hauptstadt zurückzugehen, wo es vielleicht etwas für mich zu tun geben möchte. Während Burgund in vollem Aufstand ist, schläft Paris. Fehlt es an Rat oder an Händen?«

»Keineswegs, Marquis, du kommst gelegen. Der Zunder ist gehäuft; die Rede, die ich soeben in der Nationalversammlung gehalten, hat den ersten Funken hineingeworfen; meine persönliche Gegenwart soll das Übrige tun. Ich gehe morgen mit dem frühesten nach Paris. Begleite mich!«

Während dieses Gesprächs hatte sich Robespierre unter die Volksmenge gemischt. Sie war angewachsen durch die Menge von Tagelöhnern, die um die Mittagsstunde von ihrer Arbeit heimkehren. Der Deputierte von Arras legte sein trockenes Gesicht in annehmliche Falten, sah durch seine Brille so freundlich aus seinen Augen, wie es dem Volke gefiel; nickte hier mit dem Kopfe, schüttelte dort die rauhe Hand eines Maurers, bückte sich fast demütig vor den wenigen honett aussehenden Leuten des Bürgerstandes und sagte, indem er eine Prise von dem Gewürzkrämer nahm, der mit seinen Spießgesellen noch in einem fort schrie: »Sie tun mir zu viel Ehre an, meine lieben Mitbürger. Was Mirabeau betrifft, so ist er ein Demosthenes gegen mein geringes Talent. Hätte er nur meinen ernsten, unabänderlichen Willen! Wenn es auf mich ankäme, so hätte das Volk schon jetzt nicht mehr nötig, hier in der Mittagshitze sich über einen Skandal zu ereifern, der in diesem Augenblicke im Schlosse gegeben wird. Gehen Sie heim, meine lieben Freunde; faßt euch in Geduld, ihr wackeren Leute! Bezwingt den Schmerz, den ihr empfinden müßt, da die Verteidiger eures Herdes, die Nationalgardisten selber, mit euren Unterdrückern an der Tafel sitzen, die der Schweiß des hungernden Volkes bezahlt und an welcher des guten Volkes Verderben völlig beschlossen wird.«

Hierauf wendeten sich alle Blicke drohend gegen das Schloß. Hundert geballte Fäuste drohten hinauf. Ein Schrei der Wut ließ sich hören. Er hieß: »Nieder, zum Teufel mit den Gardes du Corps, dem Veto und der Österreicherin! Verdammt seien die Nationalgardisten, die uns verraten, weil man sie mit Geld und Wein besticht!«

Während nun zwischen dem schreienden Volk und den darunter gemischten Nationalgarden, welche die Partei ihrer Gefährten nahmen, ein heftiger Wortwechsel entstand, rief der Inspektionsmajor hinter den Gittern des Schlosses dem Kommandierenden der Wache zu: »Kapitän! hören Sie denn nicht das aufrührerische Geschrei des Pöbels? Seit wann ist es erlaubt, die rebellischen Ausschweifungen bis vor die Tore des königlichen Hauses zu treiben? Senden Sie eine Patrouille ab, um das Volk zu zerstreuen. Lassen Sie die unruhigsten Bursche beim Kopf nehmen!«

Der kommandierende Schweizeroffizier zuckte pflegmatisch die Achseln und erwiderte im schlechtesten Französisch: »Der König hat befohlen, daß von seiten seiner Garden und Haustruppen die strengste Ruhe beobachtet werde. Ich darf ohne höheren Befehl keinen Mann entsenden, will aber, weil der Tumult in der Tat arg wird, nach dem nächsten Bürgerposten schicken.«

Das Volk hielt sich immer in bedeutender Entfernung von den Wachen des Schlosses, fuhr aber in seinen Verwünschungen auf eine zügellose Weise fort. Hauptsächlich drohte es den Nationalgardisten, die es bei dem Feste versammelt glaubte. Robespierre und einige andere Deputierte minderen Schlages befeuerten durch ihre höhnischen Einredungen die Köpfe des Pöbels. Mirabeau besah von ferne den Spektakel und sagte zu St. Huruge: »Du kennst das Märchen von Liliput? Die Versailler sind ein elendes Gesindel ohne Energie, Frösche, die dergleichen tun, als wollten sie aus dem Sumpfe der verjährten Knechtschaft ans Tageslicht der heiligen Freiheit gehen. Hätten die Söldlinge des Königs Mut, nur einen Schuß zu tun, sie jagten ganz Versailles an die Tore von Paris. So der Himmel jedoch will, wollen wir ihnen binnen wenig Tagen einen Besuch bereiten, der bessere Resultate herbeizuführen imstande ist.«

St. Huruge lachte wild auf, bewegte seinen Knotenstock heftig und beteuerte dem Grafen seine aufrichtigste Bereitwilligkeit.

Mittlerweile stürmte eine Patrouille von Nationalgarden über den Platz und drängte sich in den Knäuel des Pöbels. Der Offizier an ihrer Spitze, ein gedrungener Mann, mit dem Aussehen eines Wüstlings, mit glatt herabhängenden Haaren, ungeheurem Backenbart und dickbauschender weißer Halsbinde, fuhr mit einer auffallenden Superiorität das schreiende Gesindel an, ohne daß es besondere Notiz von ihm nahm. »Im Namen der Nation und des Gesetzes!« schrie er mit tragischem Pathos. »Geht auseinander, ihr Männer des Volks! Es ziemt sich nicht, daß die Zunge des Bürgers den Mitbürger unter Wehr und Waffen beschimpft!«

Ein unbändiges Gelächter antwortete der pathetischen Aufforderung. Gleich darauf erhob sich das Gebrüll: »Weg mit den Nationalgarden! Wir wollen keine Wachen, die uns verraten und mit den Gardes du Corps frühstücken!«

Robespierre und seine Agenten hatten sich bei Annäherung der Wachen versteckt. Mirabeau aber, als er sah, wie der Patrouillenoffizier seinen Leuten befahl, die Flintenkolben gegen die Menge zu gebrauchen, trat mit Kraft ihnen entgegen und schleuderte ihnen mit einem wahren Löwenangesicht die grimmigen Worte zu: »Was soll das heißen? Waffen gegen das Volk? Setzt auf der Stelle ab oder ich erkläre die ganze Nationalgarde von Versailles außer dem Gesetz! Ist das der Lohn unserer Bemühungen, haben wir darum die Waffen in die Hände der Bürger gegeben, daß sie sich als Schergen der Tyrannei aufführen sollen?«

Dieser heftige Anfall machte das Volk auf dem Platze verstummen und verdutzte die Patrouille, die ihre Waffen beschämt sinken ließ. So hochfahrend der Offizier vorher gewesen war, so demütig zeigte er sich jetzt. »Wer sind Sie?« fragte Mirabeau mit seiner Stentorstimme.

»Ich heiße Johann Franz Sallé, bin dramatischer Künstler an dem Theater von Versailles.«

»Das letztere hätte ich bei Ihrer Anrede an das Volk vermuten sollen,« versetzte Mirabeau mit niederschlagendem Spott. »Auf wessen Befehl sind Sie hier?«

»Der Hauptmann der Schloßwache hat mich requiriert.«

»Sie haben keinem Offizier der königlichen Truppen Gehorsam zu leisten. Sie sind die Wächter des Gesetzes und nicht eine prätorianische Garde. Wenn Sie, mein Herr, vielleicht hin und wieder auf Ihrem Theater die Rolle des Tyrannen agiert haben und als solcher Ihre Komparsen zur Metzelei Ihres Volkes anführten, so vergessen Sie nicht, daß wir hier nicht auf der Szene sind, und enthalten Sie sich ferner jeder Gewalttat.«

»Ich bin ein Patriot,« erwiderte Sallé, sehr gekränkt. »Ich werde es noch beweisen, daß ich ein Patriot bin! Alles für die Nation! Vor dem Gesetz sind wir alle gleich! Ich war mit bei dem verruchten Gastmahl vom ersten Oktober. Ich habe einen Toast auf das Wohl der Nation ausbringen wollen, die Hunde haben mich überstimmt. Ich schwör' es im Angesicht des Himmels und der Erde, daß ich samt meinen Kollegen von der Nationalgarde keinen Teil an den Abscheulichkeiten jenes Abends nahm, daß wir uns das Ehrenwort gegeben haben, bei dem heutigen Feste nicht zu erscheinen, und daß ein jeder von uns sein Ehrenwort gehalten hat. Es lebe die Nation!«

Mirabeau maß mit einem ungemein sarkastischen Ausdruck den pathetischen Sprecher vom Kopf bis zu den Fußzehen, wendete sich dann ganz besänftigt und wohlwollend zum Volk und sprach: »Meine Mitbürger! dem Ehrenwort eines Patrioten muß geglaubt werden. – Ihr seht also, daß eure Besorgnis zum Glück unbegründet war und daß unter den Mietlingen der absoluten Gewalt keiner von den wackeren Volkskriegern sitzt, die ebenso uneigennützig wie edel die schwere Pflicht übernommen haben, euch vor inneren und äußeren Feinden zu schützen, und gewiß« – mit einem scharfen Seitenblick auf Sallé – »niemals die vom Gesetz ihnen verliehene Macht mißbrauchen werden, um den friedlichen Bürger zu unterdrücken.«

Mirabeau war gewohnt, vom Volk alles zu erreichen. Seine Rede wandelte den Zorn in freudigen Jubel um. »Es lebe die Nationalgarde! Es leben unsere Brüder und Freunde unter den Waffen des Vaterlandes! Es lebe der Patriot Sallé mit seinen standhaften Gefährten!« rauschte es aus allen Kehlen auf. Die Hüte wurden geschwenkt, die Mützen flogen und von einer Bürgerbrust zur andern taumelten die brünstig von dem Volk umarmten Nationalgardisten. Auf einen Wink von Mirabeaus Hand zerstreute sich der Auflauf, und Crispin mit seinem Gelichter begleitete den glücklichen Sallé wie im Triumph nach ferner Wachtstube.

»Welch' ein Volk!« sagte Mirabeau mit bitterem Hohne. »Ein Wort bestimmt es, ob zum Morde seines Götzen oder zu dessen Anbetung! – Auf Wiedersehen, St. Huruge: an den Barrieren der Vorstadt St. Antoine sei unser Rendezvous.«


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