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Zehntes Kapitel.
Das Schloß in der Vendée

Eine regnerische Septembernacht war beinahe vorüber. Die Nebel des Morgens zogen verhüllend von der Erde zum Himmel, aber durch sie hindurch leuchteten, so weit das Auge reichte, auflodernde Flammen, heulte zahlloser Sturmglocken wimmernder Ton. Im Vorgrund des düstern Gemäldes wütete von allen Seiten Kampf und Schlacht, Kanonendonner hallte im weiten Kreise wider und von Tarfou heran wälzte sich schwerfälliger Troß über die Blachfelder, die Gräben und Hecken des Bocage in der Richtung auf Nantes zu. Ein tiefer Hohlweg, von dürren Anhöhen begrenzt, liegt dort und gähnte wie ein finsterer Schlund den Kriegern entgegen, die sich beeilten, mit Roß und Mann und Geschütz über die schwache Brücke zu setzen, welche den Eingang zu der Schlucht öffnet. Ein ängstliches Treiben beseelte die Soldaten. Sie kamen nicht vom Sieg, sondern im Rückzug daher. Der Kern der Mainzer Kolonne bewegte sich eiligst durch den Hohlweg, worin jedoch nur mit Mühe die Kanonen fortgebracht werden konnten. So drängte sich der ganze Heerhaufe eng geschart zusammen, daß selbst die Führer, auf der Höhe des Weges ziehend, den Zustand der Ihrigen, ihre Menge und Haltung, nicht würdigen konnten. Es wurde Halt geboten. Die Truppen standen und um Kleber versammelte sich das Korps der Offiziere. Der General war mißmutig, wie noch nie.

»Habe ich's nicht vorausgesagt?« rief er mit wildem Grimm, »die Ignoranten in Paris hatten uns schon vom Anbeginn das Spiel verdorben; da kommt noch Rossignols Feigheit, Lechelles Erbärmlichkeit und die Nichtswürdigkeit der Truppen von Saumur dazu, um uns den Rest zu geben. Wie geschah es nur, daß die Schurken zurückbeordert wurden? Wenn das nicht Verrat ist, so gibt es keinen. Es war darauf angelegt, unsere Kolonne zu vernichten, denn wir sind dem Gesindel ein Dorn im Auge. – Wo ist Marceau?«

»Da kommt er!« riefen mehrere Offiziere, und Marceau schritt den Hügel heran, finster, niedergeschlagen und den linken Arm in einer Binde haltend.

»Bist du verwundet, Kamerad?« fragte Kleber teilnehmend und auf einen Augenblick den Unfall seines Korps vergessend.

»Eine Kontusion, weiter nichts,« antwortete Marceau mit kalter Ruhe; »das elende Bauernpferd, das ich ritt, schleuderte mich unsanft zu Boden, als ein Kartätschenschuß es zerriß.«

»Wo hast du den Schimmel, Freund?« versetzte Kleber; »hat dieses Pferd, dessen Farbe dich so oft dem Feinde bloßstellte, endlich sein Ziel erreicht?«

»Nicht doch,« entgegnete Marceau, »Bourbotte reitet es jetzt. Der ungestüme Mann, um seinen Pflichten zu genügen, hat sich selbst in das Geplänkel gewagt und ein Kanonenschuß tötete sein Roß. Ich war mit sechs Husaren unfern ein Zeuge des Unfalls, hieb den Repräsentanten aus dem Feinde und gab ihm mein eigenes Pferd, sich zu retten.«

»Dem Bourbotte?« fuhr Kleber überrascht auf, »dem Menschen, der keine Gelegenheit versäumt, dich empfindlich zu beleidigen? Wahrlich, Marceau, du hast ein Heldenherz.«

»Ehre unserem Waffenbruder!« rief Marigny, den Jüngling umarmend. »Ich sah die Tat mit an. ›Nimm mein Roß,‹ sagte unser Kamerad mit Freudigkeit; ›uns trennt ein nichtiger Haß; aber besser ist's, daß ein Soldat wie ich zugrunde gehe, als ein Stellvertreter des Volks!‹«

»Schweige!« bat Marceau beschämt. »Du hättest nicht weniger getan, und mein Verlust war klein, da ich schon in der nächsten Stunde einen vendéeischen Reiter vom Pferde geschossen und mich seines Tieres bemächtigt hatte.«

Kleber umarmte mit Rührung den jungen Freund und sagte mit Begeisterung: »Ich habe mich nicht in dir betrogen, du junger, wackerer Soldat. Ja, du bist ein echter Sohn der Freiheit, der Freiheit, die wir lieben und wofür wir unser Blut verspritzen, während die Wütenden zu Paris sie mit Füßen treten. Ich besitze nur zwei Rosse; nimm das eine. Du darfst nicht zu Fuße dich ermüden und sollten wir beide, wie die Haimonskinder, auf einem Bayard reiten. Dem Konvent zum Trotz wollen wir nicht in diesen Defiléen stecken bleiben. Es ist nun einmal so, ihr Bürger. Geschlagen sind wir und der Rückzug ist unsere einzige Rettung. Ich erwarte nur noch Bericht, ob die Königlichen ihre Jagd auf uns nicht einstellen, um den weitern Zug zu ordnen.«

Er hatte kaum ausgeredet, als ein Offizier von Westermanns Legion, welche hier die Nachhut bildete, heransprengte und meldete, daß ein siegestrunkener Haufe, von dreißigtausend Mann ungefähr, dem Korps auf dem Fuße folge, daß Westermann im Augenblick mit seinen Leuten da sein werde und nicht länger mit dem Entschluß zu zögern sei, entweder hier noch einmal dem Feinde die Stirn zu bieten, oder den schnellsten Marsch nach Nantes anzutreten.

Nach dieser Meldung zog Kleber seinen Marceau beiseite und sie warfen prüfende Blicke auf die Ebene hinter ihnen. Da nun der Morgen immer mehr heraufrückte mit seinen trügerischen Nebeln, die auf eine Distanz von hundert Schritten jeden Gegenstand verbargen, – da das Gebrüll nachfahrender Kanonen auf der feindlichen Seite immer näher kam und die Signaltrompeten der Arrièregarde immer deutlicher zu vernehmen waren, so sahen die Generale ein, daß ein Treffen in dieser Gegend, wo aus jedem Graben und jeder Schlucht eine Schar feindlicher Schützen unvermerkt auftauchen könnte, zu gewagt sein würde. Es wurde daher der Befehl zum Aufbruch gegeben und die Kolonne setzte sich in Bewegung, als Westermanns Schwadronen atemlos herbeikamen. Das Fußvolk der deutschen Legion lief zerstreut zwischen den Pferden der Kavallerie. Man hatte ihr das Geschütz abgenommen. Bei dieser Nachricht wurde der Rückzug der Mainzer eine eigentliche Flucht. Kleber hatte mit Drohungen und Bitten genug zu tun, um nur einen Schein von Ordnung in den Truppen zu erhalten, und Westermann drang lebhaft in ihn, an der Brücke einen Posten aufzustellen, der, auf kurze Zeit wenigstens, den ersten Andrang der Verfolger aufzuhalten vermöchte.

»Ich sehe das ein,« antwortete Kleber; »wir sind sonst alle verloren in diesen verteufelten Hohlwegen. Wer zum Henker behielte jedoch den Kopf beisammen in solchem Tumult? Der Zorn, dem einfältigsten Tropf aller französischen Heere untergeordnet zu sein, benimmt mir schier die Fassung. Unsere tapferen Grenadiere sind voraus; nenne mir, Marceau, unter deinen Bataillonen den unerschrockensten Offizier, der imstande wäre, den verwegenen Posten an der Brücke zu übernehmen.«

Marceau schwang sich auf Klebers Handpferd, warf einen zerstreuten Blick auf seine Füsiliere, die soeben, halb geordnet, durch die Schlucht zogen; sein Auge flammte plötzlich und mit aller Kraft seiner Löwenstimme rief er: »Die sechste Kompagnie halt! Kommandierender vor!«

Im Augenblicke stand der Gerufene vor den Generalen: ein Leutnant, der an der Stelle des erschossenen Kapitäns den Befehl seiner Kompagnie übernommen hatte. Klebers Blick maß zufrieden die Gestalt des Mannes, dessen Uniform die Spuren eines schonungslosen Gebrauchs im Biwak trug, wie sein Gesicht eine ehrenvolle Narbe und den Ausdruck unerschütterlichen Ernstes. Marceau sprach, auf den Offizier weisend: »Ich könnte keinen bessern empfehlen, als den Sekondeleutnant Viktor. Mut und Todesverachtung haben ihn schnell vom Gemeinen zum Offizier befördert, und nie hat eine Kompagnie einstimmiger ihren Vorgesetzten gewählt, als die sechste ihn.«

Kleber klopfte traulich dem Leutnant auf die Schulter und sagte, auf die im nebligen Grunde liegende Brücke deutend: »Du sollst unsern Rückzug decken, Leutnant. Nimm deine Kompagnie mit dir und halte dich bis aufs letzte. Ihr müßt euch alle totschlagen lassen, aber es gibt ja keinen schönern Tod, als den für die Freiheit und die Waffenbrüder.«

»Soll geschehen, Bürgergeneral!« antwortete der Offizier trocken und wendete sich nach seinen Leuten. Marceau hielt ihn zurück und redete mit Teilnahme zu ihm: »Viktor! Ich weiß schon lange, daß du das Leben geringschätzest und eine Gelegenheit zu sterben suchest, wie sie heute sich darbietet. Du wirst nicht davonkommen. Hast du jedoch nicht Verwandte, nicht Freunde, nicht eine Geliebte, welchen dein letzter Gruß gehört, und darf ich nicht dessen Überbringer sein, wenn mich der Krieg verschont?«

Viktor schüttelte verneinend den Kopf. »Ich habe niemand auf der Welt!« versetzte er. »Du, mein Kommandant, leb' wohl und laß meinen Namen in das Pantheon einschreiben, unter diejenigen der für das Vaterland gefallenen Tapferen.«

Er sprang hinab zu seiner Kompagnie. Unter kurzem Trommelwirbel trat sie aus den Reihen der anderen, und da sich schnell das Gerücht von ihrer gefährlichen Bestimmung verbreitete, so riefen ihr tausend Soldatenkehlen ein brüderliches Lebewohl zu. Die dem Tode geweihten Krieger zogen schnell an die Brücke hinab, und nachdem die letzten von Westermanns Scharen vorüber, pflanzten sie, ein republikanisches Lied singend, zwei Kanonen, die von dem Heerhaufen zurückgelassen werden mußten, gegen die Feinde auf. Sowie dieses geschehen und unter den Hieben einiger Äxte die schwache Brücke in den Grund geschlagen war, nach den geladenen Gewehren gesehen worden und der Offizier eine kurze Rede an seine Gefährten gehalten, standen sie schweigend, schußfertig und lauernd, mit aufmerksamem Ohr, hochschlagenden Herzen und noch einmal zurückdenkend, zum letzten Mal, an die Heimat, die Eltern, die Freunde und Weib und Kind. – Sobald nun in der Ferne das Schnauben der Rosse, das Geklirr der Waffen und das Wagengerassel der abziehenden Kolonne verhallte, so näherte sich jenseits des Grabens von weitem das Getöse der nachjagenden Verfolger. Einzelne Posten mußten längs den Uferkrümmungen hinschleichen, um die Vendéer zu erspähen, und in der Mitte der auseinandergespreiteten Postenkette stand der Befehlshaber, eine Doppelbüchse im Arm, der breite Säbel an der Hand hängend. Die Sonne drang durch das Gewölk und drückte den Nebel zu Boden, daß er nur in Manneshöhe über der Erde schwebte. Da erklang leiser Hörnerruf und Pfeifen ließen sich aus Hecken und Gebüschen vernehmen. Verwirrtes Getöse breitete sich, näher rauschend, auf weit gedehnter Linie aus. Dann kam Getrapp von Pferden heran. Nicht lange und am jenseitigen Ufer blickte das Gesicht eines Reiters durch den Duft. Der Schuß eines Republikaners strafte die verwegene Neugier des Plänklers; er stürzte vom Sattel und wurde von dem Pferde zu dem Haufen der Seinigen zurückgeschleppt. Bald schlugen die Trommeln auf der ganzen feindlichen Linie. Deutlich wurde das Feldgeschrei: » Vive le roi!« aus dem Munde der aufrührerischen Bauern. Mehrere Reiter erschienen jenseits der Brücke. Sie schossen herüber und knatternd antwortete die Reihe der Posten am Ufer. Der Trommelschlag kam stürmisch näher; noch barg der über der Erde schwimmende Duft die Feinde, als plötzlich ihr gut unterhaltenes Feuer, gewaltig losbrechend, den dünnen Schleier zerriß. Viktor gab Befehl, den Angreifenden aufs nachdrücklichste zu antworten. Die Feuerschlünde krachten und rissen die nahestehenden ersten Rotten der Vendéer nieder. Doch entwickelten sich hinter den Fallenden neue Massen, und Blitz auf Blitz folgte Gewitterschlägen gleich, von beiden Seiten, bis eine Pulverwolke den ganzen Paß umhüllte und das Geschütz der Republikaner, aus Mangel an Schießbedarf, schweigen mußte. Ein großer Teil der sechsten Kompagnie lag niedergestreckt am Boden. Zwischen erkalteten Leichnamen und ächzenden Verwundeten, selbst die Stücke richtend und losbrennend, war Viktor verschont geblieben. Doch stand der entscheidende Augenblick nicht fern. Rechts und links setzten die vendéeischen Reiter über das Flüßchen und zusammen zogen sich die Posten der Republikaner, bis sie um ihre Kanonen standen wie ein dichter Knäuel. Alles Pulvers beraubt, versuchten sie mit dem Bajonett dem eindringenden Feinde Widerpart zu halten. Vergebenes Bemühen des kleinen Häufleins! Ringsum stürzten die Tapferen unter den Hieben royalistischer Reiter und in ihre Lücken brachen sich die herübergeschwommenen Infanteristen der Vendée blutige Bahn. Das Beispiel des Anführers, der sich unerschrocken verteidigte, beseelte die Faust der republikanischen Schar, und als der letzte von ihr unter dem Pikenstoß eines Vendéers sank, als der Anführer der Kavallerie dem Offizier zurief, sich zu ergeben, antwortete dieser durch einen wütenden Hieb nach dem großmütigen Feinde. Ein Schütze, hierüber erbittert, schlug den Leutnant mit einem Kolbenschlag neben seinen Kanonen nieder.

Es gab nun keinen Feind mehr zu bekämpfen, als die gegen Nantes ziehende Kolonne, welcher der große Haufe der Vendéer folgte, sobald, gut oder übel, der Übergang wieder hergestellt war. Die Mainzer hatten eine gute Stunde Vorsprung gewonnen. Im freien Felde folgten die königlichen Reiter, ihrer geringen Zahl mißtrauend, nur schüchtern dem gefürchteten Korps, das sich mit Würde weiterbewegte. Derjenige Anführer, der Viktor zugerufen, sich gefangen zu geben, blieb auf dem Platz des Gefechtes zurück und ließ von seinem Bedienten eine Armwunde verbinden, die er verwichene Nacht erhalten hatte. Während des Verbands knirschte er mit den Zähnen vor Schmerz und sagte unmutig: »Nicht wahr, Blaise, das heilige Feuer soll den Schurken verzehren, der mir die Pistole so nah' am Arm losbrannte? Der Schuß hätte meiner Seele durch den Knochen gehen können, wenn er nicht bloß gestreift hätte. Es ist doch gut, daß es noch leidlich ablief; nicht wahr?«

»Gott sei gedankt,« versetzte der Bediente, dessen langes, ernsthaftes Gesicht mit dem runden, leichtsinnigen seines Herrn gewaltig kontrastierte. »Unsere liebe Frau in den Sümpfen verdiente wohl dafür ein kleines ex voto. Es wäre Ihnen übel gegangen, Herr Marquis, wenn nicht zum Glück die Ulme, welche neben der Kapelle des wundertätigen Bildes steht, auch Ihres gnädigen Vaters Haus beschattete. Die Ulme ist schon seit vielen Jahrhunderten berühmt und verehrt, denn der heilige Cornili hat unter ihr gesessen, als ihn die Mohren oder die Hunnen oder die Spanier – was weiß ich – verfolgten. Meine Meinung wäre allemal, daß sie wieder umdrehten, Herr Marquis. Das Bauernvolk bleibt ohnedies nie lange beisammen; warum sollen Sie sich der Gefahr aussetzen? Was würde die Frau Marquise sagen, wenn Sie totgeschossen nach Hause gebracht würden? Sie haben ja Ihr Wort gelöst, und bringen überdies einen ehrenvollen Denkzettel heim.«

Der Herr schlug nachsinnend die Augen gen Himmel, klopfte behutsam auf die brennende Wunde und sagte: »Hm, wie wird mich meine gute Gabriele empfangen? Ich denke, vollkommen gut. Aber beim heiligen Georg; – nein – ich denke schlecht. Von den Bedingungen, die sie mir gemacht, erfüllte ich ja nur eine. Erinnerst du dich noch, Blaise?«

Blaise versetzte, an den Fingern herrechnend: »Als Sie zum letzten Male neben der schönen Frau Marquise in der Laube saßen und ich schon das Pferd mit Sattel und Zaum und Gepäck herbeibrachte, sagte die Frau Marquise: ›Bester Chabran, Sie werden nur dann mein Herz und meine Hand gewinnen, wenn sie ernstlich für Ihren König in die Schlacht ziehen, und mir daraus, wie sonst die Paladine taten, eine Wunde zurückbringen und einen gefangenen Ritter, dessen Schicksal Sie in meine Hände legen.‹«

»Nun also!« rief der Herr von Chabran ungeduldig; »du rechnest das so kaltblütig her und willst doch haben, daß ich umkehre. Mit einer Wunde wohl, aber mit keinem überwundenen Ritter! – Hat ja doch keiner dieser Schufte, die hier zerstreut liegen, Pardon annehmen wollen, um meinen Triumphzug zu verherrlichen!«

»Ja, wahrhaftig,« sagte hierauf Blaise und schaute nach den toten Republikanern, die just, Mann für Mann, von den Vendéern in das Wasser geworfen wurden. »Die Kerle sind alle hin, und es schickt sich nicht, daß man der Marquise einen gefangenen Kadaver bringt.«

»Einfaltspinsel!« schalt der Herr von Chabran, stieß den Bedienten auf die Seite und trat zu den Leichnamen, welche noch von den Vendéern verschont worden waren.

»Häßliche Bursche!« sagte er vor sich hin; »schmutzig, zerlumpt und, ich wette darauf, voll Ungeziefer. Es ist wohl der Mühe wert, sich für die sogenannte Freiheit totschießen zu lassen! Das Leben dieser Schurken war übrigens zehnmal schlechter als ihr Tod. Ich würde eine traurige Figur gemacht haben, wenn ich meiner schönen Gabriele einen dieser Spitzbuben zugeführt hätte, die nicht einmal Schuhe an ihren Füßen tragen und mit zerrissenen Hüten paradieren. Der einzige Reputierliche des Haufens war der Offizier. Ich hätte ihn gerne gerettet, aber der Dummkopf wollte es nicht. Da liegt er und hält noch fest den Säbel in der Rechten. Picards Kolbenschlag hat den roten Federbusch herrlich getroffen und dem Helden den Hut dermaßen über das Gesicht gestülpt, als ob er darauf gegossen wäre. Laßt doch einmal sehen, wie der Tod die trotzigen Züge des Sansculotten verändert hat.«

Bei diesen Worten schob der Kavalier mit dem Fuße den Hut vom Gesicht des Erschlagenen. Es trug noch den Ausdruck des Zorns und eine lebhafte Röte war darüber gegossen, die allein schon den Tod des Kriegers zweifelhaft gemacht hätte, wäre auch das konvulsivische Zucken des Mundes unbemerkt geblieben und eine Bewegung der Hand: deutliche Kennzeichen des Lebens, die sich kundgaben, als der frische Luftstrom über die geschlossenen Augen hinflog. Chabran, der überhaupt noch nicht viele Leichen gesehen hatte und niemals eine vom Tod erwachende, fuhr etwas bestürzt zurück und rief einigen Vendéern, die, an ein vernageltes Geschütz gelehnt, ihr Gerstenbrot verzehrten, zu: »Jesus, Maria und Joseph! Ich glaube, ihr Leute, der Offizier erwacht wieder. Kommt herbei; helft und zögert nicht!«

Die Bauern näherten sich phlegmatisch und schleppten ihre verrosteten Büchsen nach sich. Nachdem sie den Offizier einige Augenblicke lang beobachtet, sagte der eine: »Meiner Treu, Herr Marquis, Sie haben Recht. Der Königsmörder schnappt wieder Luft. Passe auf, Renaud, und renne ihm dein Bajonett durch die Brust, während ich ihm mit meiner letzten Kugel das Gehirn zerschmettere.«

Dem sollte also geschehen. Renaud fällte sein Gewehr und sein Kamerad war im Begriff, die Mündung des seinigen auf Viktors Stirne zu setzen, als Chabran mit einem Schrei des Abscheus zwischen die rohen Bursche sprang, sie mit aller Kraft zurückstieß und mit dem schleunigsten Tode bedrohte, wenn sie es wagen würden, ihr schreckliches Vorhaben auszuführen. Die Bauern, in ihren hohen, grauwollenen Nachtmützen, die Flinte in der einen, das Stück Brot in der andern Hand, gafften mit offenem Maul den Marquis an, und meinten alsdann, obwohl in größter Demut, daß es wohlgetan sei, einen Rebellen aus der Welt zu schicken; daß ihr Pfarrer noch am letzten Sonntag von der Kanzel herunter befohlen, keinen Republikaner zu schonen; und daß die Königsmörder selbst keinem braven Vendéer das Leben schenkten, der in ihre Hände falle. Chabran antwortete auf alle diese Überzeugungsgründe nur mit einer drohenden Säbelbewegung, und die Bauern zogen sich zurück, um mit ihren Gefährten, hübsch weit von dem Marquis entfernt, über dessen Menschlichkeit zu schimpfen. Dagegen rief Chabran seinen besonnenen Blaise herbei und sprach zu ihm: »Sieh', welche Gesichter der Republikaner schneidet. Was meinst du? Wird er vollends zum Leben erstehen?«

Blaise betrachtete Viktor mit einem Kennerblick und erwiderte gleichgültig: »Wenn ihn der Schlag nicht trifft, so kann er wieder aufstehen. Ein Aderlaß würde hier allein helfen, sonst ist er in wenigen Augenblicken hin. Das Blut erstickt ihn.«

»So hilf, Blaise. Du bist ja mein Feldchirurg und trägst deinen ganzen Apparat bei dir.«

»Ist es aber keine Sünde, Herr Marquis, wenn ich den Burschen rette?«

»Hast du bei den barmherzigen Brüdern zu Rennes so wenig Barmherzigkeit gelernt? Allons, du langsamer Quacksalber, schnell ans Werk. Stirbt der Mensch hier, so laß ich dich auf ein paar Monate in unsern Turm setzen.«

Die Androhung der feudalmäßigen Strafe tat die beabsichtigte Wirkung. Blaise nahm alle Geschicklichkeit, die er bei den Barmherzigen gelernt, zusammen, verrichtete die Operation, und nach einer Minute öffnete Viktor wieder die Augen dem Licht des Tages. Da ihr erster Blick den rein und hell gewordenen Morgenhimmel auffing, lächelten die Züge des Erwachenden; er glaubte auf dem Wege zum Paradiese zu sein. Die Täuschung dauerte nicht lange. Sein zweiter Blick auf die Umgebungen, die Leichen der Waffenbrüder, die im Kreise stehenden, glotzenden Bauern, hätte fast eine zweite Ohnmacht zur Folge gehabt. Unwillig schloß Viktor die Augen, und öffnete sie nur dann wieder, als Chabrans kecke Stimme zu ihm sagte: »Guten Tag, mein Freund. Ihr waret im Begriff, in einen langen Schlaf zu verfallen.«

Viktor erhob sich etwas, von Blaise unterstützt, und antwortete mit gepreßter Stimme: »Du hast mir einen schlechten Dienst erwiesen, daß du mich wecktest. Ich habe nicht Lust, dein Freund zu sein.«

Chabran lachte etwas roh auf, versetzend: »Also Feind, wie es Euch beliebt. Ihr seid in meiner Gewalt; ich lasse Euch noch eine Viertelstunde zur Erholung und Ihr werdet Euch sodann gefallen lassen, mit mir weiter zu marschieren.«

»Warum läßt du mich nicht hier umbringen?« fragte Viktor, mit schmerzhafter Gebärde an die Stelle des Kopfes greifend, wo Picards Kolben getroffen. »Warum endete dieser Schlag nicht mein Leben auf eine ruhmwürdigere Art? Laß mich durch deine Räuber niederstoßen und verschone einen Soldaten wenigstens mit dem Henker.«

»Wie! Der Schurke schilt uns Räuber?« schrien viele Bauern und luden, in Wut geraten, ihre Flinten, um den ohnmächtigen Feind, der sie beschimpfte, zu vernichten. Chabran hatte alle Mühe, noch einmal als Vermittler durchzudringen. Es gelang ihm indessen, als er mit der Grobheit eines Landjunkers den Bauern die Worte in den Bart warf: »Ei, so haltet in's Teufels Namen eure Mäuler! Seid ihr eine königlich katholische Armee? Habt ihr so wenig Respekt vor eurem Kapitän und Lehensherrn? Der Mensch hier ist mein Gefangener, und wehe dem, der ihn anrührt. Was geht euch sein Schimpfen an? Die ungewaschenen Mäuler von Sansculotten sind nicht imstande, einen braven Royalisten zu beleidigen. Zu Paris nennt man einen jeden einen Räuber, der für Gott, den König und die heilige Kirche ficht. Benützt die Zeit besser. Richtet von euern Piken eine Tragbahre her, um den Helden darauf fortzutransportieren. Die Frau Marquise du Pin hat über sein Leben oder seinen Tod zu entscheiden.«

Die Bauern zerstreuten sich murrend und einer sagte zum andern: »Eine schlechte Wirtschaft! Wenn wir die Königsmörder und Gottesleugner nicht einmal totschlagen dürfen, was haben wir dann vom ganzen Kriege? Die Schufte haben ja sonst nichts als ihr nacktes Leben. Ein Wunder, wenn man einmal bei ihnen ein Fünf-Livres-Assignat findet. Laßt uns heimgehen und lieber mit dem Charette ziehen, wenn der Tanz wieder angeht. Der ist ein Mann nach dem Herzen Gottes, und gefangen und gehangen, Knall und Fall ist bei ihm eins.«

Unter solchen Gesprächen schnürten die armen Bauern wieder ihre Tornister und Ranzen und beschlossen in der Mehrzahl, wieder heimzuziehen, wie es überhaupt Gewohnheit unter den Landleuten der Vendée war. Wenn sich auch Hunderttausende zu einem großen Schlag vereinigt hatten, so liefen sie, war er geschehen, schnell auseinander, um wieder einige Tage der Ruhe bei Weib und Kind zuzubringen. Diesmal war der Anführer, Chabran, mit seinen Untergebenen völlig einverstanden, und befehligte den Heimzug, neben der Tragbahre herreitend, die von Piken und Sensen zusammengeflochten war und worauf des Marquis Gefangener ruhte, von dem Mantel des Siegers bedeckt. Vierundzwanzig Bauern wechselten in der Pflicht, den Überwundenen zu tragen, und schimpften leise, aber sehr nachdrücklich über die ihrer Tapferkeit unwürdige Last.

»Findest du nicht, Louis, daß der Kerl immer schwerer wird?« sagte einer zum andern; »er fällt in's Gewicht wie ein paar Zentner Blei.« Worauf der andere ganz ernsthaft erwiderte: »Weißt du warum, Gevatter? Weil jeder Republikaner den Teufel im Leib hat und manchmal ein Dutzend für einen, wie unser Vikar sagt, der fromme Mann.«

Auf diese Weise gelangte der Zug immer weiter und weiter, Tag und Nacht marschierend, eine Strecke hinter Chatillon zu einem Schlosse, welches, von einem ärmlichen Dorfe umgeben, noch in aller Pracht der Lehensherrlichkeit dastand. Chabran warf den Hut in die Luft, als er des Edelsitzes ansichtig wurde, und sagte zu Viktor, mit dem er während der Reise keine Silbe gewechselt hatte: »Erhebt Euch jetzt, guter Freund. Der stumme Trotz hilft nichts; freundliche Ergebung wird bessere Wirkung tun. Ihr werdet vor einer schönen Dame erscheinen, und es würde Euch nicht wenig frommen, wenn Ihr die Unbeholfenheit Eurer Partei ablegtet. Man kann freilich von einem, der im Pöbel geboren ist, nicht verlangen, daß er wisse, wie man sich im Salon benimmt, aber Achtung und Bescheidenheit sind in Gegenwart einer Frau von Stande unerläßlich. Richtet Euch danach. Auf meine Ehre, es handelt sich hier um Euer Leben. So mildtätig meine schöne Gabriele ist, so haßt sie doch jeden Republikaner von ganzer Seele, und er müßte recht artig sein, sollte er Gnade finden vor ihren Augen.«

Viktor antwortete auf all diese schönen Dinge nur mit einem verächtlichen Lächeln, schwieg übrigens hartnäckig und ging gefaßt, in seiner zerrissenen Uniform wie ein Held einherschreitend, der Zukunft und seinem Schicksal entgegen. Um das Schloß her war ein reges Gewimmel, einem Volksfeste nicht unähnlich. Geputzte Weiber, Greise und Kinder kamen in hellen Haufen, ihre Väter, Gatten und Söhne zu begrüßen. Die Glocke vom Kirchturm läutete, der Pfarrer zog daher im Ornat, mit dem Sakristan, dem geputzten Schweizer und den weihrauchdampfenden Chorknaben; an jeder Brust, an jedem Hut erglänzten mächtige weiße Kokarden; aus den Schießscharten des Schloßzwingers knallten Böller los, über dem Eingangstore hingen grüne Kränze und künstliche Lilien; von dem Altan winkte, von einem weißen Paniere beschattet, mit weißem Schnupftuch die schöne Kastellanin der Burg.

Chabran konnte nicht erwarten, bis er im Saale vor der Geliebten stand. Auf dem Hofe schon, umdrängt von der Bevölkerung mehrerer Gemeinden und stolz sich hebend in den Bügeln, rief er mit der Stimme eines Roland zum Söller auf: »Alles für Gott, den König und die Dame! Ehre dem Tapferen und Huldigung der Schönen! Ich habe erfüllt, holde Gebieterin meines Herzens, was Sie von meinem Herzen begehrten. Ich habe gekämpft für den König, Seine Majestät Ludwig XVII., den Gott erhalten möge! Ich habe eine Wunde davongetragen, als ich mit Löwengrimm die gefürchteten Soldaten von Mainz verfolgte; ich habe einen Gefangenen gemacht, der freilich leider kein Ritter ist, aber unter dem republikanischen Pöbel einen solchen vorstellt. Erlauben Sie mir, Schönste der Schönen, daß ich meine Trophäen zu Ihren Füßen niederlege.«

Eine leichte, gefällige Kopfneigung war die Erwiderung des ritterlichen Grußes. Chabran ergriff seinen Gefangenen bei der Hand und führte ihn im Vollgenuß seines Triumphes über die Treppe in den Saal des Schlosses, in dessen Mitte, umgeben von einer in Hufeisenform geordneten und gedeckten Tafel die Herrin des Hauses stand. Gabrielens blaue Augen blitzten dem Ritter milde, dem Besiegten drohend entgegen, und ein leiser Anflug verachtenden Spottes war auf dem Gesicht der Gebieterin beim Anblick des letzteren nicht zu verkennen. Viktor sah ihr schweigend und ruhig entgegen. Sie wendete sich mit einigen schmeichelhaften Worten an den zurückgekehrten teuern Freund. »Empfangen Sie meinen Dank,« sagte sie feierlich; »Sie kommen heute eigens, um den Tag zu verherrlichen, den mir der Besuch der ruhmwürdigsten Hauptleute unserer königlichen Armeen ewig unvergeßlich machen wird. Ja, mein Freund: Sie werden um diese Tafel in wenig Stunden alle Ihre Waffenbrüder vereinigt sehen, jene pflichtgetreuen Männer, die sich für die Sache ihres unglücklichen Königshauses aufopfern, wie es dem anhänglichen Adel geziemt.«

Chabran überflog verwundert mit seinen Augen die mit vielen Kuverts belegte Tafel. So unangenehm es ihm war, den Tag des Wiedersehens nicht mit der Geliebten allein zu genießen, so sehr schmeichelte ihm die Ehre, mit den Helden der Vendée zu Tisch zu sitzen. Er sprach zärtlich zu Gabrielen: »Ich hoffe, meine Freundin, daß Sie diese Gelegenheit benützen werden, um von den Heerführern das Leben dieses Mannes zu erhalten, den das Los der Waffen in meine Gewalt brachte! Gebricht es ihm auch an Herkunft, Rang und Sitte, ist auch die Sache teuflisch, der er dient, so hat er doch tapfer gestritten, und niemals hat eine Dame den Überwundenen, der in ihre Hand gelegt worden, einem finstern Schicksal anheimfallen lassen. Wir finden in alten Ritterbüchern tausend Beispiele für eines, daß sogar ungläubigen Sarazenen diese Wohltat wurde: warum auch nicht einmal einem schlechtgläubigen Republikaner?«

Die Marquise maß den gefangenen Offizier mit eiskaltem Blicke, zuckte die Achseln, hing Viktors Säbel, den ihr Chabran übergeben, feierlich an einen Nagel zu den Trophäen des Saals, und sagte alsdann trocken und gleichgültig: »Ich will sehen, was zu tun ist. Einstweilen ist jedoch die Gegenwart dieses Mannes lästig für uns und für ihn. Befehlen Sie daher, guter Chabran, daß man ihn in den Turm bringe. Es soll ihm an diesem Tag der Freude nicht an Speise und Trank fehlen, und der arme Schelm mag sich auf diese Weise eines Siegs der rechtmäßigen Partei dankbar erinnern.«

Von sehr verzeihlicher Wallung aufgeregt, wollte Viktor mit einer schneidenden Antwort losbrechen, aber er besann sich noch zur rechten Zeit, schwieg und drehte der kleinen Tyrannin den Rücken. – Drei altertümlich, aber bis an die Zähne bewaffnete Wächter brachten ihn in den vom Grund bis zur Zinne mit Efeu bewachsenen Gefängnisturm der Burg.


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