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Dreizehntes Kapitel.
Die Schlacht bei Mans und die Hütte in der Bretagne

Die Trommeln wurden gerührt, das Wachtpiket trat unter die Waffen, der Bataillonschef, als Präsident des Kriegsgerichts, las das Endurteil vor, welches den Leutnant Viktor von aller Schuld freisprach, und im Triumph wurde dieser von seinen Kriegsgefährten nach Hause geführt. Marceau war der erste von seinen Obern, der ihm Glück zu wünschen kam, sich an seine Brust warf und freundlich in ihn drang, seine Bruderliebe anzunehmen.

»Ich gab dich verloren,« sprach der General. »Wie dank' ich es der wunderlichen Lenkung des Kriegsglücks, daß du dem augenscheinlichen Tode entkommen! Ich habe nie an dir gezweifelt. Mochten die einfältigen Repräsentanten dich verhaften, dich beschuldigen, deine Pflicht nicht getan zu haben: ich bürgte für deine Rechtfertigung.«

Viktor erwiderte ernsthaft: »Wahr ist es doch, daß ich noch nicht begreifen kann, wie es geschieht, daß ich noch lebe, daß ich frei bin. Ich zitterte vor dem Groll meiner Verfolger, vor dem Ausbleiben jedweden günstigen Zeugnisses; alle meine Gefährten auf jenem Posten sind ja tot. Doch nein: ich zitterte nicht, weil mir vielleicht der Tod erwünscht gekommen. Ich war gefaßt und erwartete ruhig, ob man meiner einfachen Aussage trauen, ob man glauben würde, daß ich mich nicht feig den Königlichen ergeben habe. Wie erstaunte ich jedoch, als ich zu meiner Rechtfertigung die bärtigen Grenadiere vortreten sah, die jenen Rückzug mitgemacht, den ich zu beschützen hatte. Wie staunte ich, als sie unerschrocken die Aussage der Vendéer wiederholten, die ihnen damals auf dem Fuße gefolgt, von ihnen gefangen worden waren und, bevor man sie füsilierte, bezeugt hatten, daß alle Verteidiger der Brücke zu Boden gestreckt waren, ehe sie dem Mainzer Korps nachzogen. Ich war gerettet; doch weiß ich nicht, ob ich dem Glück für diese Wohltat danken soll.«

»Ein braver Soldat erwartet alles von der Zukunft,« versetzte Marceau mit dem mutigen Blick, der ihm so eigen war. »Muß es gestorben sein, so geschehe es lieber unter den siegreichen dreifarbigen Fahnen, als auf dem Sandhaufen. Wer weiß, zu welchen großen Dingen du noch berufen bist? In Revolutionen gehen der Menschen Wege sonderbar durcheinander. Wollte Gott, wir könnten die unserigen nebeneinander ziehen! Doch wünsche ich dir eine längere Straße, als sie mir beschieden ist,« setzte er lächelnd hinzu. »Ich war ein Bube von fünfzehn Jahren, als ich der Schule entlief, um Soldat zu werden, und kaum hatte ich den Säbel über die Schulter hängen, als ich schon mit einigen meines Gelichters eine Kartenschlägerin aufsuchte, die uns für den mäßigen Preis von fünf Sous die Zukunft prophezeien sollte. So oft einer meiner Kameraden an die Reihe kam, schüttelte die Alte den Kopf, tippte auf die Karten und schob die Neugierigen von sich mit den Worten: ›Pulverfraß! Pulverfraß! Der Feind wird euch den Mund mit Staub stopfen, ehe ihrs noch zu Unteroffizieren gebracht.‹ Ich war der letzte. Bei mir lautete es anders. Sie machte mir eine Reverenz und sagte: ›Das laß ich gelten, du junger Rekrut. Der Generalshut wartet auf dich und du wirst viele Schlachten glücklich durchkämpfen, bis an einem großen Fluß auch für dich eine Kanone geladen wird. Benütze die Zeit, denn mehr als ein Dutzend Jahre dürften dir nicht beschieden sein.‹ Wir lachten ihr ins Gesicht und vergaßen bald, was sie gesprochen. Vor einigen Tagen erst dachte ich wieder an die Kartenschlägerin. Die Repräsentanten überreichten mir auf dem Platz des Treffens das Generalspatent. Da fiel mir ein, daß alle jene Kameraden schon längst auf dem Schlachtfelde gefallen, daß seit jenem Abend acht Jahre vergangen und daß die Loire nicht fern ist. Ich wünschte nur, zu deiner Beförderung mitzuwirken, bevor der Feind für mich die Kanone ladet. Du Armer teilst ja trotz deiner Tapferkeit das Unglück der Kriegsgefangenen, die nicht avancieren. Sei ruhig indessen. Es muß nächstens wieder ein heftiger Schlag gegen die Vendéer getan werden, und wenn ich dich alsdann nicht mehr zum Kapitän vorschlagen kann, so tut es mein Bruder Kleber ganz gewiß an meiner Statt.«

»Keine schwermütigen Träumereien, General!« rief ihm Viktor gutmütig zu. »Du bist ein junger Held und der Jugend ist das Glück günstig. Während wir anderen unsere Namen schamhaft verbergen müssen, weil sie an die Zwingherrschaft mahnen, geht der deine und der deiner plebejischen tapferen Brüder wie ein heller Stern zum Firmament empor. Möchtest du einer derjenigen werden, denen vorbehalten ist, Glück und Friede in das zerrissene Vaterland zurückzuführen!«

Marceau lächelte zweifelnd und entgegnete bescheiden: »Für ein so schönes Los sind meine Kräfte nicht hinreichend. Ich verstehe nur, Soldat zu sein, und das ehrliche Todeslos eines Soldaten ist mir angenehm. Ich hänge ja mit niemand auf der Welt zusammen, als mit meinen Waffenbrüdern. Ich bin meinen Verwandten fremd geworden und habe der Liebe Regungen nie gekannt. Was läge also daran, wenn ich früh hinweggerafft würde? Ich wünsche mir nur den Soldatenlorbeer auf mein Grab und hoffe, daß mein Kleber das Werk beginnen werde, von dem du gesprochen. Er, der Riese an Körper und Geist, ist dazu gemacht, und würd' ich unserem Vaterland jemals einen Herrscher wünschen, so wäre es dieser tapfere, edle General!«

Der Genannte trat soeben in's Gemach. Seine Schritte waren hastig, sein Auge blitzte, und die Art, mit welcher er seinen Säbel in der Linken trug, verkündete, daß ein großes militärisches Vorhaben ihn beschäftige. Er grüßte freundlich im Vorübergehen den Leutnant, näherte sich Marceau und sagte mit seiner gewaltigen Stimme, ihn auf die Schulter klopfend: »Endlich dringen wir durch! Die Sache bekommt einen lebhaftern Schwung! Soeben hat Merlin den elenden Tropf, den Lechelle, nach Nantes geschickt. Er ist suspendiert, die Absetzung wird auf dem Fuße folgen und der Arrest hinterdrein. Der Dummkopf sollte füsiliert werden, schon allein wegen des Tages von Laval, wo er so viele brave Patrioten hinopferte, um majestätisch und in Masse zu marschieren. Rossignol muß ebenfalls nach Rennes abgehen, obschon der elende Prieur, der schmutzige Repräsentant, seine Beibehaltung forderte. Du endlich, Marceau, mußt den Oberbefehl übernehmen. Du mußt's, um des Vaterlandes willen, um unserer Ehre willen. Schlag' ein und ich melde es den Repräsentanten, und wir brechen los und endigen diesen abscheulichen Krieg, der sich stets neu verjüngt, gleich den abgeschlagenen Köpfen der Hydra.«

Marceau weigerte sich, fast erschrocken, die gefährliche Ehre anzunehmen. Kleber hörte nicht auf, mit sieghafter Überredung in ihn zu dringen. Endlich sagte er ihm mit rauher Biederkeit: »Du bist ein Starrkopf, und wenn meine Bitte dich nicht bewegt, so höre mich ferner an. Der Wohlfahrtsausschuß hat dir bereits den Oberbefehl übertragen. Wir, die Generale von Mainz, sind alle abgesetzt. Doch wäre es dir erlaubt, dich meiner vorderhand noch zu bedienen. Wähle nun, wähle zwischen der Hoffnung, Frankreich einen Dienst zu leisten, und dem Tode, der sicherlich deine Weigerung belohnen würde. Soll ein Chalbos, der wilde Reiter Westermann oder der gefühllose Huchet den Kommandostab ergreifen? Entscheide schnell: das Schicksal der ganzen Armee liegt in deinen Händen.«

Marceau stand wie erstarrt. Indessen bedachte er sich nicht lange. »Du abgesetzt?« fragte er mit erschütterter Stimme den Freund, der verächtlich lächelnd hierauf die Achseln zuckte. Dann reichte er ihm beide Hände und erwiderte mit männlicher Festigkeit: »Das Schicksal will rasch mit mir enden; die Oberfeldherren der Republik beschlossen ihre Laufbahn nie glücklich, jedoch, du wünschest, daß ich die Würde annehme und so sei es. Unter einer Bedingung nur: sie müssen dich an meiner Seite lassen. Hiermit nehme ich alle Verantwortung und alle Gefahr auf mein Haupt, und will deiner Klugheit überlassen, das Vaterland zu retten.«

Kleber umarmte ihn, küßte ihn und rief: »Sei ruhig, mein guter, junger Freund! Ich werde in deinem Namen alles ordnen; wir wollen zusammen fechten, uns zusammen guillotinieren lassen! Jetzt aber keine Zeit verloren. Die unselige königliche Armee hat sich der Städte La Fleche und Mans bemächtigt. Der Haufe mag im ganzen dreißigtausend Streiter zählen. Das übrige ist der Troß, sind die Weiber, die Greise, die Kinder, welche die bäurischen Soldaten zur Verzweiflung bringen. Wie gerne schonte ich dieser Unglücklichen! Aber die Verblendeten wollen nicht Schonung, sie wollen den Tod. Er werde ihnen. Ehe vierzehn Tage vergehen, müssen sie vernichtet oder ins Meer gejagt sein. Vor allem ist es nötig, Mans zu gewinnen, dessen Einwohner der königlichen Sache anhängen. Darum laß die Trommeln schlagen, laß die Fahnen entfalten, laß den ungestümen Westermann mit seiner Vorhut losbrechen! Jeder Augenblick ist verloren, der nicht dem Ruhme gehört!«

Die Begeisterung des Giganten teilte sich dem leidenschaftlichen Marceau schnell mit. Zwischen den beiden Generalen wurde binnen wenig Minuten der Plan der fernern Operation entworfen, Viktor wurde zum Adjutanten Marceaus ernannt und des nächsten Dezembertages Morgensonne fand die republikanische Armee in vollem Anmarsch auf Mans. Westermann, der nie Zögernde, fiel mit grimmiger Wut die schwachverwahrte Stadt an, erstürmte sie mit seiner Avantgarde und warf die Vendéer hinaus. Die Königlichen sammelten sich jedoch unter den Mauern der Stadt; Larochejaquelin befehligte ihr erstes Treffen, das zweite Stofflet. Sie versuchten um jeden Preis Mans wieder zu gewinnen, und es gelang ihrer Hartnäckigkeit. Die Republikaner hatten sich noch nicht in ihren Quartieren festgesetzt, als schon wieder den Königlichen von Leuten, die mit ihnen im Einverständnisse waren, die Tore geöffnet wurden. Unaufhaltsam drang der Strom der Feinde hinein und jagte die Patrioten mit Übermacht auf der Straße, wo sie gekommen, zurück. Westermanns Korps zog sich nach dem Zentrum, welches Marceau befehligte. Der Obergeneral wurde wütend über den vereitelten Erfolg. Westermanns Ungestüm entflammte auch ihn. Nachdem er einen Augenblick geschwankt, ob er seiner Heftigkeit folgen oder den kaltblütigeren Kleber, der mit dem Rest des Heeres noch zurück war, erwarten sollte, entschloß er sich, in Westermanns Gedanken einzugehen und auf der Stelle, obgleich mitten in der Nacht, die verlorene Stadt wieder zu erobern. Während sich die Truppen im Eilmarsch in Bewegung setzten, flog Viktor auf einem schnellen Renner dem langsam heranziehenden Kleber entgegen, um ihn zur Beschleunigung seines Marsches und zur Unterstützung seines Freundes aufzufordern. Er führte in größter Eile seinen Auftrag aus und sprengte wie ein Rasender zurück, mit Klebers Zusage versehen. Es war eine kalte, düstere Nacht, in der es nur auf Augenblicke licht am Himmel wurde. Die Straße war ausgefahren und ruiniert. Keine Seele ließ sich rechts und links hören und vernehmen. In der Ferne jedoch, dort, wohin des Rosses Hufe strebten, tönte in weinerlichen Klängen schon der Sturmglocken Geheul. Der Knall des Geschützes drang dumpf durch die Nebel der Nacht, und hie und da am Horizont zuckten Flammen von brennenden Häusern auf, oder Signalraketen, welche die überfallenen Vendéer in die Lüfte schickten, um ihre in der Umgegend zerstreuten Korps von ihrer Gefahr zu benachrichtigen. Das Pferd trug seinen Reiter dem greulichen Kampfplatz immer näher; denn greulich ist das Treffen zu nennen, welches in engen Straßen, zwischen hohen Häusern wütet, weil jedes Haus eine Festung, jede Gasse zum mörderischen Hohlweg wird, Freund und Feind sich nicht erkennt und wie blind selbst diejenigen mordet, die zum eigenen Paniere halten. Der kühn entworfene Angriff war geglückt. Mord und Tod raste durch die Stadt. Auf der einen Seite kämpfte der Entschluß, um jeden Preis zu erobern; auf der andern die Begierde, um jeden Preis zu bewahren. Die Royalisten waren halb nackt den Häusern entsprungen, fochten wie Verzweifelte, hatten mit ihrer Wagenburg die engeren Gassen versperrt und hielten den hereindringenden Sansculotten kräftigen Widerpart. Die Massen der Streitenden schoben sich so eng zusammen, daß kein Schuß mehr getan werden konnte. Das Bajonett und der Säbel mordeten auf dem engen Schlachtfelde. Aus den Fenstern geschahen jedoch häufig Schüsse gegen den republikanischen Feind, und die Weiber, die Kinder der königlichen Kämpfer, wie auch die mit ihnen vertrauten Bürger der Stadt schleuderten Balken und Steine auf die Patrioten, die zusammengekeilt standen, ohne sich rühren zu können, während ihr Vortrab nur mühsam Schritt für Schritt weiterdrang. Indessen machten sich die Reiter auf den breiteren Straßen schneller und kräftiger Raum. Sie jagten mit verhängten Zügeln die Scharen ihrer Gegner nach dem großen Platze, dessen Seitengassen an ihren Mündungen bald von Marceaus Infanterie besetzt wurden, um den eingeschlossenen Royalisten keinen Ausweg mehr zu gönnen. Im Umkreise der Stadt schlugen sich im Morast und Dunkel die Eclaireurs der Republikaner mit den vereinzelten Vendéerhaufen, die sich zaghaft nähern wollten, um ihren bedrängten Brüdern Hilfe zu bringen. Viktor konnte nur mit äußerster Mühe, an mehreren Nachzüglerbanden, die sich damit abgaben, die Häuser und die Toten zu plündern, wie auch an fliehenden Vendéertrupps, die, den Parthern ähnlich, noch immer fochten, vorübersprengend, den General Marceau erreichen. Er fand ihn, an der Ecke eines Hauses haltend, dessen vorspringender Erker sein Haupt vor den niederstürzenden Steinen schützte. Er erteilte zwar kaltblütig seine Befehle, aber eine gewisse Unruhe war an ihm nicht zu verkennen und er fragte heftig nach dem Erfolge von Viktors Sendung. Als ihm dieser nun berichtete, daß keine offensiven feindlichen Korps im Rücken ständen und daß Kleber vor Tagesanbruch da sein wolle, leuchtete Fröhlichkeit auf seinem Gesicht und er rief, in die Hände klatschend: »Es lebe die Republik, meine Freunde! Die Kühnheit führt zum Sieg; unser Rücken ist frei, Kleber vor den Toren und ein tapferer Angriff genügt, um die Feinde ins offene Feld zu schlagen!« Mit diesen Worten entblößte er sein Haupt, steckte den befiederten Hut auf die Spitze seines Säbels und sprengte mit lautem »Vorwärts! Marsch!« in den bestürzten, verlorenen Feind. Eine auserlesene Truppe von Grenadieren scharte sich um sein Pferd; ihre Bajonette machten Platz. Große Strohbüschel, die aus den Häusern herbeigeschleppt wurden, beleuchteten, in Flammen gesetzt, die schauderhaften Auftritte des finstern Wintermorgens. Wie in ein Feld voll Ähren fielen die Sieger in die Überwundenen. Was die Säbel der Westermannschen Husaren und Chasseurs verschonten, zertrat der Huf ihrer Pferde, rollten die Räder der nachgeschleppten Kanonen zum Boden nieder, überzogen von Blut und Morast. Die Vendéer hatten bald keine Waffen mehr, sich zu verteidigen. Der wilde Blaue entriß dem vergebens nach Pardon Kreischenden wie dem zur feigen Flucht sich Kehrenden das Gewehr und zerschmetterte seinen Schädel mit dem Kolben vendéescher Flinten, durchbohrte seine Brust mit vendéeschen, von Priestern gesegneten Klingen. In diesem fürchterlichen Augenblick, wo für keinen einzigen auf dem großen weiten Platz eine Rettung möglich schien, beim ersten blassen Strahle des Morgenlichts, schlugen ferne Trommeln den Sturmmarsch und heisere Trompeten stimmten in den Unheil verkündenden Klang.

»Klebers Reserve!« schrie Marceau, schrieen alle auf seiner Linie. Die Patrioten jedoch, die gegenüber den Ausgang verwehrten, stutzten und fürchteten den Überfall eines Hilfskorps der Königlichen. Unschlüssig schwenkten sie, öffneten den wütend anprallenden Vendéern eine Gasse zur Flucht, und dieser Bewegung verdankten noch einige Tausende der katholischen Armee ihr Heil. Die rüstigeren Streiter, gewandter und leichter, indem sie ihre Waffen wegwarfen, drängten sich vogelschnell aus dem Bereich des mörderischen feindlichen Geschützes, das den Raum gewonnen hatte, gegen sie zu spielen. Sie entkamen, hinter sich lassend ihre Familien, ihre Habe und alles, was ihnen teuer war; entweder preisgegeben im offenen Kampf oder verborgen in den Häusern, die nun aufgesprengt wurden, um den Schauplatz der größten Zügellosigkeit abzugeben. Vergebens versuchte Kleber, der ungehindert einzog, diesem Greuel zu wehren, wie ihm die Menschlichkeit befahl; Habsucht und blinder Zorn waren mächtiger als die Gebote des angebeteten Feldherrn.

Indessen kamen von Minute zu Minute immer mehr der beunruhigenden Gerüchte zu den Ohren der Generale. Marceaus Herz, zurückgegeben den menschlichen Gefühlen, nachdem der heiße Mordstreich vorüber, blutete bei der Ahnung des Jammers, der sich unfern von ihm bereitete, und der junge Held beschloß, in eigener Person dem Übel zu steuern, während Westermann die fliehenden Feinde verfolgen und Kleber die Ruhe auf Gassen und Plätzen herstellen würde. Von dem edelmütigen Vorhaben ergriffen, winkte er Viktor, und eilte mit demselben in ein Haus, welches der Tummelplatz wilder Grausamkeit geworden war. Ein Jakobiner von Mans hatte das Gebäude als den Aufenthalt vieler vendéescher Anführer bezeichnet, die rachedürstenden Sansculotten dahingeführt und sie zum Morde der Inwohner angeleitet. Ein Greis mit weißen Haaren lag mit einer gräßlichen Kopfwunde dicht neben die Schwelle hingestreckt. Einige Wüteriche durchbohrten den kaum noch atmenden Leib mit ihren von Blut rauchenden Bajonetten. Andere zerschlugen in der anstoßenden Stube die Kasten und Schränke und schleppten wehrlose Weiber bei den Haaren herbei, damit sie ihnen den Ort zeigten, wo sie ihr Geld verborgen. Die unvermutete Erscheinung des Obergenerals an diesem Orte des Schreckens fuhr wie ein Blitz in den Taumel der Blutmenschen. Den blanken Säbel in der Faust und das Gesicht von Zorn entflammt, rief Marceau den Plünderern die Worte zu, die einst der edle Barnave an den Pöbel richtete, als dieser vor dem Wagen der von Varennes zurückkehrenden königlichen Familie einen armen Landgeistlichen ermorden wollte: »Wie? Seid ihr Republikaner? Weichet von hier, Kannibalen!«

Die Mörder stutzten, machten Miene, als ob sie sich nicht nach den Befehlen richten würden, aber Marceau und Viktor fielen sie wie Feinde an und jagten das wüste Volk aus der Türe. Indessen kam der Lärm aus dem oberen Teil des Hauses. Ein Freiwilliger von den Reitern der germanischen Legion erschien oben auf der Höhe der Treppe. Die grüne Uniform war von Blut überströmt; der Chasseur schwankte und stürzte die jähe Stiege herunter zu den Füßen des Generals. Halb zornig, halb von Mitleid bewegt, beugte sich Marceau zu dem Röchelnden nieder. Der Mensch sprach mit Mühe die Worte: »Räche mich, General! Es lebe die Republik! Welch' eine Schande für mich, von der Hand eines Weibes zu sterben!«

Er deutete mit der ermattenden Hand nach der Stiege und verhüllte sein Gesicht im Verscheiden. Ein fürchterliches Geschrei tönte von oben hernieder; Getöse wie von einstürzenden Türen, mehrere Schüsse und gräßliche Flüche. Marceau und sein Begleiter stürmten hinan. Eine Reihe von verwüsteten Zimmern tat sich vor ihnen auf. Mehrere Leichen von Republikanern und Königlichen lagen am Fußboden zerstreut. Unter der letzten Türe fand ein Handgemenge statt. Diesseits der Schwelle kämpften drei bis vier Soldaten der Republik, jenseits ein baumlanger Mann, in der Uniform eines königlichen Anführers, der mit all seiner Kraft ein Weib beschützte, das ihm im Streite beistand, mit einer Pike bewaffnet. Im Augenblick, als Marceau abwehrend näher kam, schoß einer der Volontaires und der königliche Hauptmann schmetterte zu Boden. Das Weib stieß einen Schrei des Entsetzens aus, sprang von dem Leichnam zurück, drängte mit aller Gewalt die anlaufenden Feinde von sich und eilte auf Marceau zu, den sie als einen Befehlshaber erkannte und zu dessen Füßen sie sich warf: »Wer Sie auch sein mögen,« jammerte sie im Tone der höchsten Verzweiflung; »retten Sie mich aus den Händen dieser Unmenschen! Sie sind ein Franzose, meine Bitte wird nicht vergebens sein!«

Von diesem plötzlichen Vertrauen erschüttert, stand Marceau sprachlos, und nicht minder bestürzt standen die überraschten Soldaten umher und betroffener als alle sah Viktor auf das knieende Weib herab. Gabriele wars.

Nach einigen Sekunden der tiefsten Stille fand Marceau wieder das Leben, sanft berührt von der Schönheit der flehenden Dame, und sprach: »Allerdings, Madame, werden Sie in meinem Schutze sicher sein. Niemals war der edelmütige Sieger taub gegen Schönheit und Unglück. Folgen Sie mir, fürchten Sie nichts von diesen Leuten.«

Tief Atem holend erhob sich Gabriele an der Hand des Generals und auf die Pike gestützt. Einer der Soldaten zeigte mit grimmigem Blick auf das Lanzeneisen, von dem Blut herabrieselte. »Sie hat einen unserer Kameraden getötet,« sagte er mit bitterem Groll; »sie ist eine Aristokratin, eine Verschwörerin, eine Feindin der Republik. Wie darfst du die Verbrecherin retten, General?«

Gabriele sah bestürzt zu der blutigen Lanze auf und schleuderte sie von sich mit allen Zeichen des Entsetzens. Sie erinnerte sich erst jetzt, daß sie einem Menschen den Tod gegeben.

Marceau bedurfte nur eines Blickes aus seinen kühnen Augen, um die murrenden Soldaten zum Schweigen zu bringen. Er würdigte sie keines Worts und führte mit aller Rücksicht, die der Ort verstattete, die zitternde Dame davon. Indem sich Gabriele umwendete, sah sie in Viktors Gesicht und ihre hochgeröteten Wangen wurden totenblaß.

»Beruhigen Sie sich, Madame,« versetzte der Leutnant tröstend, weil er erraten zu haben glaubte, was in ihrer Brust vorging; »geben Sie mir jedoch Nachricht von Adele. Was ist aus Montchoisys Tochter geworden?«

Statt aller Antwort fuhr Gabriele leise zusammen, drehte sich schnell von Viktor ab und zog ihren Beschützer Marceau mit sich fort. Die ergrimmten Soldaten folgten von ferne und schworen, den Tod ihres Gefährten nicht ungerächt zu lassen und bei den Repräsentanten ihre Beschwerden gegen Marceau vorzubringen. Viktor blieb unschlüssig auf dem Schauplatze des Mordes zurück, geneigt, den soeben vergangenen Auftritt für das Werk seiner Phantasie zu halten, aber im Tiefsten erbittert von Gabrielens schnödem Empfang. Seinen Gedanken hingegeben, schritt er in das kleine Zimmer vor, worin der getötete Hauptmann lag und sah, daß noch ein anderer Leichnam sich darin befand, ebenfalls ein vendéescher Offizier, mit der roten Schärpe um den Leib, dem Kreuz auf dem Arm und der weißen Kokarde auf dem neben ihm hingefallenen Hute. Obschon er mit dem Gesicht gegen den Boden gekehrt lag, glaubte Viktor die Gestalt schon gesehen zu haben. Er bemühte sich, in das tote Antlitz zu schauen, strich die langen, herabhängenden Haare von dessen Stirn und erschrak, als er den Herrn von Chabran erkannte.

Kniend faltete er die Hände und sagte bekümmert, aber laut vor sich hin: »Armer Junge, dessen Geschick sein mußte, fern von der väterlichen Hufe im wilden Kampf zu bleiben und von dem Feinde beweint zu werden, den du einst aus dem Totenschlaf erwecktest! Wenn etwas deine Manen zu beruhigen vermag, welche zürnend diesen Ort umschweben, so ist es nur der Gedanke, daß du für die Geliebte gestorben!«

Viktor traute kaum seinen Augen, als er bei diesen Worten bemerkte, wie der Kopf des Getöteten sich erhob, sich zu ihm wendete, die blauen Augen groß aufmachte und zu ihm redete:

»Lieber Vicomte, Sie würden sehr irren, wenn Sie mich für tot hielten. Mir ist's jedoch sehr schmeichelhaft und angenehm, daß gerade Sie hier zurückbleiben mußten. Sie wissen, wie ich Sie einst behandelt und ich darf auf Ihre Vergeltung, auf meine Rettung zählen.«

Viktor sprang entrüstet in die Höhe, während Chabran sich aufsetzte und ihn am Säbelgehänge zurückhielt. »Mensch! welches Possenspiel? Du vermagst, unter diesen Schrecken eine Komödie aufzuführen?«

»Ein Spiel, das mir frommt, verehrter Vicomte!« versetzte Chabran halb launig, halb ängstlich; »ich habe solche Kunstgriffe schon oft von unseren Bauern in Anwendung bringen sehen. Warum sollte ich nicht einmal ihrem Beispiel folgen? Der Hauptmann Ratignet hat den Lohn für seine Aufopferung dahin. Hätte er's wie ich gemacht, so zählte der König noch einen tapferen Streiter mehr. Als der Kerl mit dem roten Federbusch schoß, – war es Instinkt, Druck der Luft, Eingebung von Gott? nennen Sie's, wie Sie wollen – genug, ich fiel, meine Seele dem Himmel verschreibend und auf einen leidlichen Ausgang hoffend.«

»Und ließen Ihre Braut als eine Beute des traurigsten Schicksals zurück!«

»Ihre eigene Schuld, Vicomte; wer hieß ihr, sich in Gefahr zu begeben! Drang ich nicht noch gestern in sie, nach Savenay zu gehen? Wie gerne hätte ich sie dahin geführt! Aber sie glaubte nicht an eure Fortschritte. Sie wollte mit Gewalt in der Mitte des Heeres bleiben. Nun hat sie ihr Los erreicht, während Adele unter Dumoutiers Schutz nach der Küste flieht.«

»Adele in Sicherheit!« unterbrach ihn Viktor mit freudiger Bewegung. »Reden Sie, wie kam es, daß ...?«

»Ganz einfach, Vicomte. Gabriele wollte die Kusine nicht um sich dulden. Je unglücklicher wir waren, je ruhiger wurde die verblendete Tochter des abtrünnigen Edelmanns. Sie bestürmte Gabriele mit Bitten, sich diesem Tumult zu entziehen. Ich war völlig mit der Kleinen einverstanden. Gabriele hörte jedoch nicht und schickte die Überlästige mit einem Convoi nach Savenay ab. Wie wir erfahren, liegen unfern von da englische Schiffe. Englische Schiffe, Vicomte! Wer sie schon erreicht hätte!«

»Sie sind ein armer Mann, Chabran,« versetzte Viktor mit verächtlichem Bedauern, »da die Engländer das Ziel Ihrer Wünsche sind und freilich auch sein müssen, so eilen Sie; werfen Sie sich in die Kleider eines dieser getöteten Soldaten. Springen Sie dann zum Fenster hinaus, benützen Sie den Tumult, der noch in der Stadt herrscht. Ich wünsche Ihnen glückliche Ankunft bei Ihren Brüdern und bitte nur, daß Sie Adele grüßen und ihr versichern, daß ich für Gabriele alles tun werde, was sie mir in ihrem Brief ans Herz legte.«

»Ja, wahrhaftig, tun Sie das!« erwiderte Chabran, welchem dicke Tränen in die Augen traten. »Die arme Gabriele bedarf des mächtigsten Schutzes. Man hat sie mit den Waffen in der Hand ergriffen und ohne Zweifel ist die Guillotine ihr Lohn, wenn nicht ein kräftiger Fürsprecher sich ihrer annimmt.«

Diese Worte brachten in Viktors Seele den unbeschreiblichsten Eindruck hervor. Nun erst gedachte er des blutgierigen Konventgesetzes, das nicht einmal das schwache Weib von der Ächtung der Königlichen ausnahm. Nun erst stellte sich ihm die ganze Gefahr Gabrielens in der fürchterlichsten Nacktheit dar. Er begriff, daß hier ohne Verzug gehandelt werden müsse, wenn es gelingen sollte, die Unglückliche, welche ihm Adele empfohlen, dem Henkerbeil zu entziehen. Viktor packte die Schultern des Marquis und donnerte ihm ins Ohr: »Elender! Du wußtest, was deiner Braut bevorsteht und fielst feige von ihr ab!«

»Wäre ihr denn geholfen gewesen, wenn mein Kopf neben dem ihrigen fiel?« fragte Chabran mit ängstlicher Unverschämtheit.

Viktor stieß ihn mit Verachtung von sich, deutete auf die Uniform des vor ihnen liegenden Republikaners, dann auf das Fenster und eilte nach der Tür.

Nun begab sich Viktor wieder in das Gewühl der Straßen. Mit tiefem Ekel wendete er seine Augen von den Ausschweifungen der Soldaten weg, die auf den Gassen ihre schmutzigen Bacchanalien anhoben, mit Freiheitsbäumen durch die Stadt zogen und unter dem Beifallsgeschrei der Jakobiner die Fenster der Aristokratenhäuser einwarfen.

Viktor konnte lange seinen General nicht finden. Endlich zeigte ihm ein Chirurg, der eilfertig seine Straße zog, Marceaus Quartier.

Der General war umgeben von einer Menge von Offizieren, die ihre Abfertigung verlangten und erhielten. Der Drang der Geschäfte war unermeßlich und der Abend bereits hereingebrochen, als Marceau erst daran denken konnte, ein leichtes Mahl zu sich zu nehmen und seinem Freunde Viktor einen Augenblick zu schenken. Viktor hatte die Frage nach Gabrielen auf den Lippen und Gabrielens Name war das erste Wort aus Marceaus Munde.

Die Augen des Generals glänzten von einer seltsamen Freudigkeit und er sagte mit liebenswürdigem Ungestüm: »Darf ich dir gestehen, mein Freund, daß mir heute im Gewühl des Kampfes ein Stern aufgegangen ist, der Flamme ähnlich, welche vom Leuchtturm des Schiffbrüchigen winkt? Lächle nicht. Ich bin nun einmal der Mann des Augenblicks. So wie ich nie eine Tat lange vorbedacht, so kann ich mir auch nicht die Möglichkeit denken, eine Leidenschaft im Herzen vorzubereiten. Sie muß in die Seele strahlen unvermutet wie ein Blitz, und des Mannes Herz muß sie umfassen mit kräftigen Armen. Jenes Weib, – ich bekenn' es dir –, ich liebe es und sein Bild erfüllt mich ganz allein, seit dem romantischen Moment, der uns zusammenführte.«

Viktor erwiderte betroffen keine Silbe. Marceau fuhr aber in leidenschaftlicher Glut fort: »Ihr Anblick erinnert an die schönsten Gestalten des Altertums, die sich meiner jugendlichen Phantasie frühzeitig eingeprägt. So muß einst Zenobia, so die Mutter der Gracchen gewesen sein! Diese Würde, diese ernste Schönheit ... Andromache, da sie Hektors Tod beweinte, muß schön gewesen sein wie sie! Ich gefalle mir in der Rolle ihres Beschützers; ich habe sie hier nebenan einer würdigen Familie anvertraut. Was kümmert mich ihre Herkunft? Was kümmern mich ihre Meinungen? Mochte für die Sache des vertriebenen Fürsten ihr Herz schlagen; sie soll in mir die Republik lieben lernen! Ihr schmeichelt meinem jugendlichen Ehrgeiz, ihr nennt mich einen Helden. Wenn nur ein Funke von den Tugenden eines Heros in mir ist, so muß mich einst Gabriele mit Liebe umfangen, denn sie vermag nur einen tapferen Mann zu lieben!«

»Mein General ...« stammelte Viktor, ohne den Fluß von Marceaus Rede unterbrechen zu können.

Der Begeisterte fuhr, sanfter werdend, fort: »Rede, Viktor, du bist keiner der Alltagsmenschen, die nur die Prosa des Lebens erkennen. Denke dir eine Zeit, wo die Stürme des Krieges schweigen, wo Frankreich wieder frei und glücklich atmet, wo mir erlaubt sein wird, das scharfe Schwert in eine Pflugschar zu verwandeln. Denke dir einen Meierhof, unfern von der Ebene, wo die Türme meiner Heimat, des alten Chartres, ragen, ein bescheidenes Bauernhaus, bespült von den Wellen der Eure, und mich darin als einen glücklichen Familienvater, umgeben von blühenden Kindern, geliebt von Gabrielen, der zärtlichen Gattin!«

Viktor unterbrach ihn hier mit Gewalt. »Wohl ist das Bild schön, welches du mir ausmalst,« rief er mit ernster Bekümmernis, »wohl steht es dem Mute des Mannes besser an, eine solche Zukunft zu hoffen, als den eitlen Worten einer Kartenschlägerin zu vertrauen. Fürchte jedoch die Eumeniden, Marceau. Du weißt in der Begeisterung deiner Liebe nicht, daß ihre Schlangen schon nach deinem Herzen zielen. Du denkst nicht an das Gesetz und schon bereitet sich die Guillotine, deine Liebe zu zerschmettern!«

Marceau sprang wild und überrascht von dem Tisch auf und wollte mit verstörten Zügen antworten, als Kleber in die Türe trat, ohne weitere Umschweife sich in das Gespräch mischte und mit strengem Vorwurf den jüngern Freund anfuhr:

»Was Teufel hast du gemacht, Marceau? Zum Henker mit der Sentimentalität der Jugend! Im Augenblick des Sieges begehst du das Verbrechen der beleidigten Nation! Unglücklicher! Du hast eine Geächtete dem Konvent entzogen! Eile, diesen Fehler gut zu machen. Das Gerücht von dieser Tat ist im Heer verbreitet. Die Repräsentanten sind wütend, und Merlin, der zu uns hält, ist fern. Ich will nicht hoffen, Freund, daß eine leidliche Larve dich verblendete. Liefere das Weib aus; laß den Henker in sein Recht treten und den Konvent es mit dem Himmel ausmachen!«

Marceau sah dem erhitzten Freund fest und ruhig ins Auge und fragte nur: »Wäre Klebers Herz von menschlicher Empfindung berührt worden, – würde Kleber dann den verliehenen Schutz in Verrat verwandeln?«

Kleber vermochte kein Wort zu erwidern. Er zuckte die Achseln und wendete sich an das Fenster, um die Empfindung zu verbergen, die in seine Augen stieg.

Viktor benützte den Moment, um Marceau zuzuflüstern: »Du hörst wie die Sachen stehen. Mache dich nicht selbst unglücklich. Erlaube mir, dir einen Beweis meiner Bruderliebe zu geben und die Rettung Gabrielens zu versuchen. Vielleicht gelingt es mir, auf eine von dir unterzeichnete Marschroute hin, die Verfolgte an die Küste zu bringen. Kommt man mir auf die Spur, so ist doch zum Mindesten nur mein Kopf verloren.«

Marceau verwarf mit sehr energischer Gebärde den Antrag und wollte noch einige Worte hinzusetzen, als Prieur de la Marne, ein anderer seiner Kollegen, mehrere Offiziere und der neu angekommene Agent des Kriegsministers in das Zimmer traten. Der tückische Ernst auf den Gesichtern der Jakobiner bereitete auf unangenehme Eröffnungen vor.

Prieur begann mit grobem Trotz unverweilt das Gespräch: »Die Republik hat gesiegt,« sagte er, »die Vendée ist vernichtet. Wir möchten dir gerne im Namen des Vaterlandes danken, Bürger General, zuvor müssen wir jedoch einiges berichtigen. Der Bürger Minet, ein wackerer Sansculotte, ist als Agent des Kriegsministers angekommen und wunderte sich zu hören, daß Westermann noch sein Kommando hat, während der Konvent ihn abgesetzt. Minet behauptet, du hättest den Brief erhalten, welcher dir Westermanns Absetzung befahl. Wie ist's damit?«

Ohne eine Miene zu verändern, nickte Marceau mit dem Kopf, griff in die Tasche, zog das Dekret des Konvents hervor und erwiderte: »Der Bürger Agent spricht wahr. Das Schreiben kam mir zu und ich fand für gut, es nicht zu publizieren, um nicht der Armee im entscheidenden Augenblick der Schlacht einen ihrer tapfersten Führer zu rauben. Du weißt, Bürger Repräsentant, wie glänzend sich Westermann ausgezeichnet. Noch jetzt verfolgt er den Feind mit unermüdlicher Beharrlichkeit. Ich nehme es auf mich, meinen Schritt und sein Kommando zu rechtfertigen und rechne dabei auf dein unparteiisches Zeugnis.«

Prieur willigte etwas verlegen ein, während Kleber seinen edlen Freund umarmte, und Minet, den ungeheuren Schnurrbart streichend, mit finsterer Miene dem Auftritt zusah und vor allem seine Blicke durchbohrend auf Viktor heftete.

Dem Leutnant entging diese Unverschämtheit nicht. Sie war aber dazumal so sehr an der Tagesordnung, daß man sich wohl erlauben durfte sie zu übersehen, und somit drehte Viktor dem Agenten ohne Umstände den Rücken zu.

Prieur de la Marne sprach hierauf nach einigem Flüstern mit seinen Kollegen: »Zum zweiten Punkt also. Es ist zu unseren Ohren gekommen, daß General Marceau, dem Gesetz zum Trotz, ein Weib ...«

»Erlaube, daß ich diesen Offizier abfertige,« unterbrach Marceau den Redner rasch. Prieur schwieg: der Obergeneral setzte sich, schrieb einige Zeilen und übergab das zusammengelegte Papier an Viktor, ohne mit einer Silbe den ausdrucksvollen Blick zu begleiten, der den Offizier in das Verständnis einweihte.

Der Adjutant ging rasch nach der Tür und sah sich dort von dem zudringlichen Agenten aufgehalten, der ihn fragte: »Wie ist dein Name, Bürger? Mich dünkt, daß ich dich schon irgendwo gesehen.«

Viktor stutzte vor dem lauernden Gesicht des unverschämten Menschen und warf einen fragenden Blick auf Marceau.

Dieser antwortete an seiner Statt mit völliger Geistesgegenwart: »Mein Adjutant Viktor hat keine Zeit zu verlieren. Der Bürger Agent mag sich mit ihm besprechen, wenn seine Mission vorüber ist.«

Auf diese Weise entkam Viktor dem Kreise der gefährlichen Leute und befand sich auf der dunkeln Gasse, wo er vor dem Fenster eines Bäckerladens das von Marceau erhaltene Papier entfaltete, beim schwachen Schimmer der Lampe las, und eine Marschroute für den Adjutanten Viktor mit seiner Frau, nach Savenay gerichtet, in seinen Händen fand.

Was hier zu tun sei, wußte er nun genau; nicht minder, daß kein Augenblick zu verlieren. Das Schicksal begünstigte ihn, denn indem er sich unschlüssig umsah, rannte in dem Dunkel ein Mann an ihn, den er für den Dienstwilligen des Generals Marceau erkannte. Er redete ihn alsobald an, sprach von einer Mission des Heerführers und fragte den Bürger Martin, ob er nicht die Güte haben wolle, auf der Munizipalität einen Vorspannwagen zu requirieren und denselben vor das Tor gen Savenay zu geleiten.

Martin erwiderte: »Meiner Treu, Bürger Adjutant, mit der Munizipalität ist's nichts. Die Schurken vom Gemeinderat sind geheime Aristokraten, die sich frühzeitig ins Bett legen, um die Schrecken zu verschlafen, die sie heut ausgestanden. Ich will dir ein Mittelchen in die Hand geben. Gerade hier gegenüber wohnt ein Fleischer, bei dem ich meine Lehrzeit einst zugebracht. Die Kanaille hat von jeher etwas von einem Despoten an sich und ich gedenke ihm noch manche Mißhandlung, die er mir zugefügt, und manchen Fasttag, den er mir auferlegt, während er seine fetten Kapaunen aß. Der Kerl muß mit seinem Charabank hervor und noch obendrein den Kutscher machen. Laß mich sorgen, Adjutant.«

Der Mensch setzte sich in Bewegung, nach dem besprochenen Haus zu gehen, als dem Offizier beifiel, daß er ja nicht wisse, wo Gabriele sich aufhalte.

»Zum Teufel, Bürger Martin,« sagte er verdrießlich, »kannst du mir nicht sagen, wohin dein General die Frau gebracht, die er heute sozusagen vom Tod errettet?«

Martin erwiderte nach einigem Bedenken: »Jawohl, aber ich weiß nicht, ob ich dir trauen darf.«

»Zum Wetter, sie ist meine Frau!«

»Ah!«

»Wie ich dir sage. Sieh' hier selbst die Marschroute.«

»Allen Respekt. Wenn es so ist – in jenem Haus. Der Eigentümer desselben ist ein alter Finanzkontrolleur. Die Familie schwebt in tausend Ängsten und fürchtet für ihr bißchen Geld und ihres Ernährers Kopf. Es ist alles mit den Leuten anzufangen. Hole getrost deine Frau. Ich besorge indes den Wagen.«

Viktor flog auf das Gebäude zu, donnerte an die verschlossene Tür und antwortete mit rauher Stimme einer inwendig fragenden Magd: »Im Namen des Obergenerals: aufgemacht!«

Die Riegel öffneten sich gehorsam vor diesem Zauberwort. Der Offizier wurde in ein Zimmer des ersten Stockwerks gewiesen. Die ganze Familie saß noch darin am Tisch, worauf die Reste eines frugalen Nachtessens standen. Die Bewohner des Hauses bestanden aus einem eisgrauen Mann, seinem schwächlichen Hausmütterchen und einigen längst verblühten Töchtern, in deren Mitte Gabriele, obgleich in tiefsten Schmerz versunken, prangte wie eine Lichtblume des Äthers.

Der Eintritt des Offiziers jagte alle Anwesenden von ihren Stühlen auf. Viktor bemerkte, daß, um die Sache schnell zu beendigen, die Rolle des Terroristen fortzuspielen sei. Er forderte daher mit derben Worten, die keine Ausflucht übrigließen, im Namen des Generals die anvertraute Dame zurück, um sie anderweit unterzubringen.

Der Kontrolleur mit seinen Töchtern unterstützten ziemlich lebhaft die Weigerung Gabrielens, die, leichenblaß und zitternd, die Hausleute beschwor, sie diesem Offizier nicht auszuliefern. Die Hausfrau jedoch, trotz ihres hinfälligen Äußeren und ihrem zitternden Kopf, unterstützte aus allen Kräften die Forderung des Offiziers und ließ nicht undeutlich merken, daß sie froh sein werde, wenn man eine Person aus ihrem Haus entfernte, deren Anwesenheit die Familie samt und sonders in Lebensgefahr bringe.

Viktor hätte dieser Hilfe nicht bedurft, denn kaum war die erste Drohung seinen Lippen entschlüpft, als auch jeder Widerstand schwieg und Gabriele, von aller Hilfe verlassen, ihm die bebende Hand reichte.

»Beruhigen Sie sich!« flüsterte ihr Viktor auf der Treppe zu; »sammeln Sie Ihre Kräfte, wir haben noch weit zu gehen.«

Der Ton seiner Stimme schien auf die Unglückliche die gehoffte Wirkung hervorzubringen. Sie erwiderte zwar keine Silbe, aber ihr Gang wurde fester und ihr Widerwille geringer. Doch stieg ihre Angst sichtbar, als sie bereits eine ziemliche Zeit in den dunkeln Straßen fortgewandelt waren und noch nicht am Ziel der Wanderung standen. Viktor spürte diese Angst und versuchte sie zu beschwichtigen, aber diesmal wich Gabrielens Furcht, als sie sich dem Wagen näherten, den der dienstwillige Martin bereits aufgetrieben und herbeigeführt hatte.

»Nur hier herauf, mein Offizier, nur hier herauf, Bürgerin,« rief Martin, indem er der Dame behilflich war, den Charabank zu erklettern; »man sitzt hier oben wie im Paradies. Meister Grognon ist der liebenswürdigste Kutscher, der sich denken läßt. Er wird alle mögliche Aufmerksamkeit für euch haben, und brachte bereits einen Mantel, um die schöne Frau vor der Nachtkälte zu schützen. Seine Artigkeit ist nicht zu erschöpfen, und er würde einem braven Sansculotten zu Gefallen bis ans Ende der Welt fahren. Nicht wahr, Bürger Grognon?«

Der Angeredete, ein Mann von breiten Schultern und kleiner Statur, der schon ungeduldig trippelnd neben seinen Pferden stand, wendete sich, einen dumpfen Fluch zwischen den Zähnen erstickend, ab; er schwang sich auf eines der Pferde und peitschte dergestalt seine Tiere, setzte ihnen dergestalt mit Sporen und Zügel zu, daß man wohl merkte, wie er einen innern Groll auszulassen bemüht sei, und trieb das Fuhrwerk so schnell ins Weite, daß Viktor kaum Zeit behielt, dem dienstfertigen Martin ein Lebewohl zu sagen. In einem Augenblick waren die Reisenden am Tor. Das Gitter war geschlossen, scharf bewacht, und neugierig schauten aus der erleuchteten Wachtstube die Gesichter der Soldaten, als die Schildwache mit lauter Stimme die Herbeifahrenden anrief.

Viktor produzierte seine Marschroute, die der Sergeant des Postens mit gravitätischer Miene durchsah, worauf er den Befehl gab, die Barrière zu öffnen.

Während dieses geschah, sagte der Unteroffizier zu Viktor: »Viel Glück, mein Adjutant! Du gehst dorthin, wo die Feinde stehen. Hättest wohl dein Weibchen zurücklassen können, ohne es der Gefahr einer solchen Reise auszusetzen.«

Bei diesen Worten erhob er eine Laterne, die er in der Hand trug, und leuchtete in Gabrielens Gesicht, von welchem die Kapuze des Mantels herabfiel. Der Fleischer auf seinem Pferde wendete sich gerade um, um diejenigen zu betrachten, die er in die weite Welt führen sollte. Als er Gabrielens Züge ansichtig wurde, schien er wie versteinert und gaffte sie mit überraschter Neugierde an.

Indessen knarrten die Gittertore voneinander; auf einen tüchtigen Fluch Viktors hieb der Fleischer in seine Rosse, der Sergeant fiel, da die Räder plötzlich sich drehten, zu Boden, Wache und Kommando lachten, und außerhalb der Stadt befanden sich schon der Offizier und seine Gerettete.

Der Wagen rollte noch einige Zeit auf dem Pflaster der Straße, und das Geräusch der Räder benützend, fragte Viktor seine Gefährtin: »Wohin soll ich Sie bringen? Wo dürfen Sie hoffen, Hilfe und weiteres Fortkommen zu finden? Das Schwert schwebt nur an einem seidenen Haar über Ihrem Haupt, darum säumen Sie nicht mit der Antwort. Wir sind auf der Straße nach Savenay. Wollen Sie in das Getümmel der Vendéerflucht sich stürzen und darin umkommen? Oder winkt Ihnen an einem andern Ort das Heil?«

Gabrielens Brust erweiterte und beengte sich zugleich bei diesen Worten. Sie sollte keine Gefangene mehr sein, welche Freude! Aber sich selbst überlassen sollte sie weiterirren, die Schwache; welch' eine Qual! Mit erregt zitternder Stimme erwiderte sie: »Wenn wir nur gegen Dinan kommen könnten! An jener Küste wohnen Verwandte meiner Familie; das Gerücht spricht von englischen Schiffen, die in jenen Gewässern kreuzen sollen; eine leichte Barke, ein elender Kahn würde mich nach den britannischen Inseln führen; ich wäre dann geborgen und fände jenseits des Meeres eine Zufluchtsstätte, um mein Vaterland zu beweinen, den Untergang meiner schönen Träume, das blutige Ende meiner Freunde und meines Verlobten!«

»Sie haben nicht unrecht, daß Sie Chabrans nur zuletzt gedenken,« antwortete Viktor mit bitterem Spott. »Der Elende hat nur einen geringen Anspruch auf Ihre Liebe. Er lebt und sucht in diesem Augenblick, gleich Ihnen, doch unbekümmert um Ihr Geschick, sein Heil in der Flucht.«

»Wirklich?« fragte Gabriele mit einem Tone, der nicht Schmerz, nicht Gram über die Täuschung ihrer Liebe verriet; »Sie befreien von einer zweiten Qual meine Brust. Es drückte mich schwer, einem Manne, den ich nie geliebt, für seines Lebens Opfer dankbar sein zu müssen. Wohl mir, daß Sie mich also enttäuschen. Ich habe mich nicht in Chabran geirrt, als ich ihn für einen charakterlosen, dem Guten und Bösen gleich zugänglichen Menschen hielt. Schwerer habe ich mich in Ihnen betrogen, mein Herr, von dem ich kein Mitleid erwarten durfte und der so unvermutet, im fürchterlichsten Augenblick meines Lebens, einem Schutzengel gleich meine Hand ergreift.«

»Rechnen Sie immerhin auch diesmal meine Begegnung und meine Dienste zu den Werken des Zufalls,« antwortete Viktor, sich der früheren Kränkung entsinnend. »Doch nein,« setzte er, einer bessern Regung folgend, hinzu, »danken Sie es dem fleckenlosesten Engel, der je über Ihr Schicksal waltete. Wenn in den Schritten, die ich für Sie tue, etwas Verdienstliches liegt, so muß dieses dem Fürwort Ihrer Kusine zugerechnet werden.«

Gabrielens Begeisterung konnte nicht schneller erlöschen als durch Adelens Namen. Sie schwieg mit einem Male, hüllte sich in ihren Mantel, und auch Viktor versank neben ihr in tiefes Schweigen. Am fernsten Rande des Horizonts rötete sich indessen der Himmel, ein Brand flackerte dort auf. Doch war dieses Schauspiel zu jener Zeit und in jenen Gegenden ein allzu gewöhnliches, als daß Viktor ihm eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte; ebensowenig als dem sehr entfernten Knall des Geschützes, der einen nächtlichen Überfall verriet. Der Fleischer jedoch hielt plötzlich seine Gäule an, drehte sich zu seinen Reisenden und sprach: »Ich glaube nicht, daß Madame dorthin will, wo die Kanonen brummen. Ich stelle es in des Offiziers Belieben. Hier geht es gerade nach Savenay; jedoch auf diesem Wege rechts zieht sich die Straße nach Pichoux, St. Colombe und nach Dinan. Wenn Madame die Meeresluft für zuträglicher hält als die Moräste von Savenay, so wollen wir den Weg dahin einschlagen.«

Viktor und seine Begleiterin stutzten. Ein solches Entgegenkommen nicht erwartend, hatte der Offizier schon vergebens nach einem Vorwande gesucht, der den Fuhrmann bewegen sollte, von der in der Marschroute bezeichneten Straße abzustreifen. Auf die schüchterne Frage Gabrielens, wie der Fleischer dazu komme, einen solchen Vorschlag zu machen, erwiderte Grognon mit polternder Gutmütigkeit: » Morbleu, Frau Marquise, ich kenne Sie. Sie sind mir zu Mans gezeigt worden, und ein Gesicht wie das Ihrige vergißt sich nicht, wenn ich auch nicht in Ihnen die Sache des Königs und der Religion verehrte, die mir trotz allem Unglück heilig ist. Verstellen Sie sich also nicht. Sie haben bei Westermanns Avantgarde nichts zu schaffen; streifen wir rechts ins Land hinein, so geraten wir in lauter gut gesinnte Ortschaften, wo man noch Gottes Gebote hält und wohin bis jetzt kein Königsmörder gedrungen ist. Sie sehen mich bereit, weil ich doch einmal da bin, Sie in Sicherheit zu bringen.«

Viktors Erstaunen wuchs bei der unverblümten Rede des Bürgers von Mans, der sich so deutlich aussprach, daß man ihn ebensowohl für einen redlichen Mann wie für einen Verräter halten konnte. Marceaus Adjutant nahm daher alle Kraft zusammen und fragte, den Fleischer hart anfahrend: »Wie kannst du dich unterstehen, Mensch, solche Reden zu führen? Was soll das heißen? Weißt du nicht, daß du einen braven Republikaner führst? Daß dein Kopf für deine Unbesonnenheit büßen dürfte? Hältst du mich für einen heimlichen Anhänger der Royalisten und setzest du voraus, daß ich dieses Weib der Strafe des Gesetzes entziehen will? Was wirst du tun, wenn ich dir das Gegenteil beweise?«

»Das ist ganz einfach,« entgegnete Grognon mit unerschütterlicher Gemütsruhe; »ich schlage Sie tot, oder besser, ich schieße Sie nieder.«

Bei diesen Worten drehte er sich ganz nach dem Offizier, zog aus seinen Taschen ein Paar Pistolen, die im Mondesschimmer sehr gefährlich flimmerten, und richtete sie nach Viktors Kopf. Gabriele schrie auf und warf sich vor den Offizier, Grognons Waffen mit den Händen abweisend.

Der Metzger erwiderte kaltblütig wie oben: »Wie es Ihnen gefällt, Frau Marquise. Ihre Angst ist mir ein sicherer Bürge, daß dieser Herr es ehrlicher mit Ihnen meint, als er mich überreden möchte. Darum wollen wir lustig auf Pichoux zufahren, wo dem Offizier schon von seiten der Bauern sein Recht widerfahren würde, wenn es ihm einfallen sollte, seine guten Absichten zu ändern.«

Und somit lenkte er, ohne einen weitern Befehl zu erwarten, in die Straße nach Pichoux ein und trabte munter darauf fort. Nicht lange und die Reisenden kamen an einem Trupp republikanischer Soldaten vorüber, die desselben Wegs zogen, Marodeurs ohne Zweifel, die für besser gehalten hatten, Westermanns Korps zu verlassen, um eine Seitendiversion auf eigene Faust zu machen. Die Soldaten betrachteten mit stumpfer Verwunderung den Wagen, der an ihnen vorüberrollte und von welchem auf ihren drohenden Anruf die Donnerworte: »Offizier der Republik!« erschallten. Wie hätten diese Leute, die selbst auf unerlaubten Wegen gingen, einen ihrer Vorgesetzten nach seinen Papieren zu fragen sich unterstanden? Sie riefen sich nur lachend zu, daß es ihnen lieber sein würde, wenn die Schöne auf jenem Wagen – durch das Dunkel leuchtete Gabrielens Schleier – in ihrer Mitte wandeln möchte. Bald lag, von der Nacht begünstigt, ein weiter Raum zwischen dem Wagen und der marodierenden Horde.

Mit Tagesanbruch waren die Reisenden zu Pichoux, einem Dorf in der Niederbretagne, schmutzig wie sie alle sind und versehen mit der elendesten Herberge. Auf Grognons Anraten hatte Viktor die dreifarbige Kokarde vom Hute genommen und auf seiner Brust verborgen, sich obendrein in den Mantel gehüllt, daß man seine Uniform wenig zu sehen bekam. Die frühwachen Bauern in der Schenke, mit ihren kalten, unbeweglichen Bretagnergesichtern, die Pfeife im Mund und in der Faust den abscheulichen Wein, den sie als Frühstück zu sich zu nehmen pflegen, standen neugierig um den Meister Grognon her und befragten ihn über die Einnahme von Mans. Von Zeit zu Zeit warfen sie forschende Blicke auf Viktor und seine Begleiterin, die Grognon als einen Herrn von Mans mit seiner Gemahlin darstellte, im Begriff, nach Dinan zu reisen, um den Stürmen des Kriegs zu entgehen.

»Die Leute haben recht!« meinte der Wirt in seinem schier unverständlichen Patois; »seitdem die Vendéer herübergekommen sind, hat allenthalben der Herr die Seinigen verlassen. Es täte not, daß man sich ins Meer würfe, um den Königlichen wie den Republikanern aus dem Wege zu gehen. Doch sind die letzteren noch weniger wert als die ersteren. Die Vendéer wissen noch, wofür sie fechten, die Sansculotten wissen's nicht. Doch wie wird's weitergehen, Meister Grognon? Ihr seid gefahren wie ein Teufel und Eure Pferde triefen von Schweiß und können nicht weiter.«

Gabriele, die des Wirts Reden verstand, teilte dem Gefährten deren Inhalt mit, Viktor blickte ängstlich auf Grognon, der seinerseits ebenfalls einen verstohlenen Blick auf den Offizier warf, die Achseln zuckte, mit dem Kopf schüttelte und hinter den Ohren kratzte.

»Hm!« sagte er, den Wirt familiär an seinem Sarreau zupfend, »ich rechne auf Euch. Die wackeren Leute dürfen nicht lange auf dem Wege liegenbleiben. Sie haben sich erst vor kurzem geheiratet und die gute junge Frau ist bereits ... Ihr versteht mich? Welch' ein Unglück, wenn das Kriegsgetümmel ihr auf den Hals käme und die Hoffnung der lieben Leute abscheulich zuschanden machte!«

»Jawohl,« versetzte der Wirt, der seiner Ehehälfte gedachte, die in gleichen Umständen war; »man hat Beispiele, daß Kinder mit Patrontaschen und Grenadiermützen auf die Welt gekommen sind, bloß weil die Mutter einen Schrecken vor Soldaten hatte. Was ist aber zu tun?«

Gabriele war errötend aufgestanden, zum Fenster getreten und sah ängstlich in den kalten, blassen Wintermorgen hinaus. Viktor lauschte mit Beklommenheit dem Gespräche, wovon er nur weniges verstand. Grognon sagte ihm in gutem Französisch leicht hinüber: »Seid ruhig, ich bin auf alle Fälle da.« Dann zupfte er, während die übrigen Bauern hinausgingen, den Wirt abermals am Kittel und sprach: »Als ich neulich von Euch die Kälber kaufte, sah ich ein Paar tüchtige Gäule in Eurem Stall. Leiht sie mir. Ich führe die Leutchen bis St. Colombe und bringe oder schicke Euch sodann die Pferde unversehrt zurück.«

Der Wirt wollte nicht recht daran, er sträubte sich sehr und ließ erraten, daß er seine Pferde lieber habe als seine Kinder, daß er die Gäule auf keinen Fall hergeben werde, ohne selbst dabei zu bleiben und daß er es überhaupt nicht gern tue. Grognon ließ sich nicht irremachen und entgegnete ihm mit Derbheit, daß eine Kolonne von Republikanern hierher auf dem Marsch sei, daß alle Pferde von ihr requiriert würden, daß der Wirt ihm noch zu danken habe, wenn er die Tiere in Sicherheit bringe. Ebenso triftig bestritt er den Willen des Bauern, sich nicht von seinem Gespann zu trennen, mit dem Einwurf, daß in solchen Zeitläuften ein ehrlicher Familienvater im Hause zu bleiben habe, und nötigte ihm endlich die Einwilligung, deren er nötig hatte, ab. Er schloß seine Zureden mit den Worten: »Es soll Euer Schade nicht sein. Ich verspreche, bei keinem Menschen zu Pichoux meine Kälber zu kaufen als bei Euch, und erlaube Euch, wenn die Republikaner Pferde verlangen sollten, ihnen in Gottesnamen die meinigen zu überlassen. Der Verlust ist zu ertragen, wenn man damit die Ruhe junger, wackerer Eheleute erkauft.«

Nun wurden schnell die Vorbereitungen getroffen. Zwei mächtige Schimmel aus dem Stall des Hauses wurden an den leichten Wagen gespannt, Viktor stieg mit seiner Begleiterin auf und der gute Grognon lenkte wieder unverdrossen die Zügel. »Hab' ich's nicht gut gemacht?« fragte er auf der Landstraße, sich die Hände reibend vor Vergnügen und Kälte; »es müßte der Teufel im Spiele sein, wenn die Blauen uns auf die Fersen kämen.« Viktor drückte ihm schweigend die Hand, und Gabriele erschöpfte sich in Danksagungen. Sie sprach beinahe schluchzend: »Wenn ich Euch nur vergelten könnte, Biedermann! Aber es fehlt mir so gänzlich an allem, daß ein armes Wort allein der Dolmetscher meiner Gefühle sein muß. Ihr habt Euch vielleicht von Weib und Kind getrennt und diese erwarten Euch mit Schmerzen in jeder Stunde wieder, während Ihr immer eine Meile nach der andern von der Heimat Euch entfernt, um einer armen Geächteten zu dienen!«

»Bah! bah,« versetzte er lachend, »darauf war ich vorbereitet, nämlich: so bald nicht wiederzukommen. Als der Halunke von Martin, der noch mancher Ohrfeige gedenkt, die ich ihm reichte, als er von meinen Würsten naschte, mich abrief und mein Wägelein requirierte, so wußte ich, wieviel es geschlagen. Man ist requiriert für eine Station und muß ihrer sechse fahren; das ist in der Regel. Darum hab ich mich mit Geld versehen, und weil es Ihnen an allem fehlt, Frau Marquise, so werden Sie mir den Gefallen tun, dieses Geld anzunehmen. Ein Schelm gibt mehr als er kann, und der vielbekannte Grognon findet auch ohne einen Liard den Weg nach Mans zurück.« Er reichte der Dame eine Handvoll Assignaten hin. Sie weigerte sich, das Geschenk anzunehmen. Mit gutmütiger Zudringlichkeit versetzte der Fleischer: »Nehmen Sie nur, Madame. Die Lumpendinger sind ohnedies kein rechtes Geld. Das Beste daran ist noch das Bildnis unseres guten Königs; der Kopf eines braven Mannes, den die Schufte zu Paris abgeschlagen haben.« In den Augen des Mannes standen dicke Tropfen, und wie er schwieg, schwiegen auch von Mitgefühl durchdrungen seine Begleiter. Da rief er schnell ermannt: »So nehmen Sie doch, Morbleu! Seit einer Viertelstunde halte ich Ihnen die Papiere hin und meine Hand zittert vor Frost.«

Gabriele sah Viktor an; der Offizier, der sich mit Bedauern seiner Armut erinnerte, winkte ihr, die freundliche Gabe anzunehmen. Nun war Grognon vergnügt, klatschte in die Hände und sprach: »Das ist brav. Ich bin zufriedener, als wenn ich gegen diesen Herrn von meinen Pistolen hätte Gebrauch machen müssen. Ich hatte die Waffen mitgenommen, um meine Pferde niederzuschießen, wenn ein sogenannter Patriot sie mir hätte wegnehmen wollen. Ich dachte nicht daran, daß mich einen Augenblick lang die Lust anwandeln würde, einen Menschen aus der Welt zu schaffen. Morbleu, mein Herr! Ich war nahe daran, Sie umzubringen, und das konnte füglich geschehen, weil wir allein im Dunkeln waren und es zu unserer Zeit gar nicht auffällt, wenn man einen getöteten Sansculotten im nächsten besten Graben findet. Glücklicherweise sind wir Freunde geblieben. Heute abend sind wir in St. Colombe. Freilich kann ich Euch selbst nicht weiterbringen, aber in einem Meierhof, unfern vom Dorfe, hübsch versteckt und einsam, kenn' ich einen Mann, der vor kurzem erst ins Haus geheiratet hat und ein von Grund aus braver Kerl zu sein scheint. Wir haben schon Geschäfte zusammen gemacht, und wenn er Euch wohlwill, wie ich verbürge, so seid Ihr an der Küste eh' Ihr's Euch verseht, und denkt vielleicht des alten Grognon im guten, wenn es Euch wieder wohlgeht.«

Dem Manne war es mit seinen Worten ernst; Sorgsamkeit und Eile waren ihm nicht zu empfehlen, denn er jagte wie ein Blitz auf der Straße dahin, und fuhr zugleich mit der größten Sicherheit auf den bodenlosesten Seitenstraßen, die er, des Landes kundig wie keiner, einschlug, um desto eher an das gewünschte Ziel zu gelangen. So geschah es denn, daß am Ende des kalten, näßlichen Wintertages im Dunkel des Spätabends und des Regengestäubes der Meierhof vor ihnen lag, einige Büchsenschüsse entfernt von den Lichtern des Dorfes St. Colombe. Noch diesseits der Brücke, die zu dem Hofraum führte, hielt Grognon und rief: »Daß dich die Pest! Was ist denn nur in dem Pachthof los? Lichter überall, und in Scheune und Haus das Gesurre von so vielen Stimmen? Verdammt wäre es, wenn wir zu ungelegener Zeit kämen. Aber was hilfts? Wir sind einmal da und scheren uns den Teufel drum!«

Die Pferde schleppten schnaubend den Wagen über den Hofraum an die Tür des Hauses. In dem Vorgemach, das zugleich Küche und Wohnstube vorstellte, war viel Getöse und Lärm. Knechte und Mägde schleppten Krüge und Schüsseln herbei, auf dem gewaltigen Herde flammte ein mächtiges Feuer, eine Schar von Bäuerinnen war mit Zubereitungen wie zu einem bevorstehenden Feste beschäftigt. Das Gedränge war so groß, daß die Reisenden, von Grognon geführt, der seine Pferde draußen angebunden hatte, unbefragt und unbegafft bis zu einer jungen Frau gelangten, die, einen Säugling auf den Knien schaukelnd, neben dem Herde saß und, mit sanfter Teilnahme in ihren lieblichen Zügen, das Treiben um sich her beschaute und belächelte. Sie erschrak fast, als Grognon, wie aus der Erde aufsteigend, mit den Fremden vor ihr stand. Sie rief seinen Namen, reichte ihm dann freundlich die Hand, während er zu ihr sagte: »Guten Abend, Suzon, wo ist Euer Mann? Ich bringe ihm hier ein paar Gäste, die er mir zu Gefallen eine Nacht beherbergen muß.«

Suzon betrachtete mit einigem Mißtrauen die Fremden und erwiderte dann verlegen: »Ich weiß nicht, Meister Grognon, ob das angehen wird. Wir haben morgen Kindtaufe, und alle Winkelchen des Hauses sind dergestalt eingenommen und belegt, daß ich fürwahr nicht weiß, ob ... doch da kommt just mein Dieudonné und er selbst mag hier entscheiden, wie's ihm gefällt.«

»Sieh da, Meister Grognon!« rief Deodats Stimme hinter dem Fremden; Viktor sah sich schnell und überrascht um, stieß einen lauten Schrei aus und lag an der Brust des Pächters. Es war Sans-Regret.


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