Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.
Das Fest der Royalisten

Der Turm, in den man Viktor gebracht hatte, war glücklicherweise nicht mehr in dem Zustande mittelalterlicher Barbarei. Von dem Hofe des Schlosses führte die Türe hinein; der Boden des Turmgemachs war mit feinem Sande bestreut und an den Wänden, statt kriechender Molche und Kröten, standen Gerätschaften des friedlichen Ackerbaues. Die Fenster waren hoch genug angebracht, um dem verwegenen Blick der Neugierde den Eingang zu verwehren; Hollundersträuche nickten zu den Öffnungen herein und der lichte blaue Himmel war in der Höhe des Gemachs durch ein sogenanntes Ochsenauge zu schauen. Einige Pappelspitzen flüsterten an dem runden Fenster, zu welchem Viktor, in einer Ecke seines Gefängnisses sitzend, sehnsüchtig emporstarrte. Er hatte, während er über den Hof ging, bemerkt, daß der Turm mit dem Schloßgebäude vermittels eines Brückenbogens zusammenhing, auf dessen Geländern Blumentöpfe symmetrisch gereiht standen. Seine Phantasie war durch seine Umgebungen angeregt. Er erinnerte sich seiner Jugendjahre, die er zum Teil in altertümlichen Schlössern verlebt, und der schönen Tage, die er darin an der Seite des jungen Herzogs von Enghien genossen. Solche Türme waren öfters der Schauplatz ihrer Spiele gewesen; die kühnen Knaben hatten sich von hohen Galerien durch runde Fensteröffnungen in die Verließe hinuntergelassen und manchesmal hatte die schöne Gouvernante des Hauses mit ängstlichem Blick und zarten Vorwürfen den Kletternden in die düstere Turmesgruft nachgesehen. Die lange Reihe von Jahren, die seit jenen Spielen verflossen, malte das Bild des guten Fräuleins Leonor mit den prächtigsten Farben der Einbildungskraft aus, und Viktor empfand plötzlich den Wunsch, die Holde möchte nun auch herunterschauen in seinen Kerker, um ihn zu trösten mit einem Blick der Teilnahme und zu erheben durch ein sanftes, mütterliches Wort. Er hatte kaum diese Idee ausgebildet, als sich schon der Traum zu verwirklichen schien. Die Gestalt eines Frauenzimmers ließ sich an dem runden Fenster sehen. Sie bückte sich hernieder und spähte forschenden Auges in die Dämmerung des Turmes. Der aufmerksame Viktor verfolgte jede ihrer Bewegungen und sein Herz schlug vor Entzücken, als er nach und nach die Farbe ihres Kleides, ihr zierliches Halstuch, die niedliche Florhaube und darunter ein Gesicht unterschied, das ihn noch mehr ansprach, als das Gesicht der guten Leonor. Er hatte zu Versailles oft Gelegenheit gehabt, das milde Engelantlitz der frommen Elisabeth, der Schwester seines ehemaligen Königs, recht nahe zu schauen. Rein und anspruchslos wie jenes erschien ihm das Gesicht, dessen klare Augen ihn, den Gefangenen, suchten.

Er erhob sich.

»Wie geht es Euch, armer Mann?« fragte eine Silberstimme leise, aber voll Gefühl.

»Ich entbehre der Freiheit, aber nicht des Besuchs eines Engels,« antwortete Viktor so leise, wie er gefragt worden.

»Ihr werdet Hunger haben. Geduldet Euch nur noch ein halb Stündchen, Ihr sollt wohl versorgt werden.«

»Ich brauche nur ein Stück Brot und Freiheit, oder keine Nahrung, aber den Tod.«

»Leider kann ich Euch nicht freimachen, aber Ihr dauert mich sehr. Ich will Euch pflegen und für Euch beten.«

»Wie? Hier in diesem Schlosse sollte sich eine Stimme für einen Menschen zu Gott erheben, der einer andern Partei zugetan ist, als der hier herrschenden? Es gäbe eine Seele hier, die den Republikaner nicht verdammte?«

»Man muß ja alle Menschen lieben,« erwiderte die Fremde, noch leiser als zuvor; »ich liebe den Rock, den Ihr tragt. – Mein Vater trägt ihn auch. Ich habe schon oft bittere Tränen vergossen, daß ich nicht bei ihm sein darf, daß ich nicht einmal weiß, wo er ist, ob er noch lebt. Er focht für die Republik; ob er in diesem Augenblick dem feindlichen Kanonendonner trotzt oder bereits in kühler Erde ruht, wer kann mir das sagen?«

»Darf man den Namen Ihres Vaters wissen? Vielleicht wär' ich imstande ...«

»Mein Vater heißt Montchoisy; er ist ein Edelmann aus Poitou und stand vor einem Jahre noch als Bataillonschef bei dem republikanischen Heere.«

»Montchoisy Ihr Vater? So beruhigen Sie sich, schöne, mitleidige Tochter eines tapfern Mannes. Ich stand unter seinem Kommando am Rhein und in diesem Augenblick schützt er Frankreichs Grenzen gegen die Piemontesen. Er ist General geworden und das Vertrauen des Volks schmückt ihn mehr, als aller Könige Orden tun würden.«

Die glückliche Tochter stieß einen lauten Schrei der Freude aus, erhob dankend die Hände gen Himmel und ihre Zunge jauchzte. Aber in ihren Jubel mischte sich das Geschmetter vieler Trompeten, Trommelschlag und der Donner des Schloßgeschützes. Der kriegerische Lärm scheuchte das zusammenfahrende Mädchen hinweg, das mit den Worten: »Die Herren Generale kommen! Ich seh' Euch später wieder!« Fenster und Galerie verließ.

Die Schöne, die Wangen gerötet von unverhoffter Freude, flog nach dem Schlosse zurück, während die geladenen Herren in den Schloßhof einritten.

Die Marquise empfing ihre Gäste auf dem ersten Treppenabsatz und führte sie wie im feierlichen Zuge nach dem Speisesaal.

»Ich freue mich,« begann der Prinz von Talmont zu der Edeldame, »endlich in Ihrem Schlosse all' die Helden zumal einführen zu können, deren Namen bis jetzt vereinzelt von der Fama genannt wurden. Dieser Tag ist schön, verherrlicht von dem Jubel des Sieges und von brüderlicher Eintracht. Wir haben zu Chatillon vor dem Altare des Höchsten diese Eintracht beschworen und ewig daure sie. Es lebe der König!«

Der jugendliche Larochejaquelin trat aus dem Haufen der Anführer hervor, faßte einen Mann bei der Hand, der sich durch sein finsteres Aussehen bemerklich machte, wie durch seine unansehnliche Gestalt, die sehr gegen die hohen Figuren der meisten übrigen Hauptleute abstach. Larochejaquelin stellte ihn der Marquise vor und sprach: »Hier bring' ich Ihnen, Madame, den tapferen Charette, den Sie schon längst von Angesicht zu Angesicht kennen wollten. Zu lange hat er sich von uns getrennt gehalten. Das Wohl des Vaterlandes wäre beinahe an seinem harten Sinn zugrunde gegangen. Die Stimme Gottes und der Ehre hat ihn endlich bewogen, sich mit uns zu verbinden, und schon sproßten die ersten Lorbeeren aus diesem Bund.«

»Sie haben nicht wohlgetan, Herr General,« sagte die Marquise lächelnd zu dem finstern Charette, »daß Sie so lange zögerten, Ihren Heldenarm dem allgemeinen Streite zu leihen. Doch verzeihe ich Ihnen jetzt, im Namen aller Damen, denen des Königs Sache heilig ist. Stehen Sie fest bei der Oriflamme, welche dieses Land siegreich beschützt.«

»Des Königs Sache war immer die meinige,« erwiderte Charette mit rauhem Ton und wenig galanter Haltung; »jedoch hab' ich nie geleugnet, daß mir manches mißfiel, was des Königs Stellvertreter unternahmen, wenngleich in der besten Absicht.«

Hier warf er einige argwöhnische Blicke auf den Generalissimus in der Vendée, Gigot d'Elbée, und auf Bonchamp. Der erstere erwiderte den finsteren Blick, der zweite jedoch lächelte mit seiner freundlichen Miene dem Argwöhnischen zu. Der kecke Parteigänger Noyarand sagte mit jener Treuherzigkeit, die ihn charakterisierte: »Lassen wir allen Zwist beiseite, die Tafel winkt, die Becher schäumen und unter dem Regenbogen des Sieges laßt uns schmausen!«

»Alle Teufel, dürfen wir uns auch so keck der Ruhe überlassen?« fragte ein großer, robuster Mann von gemeinen Gesichtszügen, dessen Uniform ungefähr derjenigen ähnelte, welche Charette trug, und in dessen Säbelgürtel ein Paar fürchterliche Pistolen steckten. »Wer weiß, was die Blauen aushecken. Man muß auf seiner Hut sein; darum ist meine Devise: ›Schnell getafelt, schnell geritten, und ein jeder passe in seinem Kanton auf!‹«

»Wer ist der grobe Mann?« fragte die Marquise, nachdem alle Platz genommen, den Prinzen Talmont, der zu ihrer Rechten saß. »Seine Rede wie sein Gesicht hat das Gepräge der Gemeinheit. Seine Sitten sind bäurisch wie der Rock, den er trägt, und er möchte eher einem Räuberchef zu vergleichen sein, als einem königlichen Offizier. Wie nennt er sich?«

Talmont flüsterte entgegen: »Es ist einer aus der Roture. Sein Name ist Stofflet. Aus dem niedersten Pöbel entsprossen, ist er nichts geworden als ein Waldschütze des Grafen von Maulevrier. Seine Kühnheit und Stärke machten ihn zum Popanz seiner Gegend, und wie denn nun das gemeine Volk allenthalben vor der rohen Kraft Bewunderung hegt, so liefen dem Menschen Tausende zu, als er sich's einfallen ließ, für die königliche Sache einen Streich zu wagen. Er war stets glücklich in seinem tollen Ungestüm und deshalb als ein gutes Werkzeug beizubehalten. Sein Name, Ihnen schon wohl bekannt, ist ein Talisman, der die einfältigen Bauern wie blind in das fürchterlichste Feuer führt. Entschuldigen Sie, beste Marquise, daß wir diesen Mann an Ihre Tafel gesetzt, wo eigentlich nur Herren von Stand, wie Ihre übrigen Gäste sind, Platz nehmen dürfen. Die Vergötterung, die der Pöbel dem Parteigänger erweist, hat uns veranlaßt, die Unschicklichkeit zu begehen. Man hätte uns gesteinigt, wenn wir den Stofflet nicht in diese Einladung mitbegriffen hätten. Wahrhaftig, sogar die Gegenwart des Bauern Chathelineau wäre Ihnen nicht erspart worden, wenn dieser Mensch nicht schon vor Nantes den Tod gefunden hätte.«

Die Marquise lächelte spöttisch und wendete sich an d'Elbée zu ihrer Linken: »Der Boden der Vendée ist also völlig von den Feinden gereinigt, Herr Generalissimus?«

»Vollkommen, Madame,« entgegnete d'Elbée. »Ich habe die Ehre, allen Anwesenden zu versichern, daß bei Montaigu wie bei Tarfou, bei Pont-de-Cé wie bei Fontenay – kurz auf allen Punkten – der Feind total geschlagen wurde. Der Chevalier von Antichamp und der Herr von Lagrenière sind im Verfolgen der Republikaner begriffen. Es ist leicht möglich, daß wir, bei vollkommen hergestellter Einigkeit, das Projekt, Nantes zu erobern, wieder aufnehmen könnten. Die englische Regierung erwartet nur, daß wir diese Operation vollbracht, um uns mit Waffen, Munition und Hilfstruppen zu unterstützen. Sir Wrake, Schiffsleutnant in Diensten Seiner großbritannischen Majestät, der hier gegenwärtig ist, hat mir diese Eröffnung gemacht und wird sie Ihnen, meine Herren, bestätigen.«

Die siegreichen Herren zechten im Siegestaumel. Immer großspuriger und prahlerischer flossen ihre Reden.

»Jawohl, jawohl!« riefen mehrere, auf d'Elbée und Charette zeigend.

»Der verdammlichste unserer Fehler,« gröhlte Charette, »ist blinde Nachgiebigkeit gegen eure Leute und die Schonung, welche ihr zur unrechten Zeit den gefangenen Königsmördern angedeihen laßt. Treibt einer meiner Bauern Unfug, so hängt er flugs am nächsten Baum. Fällt ein Sansculotte in meine Hände, so laß' ich ihn ohne Gnade am nächsten Chausseegraben erschießen. Das macht Respekt bei Freund und Feind.«

Talmont entgegnete: »Ich bin völlig derselben Meinung. In unserem großen Rate zu Chatillon habe ich auf den Befehl angetragen, bei Leibesstrafe jeden gefangenen Republikaner auf der Stelle hinrichten zu lassen. Ich wünschte sehr, daß die versammelten Chefs einstimmig in diesen Vorschlag eingingen.«

Die meisten der Hauptleute standen lärmend auf und erhoben zustimmend ihre Hände. Die beiden Edelleute Desessarts, Vater und Sohn, bekannt durch ihre Leidenschaftlichkeit und das Unglück, welches mit der Revolution auf sie herein gebrochen, schrien wild: »Die Schurken sterben noch allzu würdig für die Leiden, die sie über uns verhängten. Brannten sie nicht unsere Schlösser nieder? Führten sie nicht unsere Herden weg. Haben sie nicht unsern König ermordet? Allen den Tod! Keinem Schonung! Und ein Frevler gegen die Majestät werde der genannt, der diesem Gesetz zuwider handelt!«

Marigny, ein bretagnischer Edelmann, Sapinaud, einer der tapfersten Hauptleute, Saint Martin, Gramont und viele andere stimmten bei. Währenddessen warf der am Ende der Tafel sitzende Chabran einen schüchternen Blick auf die Marquisin, winkte ihr und deutete nach dem Hof. Gabriele, die scharfsinnige Witwe, erriet, was in dem Kopf ihres Verlobten vorging, und teilte mit dem ihr eigenen Lächeln dem Prinzen von Talmont mit, daß sich gerade ein gefangener republikanischer Offizier in ihrer Haft befinde.

»Vortrefflich,« rief der indiskrete Prinz, dessen Leichtsinn durch den schäumenden Wein gesteigert worden war; »ein Gefangener, den Sie gemacht, Herr von Chabran? Ich hoffe, daß Sie denselben dem neuen Gesetze noch in dieser Stunde zum Opfer bringen werden!«

Chabran war wie vom Donner gerührt. Er versuchte, eine zahme Widerrede zu stammeln, aber sie gelang ihm nicht. Indessen lief das Gerücht von einem Kriegsgefangenen um die ganze Tafel und die Gäste begehrten geräuschvoll und übermütig, den trotzigen Republikaner zu sehen. Chabran wollte dieses durchaus nicht zugeben, bis es ihm Talmont und d'Elbée befahlen und die Marquise zu ihm sagte: »Seien Sie kein Kind, Chabran. Sie können leicht einsehen, daß diese edlen Herren das Dessert dieser geringen, aber freundschaftlichen Tafel nicht mit Blut beflecken werden. Gehorchen Sie daher schnell dem Gebote Ihres Chefs und bringen Sie den Menschen hierher.«

Wie der Zorn eines geschmeichelten Löwen, so legte sich auch Chabrans Heftigkeit, und er befahl den Bedienten, welche gerade die Flambeaux auf die Tafel setzten, den Gefangenen herbeizuführen.

In dessen Erwartung standen die meisten der Offiziere von ihren Stühlen auf und gingen im Saale umher. Gabriele saß wie eine Königin zwischen den beiden vornehmsten Herren der Versammlung; Chabran stand wie ein dienender Ritter hinter ihr. Aus dem Nebengemache trat ein junges Frauenzimmer in feiner, aber häuslicher Tracht, näherte sich demütig und vertraulich zugleich der Gebieterin und flüsterte ihr die Frage in das Ohr: ob sie noch etwas für diesen Abend anzuordnen habe. Gabriele fertigte sie kalt und stolz ab, und das Mädchen trat einige Schritte zurück und besah, von dem Glanz der Tafel angezogen, den Saal und die Gesellschaft.

Der neugierige Prinz von Talmont fragte jedoch seine gefällige Wirtin mit leiser Stimme: »Wer ist die holde Fremde, die sich so spät erst unseren Blicken zeigt? Ihr Benehmen ist so fein und reizend ihr Antlitz, obgleich sie in diesem Hause nur ein Stern zweiter Größe sein kann.«

Gabriele erwiderte kurz: »Ich habe das Unglück, die Kusine dieses Mädchens zu sein. Adele gehört dem mir verwandten Geschlechte der Montchoisy an. Die Familie stammt aus den Zeiten der Kreuzzüge und hat sich stets im Dienst ihrer Monarchen ausgezeichnet. Der Vater dieses Mädchens ist der erste seines Geschlechts, der allen Begriffen der Ehre entsagte. Es ist genug, wenn ich Ihnen sage, daß er unter den Fahnen der Revolution dient. Vorderhand habe ich seine Tochter dem Verderben entrissen und sie bei mir behalten. Sie führt meine Wirtschaft und ich halte sie geflissentlich in strenger Abhängigkeit, weil das Wesen bereits Begriffe von Freiheit und Aufklärung hegt, die mich, auf Ehre, schaudern machen. Können Sie sich einbilden, daß jenes Geschöpf neulich ...«

Der Eintritt Viktors unterbrach die vertrauliche Eröffnung. – Bei seinem Erscheinen entfernte sich Adele, und die Herren Generale und Chefs nahmen murmelnd und gravitätisch ihre Plätze wieder ein, als ob Gericht gehalten werden sollte. Viktor war bei diesem Anblick betroffen, faßte sich indessen und sah starr und unbeweglich auf die ihm gegenüber Sitzenden. Nach langer Stille hob der Generalissimus d'Elbée an wie folgt: »Tretet näher. Wie heißt Ihr?«

»Viktor.«

»Welchen Rang bekleidet Ihr?«

»Ich bin Leutnant in den Armeen der Republik.«

»Des Teufels,« murmelte der Prinz Talmont zwischen den Zähnen, während d'Elbée fortfuhr: »Ihr wurdet nach dem Treffen von Tarfou gefangen?«

»Leider.«

»Aha! Er merkt schon, wo es mit ihm hinaus will,« brummte Stofflet vor sich hin und spielte mit den Schlössern seiner Pistolen.

D'Elbée fuhr fort: »Wie stark ist Klebers Armee?«

Viktor schwieg.

»Sind Verstärkungen von Paris oder aus den Departements bei den gegen uns agierenden Korps angekommen und wie hoch belaufen sie sich?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr mögt wissen, daß Ihr durch aufrichtige Angaben Euer Schicksal um vieles verbessern könnt.«

»Ich begehre das nicht.«

»Puh! wie trotzig!« rief Charette laut dazwischen. »Hinunter in den Hof! Eine Laterne auf die Brust! Drei Mann vor! Angeschlagen! Feuer!«

»Man muß zuvor einen Priester haben,« bemerkte Stofflet.

»Wozu den Schuften einen Priester?« schrie Desessarts mit seinen Nachbarn.

»Pah!« meinte Charette. »Der Spruch eines Priesters hilft einem republikanischen Spitzbuben nicht über die Hölle weg. Meine Herren, ich fordere, daß man diesen Mann um seiner Insolenz willen auf der Stelle füsiliere!«

D'Elbée winkte allen, zu schweigen. Larochejaquelin und Bonchamp gingen auf Viktor zu und sagten ihm, er möchte sich beruhigen, denn sie stünden für jede Gewalttat.«

»Ich danke Ihnen, meine Herren,« versetzte Viktor; »aber ich wünsche, daß man dem kleinen Kapitän dort folge.« Er deutete auf Charette. »Je früher mich die Kugel trifft, je lieber wird mir's sein.«

»Wie man so leicht das Leben mit Füßen treten kann!« meinte Marigny kopfschüttelnd. »Die Phantasten haben lauter republikanische Komödie im Kopfe. Man mag ihnen aber leicht ihren Willen tun.«

»Was soll der Trotz,« fragte d'Elbée mit sanfter Stimme; »wenn wir deinen Mut auf die Probe stellten? Wenn wir dir auf der andern Seite die Möglichkeit der Freilassung zeigten?«

»Lieber hier sterben, als zu meinen Waffenbrüdern zurückgehen!« sagte Viktor fest.

»Hoho!« rief Sapinaud. »Der Schalk stimmt jetzt ein anderes Lied an; er will den Überläufer, den Reuigen spielen! Glaubt ihm nicht; er ist ein Spion.«

»Richtig!« versetzte Charette mit der größten Ruhe und Kaltblütigkeit. »Was verdient ein Spion? Den Tod. Schießt den ça ira nieder!«

D'Elbée fragte weiter: »Wollt Ihr Euch über Eure letzte Rede erklären, Leutnant?«

»Sehr genau. Mir war von meinem Chef befohlen worden, zu sterben und mein falsches Glück hat mir's nicht erlaubt. Da keiner meiner Waffengefährten dem letzten Gefecht entronnen, so trüge ich den Vorwurf der Feigheit, wenn ich zu meinem Korps zurückkehrte. Erschießt mich daher.«

»Ein sonderbarer Kauz!« lachte der Prinz Talmont. »Wie nannte er sich? Sagen Sie doch, Generalissimus.«

Ein Geräusch unten an der Tafel schnitt dem Prinzen die Frage vom Munde weg. Einer der Vendéeoffiziere fuhr von seinem Stuhl in die Höhe, warf in hastiger Eile Sessel und Kuvert zu Boden, stürzte auf Viktor los, faßte ihn bei den Schultern und rief mit gerührter, freudiger Stimme: »Wenn du nicht mein Kamerad Dammartin bist, so will ich mich an deiner Statt füsilieren lassen! Ja wahrhaftig, Viktor! Wir schliefen ja in einem Saale. Erinnerst du dich meiner nicht mehr? Ich bin Dumoutier, der euch so viele Schwänke vormachte, dir und dem armen Deshuttes und dem guten Moreau und dem andern wackern Landsmann, der in deinen Armen zu Versailles umgebracht wurde! Besinne dich doch nur! Ich dachte nicht, dich je wiederzusehen.«

Alle Anwesenden staunten und standen, wie auf ein gegebenes Zeichen, von ihren Stühlen auf, sich in einem Kreise um die überraschende Szene zu versammeln. Viktor hatte kein Wort gefunden, um des ehemaligen Kameraden treuherzige Liebkosung zu erwidern.

»Verstelle dich doch nicht,« rief Dumoutier dringend. »Du bist mir ja nie fremd gewesen. Erinnere dich: als du von dem Korps Abschied nahmst, schenktest du mir deine Pistolen. Sieh', ich trage sie noch. Sie haben mich auf der gefährlichen Reise nach Varennes begleitet und wurden mir von einem ehrlichen Nationalgardisten nach meiner Befreiung wieder zugestellt, weil ich sie als ein Geschenk der Freundschaft schmerzlich vermißte. Geh' mit der Farbe heraus und leugne nicht länger, daß du der Vicomte von Dammartin bist. Dein eigener Vorteil will's. Die Herren werden es bleibenlassen, dich erschießen zu wollen. Wenn nicht dein Rang, so beschützt dich mein Säbel.«

Viktor konnte solcher Herzlichkeit nicht widerstehen. Seine Umarmung gestand dem Kameraden, daß er sich nicht geirrt. Indessen lief durch die Reihen der Zuschauer das Gemurmel: »Dammartin? Vicomte? Garde du Corps? In dieser Uniform? Ein Verräter an seinem Monarchen?«

Die Bewegung wurde allgemein; die eine Partei verlangte nur um so offener den Tod des Überläufers, während die andere selbst unter der Uniform der Revolution den Kavalier zu schützen suchte. Der Generalissimus tat endlich folgenden Spruch: »In Betracht, daß der Vicomte Dammartin um seines Standes willen, wie auch des Ehrenworts wegen, das ihm der Herr von Chabran geleistet, besondere Rücksichten verdient, soll er auf seine Weigerung hin, unter der großen königlichen katholischen Armee Dienste zu nehmen, so lange nach Chatillon in Verwahr gebracht werden, bis ein Beschluß der Regentschaft des Königreichs, auf den Rapport des großen Militär- und Zivilrats von der Vendée, sein weiteres Schicksal bestimmt haben wird.«

Viktor hörte finster und schweigend dieses Urteil, und sagte, ohne seinen Richtern nur einen Blick zu schenken, zu Dumoutier: »Ich verlange von deiner Freundschaft, daß ich noch in dieser Stunde von hier weg und in meinen Kerker gebracht werde. Ich habe in den republikanischen Feldlagern verlernt, in der Nähe von Männern auszuhalten, die an der Stelle des Herzens ein Wappenschild oder die Mordfackel eines Montfort tragen.«

»Der Generalissimus gewährt dein Verlangen,« antwortete Dumoutier, »und ich will dein Begleiter sein, damit nicht ein zudringlicher bäurischer Held sich an deinem Leben vergreife.«

Er nahm Viktor auf einen Wink des Generalissimus bei der Hand und führte ihn hinaus.

Seine Entfernung verwandelte den Speisesaal in einen wilden Kampfplatz. Alle Leidenschaften brachen nun ungehindert los, und es ging unter den neuverbrüderten königlichen Hauptleuten nicht minder heftig zu, wie in einer stürmischen Konventsitzung.


 << zurück weiter >>