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2. Kapitel.

Der Herzog nahm die Hornbrille von der Nase und sah von der Bibel auf, in der er gelesen hatte. Außer den Akten, die ihm seine Minister vorlegten, und einer Berliner Gazette, die allwöchentlich erschien, war sie seine einzige Lektüre. Auch die Berliner Gazette las er weniger um ihres Inhalts willen, als weil sie aus der Stadt des alten Fritz kam, an den ihn seine stolzesten Erinnerungen banden. Früher war er auch ab und zu einmal in Potsdam erschienen, aber mit der Zeit waren er und der Preußenkönig immer krittliger und kratziger geworden, und so merkten sie, wenn sie beisammen waren, nicht mehr, daß sie einander zugetan waren, sondern quengelten und stritten recht nach alter Hagestolzen-Art. War der Herzog wieder in seine Heimat zurückgekehrt, vergaßen sie ihre Quengeleien und Zwistigkeiten, waren einander wieder zugetan, wie in alten Waffentagen, und die Distanzliebe wuchs, je weniger sie sich sahen, denn wegen der körperlichen Beschwerden Beider hatten die Reisen nach Berlin allmählich aufgehört. So blieb die Hauptlektüre des Herzogs die Bibel, über die er gern mit dem Hofprediger, Pastor Thurnes, diskutierte und dabei allerlei willkürlich-absonderliche Auslegungen fand, über die sich das spärliche Haar des Pastors sträubte, auf die sich aber der Herzog viel zugute tat.

Er hielt nun mit dem Lesen ein wenig inne, sah in den Maiabend hinaus, der sich schon durch leises Dämmern ankündigte. Er schellte. Wenglein trat ein.

»Wieviel Uhr ist's?«

»Es geht auf halb sieben Uhr, Hoheit!«

»So! Dann ists ja bald Zeit, daß die Kröte kommt!«

Allwöchentlich einmal, an jedem Donnerstag von halb sieben bis halb acht, mußte Prinz Adalbert bei seinem Großvater erscheinen, ihm die Hand küssen und sich von ihm scharf über alles ausfragen lassen, was er die Woche über bei seinen verschiedenen Lehrern gelernt hatte. Adalbert war kein schlechter Schüler, lernte gern und leicht, vergrub sich auch in alle Bücher, deren er habhaft werden konnte, aber zu dieser Stunde beim Großvater ging er stets mit Herzklopfen, denn, so fest er sich auch zusammen nahm, – es gab fast immer einen Punkt, an dem die Unzufriedenheit, wenn nicht gar der Zorn des Großvaters sich Luft machte. In der Religion gings immer tadellos; Pastor Thurnes, der zweimal wöchentlich kam, um dem Prinzen Religionsstunde zu geben, leitete den Unterricht von selbst ganz so, wie der Herzog ihn wünschte, und der junge Prinz war ein Schüler recht nach des Pastors Herzen. Auch mit den militärischen Vorkenntnissen, die Adalbert von einem tüchtigen Major empfing, war der Herzog zufrieden, übler aber sah es mit allen Fächern aus, die dem Abbé Clément überlassen blieben. Bei ihm lernte Adalbert von der Geographie und Geschichte seiner eigenen Heimat blutwenig, wußte dafür aber genau Bescheid in einem Wust griechischer und römischer Königreiche, Republiken und Kaiserreiche, ließ vor dem Großvater prunkvolle Namen auf »us« und »ius« abschnurren, die der Alte nie gehört hatte und wußte sämtliche Könige Frankreichs von Chlovis bis Ludwig XV. samt ihren Geburts-, Regierungs- und Sterbejahren sowie allen Großtaten ihres Lebens. Höher, glänzender als alles Griechen- und Römertum, als Merowinger, Karolinger, Valois und die übrigen Bourbonen strahlte die Gestalt des Sonnenkönigs, der die Zügel des unterworfenen Europas hielt und ihm nach Belieben Krieg oder Frieden diktierte. Über die Jahre 1756-1763 glitt der Abbé mit echt französischer Grazie hinweg. Das waren Peinlichkeiten, Unglücksfälle und Verrätereien, die dem armen, edlen Frankreich zugestoßen waren und über die man am besten den Schleier der Vergessenheit deckte …

Man kann sich denken, daß der Herzog mit dieser Art der Geschichtsauffassung nicht einverstanden war und daß er den Enkel anschrie, wenn er auf Fragen nach dem großen Kurfürsten oder nach einem Hohenstaufen eine unsichere Antwort erhielt und merkte, daß Karl der Große seinem Enkel nur als Charlemagne bekannt war. Und von Leuthen, von Roßbach, von diesem ganzen glänzenden Feldzug, den der Herzog an Friedrichs Seite mit durchgekämpft hatte, wußte die verdammte Kröte nichts, gar nichts … Da schrie er dann wohl wütend: »Wenn dein Herr Abbé zu dumm oder zu eitel ist, um dir's kapabel zu machen, dann will ich dich's lehren!«

Und er begann zu erzählen, aber nicht wie es das Hirn eines Knaben fassen konnte, sondern weit mehr wie ein Korpskommandant zum andern spricht … Er vergaß, daß neben ihm ein Zwölfjähriger saß, redete zu irgendeinem Abwesenden, der mit ihm gefochten, geblutet, gebangt, gehungert und schließlich, da schon alles verloren schien, doch noch gesiegt hatte. Mit militärischen Fachausdrücken sprach er von Stellungen, von Mängeln der Artillerie, von Zündgeschossen und Munitionsbeschaffenheit und dazwischen kam dann wieder: »So war die Geschichte! Das mußt du wissen! Denn dein Großvater war dabei! Drei Pferde haben sie mir unter dem Leibe weggeschossen, eine Kugel habe ich aufgefangen, die für den Fritz bestimmt war … Die Hand hat er mir geschüttelt und gesagt: »Merci, Herr Vetter, ich wills Euch nicht vergessen!« Und von alledem weiß dein geschniegelter Abbé nichts oder er sagts nicht! Kann mir aber schon denken warum, denn damals haben wir die Herrn Franzosen gehauen, daß die Fetzen flogen und ihr windiger König und sein Weibsstück …« Hier hielt der Herzog doch inne und bedachte, daß Frau von Pompadour nicht zu den geschichtlichen Erscheinungen gehöre, die der Enkel kennen müsse. Fuhr fort: »Jawohl, so wars und so merkst du dirs! Und wenn ich dich wieder frage und du weißt es nicht, dann kannst du was erleben! Kannst es auch deinem Herrn Abbé sagen, daß ich mir Unterricht in deutscher Geschichte ausbitte, verstanden!? Und zwar richtigen, nicht so, wie er sichs ausmalt … So! und nun scher' dich zum Teufel, nichtsnutzige Kröte!«

Rücksicht auf die Frau Erbprinzessin, gegen die der Herzog aus mannigfachen Gründen in gewissen Dingen nachgiebig war, hatte ihn bis jetzt vor Gewaltmaßregeln gegen den französischen Erzieher zurückgehalten. Ein an sich kleiner Vorfall, der mit einer untugendhaften Gewohnheit des jungen Erbprinzen zusammenhing, legte dann die Lunte ans Pulverfaß. Adalbert schnüffelte nämlich, so unprinzlich es auch sein mochte, fürs Leben gern im Zimmer, das heißt, in den Büchern des Herrn Abbé herum. Heimlich natürlich, denn mit Wissen seines Erziehers bekam er nur die Lafontaine'schen Fabeln, »die Abenteuer des Telemaque« und den Cornelius Nepos in die Hand, aber der Herr Abbé vergaß häufig sein Zimmer, seine Bücher und Schreibereien zu verschließen, und wie jeder, der heimliche Lektüre sucht, fand auch Adalbert Gelegenheit, sich in Abwesenheit seines Erziehers über dessen Schreibtisch und Bücherschrank herzumachen. Da fand er denn eines Tages auf dem Schreibtisch des Herrn Abbé ein Manuskript in französischer Sprache, das offenbar dem Herrn Abbé zur Korrektur übersandt worden war, denn da und dort hatte er schon Randbemerkungen und Verbesserungen mit Bleistift eingefügt.

Auf dem Titelblatt stand: » Histoire de la vie du Baron Frédéric de Trenck«. Darunter in einer anderen Handschrift, vermutlich vom Verleger: » Une victime de Frédéric de Prusse«. Adalbert war sehr neugierig, was in einem Buche stehen mochte, dessen Titel den Namen des Preußenkönigs trug und auf dem Schreibtisch des Herrn Abbé lag. Er begann zu lesen und je mehr er las, umso heißer wurde sein Kopf, umso brennender sein Interesse und sein Mitleid. Es war ja die Geschichte des Gefangenen von der Sternschanze, den Friedrich wegen angeblicher Zettelungen mit Österreich oder auch wegen zarter Beziehungen zu einer königlich preußischen Prinzeß acht Jahre lang in grausamster Haft gehalten hatte. Er las und las und wäre beinahe vom Herrn Abbé ertappt worden, der unversehens von der Frau Erbprinzessin zurückkam, so daß Adalbert sich nur in größter Eile aus dem Zimmer flüchten konnte. Aber kaum hatte der Abbé den Band geholt, den die Frau Erbprinzessin wünschte, so saß der Prinz wieder über den seltsamen Schicksalen des abenteuerlichen Trenck, und der Wirrwarr, den dies Buch in seinem Kopf anrichtete, war größer als der, den zwanzig Romane hätten verschulden können, denn dies Buch war nicht erfunden, sondern erlebt und widersprach allem, was Adalbert allwöchentlich aus dem Munde des Großvaters vernahm. Er liebte ja den Großvater nicht, aber er stand ihm doch mit bedingungslosem Respekt gegenüber und alles, was er befahl und sagte, war wie ein Evangelium, wenn es auch nicht wie ein Evangelium der Milde klang. Nun aber erhob sich in der Brust des Knaben der große Zweifel und Zwiespalt. Wie konnte Großvater den Preußenkönig so hoch verehren, der doch den armen Trenck unschuldig jahrelang gepeinigt und gefangen gehalten hatte. Wo war da die Gerechtigkeit, von der Großvater immer sprach, wo war die göttliche Milde geblieben, die der Pastor als allbarmherzig darstellte? Wo war Gott geblieben, von dem sie sagten, daß ohne seinen Willen kein Sperling vom Dache fällt, und der doch erlaubt hatte, daß der Preußenkönig solche Greueltat acht Jahre lang an einem Unschuldigen verübte? Zwiespalt und Empörung wuchsen in ihm und zugleich ein kindischer Triumph, daß der Preußenfritz gar nicht so makellos war, wie ihn Großvater immer darstellte, und daß er, Jung-Adalbert, um ein häßliches Geheimnis vom Preußenfritz wußte, das Großvater geflissentlich verschwieg. Widerstand war nun in ihm und wenn er sich auch nicht in Worten hervorwagte, so lag doch trotz allem Respekt und aller Furcht auf dem stillen Gesicht des Enkels jetzt häufig eine Überheblichkeit, ein stummes »Das weiß ich besser!«, das den alten Herzog erbitterte, gerade weil es stumm blieb und darum nicht gezüchtigt werden konnte. Und als Adalbert wieder einmal diese Miene aufsetzte, just als der Alte ihm klar machte, wie der Fritz alles begriffen, alles verstanden und aus dem kleinen Preußen eine Großmacht gemacht habe, da fand der Herzog, daß es Zeit sei, in Adalberts Leben eine einschneidende Änderung eintreten zu lassen, die er schon seit längerem plante. Er dachte: »Die Kröte steht unter schlechtem Einfluß! Natürlich – wie könnte solch französischer Affe einen anderen Einfluß haben als einen schlechten! Da wollen wir einmal einen Riegel vorschieben!«

In den nächsten Wochen konnte die große Veränderung noch nicht stattfinden, denn mit einem Male wurde es in beiden Flügeln des Schlosses von Verwandtenbesuch lebendig. Zur Frau Erbprinzessin kam eine verheiratete Schwester mit einer ganzen Kinderschar, in der man auch die kleine Friederike erblickte, und beim Herzog meldete sich das Haupt der fürstlichen Linie mit dem jungen Karl Leopold. Der Herzog machte zwar ein brummiges Gesicht und sandte ein halbes Dutzend Flüche zum Himmel, als ihm der fürstliche Vetter Botschaft sandte, daß er das Bedürfnis fühlte, ihn wieder einmal zu umarmen, aber man konnte ihm einen kurzen Aufenthalt in der Stadt und im Schloß nicht versagen, denn er war nun einmal der nächste Agnat am Throne. Voll Mißvergnügen und geheimem Neid sahen Großvater und Mutter auf den Sohn des Fürsten, auf Karl Leopold, der dastand wie ein Bild des Lebens, ungefähr so, wie der alte Herzog in seiner Jugend gewesen sein mochte. In einem der Gemächer der Frau Erbprinzessin hing ein Jugendbild des Herzogs, das ihn im Jagdrock mit dem Hirschfänger in der Hand darstellte, und diesem Bilde glich wahrhaftig Karl Leopold, obgleich der Herzog es nicht zugeben wollte und zum Fürsten, der darauf hinwies, ärgerlich sagte:

»Hat gar keine Ursache, mir ähnlich zu sehen! Bin dir niemals ins Gehege gekommen!«

Der Fürst erlaubte sich hierauf ehrfurchtsvoll zu bemerken, daß sie ja Blutsverwandte seien und vom gleichen Ahnherrn abstammten, und da der Herzog dies nicht leugnen konnte, blieb er still und fand seinen Vetter noch unangenehmer als zuvor.

Die Herrschaften in den verschiedenen Flügeln des Schlosses sahen einander übrigens in diesen Tagen nicht gar zu viel. Die Frau Erbprinzessin war mit ihrer Schwester und deren Kindern nebst Adalbert viel unterwegs, bald auf Spazierfahrten, bald auf Wasserpartien, bald gabs lustige Frühstücke und Picknicks im Walde, bei denen sich die Herren und Damen der kleinen Hofgesellschaft köstlich unterhielten, während man den Kindern, zu denen man auch zuweilen Karl Leopold einlud, eine Freiheit gewährte, die sie sonst entbehrten. Wenn man im Walde auf moosigem Boden malerisch hingelagert in den Himmel sah und durch die Büsche das Lachen der Kinder drang, oder wenn die Boote langsam über einen der kleinen, blauen Seen glitten, an denen das Land reich war, dann sagte die Frau Erbprinzessin wohl in gemessenen Abständen, natürlich auf französisch: »O, wie schön ist die Natur!« Sie dachte dabei an etwas Anderes, aber Natur war jetzt in Versailles Mode, und da durfte sie nicht zurückbleiben.

Mehr Gedanken als an die Natur wandte die Frau Erbprinzessin an zwei Kinder, an Adalbert und die kleine Friederike. Ja, jetzt waren sie noch Kinder, aber in sieben oder acht Jahren würden sie erwachsen, heiratsfähig sein und es war selbstverständlich, daß der Erbprinz sich so früh wie möglich vermählen mußte. Verwandtenheiraten waren in Fürstenhäusern stets beliebt und Friederikchen konnte sich wohl zu einer Schwiegertochter entwickeln, wie die Frau Erbprinzessin sie wünschte. Ob sie hübsch oder häßlich werden würde, konnte man heute noch nicht sagen, denn jetzt war sie noch ein dickes, rotbackiges, kleines Mädchen mit einer Stumpfnase und etlichen, verspäteten Zahnlücken. Aber von Charakter war sie freundlich, schmiegsam, gehorchte williger als sonst Kinder ihres Alters es zu tun pflegen, ordnete sich wie selbstverständlich unter, sobald Unterordnung von ihr gefordert wurde. Die Frau Erbprinzessin merkte dies am deutlichsten, wenn sie die kleine Friederike zusammen mit Karl Leopold sah. Er machte sich ein rechtes Jungenvergnügen daraus, die Kleine zu necken, zu quälen, ihr bei wilden Spielen, die er ausdachte, immer die Rolle des Tölpels oder des Verprügelten zuzuschieben und sie »Plärrliese« zu schelten, wenn sie weinte. Dann ließ sie sich wohl einen Augenblick lang von Adalbert trösten, doch sobald Karl Leopold rief, lief sie wieder zu ihm hin, und es blieb Adalbert nichts übrig, als sich über sie und den Vetter zu ärgern, um sich nur wieder mit ihm zu verstehen, wenn sie gemeinsam feststellten, daß Cornelius unsäglich langweilig sei und kein Mensch einsehe, warum man ihn lernen und seine Sätze analysieren müsse.

Befriedigt sah die Frau Erbprinzessin auf die Schmiegsamkeit ihrer kleinen Nichte. Friederike gehörte offenbar zu den Frauen, die immerfort eine feste Hand über sich fühlen müssen. Solch feste Hand würde vielleicht Adalbert nie haben, aber wenn sie ihm versagt blieb, konnte ja die Schwiegermama aushelfen, konnte in künftigen Jahren ein junges Paar so leiten, daß es nur mehr den Schein, sie aber die Zügel der Regierung behielt. Die Gedanken der Frau Erbprinzessin sprangen etwas allzukühn in die Zukunft hinein. Sie bemerkte es und kam seufzend aus ihren Träumen zur Wirklichkeit zurück. Noch lebte der Herzog, noch war Friederike ein Kind und Adalbert ein überzarter Knabe, für dessen Leben man immer wieder zittern mußte … –

Endlich waren alle Besuche abgereist, und der Herzog ließ sich bei der Frau Erbprinzessin für eine Nachmittagsstunde zu Besuch melden. Da die Botschaft kam, saß sie gerade an ihrem Schreibtisch, um ihre durch den Besuch der Schwester vernachlässigte Korrespondenz zu erledigen. Eifrig und mit graziösen Stilwendungen kritzelte sie einen Bogen voll an einen bekannten, weiblichen Schöngeist in Paris, in dessen Büro d'esprit sich berühmte Geister drängten. Die Frau Erbprinzessin war also im Innern etwas ungehalten, daß sie in ihrer wichtigen Korrespondenz durch die Anmeldung des herzoglichen Besuchs gestört wurde, aber da es jetzt erst Mittag war, so blieb ihr Zeit den Brief zu vollenden und auch noch zu überlegen, was der Herzog wohl eigentlich wollte. Daß er etwas wollte, stand außer allem Zweifel, und daß es nichts Angenehmes war konnte sie sich ungefähr denken. Er war nicht der Mann, der Besuche machte, um leere Liebenswürdigkeiten auszutauschen, und die Zeit, da er sie verhätschelt hatte, war längst vorbei. Einstens freilich war er in sie vergafft gewesen, wie Schwiegerväter es wohl im Stolz auf eine reizende Schwiegertochter sind, aber die Bezauberung war gewichen, und seit Jahren schon verdroß ihn, daß sie, wo es nur anging, französisch sprach, einen französischen Vorleser hielt und in allem immerfort nach Paris hinschielte – –. Auch sonst hatte sein Verhältnis zu ihr im Laufe der Jahre mannigfache Wandlungen erfahren. Da sein Erbprinz ihm die Braut vorstellte, war er ihr nicht nur mit Zärtlichkeit, sondern sogar mit einem Gefühl der Dankbarkeit entgegengekommen, denn der Erbprinz war ein kränklicher, schrullenhafter junger Herr gewesen, der dem schönen Geschlecht beinahe feindlich gegenüber gestanden und sich ausschließlich für seine Käfersammlung interessiert hatte, so daß sein Vater schon in großer Sorge um den Bestand der Dynastie gewesen war. Dann hatte sich der Erbprinz jählings in die hübsche Hofdame verliebt, die er als Begleiterin einer alten hochnäsigen Durchlaucht bei irgendeiner Verwandtenhochzeit kennengelernt hatte. Sie stammte aus einer sehr vornehmen, aber gänzlich verarmten Familie und mußte froh sein, daß diese Hofdamenstelle sie vor wirklicher Not schützte. Die Gräfin Aglaja sehen und sich über Hals und Kopf in sie verlieben, war für den schrullenhaften Erbprinzen eins, und er hätte jedes Hindernis stürmend aus dem Wege geräumt, das sich zwischen ihn und seine plötzlich Erkorene gestellt hätte. Es gab aber gar keine Hindernisse, denn der herzogliche Vater betrachtete Aglaja als die Retterin aus großer Not, und es fiel ihm kaum ein, daß diese Heirat ja auch für die arme Hofdame ein Glück bedeutete, von dem sie nie zu träumen gewagt hätte. Schnell wurde die Hochzeit gefeiert und der schrullige Erbprinz liebte nun seine hübsche Frau ebenso leidenschaftlich, wie er früher ihre Geschlechtsgenossinnen angefeindet hatte. Als später die Schwindsucht den Erbprinzen befiel, flüsterten sie am Hofe, daß seine leidenschaftliche Liebe Schrittmacherin für die entsetzliche Krankheit gewesen sei.

Im ersten Schmerz war das Herz des Herzogs noch nicht verbittert, sondern weich und umfing mit Liebe die Frau, die das letzte Glück des Sohnes gewesen war. Später, als der Schmerz ein wenig vertobt hatte, empfand er dieser jungen Witwe gegenüber so etwas wie Schuldner-Gefühl. »Eine verwitwete Erbprinzessin, das ist wie eine Schwangerschaft ad infinitum«, pflegte er wohl mit grimmiger Ironie zu denken, oder auch zu sagen, und sein Schuldnergefühl wuchs, weil er dieser ewigen Erbprinzessin auch noch den Enkel, den Bestand der Dynastie zu danken hatte.

Pünktlich zur festgesetzten Stunde trat der Herzog bei der Erbprinzessin ein. Als die Erbprinzessin den schweren Schritt des Herzogs vernahm, eilte sie ihm entgegen, sank in tiefer Verbeugung zusammen, wollte ihm die Hand küssen. Er duldete es nicht, hob sie aus ihrer Verbeugung empor, empfing sie einen Augenblick lang in seinen Arm und berührte flüchtig mit den Lippen ihre Stirne. Es war eine Gebärde der Ritterlichkeit, die ihn nicht kleidete, denn sie paßte nicht zu seinem Wesen, sondern war als letzter Rest von Galanterie haften geblieben aus einer Zeit, die so weit hinter ihm lag, daß er kaum mehr von ihr wußte.

Sie nahmen Platz, und die Erbprinzessin sah den Herzog erwartungsvoll an. Er ließ sie nicht lange warten, sondern begann kurz:

»Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu sprechen, Frau Schwiegertochter. Es handelt sich um ihren Sohn.«

Die Erbprinzessin tat, als fiele sie aus den Wolken, obwohl sie gleich vermutet hatte, daß es sich bei dieser Unterredung um den Erbprinzen handeln würde. Sie fragte in scheinbar großem Erstaunen:

»Adalbert? Hat er das Mißfallen Euer Hoheit erregt?«

Der Herzog machte eine ärgerlich abwehrende Handbewegung:

»Lassen Sie die Hoheit beiseite; wir sprechen in Familienangelegenheit. Ihr Sohn, mein Enkel hat bis zur Stunde eine Erziehung bekommen, die mir immer gründlich mißfallen hat.«

»O, das bedaure ich tief.«

»Ich habe bis jetzt geschwiegen, weil er, Gott sei's geklagt, ein schwächliches Ding ist, weil man immerfort Rücksicht auf ihn und seine zarte Gesundheit genommen hat. Aber einmal muß jede Sache auf der Welt ihr Ende haben, auch die Rücksicht! Es ist jetzt an der Zeit, daß Ihr Sohn eine Erziehung erhält, wie sie sich für einen künftigen Herrscher dieses Landes schickt. Zu solcher Erziehung ist Ihr Herr Abbé Dingsda ganz unfähig. Kann vielleicht recht gut französische Allotria vorlesen und ähnlichen Unfug treiben, aber meinen Enkel erziehen kann er nicht. Habe also bereits einen anderen Erzieher in Aussicht genommen.«

Die Frau Erbprinzessin zitterte innerlich vor Wut, daß so einfach über sie hinweg bestimmt und verhandelt wurde, aber mit ihrer gewohnten Selbstbeherrschung ließ sie nichts merken und fragte voll höflichen Interesses:

»Darf man fragen, wen der Herr Schwiegervater als künftigen Erzieher gewählt hat?«

»Jawohl. Habe den Melchior Thurnes gewählt, den ältesten Sohn unseres Hofpredigers. Habe mit dem Vater gesprochen und mit dem Sohn, von dem ich nur Gutes gehört habe und muß sagen, daß der junge Mensch mir außerordentlich gefällt. (Die Erbprinzessin dachte: »Das mag ein nettes Exemplar sein!«) Hat Philosophie und daneben Theologie studiert, ist ein guter Sohn, dabei jung, gesund und von sittigem Wesen. So manierlich wie Ihr Herr Abbé Dingsda wird er wohl nicht sein, aber kernig, ehrbar, wie ich ihn für meinen Enkel will.«

Die Frau Erbprinzessin neigte ergeben das Haupt und hatte nichts gegen die Wahl des Schwiegervaters einzuwenden, denn Widerstand hätte gar nicht geholfen. Die ganze Angelegenheit mit Adalberts Erziehung kam ihr auch gar nicht so wichtig vor, wenn nur der Abbé bleiben konnte, der ihr die wertvollsten Beziehungen nach Versailles und Paris vermittelte. Sie war sich nicht klar, ob der Herzog ihn nur von seinem Amte als Erzieher entheben oder überhaupt vom Hofe entfernen wollte, und so bebte ihre Stimme ein klein wenig, als sie fragte:

»Hat der Herr Schwiegervater etwas dagegen einzuwenden, wenn der Abbé auch weiterhin mein Vorleser bleibt?«

»Das können Sie halten, wie Sie wollen. Ob dieser Affe oder ein anderer Ihnen französisches Geplapper vorliest, ist mir gleichgültig!«

Sie schien hocherfreut, sank wieder in tiefer Verbeugung zusammen, wollte ihm wieder die Hand küssen, und es wiederholte sich die Szene der Ritterlichkeit, die ihn schlecht kleidete. Als er aber schon unter der Türe stand, wandte er sich noch einmal um und sagte mit boshaftem Lächeln:

»Daß ichs nicht vergesse, Frau Schwiegertochter: Wenn Sie wieder in Ohnmacht fallen, dann sorgen Sie dafür, daß Ihr Hoffräulein zur Hand ist! Wenn das Fräulein den Kopf anderswo hat als bei ihrem Dienst, muß sie durch eine andere ersetzt werden!«

Sie blieb allein, schlug ein paarmal die Hände zusammen, um ihrer inneren Erregung Luft zu machen. Sie beruhigte sich bald, setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und vollendete den geistreichen Brief, den sie begonnen hatte.

*


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