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11. Kapitel.

Monate waren vergangen, ohne daß Adalbert hätte erfahren können, wo seine Liebste geblieben war. Er zerrieb sich in quälenden Vermutungen, in schreckhaften Vorstellungen und Sorgen, forschte ihr nach, wie er nur konnte, doch alles blieb ohne Erfolg. Auch der Jakobinerklub bemühte sich, eine Spur der Verschwundenen aufzufinden, denn wenn jeder Einzelne auch immer stärkere Abneigung gegen die politisierenden, exaltierten Weiber empfand und insgeheim bereute, daß man den Frauen neue Rechte gegeben hatte, so durfte man solche Meinung doch nicht laut werden lassen, denn gerade die politisierenden Weiber bildeten das leidenschaftlichste Element des souveränen Volkes, der breiten Masse, auf deren Anhängerschaft sich der Jakobinerklub heute mehr denn je stützte. Die Neuwahlen zur zweiten Nationalversammlung waren ja durch ein geschicktes Wahlmanöver ganz demokratisch ausgefallen, und unter dem Druck dieses Wahlresultats hatte der König ein Ministerium aus dem rechten Flügel des Klubs, mit Roland an der Spitze, geholt. So stand die zweite Nationalversammlung ganz unter dem Einfluß des Klubs, und eben weil er mächtig war und immer noch mächtiger werden wollte, ließ er keine Gelegenheit vorübergehen, die seine Popularität erhöhen konnte. So beschloß er denn, es nicht zu dulden, daß die »Patriotin« Théroigne de Méricourt ohne weiteres spurlos vom Erdboden verschwand, zudem die Vermutung nahelag oder nahegelegt wurde, daß es sich hier um eine politische Missetat, natürlich von seiten der Aristokraten, handeln könnte. Und als er eine Weile auf geheimen Gängen geforscht hatte, erfuhr Adalbert eines Tages, wo seine Geliebte sich befand. Was er da hörte, kam ihm allerdings so unwahrscheinlich vor, daß er es zuerst für ein Märchen hielt, aber der Klub, der in dieser Angelegenheit eine ausgebreitete Geheimkorrespondenz pflegte, zeigte ihm Schriftstücke, die das Unwahrscheinliche als Wahrheit bewiesen. Théroigne saß als Staatsgefangene Österreichs in der Festung Kufstein. Und kaum daß er sich von seiner Verblüffung erholt, kaum daß der Klub ein voll edler Entrüstung strotzendes Schreiben an die österreichische Regierung aufgesetzt hatte, stürmte auch schon Théroigne in Adalberts Zimmer, fiel ihm um den Hals, erstickte ihn fast mit ihren Zärtlichkeiten und fragte zwischen Lachen und Weinen:

»Was sagst du zu meinem Abenteuer?«

Er konnte zunächst gar nichts sagen. Er war nur glücklich, daß er sie wieder hatte, und es dauerte sogar eine Weile, ehe er merkte, daß sie schmäler und blasser geworden war, und daß ihre Augen einen seltsam-unruhigen Blick hatten und beängstigend glänzten, wie die einer Fiebernden. Sie schien aber völlig gesund, nur noch leidenschaftlicher, noch selbstbewußter als sonst, und was sie nun von ihrem Abenteuer erzählte, war ein buntes Gemisch von Wirklichkeit und Flunkerei. Nach der Flucht des Königs hatte es ihr keine Ruhe mehr gelassen: sie mußte den Verrat, den natürlich die Königin angestiftet hatte, rächen, mußte Österreich aufwiegeln, es zum Kampf um die Freiheit aufstacheln, und so zog sie bald als hübsche Demagogin, bald verkleidet als Mann in Schenken und Straßen Luxemburgs umher, sang patriotische Lieder und hielt aufreizende Reden. Das dauerte eine kurze Weile, dann griff die Hand der österreichischen Justiz nach ihr, und führte sie ohne viel Federlesens auf die Festung Kufstein. Bis hierher hatte ihr Bericht sich ziemlich an die Wahrheit gehalten, nun aber, da sie ihre Gefangenschaft zu schildern begann, ging die Phantasie wieder einmal im Galopp davon, und wenn Adalbert ihr alles geglaubt hätte, so wäre ihm die zerstörte Bastille im Vergleich mit Kufstein wie ein Lustschloß erschienen. Er aber wußte wohl zu unterscheiden und hörte, zwar gerührt aber doch mit geheimem Lächeln, wie sie von grausamen Verhören erzählte, von Ketten, in die man sie gelegt, von fürchterlichen Entbehrungen, die sie ertragen, und wie immerfort das Richtschwert über ihrem Haupte geschwebt hatte.

»Bis sich der Kommandant endlich meiner unerschütterlichen Freiheitsliebe gebeugt hat. Bis er endlich begriffen hat, wer ich bin und was er mir schuldig ist. Bis ich ihn gezwungen habe, auf meine Befehle zu hören, als wäre ich seine Gebieterin. Dann habe ich alles bei ihm erreichen können, – sogar ein Klavier hat er mir kommen lassen, weil ich mich abends so sehr gelangweilt habe. O, wenn du glaubst, daß es ein Vergnügen war, in dieser verdammten Felsenfestung zu sitzen! Eiskalt wars da oben und geschneit hat es, wie man bei uns keine Ahnung hat … Aber ich hätte noch viel mehr ausgehalten, und habe kein Wort von allem zurückgenommen, was ich gesprochen oder gesagt habe. Ich habe auch allen mächtig imponiert, das kannst du mir glauben! Der Kommandant hat sichs zuletzt auch nicht mehr zugetraut, meine Angelegenheit zu Ende zu führen, sondern hat mich mit fürstlichem Geleit nach Wien bringen lassen.«

»Fürstliches Geleit?« fragte Adalbert neckend, dem die Aufschneiderei nun doch etwas zu stark wurde, »schickt sich ein fürstliches Geleit für eine so freiheitsdurstige Dame?«

Sie wurde ärgerlich.

»Lege doch nicht jedes Wort auf die Wagschale. Man sagt eben »fürstliches Geleit«, wenn man umgeben von aller Sorgfalt und Bequemlichkeit reist. Und so bin ich nach Wien gefahren und bin dort von einem großen Herrn zum andern gegangen, zum Grafen Kobenzl, zum Fürsten Kaunitz, bis zum Kaiser selbst. Und dem Kaiser habe ich gesagt: »Mein Herr, geben Sie Ihrem Volke die Freiheit, denn es ist eines guten Herrschers unwürdig, über ein unfreies Volk zu herrschen!«

Adalbert lachte.

»Schatz, wenn du das wirklich gesagt hättest, säßest du noch heute in Kufstein!«

Sie wurde ein wenig verlegen.

»Etwas Ähnliches habe ich jedenfalls gesagt, sie waren aber alle entzückt von mir, und der Kommandant hätte mich sogar heiraten wollen, wenn er nicht schon eine Frau gehabt hätte!«

»Da muß ich der Frau Kommandantin ja noch dankbar sein!«

Sie überhörte seinen Spott, fuhr fort zu erzählen, zu flunkern, sich zu spreizen, sich ganz einzuhüllen in verwegene Worte, die sie den großen Herren ins Gesicht geschleudert haben wollte. Und Adalbert, der zuerst nur glücklich gewesen, daß sie wieder da war, und über ihre Phantastereien gutmütig gespottet hatte, konnte sich nun einer leisen Bängnis nicht erwehren, denn ihr ganzes Wesen schien ihm verändert und krankhaft überreizt. Mitten in ihren größten Prahlereien hielt sie auch plötzlich inne, konnte nicht mehr weiter sprechen, bedeckte die Augen mit den Fingern, zwischen denen jetzt Tränen hervorquollen, und laut aufschluchzend warf sie die Arme über den Tisch hin, legte den Kopf darauf und weinte bitterlich, ohne einen Grund zu sagen und ohne auf Zuspruch zu hören. Leise und mitleidig strich er über ihr Haar. Armes Geschöpf, das voll Begeisterung und Opfermut in die großen Ereignisse hineingreifen wollte und nicht ahnte, daß ihm das grausame Räderwerk die Hände und das innere Gleichgewicht zerbrach.

Nach einigen Wochen schien sie erholt und ruhiger, aber nun quälte sie Adalbert mit anderen Worten und mit Prophezeiungen. Ihre Augen leuchteten auf, wenn sie es sprach:

»Es gibt Krieg! Es gibt ganz sicher Krieg! Österreich wird uns überfallen, ich weiß es bestimmt, ich war ja im Lande und habe die Stimmen rundum gehört. Die Königin verhandelt insgeheim mit ihrer österreichischen Sippschaft, daß sie uns angreifen und mit Blut und Eisen unserer Freiheit zu Leibe gehen. Wenn wir ihnen nicht zuvorkommen, sind wir verloren!«

Aber Adalbert wollte von alledem nichts hören, denn er hörte es schon tagaus, tagein. Das neue Ministerium und beinahe der ganze Jakobinerklub drängten zum Krieg gegen Österreich, waren oder schienen überzeugt von dem angeblich vorhandenen österreichischen Komitee und den Geheimverhandlungen, die zwischen dem Königspaar, Österreich und den in Deutschland versammelten Emigranten bestanden. Er wollte nicht von Krieg hören, wollte nicht an ihn glauben, denn dieser Krieg würde ihn, er fühlte es mit Schrecken, in einen Seelenzwiespalt stürzen, an den er nie zuvor gedacht hatte. So schob er jeden Gedanken an Krieg weit von sich und war froh, daß auch Robespierre sich in dieser Hinsicht von der Meinung des Klubs schied und die Kriegshetzer verdammte.

»Sie wollen nur die Macht! Mögen sie mit ihren Redensarten und Lügen andere täuschen, mich täuschen sie nicht! Die Macht wollen sie, nichts anderes als die nackte Macht! Aber ich durchschaue sie und ich werde nicht ruhen, ehe sie entlarvt sind! Die Macht gehört nicht Einzelnen, sie gehört dem souveränen Volk! Und überdies gibt es bei uns Notigeres zu tun als Krieg zu führen. Noch sind wir im Innern von Verrätern umgeben. Noch hat die große Reinigung nicht begonnen!«

Wieder klang dies Wort »Reinigung« schrecklich in seinem Munde, aber Adalbert hörte den Klang nicht, sondern nur, daß der Freund gegen den Krieg war und ihn verhindern wollte. Und diese tiefe Abneigung gegen den Krieg schloß die beiden noch näher aneinander, so daß Théroigne, die von Tag zu Tag kriegsbegeisterter wurde, Adalbert einmal höhnend fragte:

»Habt Ihr Fischblut in den Adern oder seid Ihr feige?«

Er antwortete nicht. Er sah sie nur stumm an und glich wohl in diesem Augenblick zum ersten Mal seinem Großvater, denn sie fuhr erschrocken zurück und blieb einen Augenblick stumm. Sagte dann trotzig:

»Der Krieg ist heutzutage Pflicht! Österreich hat nicht das Recht, uns in unserer Freiheit zu bedrohen!«

»Hattest du das Recht, seine Ruhe zu stören?«

Sie flammte auf.

»Wie kannst du das nur vergleichen! Wir, wir repräsentieren die Freiheit! Wir bringen versklavten Völkern das Evangelium!«

Er schwieg, sah zu Boden. So wie sie hatte er auch einmal gedacht – –

Dann kam wirklich Krieg. Das Ministerium hatte dem König die Kriegserklärung abgerungen, nun mußte man mit den Feindseligkeiten Oesterreichs und Preußens rechnen, die durch ein Waffenbündnis vereint waren. Die Begeisterung war allgemein, wenn auch nicht ganz so groß, wie die Jakobiner und ihre Zeitungen behaupten wollten. An der Spitze eines Trupps verwegener Weiber aber erschien alsbald Théroigne in der Nationalversammlung und begehrte für sich und ihre Gefährtinnen die Erlaubnis, auf dem Marsfeld kriegerische Waffenübungen abhalten zu dürfen. Adalbert, dem sie ihr Vorhaben mitgeteilt, hatte ihr nicht gewehrt. Er war jetzt zu schwer bewegt, um solch kindischen Überschwang ernst zu nehmen. Da war nun der Krieg, den er gefürchtet hatte, dieser Krieg, der Preußen an Österreich und wahrscheinlich sein eigenes Volk an Preußen band. Denn immerfort war sein Haus der Waffengefährte Preußens gewesen, und trotz allem, was er in diesen Jahren vergessen und gelernt hatte, schien es ihm wie Verrat, wenn die Seinen einmal nicht an Preußens Seite kämpfen würden. Wenn sie es aber taten, dann kämpften sie gegen das, was er als Gottheit in sein Leben eingesetzt hatte, dann bekämpften sie in Frankreich auch die Freiheit … Wie immer das Schlachtenglück sich wenden mochte, würde es ihm das Herz zerschneiden, – wenn die Freiheit siegte, waren die Seinen geschlagen und elend, und wenn sie triumphierten, ging die Freiheit zugrunde … Freilich bestand die Hoffnung (wenn man es Hoffnung nennen konnte!), daß die Herzogin-Mutter mit ihren französischen Sympathien sich nicht gegen Frankreich stellen, sondern trachten würde, wenigstens neutral zu bleiben; aber war eine solche Neutralität auf die Dauer zu halten und trug sie nicht von allen Seiten Mißachtung ein?! In welchen Konflikt war sein Volk gestürzt, das nach seinem Wunsch in Stille und Ruhe zur Freiheit und Menschenwürde hätte reifen sollen und das nun vor einer so schrecklichen Wahl stand?! Sein erster Impuls war gewesen: »Heim! Nur eilig heim!«. Aber er hatte sich besonnen, daß seine Heimkehr nichts besser machen, dagegen manches verschlechtern konnte. Obendrein waren die Grenzen schon gesperrt, und die Regierung, oder vielmehr der Klub, hätte sicherlich jeden als Verräter verfolgt, der jetzt über die Grenzen fliehen wollte. Und wäre Flucht in diesem Augenblick nicht ebenso Verrat gewesen, wie es Verrat an alter Waffenbrüderschaft war, wenn sie daheim Preußen die Nachfolge weigerten? Er beneidete alle, die sich unbeschwerten Herzens der Kriegsbegeisterung hingeben konnten. Er beneidete Thurnes, der sich zu den Freiwilligen meldete, er beneidete den Baron Cloots, der aus eigenen Mitteln ein Regiment ausrüstete, wie verrückt vor Enthusiasmus in den Straßen umherrannte, jeden im Klub gerührt umarmte und lärmend, gestikulierend, mit tönenden Redensarten beteuerte, daß Frankreich einen Kreuzzug führe, den heiligen Kreuzzug der Freiheit. Aber trotz allem behielt Robespierre recht, wenn er sagte, daß es Wichtigeres zu tun gäbe, als Krieg zu führen. Das Ministerium, das nicht nur nach außen, sondern auch nach innen scharf vorging, brachte durch den Jakobinerklub einen Antrag ein, der die Emigranten, an ihrer Spitze die emigrierten königlichen Prinzen, als Landesverräter brandmarkte, und ließ diesem Antrag einen zweiten folgen, der alle Priester, die den Eid auf die Verfassung verweigerten, des Landes verwies. Da geschah, was keiner erwartet hatte: der König machte von dem ihm zustehenden Vetorecht Gebrauch, versagte den beiden Anträgen seine Zustimmung und entließ das Ministerium Roland.

Nun stand das Tiergesicht vor den Torgittern der Tuilerien, preßte seine geifernde Schnauze an die Eisenstäbe, bis sie krachend zerbrachen, und, bewaffnet mit Sensen, Heugabeln und Picken und Flinten, das Gesindel der Vorstädte gleich einer Woge von Unrat in das Königsschloß eindrang. Zwei Stunden lang beschimpften und verhöhnten sie das Königspaar, das nur von etlichen Nationalgarden mühselig gegen Tätlichkeiten geschützt wurde. Erst als der König zugesagt hatte, daß er das entlassene Ministerium zurückrufen wollte, trollte sich das Tiergesicht von dannen. –

Wer es hergeführt hatte? Keiner sagte es laut, aber jeder wußte es. Und jeder wußte, was es bedeutete, als das wiedereingesetzte Ministerium wenige Wochen später pathetisch rief: »Das Vaterland ist in Gefahr!« und die Errichtung eines bewaffneten Lagers in der Hauptstadt verlangte, eines Lagers, das aus herbeigezogenen Provinztruppen bestehen sollte, die dem Ministerium und seinen republikanischen Ideen und Plänen ergeben waren. Wiederum weigerte sich der König, und nun begann das Tiergesicht zu rasen, daß alle früheren Aufstände dagegen wie ein Schäferspiel erschienen. Wie sich einst, da Byzanz fiel, alle Vornehmen von Konstantinopel um den letzten Konstantin geschart hatten, so scharte sich jetzt um Ludwig eine kleine Legion treu gebliebener Aristokraten, die gemeinsam mit den Schweizer Garden die Verteidigung des Schlosses und der Königsfamilie übernahmen. Aber das Tiergesicht brach gleich einer reißenden Bestie ein, und ein Morden hub an, wie man es nur in grauen Vorzeiten der Barbarei erlebt hatte. Man mordete Garden, man mordete Verwundete, man mordete Ärzte, die ihnen zu Hilfe kommen wollten, man warf Tote und Halbtote zum Fenster hinaus, man zertrümmerte, zerschlug, zerstampfte, was unter die Hände und Füße kam, man stürmte die Keller, zerschmetterte Fässer und Flaschen, daß sich Wein und Blut zu Bächen mischten, die über Leichen hinspülten, mit denen geschminkte Gassendirnen unflätige Scherze trieben. Betrunkene Weiber und Männer wälzten sich auf dem Lilienparkett, und damit auch die bengalische Beleuchtung nicht fehlte, legte man da und dort Feuer an, freute sich über die aufzüngelnde Flamme und drohte jedem, der löschen wollte, daß er hineingeworfen würde. Aus diesem Inferno gibt es für die königliche Familie nur eine Rettung, wie der herbeigeeilte demokratische Bürgermeister versichert: den Schutz der Nationalversammlung. Der König willigt ein, gibt seinen Garden den Befehl, das Feuern einzustellen; doch über Befehl und Inferno hin dringt aus dem Munde der Königin als letzter Aufschrei der sterbenden Monarchie:

»Sire, geben Sie Befehl, daß man mich an den Wänden dieses Schlosses annagele!«

Der Schrei verhallt ungehört. Der König hat kein Verständnis für den tragischen Heldenmut seiner Königin, die lieber kämpfend sterben, als jeglicher Würde entsagen will. Aber im Angesicht dessen, was jetzt geschieht, erzittern alle Throne, scheint die alte Weltordnung in ihren Angeln zu wanken und ins Bodenlose fallen zu wollen. Frankreichs König wird samt den Seinen von seinem eigenen Volke im Temple eingekerkert – –

Das Volk aber tanzt ausgelassen um rasch gepflanzte Freiheitsbäume und stülpt sich die rote Mütze der Galeerensträflinge aufs Haupt, zum Zeichen, daß künftighin die Letzten die Ersten sein sollen. Als stolze Kriegserklärung ruft es allen Monarchen und Völkern zu: »Es lebe die Republik!«

Österreichische und preußische Kanonen donnern die Antwort.

*

Danton, der Justizminister der jungen Republik, und sein treuer Ratgeber, Marat, sehen einander erschrocken an. Danton stößt mit seiner Bärenstimme etliche der fürchterlichen Flüche aus, die er als Meister beherrscht. Die Lage ist auch ernst genug: die feindlichen Armeen haben Longwy genommen, Verdun ist in ihrer Hand, und wenn es so weitergeht, kann man darauf rechnen, daß sie Ende September, also binnen drei oder vier Wochen, in Paris sein werden. Was dann aus der Republik und ihrer Hauptstadt wird, hat das Manifest des Herzogs von Braunschweig schon verkündet; was aber wird vorher aus den Anstiftern des Krieges, wenn das Volk erst erfährt, wie kläglich die französischen Waffen versagen?

»Sie werden uns in Stücke reißen!« schreit Danton voll Zorn.

»Sie oder die Aristokraten, die aus unsern Niederlagen neuen Mut schöpfen und den verdammten Siegern zu Hilfe eilen werden. Was sollen wir tun?«

Über Marats Gesicht ist bei Dantons ersten Worten fliegende Röte gehuscht. Eines seiner Augen ist blind und tot, aber das andere leuchtet in infernalischem Feuer auf. »In Stücke reißen«, das Wort erweckt in seinem Hirn, dem Hirn eines Besessenen, Vorstellungen, die seinen Körper in Lust erbeben lassen. Er sagt: »Geben wir ihnen andere, an denen sie ihre Wut und ihre Enttäuschung austoben mögen. Die Abtei La Force und das Karmeliterkloster sind vollgepfropft von Aristokraten, verdächtigen Priestern und Offizieren, die wir bei dem großen Strafgericht vom 10. August einkerkern ließen. Geben wir sie dem Volke als Ersatz! Wozu ihnen erst den Prozeß machen? Ihr Urteil ist schon jetzt gefällt, und das souveräne Volk mag es nach Gutdünken vollziehen! Öffnen wir die Tore der Gefängnisse, und geben wir die Gefangenen der Menge preis!«

Der Mensch ist gut – –

In der Abtei liegen ermordete Priester zu Hügeln geschichtet. Junge, die vielleicht erst vor einem Jahr das erste Meßopfer darbrachten neben Greisen, deren zitterige Hände kaum mehr die Monstranz emporzuheben vermochten. Man hat sie niedergeschlagen, zersäbelt, erwürgt, weil sie ihrem alten Priestereid treugeblieben waren und ihn nicht hinter den Schwur auf die neue Verfassung stellen wollten. Hunderte, tausende von Aristokraten und Offizieren bedecken, zur Unkenntlichkeit zerfetzt, zerschnitten, zermartert den Boden und die Höfe der Gefängnisse. Stundenlang haben gedungene Arme hier fest gearbeitet, und mancher rühmt sich, daß er schwerer geschafft habe und nun müder sei als ein Maurer auf dem Bau. Aber die erlahmenden Kräfte werden mit Wein angefeuert, der im Überfluß vorhanden ist, und wenn man tüchtig getrunken hat, kann man auch wieder tüchtig arbeiten. Fröhliche Arbeit, – man singt dabei, macht wohl auch eine Pause, um die Leichen mit wüstem Geschrei zu umtanzen, hat auch die unbeschäftigten Bewohner des Viertels herbeigerufen, damit sie wenigstens die Freude des Zuschauens genießen können. Bänke sind aufgestellt, damit sie bequem sitzen, und Männer wie Weiber recken die Hälse und sehen mit lachenden Gesichtern, daß »die Verräter« fallen wie Ähren unter der Sense des Schnitters. Damit man auch bei der früh einbrechenden Dunkelheit noch alles gut unterscheiden kann, pflanzt man jeder Leiche ein Lämpchen auf die Brust. – –

Der Mensch ist gut. – –

Die Prinzessin Lamballe, die Freundin der Königin, die zuerst die Gefangenschaft mit ihr im Temple teilen durfte, tritt unter das Tor von La Force, denn man hat ihr angekündigt, daß sie in Freiheit gesetzt würde. Doch schon beim ersten Schritt bricht sie unter Axthieben zusammen, und der Pöbel, der sie an ihrem reichen, blonden Haar erkennt, stürzt sich auf den zarten Leichnam, zerrt ihn durch die Straßen, verhöhnt ihn zynisch mit Worten und Gebärden, schleift ihn bis vor den Temple und kann nur mit Mühe abgehalten werden, in die Gemächer der Königsfamilie einzudringen. Ein Patriot, von dessen Lippen Blut träuft, rühmt sich, daß er dem Leichnam das Herz ausgerissen und hineingebissen habe, und ein anderer ist traurig, daß die schöne Überraschung, die er sich für die Königin ausgedacht hat, nicht ins Werk gesetzt werden kann. Er hätte nämlich gar zu gern den Kopf der Prinzessin in einer verdeckten Schüssel beim Abendmahl der Königsfamilie auftragen lassen. Teufel noch einmal, die Fratze, die die verdammte Österreicherin geschnitten hätte beim Anblick des blonden Schopfs, in den sie so vergafft war …

Der Mensch ist gut – –

Zwei Damen gehen in der Nähe von Notre Dame über die Straße. Sie sind einfach gekleidet und ihre Gesichter sehen kummervoll aus. Sicherlich sind es adlige Damen, das merkt man an ihrer vornehmen Haltung, an den kleinen Füßen und an den ängstlichen Blicken, mit denen sie um sich sehen. Vielleicht gehen sie zu einem kleinen Freundeskreis, um dort, voll Angst, daß sie ausgespäht und verraten werden, für den armen König zu beten. Vielleicht wissen sie irgendwo ein verstecktes Kapellchen, in dem ein treuer und mutiger Priester die Messe liest wie in früheren, goldenen Zeiten. Vielleicht auch suchen sie nur eine Freundin auf, um aus ihrem Gespräch Trost zu schöpfen, den man jetzt so nötig hat … Ganz still und bescheiden gehen sie; aber ein Trupp wilder Weiber, der, mit Ruten bewaffnet, eben um eine Straßenecke stürmt, hat sie erspäht, hat sie erkannt und wirft sich johlend auf die willkommene Beute, reißt den Damen schamlos die Kleider vom Leibe, peitscht sie mit ihren Ruten bis aufs Blut …

Der Mensch ist gut – –

Camille Desmoulins beantragt, daß der König mit einem Strick um den Hals zuerst an den Pranger gestellt, dann mit einer Tafel auf der Brust »So sieht ein Verräter aus!« in Paris umhergeführt und zuletzt der Wut des Volkes preisgegeben werde. Der Schlächter Legendre beantragt dagegen, daß Ludwig in Stücke gehauen, diese Stücke eingepökelt und in alle Departements verschickt werden sollten, damit die Bürger sie beim Revolutionsfeste gemeinsam verzehren sollten.

Der Mensch ist gut. – –

Der König steht auf dem Schafott. Er hatte einen Aufschub von drei Tagen verlangt, um seine Angelegenheiten zu ordnen; doch der Aufschub war ihm verweigert worden. Nun will er ein letztes Wort zu seinem Volke sprechen, doch der Schankwirt Santerre, der die zur Hinrichtung ausgerückten Truppen befehligt, läßt die Trommeln wirbeln, und des Königs Worte verhallen, ohne daß ein Hauch von ihnen vernommen wird. Als sein Haupt gefallen ist, tauchen Garden ihre Piken in das abfließende Blut, und umstehende Patrioten tragen ein mit Königsblut getränktes Taschentuch als Trophäe nach Hause …

Der Mensch ist gut. – –

*


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