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13. Kapitel.

Die Sturmglocken heulen, Generalappell wird geblasen, die Patrioten laufen wirr durcheinander, greifen zu den Waffen, fragen aufgeregt:

»Was ists?«

»Verrat! Verrat!«

»Wann?«

»Immer!«

»Wo?«

»Überall!«

»Wer?«

»Jeder!«

Die hundertäugigen Argusse des Wohlfahrts-, Sicherheits-, Überwachungsausschusses und wie die andern Ausschüsse und Komitees alle heißen mögen, die auf Robespierres Geheiß die Stadt gleich einem Spinnennetz des Argwohns überziehen, entdecken immer neue »Verdächtige«, wittern zu jeder Stunde neuen Verrat. Und die Zwölferkommission, deren Aufgabe es ist, unvermerkt das girondistische Ministerium zu überwachen, ruft in alten Leuten die Erinnerung an »Le secret« Ludwig XV. wach, der nach Tyrannenart ebenfalls Ratgeber und Gesandte ausspionieren und die Spione überspionieren ließ. Unablässig ertönt der Schrei: »Verrat! Verrat!« und unerbittlich schallt das Responsorium aus Robespierres Munde zurück: »Reiniget! Reiniget!« Leute, die in allen Schrecknissen den Witz noch nicht verloren haben, meinen, Paris werde bald so gründlich »gereinigt« sein, daß es keine Einwohner mehr hat. Die Gefängnisse sind überfüllt; man weiß nicht mehr, woher Platz und Stroh nehmen, um ein Nachtlager für die Gefangenen aufzuschütten. »Verdächtig« ist allmählich jeder, der einen vornehmen Namen trägt oder noch Besitz gerettet hat, und solchen Verdächtigen schützt nichts vor Angeberei und Haussuchung, auch wenn er schon bis auf Taschenmesser und Nagelfeile entwaffnet ist. Unablässig kreisen nächtens die Patrouillen, schlagen mit Kolben an die Haustüren, durchwühlen die Wohnungen immer aufs Neue nach den angeblich versteckten Waffen, schleppen fort, was ihnen gefällt, erheben Abgaben nach willkürlicher Taxierung, denn Robespierre wünscht, daß auch der reichste Mann in Frankreich kein Einkommen habe, das jährlich 3000 Livres übersteigt. Wird die Abgabe nicht bezahlt, verfällt der ganze Besitz des Besteuerten dem Staate, und der Mann, der sich gestern noch wohlhabend dünkte, steht heute samt seiner Familie bettelarm auf der Straße. Wer kann, flieht in die Provinz, aber auch die Flucht ist kein einfaches Ding. Die Barrieren sind geschlossen, überall stehen Wachen mit Piken und Bajonetten, die Ausweise, deren man bedarf, und die man immer bei sich führen muß, werden streng kontrolliert, und auch harmlosen Spaziergängern kann es passieren, daß sie unversehens aufgegriffen und zwischen zwei Polizisten ins Stadthaus geführt und streng verhört werden. Das große Mißtrauen geht wie ein Gespenst um, und sein nach Verwesung riechender Atem verpestet jede Gemeinschaft, tötet jedes Gefühl. Der Vater mißtraut seinen Kindern, der Sohn der Mutter, der Freund dem Freund, der Geliebte wird von der Frau verraten, die ihn gestern noch umarmte, Dienstboten, die sonst unterwürfig und dankbar waren, laufen zu irgendeinem Komitee und denunzieren ihre Herrschaft. Jeder ist von jedem bedroht, und wer fühlt, daß er »verdächtig« sein könnte, nächtigt nicht mehr in seiner eigenen Wohnung, sondern bettelt sich wie ein Vagabund Nacht für Nacht bei seinen Freunden herum, verbringt jede in einem anderen Hause, um den Häschern zu entgehen und um nicht durch zu langes Verweilen den Gastfreund »verdächtig« erscheinen zu lassen. Wohl dem, der sich so klein machen, so spurlos verkriechen kann, daß ihn die hundertäugigen Argusse zuerst nicht erspähen und schließlich vergessen, so daß er als ein Verschollener sich in eine bessere Zeit hinüberretten kann. Da mag er dann mit Fug und Recht auf die Frage: »Was haben Sie in all den Schreckensjahren getan?« die einfache Antwort geben: »Ich habe gelebt!«

Das große Mißtrauen geht um, sitzt unsichtbar im Jakobinerklub wie im Konvent, breitspurig zwischen den Girondisten und Radikalen, hetzt sie gegeneinander zum großen Kampfe.

Von der rechten Seite schallt es:

»Richtet die Septembermörder! Richtet sie, auf daß nicht ihr gerichtet werdet! Die edle Republik Frankreich darf nicht durch Blut und Greuel entweiht werden!«

Die Linke überhört scheinbar den immer wiederholten Zuruf, erwidert noch nicht laut, flüstert aber schon leise: »Verrat!« Sind diese Girondisten nicht allesamt Verräter? Fordern sie nicht, daß Marat, der Freund der Armen, der Abgott des souveränen Volkes, wegen Aufreizung zu Plünderungen vor Gericht gestellt werde? Konspirieren sie nicht insgeheim mit Philipp Egalité, der diesen neuen Namen sicherlich nur zum Schein angenommen hat, indessen ihn gelüstet, Frankreichs Diktator zu werden?! Waren sie nicht stets Helfershelfer der vermaledeiten Tyrannen?! Wollten sie nicht an das Volksbegehren appellieren, um das Todesurteil über den König kassieren zu lassen? Stehen sie nicht in geheimer Verbindung mit Pitt und Coburg, um die Republik den feindlichen Mächten auszuliefern? Sie hatten doch schon früher einmal mit dem Gedanken gespielt, einen englischen Prinzen als Herren über Frankreich einzusetzen, – welches Übels also könnte man sich von ihnen nicht versehen?! Man flüstert, man munkelt, man sucht aus der Erinnerung, aus Briefen, Reden und alten Akten Verdächtigungen und Beweise hervor. Sie finden sich, wenn man sie geschickt deutet, nicht allzuschwer, denn die Zeit ist ja noch nicht ferne, da die Linke mit der Rechten brüderlich vereint im Klub saß und man sich eigentlich nur durch den Grad der Leidenschaftlichkeit, nicht aber durch politische Grundsätze voneinander unterschied. Im Konvent sind die Girondisten allerdings in der Majorität, aber was bedeutet eine Majorität gegenüber dem eisernen Willen des souveränen Volkes und seiner von ihm bewaffneten Macht?!

Während die Welle der Verdächtigungen und Verleumdungen leise aber unaufhaltsam immer höher um die Girondisten steigt, geht Robespierre zur nächtlichen Stunde nach einem unscheinbaren Hause in der Rue Contrescrape, das hinter einem hohen Tore versteckt liegt. Das Gäßchen ist dunkel und menschenleer, ab und zu nur huscht eine fragwürdige weibliche Gestalt vorüber, die hier ihr armseliges Handwerk treibt. Robespierre pocht mit dem eisernen Klöppel dreimal an das hohe Tor und wartet, daß es sich öffne. Lautlos weichen die Torflügel zurück. Er tritt ein und steigt drei steile und dunkle Treppen empor, steht vor einer Türe, die sich ihm erst erschließt, als er mit leiser Stimme ein seltsam-klingendes Wort in einer unbekannten Sprache gesagt hat. Nun steht er vor einer weißhaarigen Greisin, deren Gestalt so schmächtig, deren Antlitz so durchsichtig ist, daß sie kaum einer Lebenden gleicht. Doch in den eingesunkenen dunklen Augen leuchtet ein geheimnisvolles Leben, das schon die Unendlichkeit streift, und zum Willkomm hebt sie die Hände mit priesterlicher Feierlichkeit.

Das ist Cathérine Théot, die ehemalige Nonne, die sich als Gottesmutter fühlte und zur Strafe für solchen Frevel drei Jahre lang in der Bastille sitzen mußte. Doch Gefangenschaft, Zeit und Alter haben nicht vermocht, sie der übersinnlichen Welt zu entreißen, und heute ist sie eine Prophetin, die, scheinbar vergessen, in der Rue Contrescarpe der Mittelpunkt einer gläubigen Gemeinde ist. Théot, die nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt ergreist, um sich dann gleich einem Phönix aufs Neue zu verjüngen, Théot verheißt die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Fleisches. Ihre Jünger aber müssen keusch und im »Zustand der Gnade« sein und an den Erlöser glauben, den Théot verkünden und gebären wird.

Robespierre kommt nicht zum ersten Male hierher, kennt die Formeln und Gebräuche des Seherinnenhauses. Er verneigt sich tief vor Théot, berührt, wie der Kult es befiehlt, siebenmal mit den Lippen das Kinn der Greisin, empfängt dafür sieben Küsse Théots, einen auf die Stirn, einen auf den Mund, zwei auf die Augen, zwei auf die Wangen, einen auf das linke Ohr, weil dies das Herz schlagen hört. Dann betritt er an ihrer Seite ein weites Gemach, dessen Fensterläden verschlossen und bis in die kleinste Ritze dicht verstopft sind. Nur wenige Kerzen erhellen es. Auf einer kleinen Estrade steht eine Art von kurulischem Stuhl, vor ihm ein Tischchen, auf dem allerlei seltsame Stiche liegen. Der eine zeigt das Auge Gottes, langbewimpert, im bedeutungsvollen Dreieck, wie primitive Bildner es dachten und darstellten. Ein anderer Jesus am Kreuze, über dem ein Pelikan schwebt, dessen Brust blutet und der sein eigenes Blut mit dem Schnabel nach allen Richtungen hin verspritzt. Auf dem Kreuz steht in lateinischer Sprache: »Drückt mich als Siegel auf euer Herz!« Noch manch anderer Stich, manch anderes Symbol war zu sehen, die meisten in irgendeiner Beziehung zu der Zahl »sieben«, denn:

»Es gibt sieben Gaben des heiligen Geistes.«

»Sieben Siegel der Apokalypse.«

»Sieben Plagen Ägyptens.«

»Sieben Schmerzen Mariä.«

»Sieben Seligkeiten.«

»Sieben Sakramente des neuen Gesetzes.«

Noch viele andere Beziehungen zu der Siebenzahl gab es, und Alle, die hier versammelt waren, neigten sich in Ehrfurcht vor diesen Symbolen und Zeichen, deren tieferer Sinn ihnen verborgen blieb und sie eben deshalb mit köstlichem Schauer erfüllte. Das weite Gemach war schon vollgedrängt von Menschen, und eine sonderbare Gemeinde war es, die sich da zusammengefunden hatte und für Stunden eins war, so verschieden sie sonst auch sein mochte.

Da sind Damen, denen man ansieht, daß sie trotz ihrer einfachen Kleidung dem ehemaligen Adel angehören, und neben ihnen Kleinbürgerinnen, Arbeiterinnen, da und dort sogar eine, die bei Tag als blutdürstige »Patriotin« umherläuft. Kavaliere sieht man, die sicherlich nur durch Glück oder große Geschicklichkeit bis jetzt noch dem Gefängnis entronnen sind, und daneben Soldaten, die morgen oder nächste Woche ins Feld ziehen, junge Studenten und kleine Handwerker, die bei der Stadtverwaltung oder bei der Regierung in Arbeit stehen. Alle Unterschiede der Klassen, der Bildung, der Parteimeinung sind hier verschwunden vor der großen Sehnsucht, die alle diese Menschen erfüllt. Seit Jahren hören und wissen sie nichts mehr als Umsturz, Blut und Mord. Seit Jahren hat man ihnen alles genommen, alles ausgebrannt, was sie einst besaßen und woran sie und ihre Vorväter hingen. Im ersten Sturm und Rausch haben wohl die meisten von ihnen gemeint, es gäbe nichts besseres, als das Alte zu vernichten und das Neue an seine Stelle zu setzen, allmählich aber spüren sie, daß es öde um sie her und in ihnen geworden ist, und sie dürsten nach einer neuen Gemeinschaft, nach einer innerlichen Erhebung, nach Worten, die in die Zukunft weisen und von Höherem sprechen, als von Besitz, Haß und Mord. So haben sie sich um Théot versammelt, die in die Zukunft blickt, die sie wegführt vom Alltag zu einem höheren Dasein, die ihnen verheißt, daß ein neuer Heiland für sie geboren worden ist und daß er ihnen erscheinen wird, wenn sie ihre Herzen rein und für ihn offen halten.

Théot sitzt auf dem kurulischen Sessel, vor dem neben den symbolischen Stichen auch eine aufgeschlagene Bibel liegt. Die schmächtige Gestalt ist in sich zusammengesunken, der Kopf hängt nach Greisenart tief auf die Brust. Aus dem weißen Gewand, halb Nonnenhabit, halb Toga, lugen Hände hervor, die so blutleer sind, daß sie sich von der Farbe des Gewandes kaum unterscheiden. Neben ihr steht eine junge hübsche Person, »die Erleuchterin«, die nach der Bibel greift und aus den Propheten vorzulesen beginnt. Im Halbkreis um die beiden Frauen her sitzt die andächtige Gemeinde, rundum an den Wänden gelehnt stehen viele, die keinen Sitzplatz mehr finden konnten. Geheimnisvoll und beziehungsreich klingt, was die Erleuchterin liest:

»Und der Löwe, der seinen Eisenkäfig zersprengt, verschlingt seine Wärter.«

»Fluch über euch, die ihr Paläste auf Paläste, Ländereien auf Ländereien rafft, so daß kein Raum mehr für die Armen bleibt. Wollt ihr allein denn die Erde bewohnen?« Also spricht der Herr: »Ich schwöre, daß all diese unzähligen Häuser, all diese großen und herrlichen Schlösser niedergerissen und zerstört werden sollen.«

Die Erleuchterin hielt inne. Der vorgesunkene Kopf Théots hat sich ein wenig gehoben, flüsternd dringen Worte von den blassen Lippen. In frommem Schauer lauscht die Gemeinde. Totenstill ist es im Gemach, denn keiner will auch nur einen Hauch der Flüsterworte verlieren.

»Alle Götter waren blutdürstig; selbst in Jesu Namen ist Menschenblut vergossen worden. Der wahre Gott, der eingeborene Sohn der Vernunft will kein abscheuliches Blutopfer, – er kann kein Blut sehen und nicht den Tod über seine eigenen Geschöpfe verhängen, darum werdet ihr alle unsterblich sein.«

Welch frohe Botschaft in dieser Zeit, da unablässig der Tod umging! Welches Glück, zu denken, ja zu wissen, daß dies hier grausam verkürzte Leben nur scheintot war, um in einer anderen Welt herrlich wieder aufzuerstehen! Viele hatten solch holde Lehre wohl in ihren Kindertagen oder auch später noch vernommen. Viele hatten sie vor neuen Göttern vergessen, verhöhnt und geprahlt, daß sie die Erde wollten und weiter nichts … Sie alle aber, gleichviel, ob sie nur noch gewohnheitsmäßig oder lau geglaubt, ob sie Gotteskinder geblieben oder Gottesleugner geworden, lauschten den Worten Théots, als verkündete sie eine neue Glückseligkeit. Kindlich hingegeben, aufgelöst in dem Wunsch, einen Zusammenhang zwischen sich und dem All zu finden, einen inneren Halt, der sie in diesen Tagen des großen Grauens stützen sollte, saßen sie wie sie sonst wohl in der Christenlehre gesessen waren und meinten, Heilandsworte zu vernehmen.

Théots Kopf war wieder auf die Brust gesunken, daß sie einer Schlummernden oder einer Toten glich. Die Erleuchterin griff wieder nach der Bibel, da aber ging ein Ruck durch Théots Körper, die schmächtige Gestalt erhebt sich, strafft sich, der müde Kopf ist zurückgeworfen und die dunklen Augen leuchten mit visionärem Blick. Seltsame Worte dringen von ihren Lippen:

»Das Licht! Das Licht! Es wird euch werden, seine Kreise zittern schon über euren Häuptern! Der Prophet ist geboren, der dem Heiland vorangeht. Ich höre seinen Schritt, der uns durch die Gassen dieser Stadt sucht, ich fühle seine Nähe. Er sucht uns, wie wir ihn suchen; er sehnt sich nach uns, wie wir ihn erwarten. Der Drache geht um, daß er das Lama verschlinge; aber der Prophet wird den Drachen erlegen. Noch aber ist es nicht so weit, noch müßt ihr warten, wachen und zu ihm beten. Noch hält seine Rechte das Schwert der Reinigung, in seiner Linken aber trägt er die Palme, die allen Völkern der Welt Frieden und Glück verheißt. Das Schwert und die Palme und das Licht, das Licht –«

Ihre Augen wurden unnatürlich groß, ihre Gestalt schien zu wachsen, ihre Stimme sank zum Flüstern, als stünde sie in einem Heiligtum. Ekstase war um sie her und ein Schauer bemächtigte sich der Gemeinde, über die aus dem Hintergrund ein halblauter Schrei her drang. Robespierre hatte ihn ausgestoßen.

Am Morgen nach solchen Nächten scholl gleich den Litaneien der Maiandacht sein »Reiniget! Reiniget!« über Klub und Konvent hin, und wie ein Tyrann Roms wünschte er, Paris möchte nur einen einzigen Nacken haben, um alle Verräter mit einem einzigen Streiche zu treffen. Willig kamen Tribunal und Guillotine seinem Wunsche nach. Jeden Morgen leerten sich die Gefängnisse, um die Guillotine zu speisen, aber schon am Abend waren sie wieder voll, denn nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus der Provinz schickte man Scharen von »Verrätern« und »Verdächtigen« her. Die Provinz wurde ja immer rebellischer, lehnte sich immer leidenschaftlicher gegen die Hauptstadt auf, wollte nichts mehr von Einheit mit der jakobinischen Herrschaft wissen, sondern sich von ihr in kleine Sonderrepubliken absplittern. Die Gefängnisse leerten und füllten sich mit der Regelmäßigkeit von Eimern, die in einem Brunnen tauchen und wieder emporsteigen, und die Guillotine fraß mit der Unersättlichkeit eines Ogers Menschenfleisch. Von Kommissären des Konvents geleitet, reiste sie auch in der Provinz umher, verschlang die Verräter an Ort und Stelle zu Lausenden und abertausenden, sofern man sie nicht zu Paaren, immer ein Männlein und ein Weiblein, zusammenband, ein Schiff mit solchen Paaren vollpferchte, es aufs Wasser hinaustrieb und es dann durch Kanonenschüsse in den Grund bohrte. Zuweilen nahm man sich aber gar nicht Mühe und Zeit, die Guillotine aufzurichten oder eine »Wasserhochzeit« zu feiern, sondern kartätschte die Gefangenen einfach auf offenem Markte nieder …

Die große Machtprobe der Jakobiner stand aber noch bevor: der Kampf gegen die Gironde. Verlangten doch diese eigensinnigen Abgeordneten immer noch und wieder die Bestrafung der Septembermörder! Hatten sie sich doch nicht gescheut, eine Anklage gegen Marat zu erheben, die freilich durch einen glänzenden Freispruch des Angeklagten besiegt worden war. Obendrein wollten sie von ihrem Phantasiegebilde einer römischen Republik nicht lassen, – wie also sollte das souveräne Volk mit solchen Verrätern fertig werden, wenn nicht durch Gewalt! Ein Glück nur, daß sie seinerzeit der Entwaffnung aller »Verdächtigen« und der Bewaffnung des Pöbels ihre Zustimmung gegeben hatten, – so wird man leichtes Spiel mit ihnen haben …

*

Die Sturmglocken heulen, Generalappell wird geblasen, die Patrioten laufen wirr durcheinander, greifen zu den Waffen:

»Was gibts?«

»Verrat! Verrat!«

»Wer?«

»Könnt ihr noch fragen?! Wer anders als die verdammten Girondisten!«

In allen Tonarten schallt es also durch die Stadt, aber die Eiterbeule, die so lange verborgen geschwärt hatte, scheint ausgeheilt. Die Aufreizung zum Bürgerkriege will diesmal nicht verfangen, die Stadt bleibt ruhig, denn sie ist müde und möchte endlich ausschlafen von dem wilden Spuk, der seit Jahren über sie hinbraust. Doch die gute Stadt Paris irrt sich, wenn sie meint, daß sie noch einen freien Willen hat. Der Wille der Jakobiner ist viel stärker als der aller bedächtigen Bürger. Die militärischen Sektionen, die eben noch uneins waren, haben sich geeinigt und stehen wie ein Mann hinter der Stadtverwaltung, die schon Proklamationen anschlagen läßt, die das Volk beloben, weil es sich seine Rechte nicht verkümmern lassen will, und ihm die Bereitschaft einer sansculottischen Armee verkünden.

»Freiheit! Freiheit!«

»Wir sind das souveräne Volk!«

»Nieder mit den Verrätern!«

»Zum Konvent! Zum Konvent!«

Sturmglocken, Generalappell … rasselnde Kanonen …

»Zum Konvent! Zum Konvent!«

»Das souveräne Volk fordert, daß der Konvent sich von Verrat reinige! Im Namen des souveränen Volkes fordert die Linke die Verhaftung der girondistischen Abgeordneten!«

Der Konvent weigert sich, weigert sich natürlich nur zum Schein. Er ist ja umzingelt, belagert, ja, wenn er sichs auch nicht eingesteht, so ist er doch gefangen, und schon läuft das Gerücht, daß die bewaffnete Macht keinen Deputierten aus dem Saale lassen wird … Und horch! Welch Schwirren und Brausen, welch fernes Murren, Stampfen, Johlen, Brüllen, das immer näher kommt … Wer es einmal in seinem Leben gehört hat, vergißt es nie wieder, und würde er hundert Jahre alt … Und wäre der Geist des Hundertjährigen auch kindisch geworden, wüßte nichts mehr als die Erinnerung fernster Tage, – dies Schwirren und Brausen, dies Murren und Stampfen, dies Johlen und Brüllen wird in seine verschwommenen Kindheitserinnerungen hineindringen, und wenn er sich die Hölle vorstellt, wird dies ihre Musik sein.

Der Konvent kennt diese höllische Musik. Er sieht das Tiergesicht zu den Fenstern des Sitzungssaales hereinlugen. Und schon stürmen die Anführer der Sektionen herein und hinter ihnen ein wilder Pöbelhaufen, und die Anführer der Sektionen erklären, daß sie für nichts gut stehen können, wenn die »Verräter« nicht festgenommen werden …

Das souveräne Volk hat seinen Willen durchgesetzt: etwa fünfzig Abgeordnete der Rechten werden als Gefangene nach dem Luxembourg gebracht. Etlichen anderen, unter ihnen Roland, gelingt es, nach Caen zu entfliehen. Unverzüglich eilt ein Ächtungsdekret hinter ihnen drein. –

*


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