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18. Kapitel.

Die Sturmglocken heulen, Generalappell wird geblasen, in den Straßen ein Surren, Brausen, Schwirren und Schreien, das über die Gefängnismauern hin zu den Gefangenen hereindringt. Sie brauchen nicht erst zu fragen, was es bedeutet, sie kennen dies Geräusch nur zu gut. Der geheime Eiterherd regt sich wieder und will aufs Neue ausschwären.

Fieberige Unruhe kommt über die Gefangenen, die jetzt erst fühlen, was es heißt, unfrei sein, nicht teilnehmen können an dem, was da draußen vorgeht. Der alte Marquis Crecy meint zwar lächelnd: »Meine Herrschaften, seien wir ganz ruhig, wir sind ja in Sicherheit!«, aber da der Lärm draußen unablässig wächst, steigt auch die Fieberigkeit in den Gefängnissen, denn die Erinnerung an die Septembermorde wird wach. Da sie es denken, überläuft Alle ein Schauder. Sie sind wohl auf den Tod gefaßt, auf die Guillotine, nicht aber auf das Wüten eines rasenden blutgierigen Pöbels … Die Ungewißheit ist schrecklich. Wenn man nur endlich ein Wort, ein einziges Wort erfahren könnte, das sagt, was da draußen vorgeht! Aber immer nur dies Brausen und Schwirren und Surren und Schreien und darüber hin das nervenzerreißende Heulen der Sturmglocke! Es muß etwas Furchtbares sein, denn die Wächter rennen wie besinnungslos hin und her, flüstern, gestikulieren, machen bestürzte Gesichter, doch auf alle Fragen sagen sie: »Wir wissen nichts!« Was geht vor? Ist die große Verschwörung aufgedeckt? Oder windet sich die Stadt im Krampfe neuen Umsturzes?

Vom Frauengefängnis her sickert es endlich leise, o so leise durch: »Es geht um Robespierre! Es geht um Robespierre's Sturz! Und in das Flüstern schleicht sich geheimer Stolz: »Therese Cabarrus hat es gemacht! Sie hat Tallien einen Dolch geschickt und einen Brief dazu geschrieben, einen fürchterlichen Brief! »Morgen muß ich sterben, – bist du ein Feigling, daß du es geschehen läßt?!« Und nun jagen sich die Nachrichten, obgleich die Wärter nach Kräften bemüht sind, die Gefangenen in Unkenntnis zu bewahren.

Nach langer Abwesenheit war Robespierre wieder im Konvent erschienen, hatte die Tribüne erstiegen und alsbald eine große Rede über den neuen Verrat begonnen, der insgeheim lauere, um im geeigneten Augenblick hervorzubrechen und die Freiheit zu erwürgen. Bleich vor Schrecken, mit klopfendem Herzen hing der Konvent an seinem Munde und wartete auf die Namen, die er sprechen würde. Doch noch ehe ein einziger von diesen schmalen Munde gefallen war, sprang Tallien auf, rannte, Theresens Brief auf dem Herzen, Theresens Dolch in der Hand, zur Rednertribüne hin, sprang hinauf, packte Robespierre an der Gurgel, riß ihn herunter und schrie das oft gehörte Wort: »Verrat!« Jawohl, Verrat! Verrat nicht aber von denen, die er preisgeben wollte, sondern Verrat von ihm selber, der kein Republikaner mehr sein wollte und war, sondern ein Diktator, ein Tyrann, wie er auch in alten Zeiten nicht schlimmer geherrscht hatte. Schon beim Fest des höchsten Wesens hatte er ja Worte gesprochen, so voll Anmaßung und Herrschsucht, daß Jeder wußte, wohin er strebte. Eine Geheimsekte hatte sich um ihn gebildet, die ihn als neuen Messias verehrte, und im Tempel war er gewesen, wo immer noch die junge Tochter des Königspaares saß, weil er den wahnwitzigen Plan im Kopfe trug, die Königswaise zu freien und mit ihr den neuerrichteten Thron zu besteigen … –

Nun liegt die Stadt in fürchterlichem Kampf, über dem gleich drohenden Panieren die Namen Robespierre und Tallien klingen. Sie bekämpfen einander grimmiger als feindliche Heere, und da Tallien und die Seinen schon lange geschickte Wühlarbeit getan haben, scheint sich das Glück für sie zu entscheiden, Robespierre und die Seinen werden gefangen genommen und ins Luxembourg geschickt. Doch die Macht und der Schrecken, die seinem Namen innewohnen, sind so groß, daß die Wärter des Luxembourg nicht den Mut haben, dem Befehl der Sieger zu gehorchen und die Aufnahme der Besiegten verweigern.

»Dann ins Rathaus mit ihnen!«

Aber das Rathaus schwört auf Robespierre, und die Sturmglocke heult, um die bewaffnete kommunistische Macht aufzubieten, daß sie den bedrohten Herrn und Meister zu Hilfe eile. Zwei Tage dauerte dieser wütende Kampf, dann kommt das Ende. Robespierre, sein Bruder, der junge Lebas und der ganze Anhang sind geächtet, vogelfrei erklärt, und während Lebas sich erschießt, werden die andern überwältigt, in die Conciergerie geschleppt und noch am selben Tage als Verräter gerichtet.

Die Gefängnisse springen auf. Mit übernächtigen Gesichtern, langgewachsenen Haaren und Bärten, an den heruntergekommenen Kleidern noch die Halme faulender Strohsäcke, entsteigen Scharen von Gefangenen ihren Gräbern. Ihnen entgegen brandet die Stadt, befreit, aber noch betäubt, noch ungläubig, noch voll ergreifender Angst, daß alles nicht wahr sein oder sich wiederum wenden könnte. Aber es bleibt Wahrheit. Die Schreckensherrschaft ist vorbei. Die Hunderttausende, die aus den Häusern in die Straßen drängen, die Tausende, die ihren Gräbern entstiegen sind, fluten in mächtigen Chören durcheinander, und sie alle, gleichviel, ob sie eine Gottheit anbeten oder schmähen, werfen die Arme zum Himmel empor, jauchzen in brausendem Jubel: »Leben! Leben!«

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