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16. Kapitel.

Robespierre arbeitete an dem Entwurf für »Das Fest des höchsten Wesens«. Wie auch die Atheisten insgeheim zetern und spotten mochten, wie sie auch ihren nackten Göttinnen anhingen, – er hatte es durchgesetzt, daß dem Volke Frankreichs ein neuer Gott gegeben werden sollte, eine einfache, gütige Gottheit, die jeder begriff und die jeden umfing, – die Natur. Sie war das höchste Wesen, dem zu Ehren das große Fest geplant war, das in dem Champs Elysées stattfinden würde. Zeichner, Künstler, Tapezierer, Schneider, Handwerker hatten alle Hände voll zu tun, und in allen Häusern rauschte es von Festgewändern. An allegorischen und symbolischen Darstellungen sollte kein Mangel sein. Feierlich würde eine Statue des Atheismus verbrannt und eine Huldigung vor einem Standbild der Natur dargebracht werden. Gruppen von Greisen, Müttern, Säuglingen, Kindern sollten in einem Festzug schreiten, der ganze Konvent würde daran teilnehmen, gegürtet mit dreifarbigen Schärpen, sanft umspannt von einem dreifarbigen Band, das weißgekleidete Kinder hielten. Jedes Konventsmitglied sollte nach Robespierres Wunsch einen Strauß von Blumen, Ähren und Früchten in der Hand tragen. Militärischer Prunk durfte natürlich auch nicht fehlen, und wenn die Junisonne gnädig war, und unter ihrem Schein Robespierre einer nach vielen Tausenden zählenden Menge die festliche Ansprache hielt, in der er ihr den neuen Gott schenkte, dann würde die Stadt ein Schauspiel erleben, so erhaben, wie sie noch keines je gesehen hatte. Trotz Konvent und Klub fand er immerfort Zeit, an seinem Festprogramm zu arbeiten, zu verbessern und die Festrede zu memorieren. Meist ließ er sich jetzt vor Besuchen verleugnen, aber als er Adalberts Stimme hörte, öffnete er die Türe seines Zimmers und sagte:

»Das Gebot gilt nicht für dich! Komm nur herein, denn ich habe dich lange nicht mehr gesehen. Erst jetzt merke ich, wie lange es her ist! Allzuviel Zeit habe ich freilich nicht, aber eine halbe Stunde läßt sich wohl erübrigen!«

Nun saß Adalbert ihm gegenüber, gerade so wie vor Jahren, als Robespierre sich ihm erschlossen und ihm das Schillersche Buch geschenkt hatte. Eine kleine Weile blieb es still zwischen ihnen. Adalbert war befangen, suchte das rechte Wort und konnte es nicht gleich finden. Robespierre war mit seinen Gedanken schon wieder bei dem Fest und merkte nicht, wie seltsam es war, daß sie beide schwiegen. Dann hob Adalbert langsam, mit gepreßtem Atem an:

»Maximilian, erinnerst du dich noch der Zeit, da wir zusammen von Jean Jacques' Reich schwärmten? Weißt du noch die Stunde, in der du mir in ein Buch die Widmung schriebst: »Freiheit oder Tod«?«

Ernsthaft entgegnete Robespierre: »Die Stunde, in der du mir geschworen hast, mir treu zu bleiben bis zum Tode! Glaubst du, daß man solche Stunde vergißt?«

»Man vergißt viel!« sagte Adalbert leise, erschrak aber gleich über seine Worte, als er Robespierres Gesicht sah und den inquisitorischen Ton vernahm, mit dem jener fragte:

»Was willst du damit sagen?«

»Nichts. Es war nur eine allgemeine Betrachtung.«

Das Mißtrauen gab sich aber mit solcher Erklärung nicht zufrieden. Ein paar Minuten wartete Robespierre auf eine Erklärung, dann sagte er schulmeisterlich und zugleich spöttisch:

»Du bist doch wohl nicht gekommen, um Sentenzen über Vergeßlichkeit zum Besten zu geben! Ich habe dir schon gesagt, daß ich nicht viel Zeit habe. Willst du mir also nicht in Kürze sagen, was dich herführt? Denn es führt dich etwas Besonderes her, das sehe ich dir an!«

Adalbert holte tief Atem. Er hatte sich vieles, was er sagen wollte, zu Hause wohl überlegt, aber nun, da er diesem von Mißtrauen erfüllten Gesicht, diesem verschwommenen Blick gegenübersaß, merkte er, daß die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, schwerer war, als sie zu Hause aussah. Schüchtern legte er seine Hand auf Robespierres Arm:

»Maximilian, ich bitte dich, höre mich ruhig, höre mich gütig an! Ich möchte zu deinem Herzen sprechen, das einmal weich und zärtlich war –«

Robespierre blieb einen Augenblick stumm, hatte die Lider gesenkt und seine Hand spielte mit einem Federmesser. Nach einer Weile sagte er:

»Mein Herz ist unverändert. Es glüht für das Gute und haßt das Böse.«

»Das Böse,« wiederholte Adalbert in traurigem Ton. »Ach, Maximilian, das Böse liegt in dir. Das Böse, das dich uns allen entfremdet hat, ist dem eigenes Mißtrauen!«

»Ich mißtraue noch lange nicht genug!«

»Das ist dein schrecklicher Wahn, der dich taub und blind und gefühllos macht. Mißtrauen – Verrat –, von anderem weißt du nichts mehr. Du hörst nicht mehr, was um dich her vorgeht; du siehst nicht, wie entsetzlich sich die Stadt unter deiner Hand verwandelt hat –.«

Robespierre sah ihn erstaunt an.

»Verwandelt!? Ich sehe sie doch jeden Tag, wenn ich in den Konvent gehe oder in den Klub. Sie sieht aus wie immer, nur daß sie vielleicht um etliche Verräter weniger zählt!«

In Adalberts Kehle saßen Zorn und Tränen, die als bitteres Lachen aus seinem Munde drangen.

»Etliche?! Tausende, Zehntausende sind geopfert worden.«

»Möglich! Was bedeuten Menschenleben, wenn es sich um die Grundsätze der Republik handelt!«

»Grundsätze!« rief Adalbert heftig, »was sind denn eure Grundsätze! Tod, Tod und immer wieder Tod! Ein Schlachthaus hast du aus Paris gemacht, und du, der einst ein Erlöser sein wollte, du bist zum Scharfrichter geworden.«

In Robespierres fahles Gesicht stieg eine rote Welle. Er sagte scharf und sehr hochmütig:

»Nimm dich in acht! Mir scheint, du mißbrauchst meine Güte, weil ich bis jetzt allzu nachsichtig gegen dich war!«

»Nachsichtig? Nachsicht gebührt nur einem Schuljungen oder einem Verbrecher. Ich bin keines von beiden.«

Robespierre gab keine Antwort. Um seinen Mund trat ein verstecktes Lächeln, das Adalbert nicht zu deuten wußte und das ihn doch frösteln machte.

»Allerdings bist du weder ein Schuljunge noch –,« er brach ab.

»Früher einmal nanntest du dich meinen Freund!«

»Ich bin es noch, ich bin es heute noch, und mein heißer Wunsch wäre, es immerfort zu sein. Weil ich es bin, stehe ich heute vor dir und spreche zu dir, wie ich sprechen muß!«

Und nun flossen ihm die Worte heiß und eindringlich von den Lippen, ganz so, wie die schrecklichen roten Fußspuren, die draußen warteten, es geboten. Von den Greueln sprach er, die von Sonnenaufgang bis Sonnenniedergang diese Stadt erfüllten, von der Angst, die sie unablässig durchzitterte, von den Karren, die fünfzig, hundert, hundertfünfzig Menschen auf einmal zum Richtplatz schleppten, von dem Lebensmut, der dahinstarb wie ein Schwindsüchtiger, von den Hunden, die das Blut der Gefangenen leckten …

Hier machte Robespierre eine Bewegung des Abscheus:

»Ja, das ist über alle Maßen abscheulich. Ich habe auch schon den Auftrag für eine Wasserleitung gegeben, die das Blut direkt in die Seine spülen soll!«

Adalbert schrie auf. War solches Mißverständnis überhaupt möglich! Er, er redete von Menschenschicksalen, und Robespierre sprach von einer Wasserleitung. – Am liebsten wäre er fortgestürzt von diesem Manne, von diesem Hause; aber die roten Fußspuren draußen mahnten ihn, daß er nicht gehen dürfe, ehe nicht alles gesagt war, daß es seine Pflicht war, hier zu stehen und standzuhalten. Er zwang sich zur Ruhe.

»Oh, wenn mit einer Wasserleitung alles getan wäre, dann wären wir alle sehr glücklich. Aber es genügt nicht, das Blut fortzuspülen. Erst müssen deine Blutbefehle weggefegt werden –«

»Meine? Das Gericht spricht!«

»Das Gericht spricht, wie du es willst. Es fürchtet dich, wie alle dich fürchten.«

»Sie fürchten mich, weil ich ein gerechter Richter bin und jeden durchschaue.«

»Aber das Letzte durchschaust du nicht, und weil du immerfort richtest, wirst du dich und uns alle zugrunderichten, die dir je angehangen und an dich geglaubt haben!«

Und im Ton großer, beschwörender Angst:

»Höre mich an, denn ich sage dir die Wahrheit. Kein anderer von allen wagt sie dir zu sagen, weil alle vor dir zittern. Maximilian, über jedes Bett in Paris beugt sich Nacht für Nacht die Nachtmahr, und immer trägt sie dein Gesicht. Nicht nur deine Gegner, nein, auch deine Freunde zittern vor dir, denn allzuviele hast du schon geopfert, und keiner, den du heute brüderlich umarmst, weiß, ob er nicht morgen schon den Karren besteigt … Ich aber fürchte mich nicht. Ich habe dich geliebt, ach, wie sehr! Ich habe an dich geglaubt, ich habe in dir den Menschen gesehen, der Jean Jacques' Reich aufrichten wollte.«

Und, ohne daß er selber wußte wie, wurde seine Stimme sanfter, und in zarten Tönen ließ er aus der Erinnerung die Zeit emporsteigen, da sie beide miteinander geträumt und geschwärmt hatten und die nun schon so weit hinter ihnen lag –

»Aber alles ist anders gekommen, alles hast du zerstört, was damals so leuchtend vor uns emporstieg. Der Vollstrecker von Jean Jacques' großem Testament wolltest du sein, und nun schändest du deinen Namen, von dem ich meinte, daß er wie ein Fanal der Güte über künftige Geschlechter hinstrahlen sollte. Nun tauchst du ihn Tag für Tag in Blut, und die Geschichte wird ihn neben die großen Tyrannen setzen. –«

Regungslos, in sich zusammengesunken, hatte Robespierre zugehört und nur immer nervös mit dem Federmesser gespielt. Nun warf er es beiseite, richtete sich straff auf und sprach im Tone einer Verkündigung:

»Mein Name wird auf der Seite stehen, wo die großen Religionsstifter verzeichnet sind. Armseliger Geist, der du mir immerfort von Menschen und menschlichen Dingen sprichst! Ich schenke der Menschheit Kostbareres als Leben, Glück und Ruhm. Ich schenke ihr einen neuen Glauben. Beim Fest des höchstens Wesens führe ich das entgötterte Land wieder einer Gottheit zu, und dann wird die Welt voll Staunen und Neid auf Frankreich blicken, das sich wieder gläubig neigt ohne von abergläubischen Pfaffen in Fesseln gelegt zu werden. Ein freies Land – ein freier Glauben. Das ist die Sendung, zu der ich berufen bin!«

Adalbert stand fassungslos vor dieser ungeheuerlichen Anmaßung und Verblendung. Angst und Mitleid stiegen in ihm empor, als sähe er einen Menschen, der eigensinnig, unbeirrt eine schwindelnde Höhe ersteigen will, von der er abstürzen muß.

»Ein Religionsstifter willst du sein! Zu einem neuen Glauben willst du die Menschheit führen! Ach, wie weltfremd bist du, wie lebst du in Phantasten, und wie hast du einen Bannkreis um deine Seele gezogen, in den nichts von der schrecklichen Wirklichkeit hineindringt! Du sitzest im Konvent und hörst oder sprichst pathetische Worte, du erscheinst im Klub und läßt dir einreden, daß die Stadt von Verschwörern wimmelt, du entwirfst Pläne für dein Fest des höchsten Wesens und weißt nicht, ob das Volk überhaupt begreift, was du mit deinem neuen Glauben willst, und du unterzeichnest Todesurteile nach hunderten, nach tausenden, und jedes ist für dich nur ein Federstrich, weil du dir gar nicht vorstellst, wieviel Jammer ein vollstrecktes Todesurteil bedeutet, Sage, hast du jemals einen der Karren gesehen, wie sie nach der Guillotine fahren?«

»Nein!«

»Aber ich, ich habe einen gesehen. Ich stand auf der Straße, als die Corday zum Richtplatz fuhr.«

»Ich weiß es. Du standest mit entblößtem Haupt, verneigtest dich tief und bliebst in dieser Haltung, bis sie vorüber war!«

Adalbert starrte ihn überrascht an. Robespierre sah mit Genugtuung die Wirkung seiner Worte, sagte gelassen:

»Warte, ich kann dir gleich noch mehr über dich selber berichten.«

Er zog ein Schubfach auf, nahm eine kleine Mappe zur Hand, in der alphabetisch geordnet beschriebene Zettel lagen, von denen jeder als Kennwort einen Namen am oberen Rand der Seite trug. Er suchte den Zettel mit Adalberts Namen, hinter dem in Klammer vermerkt war:

»Ein Fremder, daher besonderer Aufmerksamkeit wert!« und las, das Blatt dicht vor die Augen haltend, dem Erstaunten vor:

»Der Bürger ist am 7. Tag des Blütenmonats scheinbar gleichgültig unter dem Volk gestanden, das die Corday erwartete. Er hat zuerst mit niemandem gesprochen und sich unauffällig betragen. Als der Karren sichtbar wurde, zog er den Hut, verbeugte sich tief, wie man sich früher vor dem Tyrannen verbeugte und blieb in dieser Haltung längere Zeit stehen. Hinter ihm rief der Mainzer Deputierte: »Sie ist größer als Brutus«; worauf der Bürger den Deputierten am Ärmel fortzog in eine Seitengasse, in die ihnen erregte Patrioten folgten. Sie gingen hier eine Weile in erregtem Gespräch, das nicht verstanden werden konnte, weil sie nicht unsere Sprache sprachen. Sie blieben einmal vor einem Buchladen stehen, offenbar in der Hoffnung, eine konterrevolutionäre Schrift zu entdecken, einmal fuhr der Mainzer Deputierte auch in seine Rocktasche und zog ein Taschentuch hervor, mit dem er sich über die Stirne fuhr. Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Bewegung das Geheimzeichen eines verbrecherischen Bundes ist, oder daß der Deputierte eine Waffe in seinem Rock trug. Der ihn begleitende Bürger benahm sich im allgemeinen unauffällig, doch empfiehlt es sich, da er ein Fremder ist, ihn nicht aus dem Auge zu lassen.«

So wenig Adalbert zur Heiterkeit gestimmt war, überfiel sie ihn doch für einen Augenblick, als Robespierre ihm mit großer Ernsthaftigkeit diese hochtrabende Absurdität vorlas. Doch schnell verflog die Heiterkeit, und geringschätzig sprach er:

»So weit also bist du schon! Niemand ist mehr vor deinen Spionen sicher und selbst mich läßt du überwachen, mich, der ich dir doch eben beweise, daß ich alles, was ich sagen will und meine, dir offen ins Gesicht sage!«

»Man kann nie wachsam genug sein! Ich bin schon zu oft hintergangen, die Republik ist schon zu oft verraten worden!«

Eine kleine Pause entstand. Dann begann Adalbert wieder zu sprechen, ruhig, eindringlich, mahnend und beschwörend. Er sprach von den Widersachern Robespierres, die sich, er spürte es, mehren und mehren mußten, je verheerender das unstillbare Mißtrauen des Unbestechlichen wütete. Seine Worte versuchten den Wall zu überklettern, den es um Robespierres Herz aufgerichtet hatte, aber kraftlos glitten sie ab, wie Menschenfüße von einer stählernen Wand. Robespierre fragte nur hastig:

»Was weißt du? Ich will wissen, was du in Erfahrung gebracht hast.«

»Nichts. Ich weiß nichts Bestimmtes. Wer müssen nicht neue Feinde aus einem Boden wachsen, der unablässig mit Mißtrauen geackert und mit Blut begossen wird?!«

Wieder richtete sich Robespierre straff auf. Sein verschwommenes Auge glühte, und der schmale Mund zitterte vor Erregung. Er streckte die Hand mit einer Herrschergeste aus:

»Ich will dir glauben, daß du nichts weißt und an nichts teil hast. Aber dieses sage ich dir, damit du es laut allen verkünden magst, die sich mit geheimen Plänen tragen: »Wer wider mich ist, der fällt!«

Wieder starrte ihn Adalbert fassungslos an. War das überhaupt ein Mensch, der da vor ihm saß? War es nicht ein Spuk, der menschliche Gestalt angenommen hatte, den aber kein Menschenwort erreichen konnte? Glich er nicht dem gespenstischen Ritter der Sage, der sich jedesmal in Nebel auflöst, wenn das Schwert ihn durchbohren will? Seit einer Stunde redete Adalbert nun auf diesen Spuk ein, rang mit ihm, beschwor ihn, zur Menschlichkeit zurückzukehren, suchte ihn mit allen Bildern der Schrecknisse und der Qualen zu rühren, doch nichts erreichte ihn, und als Antwort auf alles kam immer wieder wie ein Nebelschwaden das Wort: »Verrat!« Ein Spuk – aber nicht immer war er ein Spuk gewesen, und in der Erinnerung an den Robespierre von früher spürte Adalbert wieder das tiefe Erbarmen. Verzweifelt rief er:

»Willst du mich denn nie verstehen?! Kann es denn nie mehr anders sein, als daß wir aneinander vorbeireden?! Ich bettle um Gnade, um Menschenleben, und du antwortest mir: »Jeder, der wider mich ist, fällt!« Maximilian, mich läßt ein Bild nicht mehr los: mir ists, als sähe ich dich in einem dunklen Zypressengang hineingehen, aus dem du nie mehr zurückfinden kannst, nie mehr zu uns und dem Leben, das doch einst so schön und so glückverheißend war! Ich sehe dich, wie du ganz allein immer tiefer hineinschreitest, wie es immer dunkler und kälter um dich wird, und ich rufe dich, wie man in Angstträumen ruft, aber meine Stimme erreicht dich nicht, so laut ich auch schreie und meine, ich müßte dich halten können. Aber ich kann dich nicht halten, und du gehst immer tiefer in den dunklen Gang hinein, in dem du erfrieren mußt!«

Robespierre schüttelte leise den Kopf, als spräche ein Kind. Überlegen und in geheimnisvollem Ton sagte er:

»Ins Helle schreite ich, ins Licht! Licht wird um mich sein, sobald die letzte große Reinigung vollendet ist!«

Da geschah, was keiner von beiden je für möglich gehalten hätte: Adalbert fiel Robespierre zu Füßen. Er ergriff seine Hände, rüttelte sie, als könnte er so das wallumschlossene Herz wankend machen, und das junge Gesicht war blaß von der Erregung dieses Augenblicks und der äußersten Selbstüberwindung:

»Maximilian, in meiner Heimat war ich ein Fürst und habe doch nie geduldet, daß einer vor mir kniete, weil es mir unwürdig schien, daß ein Mensch sich vor dem andern erniedrigt. Nun habe ich alle Würde hinter mich geworfen und knie vor dir, ich, ein fremder Fürst! Ich knie vor dir und flehe dich an, daß du Erbarmen haben mögest mit diesem Lande, mit uns allen und nicht zuletzt mit dir selber. Dein Weg ist unser aller Todesweg. Ich habe dir einmal geschworen, daß ich dir folgen will bis zur letzten Stunde, – mache es mir nicht unmöglich, meinen Schwur zu halten! Wir stehen an einem Kreuzweg; der eine führt zu dir, der andere zur Menschlichkeit; aber auch wenn du der Gott wärest, den du verkünden willst, kann ich dir nicht länger folgen!«

Tränen liefen ihm über das Gesicht, und zum letzten Mal versuchte er mit aller Kraft der Erinnerung die Zeit heraufzubeschwören, in der sie beide vereint den gleichen Weg gegangen waren. Aber alles, was er sagte, kam ihm arm vor, neben dem Sturm, der ihn bewegte und vor dem regungslosen Gesicht Robespierres …

Regungslos war dies Gesicht, und doch schrie im Innern dieses Mannes ein Triumphgefühl, wie er noch keines gekannt hatte. Gekrönte Häupter hatten sich nach seinem Gebot auf den Block legen müssen, Prinzen von Geblüt waren geächtet worden, den sansculottischen Charles Hesse hatte er aus der Armee ausgestoßen, weil er ursprünglich Prinz Karl von Hessen hieß, aber von ihnen allen hatte keiner vor ihm gekniet. Ein Fürst bettelte zu Robespierres Füßen, – er genoß dies Schauspiel ein paar Sekunden lang, ohne Adalbert die Hände entgegenzustrecken, als könne er sich an diesem Anblick nicht sattsehen. Dann riß er den Knieenden jählings empor, warf sich an seine Brust und unhörbares Schluchzen schüttelte ihn. Er war jetzt wie ein Mensch, der auf der Flucht vor sich selber ist. Ein oder zwei Minuten, dann löste er sich aus Adalberts Armen und deutete ihm durch eine Bewegung an, daß er allein sein wollte …

Adalbert ging, Robespierre setzte sich wieder zu seinem Festprogramm. Alle Erschütterung war geschwunden, und sorgsam prüfte er die Einteilung der Gruppen, wie er sie die Festordner aufgezeichnet hatten. Dazwischen nahm er einmal aus seinem Notizbuch einen Zettel und schrieb einen Namen auf …

Zwei Tage später wurde Adalbert nachts durch Kolbenschläge an seiner Türe aufgeweckt. Ein Trupp Polizeisoldaten stand da, hatte den Befehl strenge Haussuchung zu halten und ihn unverzüglich in das Gefängnis Laforce einzuliefern.

*


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