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Erstes Kapitel.

Es hatte den Tag über geregnet; Schloß Goczyn stand in den aufdampfenden Nebeln. Von den Bäumen fielen die Tropfen auf die Steine, ein Geräusch veranlassend, das allein die unheimliche Stille des dumpfen, kalten Abends unterbrach. Wären die Bäume nicht grün gewesen, man hätte sich, statt im Juni, im November geglaubt.

Auch im Schlosse war es ruhig. Die Thore waren für die Nacht geschlossen worden, und die Dienerschaft hatte sich in einem der gewölbten Räume des Erdgeschosses zur Abendmahlzeit versammelt. Einem Fremden, der sich verirrt und dann plötzlich das Schloß erblickt hätte, wäre der düstere schweigende Bau, wie er in undeutlichen Umrissen vor ihm stand, vielleicht wie ein Traumgebild erschienen; einem Dichter gewiß.

In einem der oberen Zimmer, dessen Einrichtung eine geschmackvoll phantastische Vermischung alter Pracht mit modischer Behaglichkeit zeigte, saßen Alexander und Edgar von Aarhausen, beides hochgewachsene junge Männer, von vornehmer Haltung, mit blondem Haare und hellen geistvollen Augen. Der erste mochte ein und dreißig Jahre zählen, der andere etwas jünger sein. Es waren edle Gestalten, wie sie in dieses Schloß gehörten, einander sehr ähnlich und doch völlig von einander verschieden; Alexander ein Vorwurf für den Maler, Edgar eine Erscheinung für den Dichter, das heißt für einen Dichter unserer Zeit.

Wie draußen, war es auch im Zimmer still. Beide Brüder schienen mit den verschiedenen Büchern und Zeitungen beschäftigt, welche den Tisch vor ihnen bedeckten. Daß sie es nicht waren, sah man leicht, nur daß Edgar mit Ruhe an etwas Anderes zu denken schien, während Alexander unruhig und zerstreut war.

Das Schweigen dauerte lange. Die Schloßuhr schlug zehn. Beide junge Männer hörten unwillkührlich auf die hohlen Schläge, welche langsam aufeinander folgten. Als der letzte in dem weitläufigen Gebäude verhallt war, nahm Alexander seine Uhr zur Hand und stellte sie etwas vor. Dann blickte er in das dämmerige Dunkel, welches die Lichter auf dem Tische in dem langen Zimmer nicht zu zerstreuen vermochten, und fragte wie mit einem plötzlichen Entschlusse, aber anscheinend ohne Bewegung: »Und Clementine? hast Du sie nach meiner Verlobung gesehen?«

Edgar zog eine Zeitung auseinander und antwortete ruhig: »Nein; wozu wäre das gewesen? Auch ist sie bald nachher abgereist.«

»Nach dem Rheine?« fragte Alexander.

»Nach Preußen, zu ihren Verwandten;« antwortete Edgar. Wieder schwiegen Beide einige Minuten; endlich richtete Edgar seinen ruhigen Blick auf den Bruder und sagte: »Du hast das Eis gebrochen; ich gestehe, daß ich Dich nicht begriffen habe.« Alexander sah vor sich nieder, Edgar fuhr fort: »Kannst Du mir einen Grund für Deinen Entschluß angeben, und willst Du es?«

»Ich liebte sie nicht.«

»Das wußt' ich.«

»Und begreifst mich dennoch nicht?«

»Liebst Du denn Deine Braut?«

»Nein;« sagte Alexander mit trübem Lächeln.

»Liebt sie Dich mehr, als Clementine Dich liebte?«

»Gewiß nicht.«

»Sie ist hübscher?«

»Hübscher und jünger; doch was ist das für mich!«

»So hat der Adel Dich bestimmt?«

»Vielleicht; und warum auch nicht, da ich ganz ohne Leidenschaft wählte?«

»Noch immer diese Thorheit?« fragte Edgar mit spöttischem Lächeln.

»Jetzt und immer. Aber warum verstellst Du Dich selbst gegen mich?«

»Du irrst; was ich fühle, gehört nicht hierher; was ich aber sage, denk' ich. Deine Gesinnung ist der Zeit gegenüber eine Thorheit.«

»Möglich, oder lieber gewiß. Aber laß uns nicht noch einmal darüber streiten. Ich ändere die Zeit, Du änderst mich nicht. Hätte ich Clementinen geliebt, so würde meine Liebe meine Gesinnung besiegt haben; selbst jetzt hat diese mich nicht bestimmt, nur mit geleitet. Mein Grund ist ein anderer: ein armes Mädchen durft' ich ohne Liebe wählen, ein reiches nie.«

»Wie Clementine Dich liebte, würde sie sich mit jedem Gefühle, das Du ihr geboten, begnügt haben.«

»Glaubst Du das wirklich?« fragte Alexander; das tiefste Weh zog über sein edles Gesicht, und er setzte hinzu: »Edgar, Du hast noch wenig gelernt!«

»Ja, ich bin ein etwas ungelehriger Schüler,« sagte Edgar kalt; »aber glaubst Du, Deine Braut werde sich immer mit dem begnügen, was Du noch zu bieten hast, und was sehr wenig sein muß, da Du so äußerst bescheiden im Anbieten bist.«

»Wenn ich es nicht glaubte, wäre sie nicht meine Braut!« antwortete Alexander mit Ruhe. »Ich glaube es nicht nur, ich bin dessen gewiß; sie ist ein einfaches Kind, das die Leidenschaft kaum dem Namen nach kennt. Sei versichert, Edgar,« setzte er ernster hinzu, »ich habe gewählt, was das Beste für mich war, das Beste auch für Clementinen. Jetzt leidet sie nur, mit mir wäre sie unglücklich geworden; leiden ist aber besser als unglücklich sein.«

Er stand auf und reichte dem Bruder die Hand. Edgar drückte sie mit mehr Herzlichkeit, als man ihm zugetraut haben würde, und sie trennten sich für die Nacht, aber nicht, um zu ruhen. Alexander lehnte sich, in sein düsteres Schlafzimmer eingetreten, schweigend an das Fenster, welches über Graben und Brücke hin eine Aussicht in den Garten gewährte, in dessen Bäumen jetzt ein hohler Wind laut zu werden begann. Edgar ging in dem stets für ihn bestimmten und ihm deshalb völlig heimischen Zimmer mehrmals auf und nieder und setzte sich dann zum Schreiben.

Alexander dachte an das Mädchen, von welchem er mit Edgar gesprochen hatte. Er machte sich Vorwürfe. Er hatte Clementinen nicht verlockt, ihn zu lieben; aber er hatte ihre Neigung empfunden und sich ihr nicht eher entzogen, als bis es zu spät war. Der Zauber, sich in einem reinen Herzen zu wissen, hatte ihn gebannt, und als er ihn brach, mußte er dieses Herz mit brechen. Das fühlte er nun, und fühlte mit diesem edlen Schmerz zugleich zum tausendsten Male den brennenden der Stunde, in welcher einst sein Herz zerrissen ward. Er mußte aufs Neue mit aller seiner Kraft gegen seine Weichheit kämpfen, er wollte um jeden Preis überwinden und rief mit festem Willen das Bild seiner Braut zu Hülfe. Sie erschien ihm in ihrer Jugend, ihrer Sanftmuth, ihrer kindlichen Schüchternheit; er verweilte mit Rührung auf diesem reinen Bilde und sagte endlich mit würdigem Vertrauen: »ich kann noch glücklich werden.«

Edgar schrieb:

 

»Sie wollen, daß ich Ihnen von hier aus schreibe, Hortense, und ich thue Ihnen wie immer den Willen. Thu' ich damit doch auch meinem Herzen den Willen! Es hat sich's gefallen lassen müssen, von mir aus Ihrer Nähe genommen zu werden; da kann ich's ihm wol erlauben, daß es jede stille Stunde benütze, um bei Ihnen zu sein.

Zürnen Sie, daß ich Sie verließ, Hortense? Es schien mir so bei dem letzten Kusse; aber thun Sie es nicht. Es ist wahr, ich konnte mit Ihnen unter Blüthen und Nachtigallen sein; wir hätten köstliche Stunden verlebt, während ich jetzt die Gewißheit habe, eben diese Stunden ganz gleichgültig hinzubringen, und Sie am Ende aus langer Weile eifersüchtig auf – Ihren Mann werden. Aber ich mußte fort, Hortense. Der Kopf brannte mir, ich lechzte nach anderer Luft, als der, die ich täglich einathme; ich mußte reisen, mich aus mir selber aufrütteln, gleichgültige Gesichter sehen und tausend Dinge in einem Augenblicke hören, um sie im nächsten wieder zu vergessen. Das Einerlei bleibt eben, was es ist, selbst wenn es Sie in sich begreift, Hortense. Ich wäre unerträglich gewesen diesen Winter, wäre ich geblieben, und es ist eben so um Ihret- als um meinetwillen, daß ich reise. Oder denken Sie nicht mehr an einige Abende in den letzten Wochen? Ich sollte es nicht meinen; sie waren nicht dazu gemacht, und dergleichen würden Sie ohne meine Flucht noch öfter und noch schlimmer erlebt haben. Komm ich aber zurück, so wird es so erträglich sein, als ich überhaupt sein kann.

Wie soll ich mir Sie jetzt denken, Schwärmerin? Ich meine, am Flügel sitzend, mit der linken Hand gedankenlos Accorde suchend, während die rechte herunterhängt, weil ich nicht da bin, um sie zu fassen. Und wie erscheine ich Ihnen? In lauter Nebel und Schauer eingehüllt, darauf wollte ich wetten. Aber es ist nicht so arg hier in unserem Schlosse; es sieht nur von Weitem, und wenn ich in phantastischer Laune es zeichne, so grausig aus; wirklich drinnen lebt sich's wie überall. Ich spreche nämlich von dem eingerichteten Theile; in dem andern, der noch dazu der größere ist, hausen allerdings sowohl Eulen als Fledermäuse, und eben dieser Gegensatz nimmt dem Comfort hier das Langweilige. Auch liebe ich Goczyn und wünschte, daß Sie es einmal sähen, damit Sie Alexander kennen lernten, denn in Ihrem Gesellschaftszimmer haben Sie ihn nur gesehen. Unser gesellschaftliches Leben ist kein Hintergrund für seine Gestalt; er hätte in das sechszehnte Jahrhundert gepaßt, wo der letzte Glanz des Ritterthums sich mit dem ersten der Verfeinerung verschmolz. In diesem Lichte denken Sie sich ihn, wie er Sammet trägt, im Harnisch kämpft, Maria Stuart liebt und für sie stirbt. – Doch ich fürchte, ich verschwende meine Mühe, Ihnen sein Bild zu malen, denn Sie grollen ihm ja. Und warum? Weil er nicht lieben konnte. Daß in euren Augen das doch immer unser größtes Unrecht ist! Wir können Alles begehen, nur sollen wir auch lieben. Daß er nicht lieben konnte, ist Alexanders einzige Schuld; er wollte Clementinen für ihr glühendes Gefühl kein lauwarmes bieten. Ich an seiner Stelle hätte sie geheirathet, sofern sie mich gewollt hätte, wie ich war. Entscheiden Sie nun, wer Recht habe. – Ich schreibe eilig, denn ich werde müde. Der guten B. meinen besten Gruß: wahrlich, sie ist ein Muster von Freundschaft, Briefe an sich richten zu lassen, die für eine Andere geschrieben sind. Leben Sie wohl, Hortense, und bewahren Sie mir mein Glück.

Ihr Edgar

 

Fast in einer Stunde mit diesem Briefe wurde, sechs Meilen von Goczyn entfernt, von Alexanders Braut der folgende geschrieben.

 

»Liebste Auguste!

»Wie traurig es mich macht, daß Du übermorgen nicht hier sein kannst, brauch' ich Dir nicht erst zu sagen. Ich hatte mir's immer so schön gedacht, wenn Du mir den Kranz aufsetzen würdest, und nun ist es nichts. Ach, denke wenigstens recht oft an mich! Es ist doch immer ein sehr ernster, wichtiger Tag; ich werde gewiß recht glücklich werden, aber das Herz schlägt mir doch sehr bange, und ich bitte Gott täglich inniger, daß er mir Kraft gebe, meine Pflichten alle treu zu erfüllen.

Die Gesellschaft wird nur klein sein, außer den Verwandten, den guten Werders und Pastors ist Niemand eingeladen. Aarhausen hat es so gewünscht, auch ist es wol für unsere Verhältnisse am besten. Mein Anzug wird gleichfalls sehr einfach sein; nur Mull und mit langen Aermeln. Ich gestehe, ich hätte lieber den Atlas obenauf getragen und kurze Aermel; aber Aarhausen sagte: ich wünschte Sie so einfach als möglich zu sehen, liebe Mathilde; konnt' ich da wol anders? Er sagt Alles immer sehr sanft, und doch so, als könnte man nicht anders wollen, wie er sagt. Ich will es auch gern; er muß natürlich Alles besser wissen, als ich, die ich noch so unerfahren bin. Ueberhaupt, liebste Auguste, ich weiß noch immer nicht recht, wie ich einem solchen Manne habe gefallen können, da ich doch eigentlich ein ganz unbedeutendes Wesen bin, und er gewiß schon so Viele gesehen hat, die mich in Allem übertrafen. Zu Dir gesagt, ich habe mir unter einem Brautstande immer ein ganz anderes Verhältniß gedacht, als das unsrige ist. Was man gewöhnlich zärtlich nennt, ist Aarhausen gar nicht, er zeigt sich wol sehr liebevoll, aber immer nur, als geschäh' es aus Güte. Doch er muß mich wol lieben, warum würd' er mich denn sonst gewählt haben, und man sagt ja auch immer: die Liebe, wie sie in Büchern geschildert werde, finde sich im Leben nicht. Da muß man sich denn darein schicken, obgleich es schöner wäre, wenn man sie fände. Vielleicht wird er auch später noch zärtlicher, wenn ich mir erst recht seine Zufriedenheit erwerben kann. Er sagte selber: wir würden eigentlich erst mit einander bekannt werden, und es ist auch wahr; wir haben uns kaum zehn Mal gesehen, und ich bin noch gar zu ängstlich. Wären wir allein, so würde ich noch eher mit Zutrauen zu ihm sprechen können, wenigstens scheint mir's so, aber wir sind es bisher noch nie gewesen, und da scheue ich mich immer vor der Mutter. Morgen wird er nun mit seinen beiden Brüdern kommen, und übermorgen fahren wir gleich nach der Trauung nach Goczyn, wo dann meine Heimath sein wird. Bitte Gott, daß er sie segne, meine Auguste, und bleibe auch fernerhin, was Du bisher warst,

Deiner

halbfrohen, halbtraurigen Mathilde


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