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Zwölftes Kapitel.

Auf Wiedersehen! es ist ein wunderbares Wort, das dem Hasse wie der Liebe dient. Hier kündigte es für nähere oder fernere Zeit neue Kämpfe an, und doch hallte es wie ein schönes Echo in felseneckiger Gegend immer und immer in Mathildens Herzen wieder.

Mit ihm, der diesen Schall geweckt hatte, reiste nach Alexanders Wunsch auch der stumme, blasse Heinrich ab. Alexander fürchtete in seiner jetzigen Stimmung die Liebe des Jünglings; sie machte ihn zu weich, und er wollte sich mit Fassung auf den möglichen Fall vorbereiten, das Wohnschloß seiner Jugend und seiner Vorfahren in fremdem und zwar in solchem Besitze zu sehen.

Die Beiden, welche das Schloß verlassen hatten, legten die Reise zurück, ohne ein Wort mit einander zu wechseln, und trennten sich eben so. Edgar hatte Heinrichs düsteres Schweigen verstanden, und war dieser ihm ehemals gleichgültig gewesen, so fing er jetzt an, ihm Haß mit Haß zu vergelten.

Zu Hortensen eilte Edgar in der ersten freien Stunde, um sie nach Clementinen zu fragen. Wie die Phantasie, so ergreift auch die Leidenschaft das Fremdartigste, um es für ihre Zwecke zu gebrauchen, nur daß die Phantasie es blos zum anmuthigen Spiele thut, die Leidenschaft aber eine Verwirklichung für möglich hält, ja mit Heftigkeit betreiben will. So hatte auch Edgar auf einige Aeußerungen Alexanders hin Clementinen mit in seinen Plan gezogen. Fast jede verschmähte Liebe hat ihre Stunde, in der sie sich durch leise Reue an uns rächt; Alexander hatte in der bewegten Stimmung der letzten Zeit mehrmals an Clementine gedacht und einmal gegen Edgar geäußert: er glaube, Clementine würde das, was ihn verdüstere, vielleicht noch mehr empfinden, als Mathilde, die noch zu wenig erfahren habe, um ihn ganz verstehen zu können. Der Wunsch, statt Mathilden Clementine gewählt zu haben, war ihm dabei nicht in den Sinn gekommen; aber Edgar glaubte es, oder wollte es glauben, und so sollte nach seinem Entwürfe Clementine Alexandern entschädigen und ihm zugleich mit ihrem Vermögen die Mittel geben, Goczyn zu erhalten. Edgar wußte, daß er in Clementinen selber Hindernisse zu überwinden haben würde; aber er war auch gewiß, sie zu überwinden, und mit dem festen Entschlusse, nicht lange zu zaudern, fragte er Hortensen, ob sie nicht kürzlich von ihrer Freundin gehört habe. »Ja,« antwortete Hortense; »vor einigen Tagen habe ich ihre Verlobungskarte erhalten.«

Edgar biß sich in die Lippe, fragte aber doch noch nach den nähern Umständen. Diese waren so, daß er wol einsah, er müsse diesen Theil seines Planes aufgeben. Einen Augenblick schwankte er nun in dem Gedanken an Alexander, aber schon im nächsten war er wieder entschlossen. Er führte ein gleichgültiges Gespräch noch einige Augenblicke fort; dann stand er auf, und wie er zu Mathilden gesagt hatte: »auf Wiedersehen!« so sagte er jetzt zu Hortensen: »leben Sie wohl.« Sie verstand den Sinn dieser Worte nicht, aber sie sah ihn mit zuckendem Herzen nach einer wochenlangen Trennung so schnell und kalt wieder gehen. Er hingegen verließ sie mit dem letzten Schritt aus dem Zimmer in Gedanken auf ewig, und wenn er sich auch sagte, daß er ihre Liebe schlecht vergelte, so sagte er zugleich zu der anklagenden Stimme in sich: »es ist ihr Schicksal; ich kann nicht anders.«

Er fing nun an, auf die Lösung seines dem Bruder gegebenen Versprechens zu denken, und that alle nöthigen Schritte, um bekannt zu machen, daß und unter welchen Bedingungen er Gelder wünsche; aber er fand kein Entgegenkommen. Ungünstige Gerüchte über Goczyn hatten sich, wahrscheinlich durch Verbündete von Herrn Faß, überall verbreitet; Manche, die sich Anfangs geneigt bezeigten, zogen sich dann wieder bedenklich zurück; Einige forderten übertriebene Zinsen, die Meisten gingen auf gar nichts ein. Herr von Bayer, der viel genützt haben würde, weil er viele Leute kannte und großes Vertrauen besaß, war durch eine gefährliche Krankheit seines Knaben so beschäftigt, daß er selbst für seine besten Freunde in dieser Zeit gänzlich verloren war. Als der Knabe anfing sich zu erholen, wurde eine reinere Luft für ihn verordnet, und da der März günstig war, brachte der noch zitternde Vater seinen Liebling ohne Zaudern auf das Gut seines Bruders und hatte auch dort nur Gedanken für den kleinen Genesenden. Edgar aber kam ohne ihn zu keinem Ziel; es war schon April, und noch hatte er erst für die Hälfte der zu zahlenden Schuld Zusicherungen erlangen können.

Wenn es ihn schon geduldlos machte, daß die Geschäfte sich so wenig lenkbar bewiesen, so war die Ungeduld, mit der er die von Mathildens Mutter ihm abgeforderte Unthätigkeit verwünschte, völlig grenzenlos. Bei Edgar fand kein halber Zustand statt; wie früher in der Gleichgültigkeit, so war er jetzt in der Liebe entschieden. Eben so lag es auch in seiner Natur, daß er sich die Zeit nicht mit Schwärmen vertreiben konnte, und der Gedanke, daß Mathilde noch immer das Eigenthum eines Andern sei, brachte ihn in ein wirkliches Fieber, welches durch jeden Tag, an dem Frau von Hain noch länger schwieg, vermehrt und fast unerträglich wurde. Zwar erhielt er von Zeit zu Zeit Briefe von Wilhelm, den er zum Schreiben ermuthigt hatte und durch gelegentliches Antworten glücklich machte; aber was der Knabe ihm berichten konnte, waren nur kleine Umstände, aus denen sich keine Folgerungen ziehen ließen und die zugleich durch treue Vergegenwärtigung Mathildens das Feuer noch nährten. Endlich war seine Geduld völlig aufgebrannt, und er schrieb an Frau von Hain wie folgt:

 

»Gnädige Frau!

Es war im December, daß Sie mir das Versprechen abnahmen, in der Angelegenheit, welche jetzt die einzige meines Lebens ist, für's Erste nichts zu thun. Seitdem sind Monate vergangen; Sie schweigen – ich kann es nicht länger.

Ich bitte Sie um nichts, gnädige Frau. Sie haben mich damals so glücklich abgewiesen, daß ich wol einsehe, bei Ihnen siege man nicht durch das Gefühl. Was ich von Ihrer Gnade erwarte, ist Entscheidung, ob Sie für, ob Sie gegen mich auftreten wollen. In jedem Falle handle ich; in dem letzteren mit tiefem Bedauern, aber zugleich mit der Ueberzeugung, daß ich Alles, was nur möglich war, gethan habe, um Ihre Zufriedenheit zu erwerben. Sollten Sie in Folge meiner Handlungsweise Ihr bisheriges Wohlwollen mir entziehen, so werde ich das schmerzlich empfinden, aber ertragen und zugleich stets –«

 

und er schloß mit der Versicherung einer Verehrung, die er wirklich fühlte.

Frau von Hain schrieb mit umgehender Post.

 

»Sie haben kurz gefragt, Herr von Aarhausen, und ich werde eben so einfach antworten. Ich habe geschwiegen, weil ich immer noch hoffte, Sie würden Ihre Vorsätze im wahren Lichte erblicken und davon abstehen. Sie beharren dann und fordern mich auf, mich zu entscheiden. Das ist nicht mehr nöthig; ich bin längst entschieden und zwar gegen Sie, Herr von Aarhausen. Sobald Sie einen Schritt thun, trete auch ich auf, und mit aller Macht meines Einflusses an die Seite meines Schwiegersohnes. Dann beginne der Kampf.

Sollten Sie siegen und Mathilde dahin bringen, daß sie Alles verließe, um Ihnen zu folgen, so werde ich deshalb mein Kind nicht verbannen, aber sie wird die Achtung ihrer Mutter verloren haben.

Doch ich fürchte das nicht; ich sehe Sie vielmehr mit einer Art von freudigem Vertrauen Ihrem Bruder den Krieg erklären. Er ist in der letzten Zeit so anziehend durch sanfte Schwermuth, so zärtlich gegen Mathilde gewesen, daß ich mich sehr irren müßte, oder er ist, selbst abgesehen von seinen heiligen Rechten, Ihr glücklicher Nebenbuhler geworden.

Leben Sie wohl. Ich wünschte in jeder Beziehung sagen zu können

Ihre Freundin.«

 

»Gut!« sagte Edgar, als er diesen Brief gelesen hatte, »das verwickelt sich. Ich soll sie nicht ohne Kampf besitzen; der Reiz des schönen Gewinns soll erhöht werden. Aber Alexander; wenn – nein; er kann ihre Einbildungskraft erregt haben, jetzt in dem alten Schlosse, wo er immer am besten aussieht, aber weiter ist es nichts. Gegrüßt, mein lieblicher Stern! ich komme.«

Dennoch war er nicht so sicher, als er es sich überreden wollte, und so sonderbar es auch klingen mag, er betrachtete es fast wie eine Anmaßung, daß Alexander es sich einfallen lassen könne, seiner Frau anziehend zu werden. Er eilte sich Urlaub zu verschaffen und war schon ganz bereit zur Reise, die er mit Extrapost machen wollte, als er noch einige Zeilen von Alexander empfing, die aber nichts änderten, im Gegentheil eine dringende Einladung, augenblicklich zu kommen, enthielten. Ein abermaliges Schreiben des Herrn Faß, das beigelegt war und welches Edgar las, während der Wagen kam, war die Veranlassung, daß Alexander wünschte, den Bruder sobald als möglich, zu sehen. Der Bürger meldete ihm darin, daß abermals ein auf Goczyn eingetragenes Kapital von fünfzehntausend Thalern an ihn abgetreten worden sei, und er es demnach hiermit auf Weihnachten kündige. Er setzte dabei ganz einfach hinzu, daß er auch fernerhin kein Mittel unversucht lassen werde, um Alexander aus Goczyn, wohin er nun einmal wolle, herauszubringen, wenn nicht Alexander es vorziehe, ihm die Herrschaft gutwillig durch einen Kauf zu überlassen, was auf jeden Fall das Beste wäre, indem er dann seiner Tochter den Willen thun könne, während der von ihm gebotene Preis sowol das Vermögen der Brüder Alexanders, als auch diesem noch einen recht hübschen Thaler sichere. Diesen letzten Ausdruck entlehnen wir von dem Bürger, der nach einer Versicherung der Freundschaft, die er immer für den Neffen des seligen Herrn Oberstwachtmeisters behalten werde, Alexandern an die neue Schuld erinnerte, zu der ihn der Brand gezwungen hatte, und dann hinzusetzte:

»Hätten Sie damals, als ich kam, gleich an mich verkauft, so hätten Sie das heute mehr; der Brand wäre Sie nichts angegangen, und Ihr Pächter hätte Ihnen nicht die Wirtschaft und damit Unruhe am Tage und Unruhe in der Nacht gelassen. Jetzt haben Sie eine Menge Geld ausgegeben und wofür? Damit ich die Wirtschaft in gutem Stande finde; denn daß Sie sich nicht auf Goczyn halten können, das ist so gewiß, wie nur etwas in der Welt. Sie haben sich niemals um Geschäfte bekümmert und wissen daher nicht, was unser einer Alles darin zu Stande bringen kann, wenn er nur halbweges pfiffig ist. Und da mir unser Herrgott auch mein Theilchen gegeben hat, und ich überdies noch den festen Willen habe, hier die Geschichte durchzusetzen, so können Sie gegen mich gar nicht auskommen; aber ich bin Ihr Freund und sag's Ihnen g'rade heraus.«

Aus Allem ging hervor, daß der Mann es wirklich gut mit den Brüdern und besonders mit Alexander meine, und ohne seine Tochter auch nicht daran gedacht haben würde, sich Goczyn in den Kopf zu setzen, daß man es aber nun, wo er es einmal darin hatte, ihm auch nicht wieder herausbringen werde. Edgar konnte nicht umhin, in dieser beharrlichen Verfolgung eines Zweckes eine Ähnlichkeit zwischen sich selber und dem Bürger zu finden, und lächelte darüber, indem er sich zugleich eingestand, daß er und Alexander wahrscheinlich dieser Entschlossenheit unterliegen würden.

Der Wagen stand vor der Thür, und Edgar warf sich hastig hinein und fuhr dahin, aber nicht ohne von einem Freunde Heinrichs bemerkt worden zu sein, der diesem die Abreise seines Bruders eine halbe Stunde später erzählte. Heinrich fragte nach der Richtung, die Edgar genommen habe, und als er nach dieser nicht zweifeln konnte, Edgar reise nach Goczyn, so fuhr er zwei Stunden später denselben Weg und trieb Pferde und Menschen so entschlossen zur Eile an, daß er von der letzten Station nur wenige Minuten nach Edgar abfuhr.

Edgar ahnte nichts von dieser Verfolgung und dachte scharf über die Art und Weise nach, wie er Alexandern das Geständniß thun und seine Einwilligung fordern sollte. Je näher er aber Goczyn kam, desto mehr verschwand das Nachdenken vor der Leidenschaft, und wie er sich immer heftiger nach Mathilden sehnte, so erbitterte ihn auch mehr und mehr der Gedanke an alle die Reden, die er mit der Mutter und vielleicht auch mit dem ehemaligen Lehrer, dem Prediger, noch zu führen haben würde. Plötzlich fuhr es ihm durch den Sinn: »wenn ich Mathilde erst aus dieser Nähe bringen könnte, ehe ich anfinge, dann hätte ich beinahe die Gewißheit eines leichten Gelingens.« Er hatte diesen Gedanken, als er Goczyn bereits erblickte, und verfolgte ihn, ohne bei dem Anblicke des Schlosses etwas anderes zu empfinden, als eine brennende Ungeduld, dort zu sein und Alles erst überwunden zu haben. Gleichgültig dachte er sich das Schloß im Besitze des Bürgers, und während er vor einem Jahre diesem mit dem feindlichsten Stolze entgegengetreten sein würde, begriff er jetzt den Bruder kaum und erinnerte sich an seine Kinderzeit, an Alles, was er damals mit dem Bruder in dem Schlosse gefühlt und geträumt hatte, nur wie an ganz alltägliche Empfindungen. In dieser Stimmung blieb er auch, als der stille Bau jetzt dicht vor ihm stand und er in denselben einfuhr. Der Kutscher war da und sagte: der gnädige Herr sei ausgeritten; der alte Henne kam aus dem Garten und sagte: die gnädige Frau sei dort. Edgar trat durch die Thür, welche dem Thorweg gegenüber aus dem Hofe in das Schloß führte, in die graue Halle, wo die Treppen hinaufgingen, durchschritt sie hastig und kam durch die zweite Thür auf die Brücke, die ehemals zum Aufziehen gewesen war, jetzt aber zwischen Ranken und Sträuchern, die aus dem Graben emporwuchsen, ruhig dalag und Edgars Tritte nur leise nachhallte. Der Garten war früher ganz ummauert gewesen; jetzt war die Mauer am Schloßgraben so wie diesem gegenüber eingerissen worden und nur noch an den beiden Seiten stehen geblieben, während der Garten gegen die Felder hin seiner Länge nach von dem Kanale begränzt wurde, der sein Wasser aus dem kleinen Fluße der Gegend empfing und jetzt das goldene abendliche Sonnenlicht daraus zurückwarf. Edgar ging auf den sanft gebogenen Wegen zwischen den frischgrünenden Bäumen und Rasen zu diesem Vertrauten seiner Knabenträume hinab und dann an ihm hin zur Mauer gegen Morgen, wo unter einem alten Ahorn eine Steinbank stand und zwischen dieser und dem Kanale ein Pförtchen war, aus dem man hinaus und dann auf einer kleinen Brücke über den Kanal konnte. Man konnte auch unter schönen Bäumen an der Mauer hinaufgehen; dann kam man an das Schloß, aber hier nicht über den Graben; nur vor der Einfahrt war noch eine Brücke. Edgar kannte das Alles, wie man seine Heimath kennt, und doch erweckte es keine Erinnerungen in ihm; sein Auge drang durch die Bäume und Gebüsche, nur um Mathilde zu suchen. Endlich erblickte er sie; wie er es geahnt hatte, saß sie an seinem und ihrem Lieblingsplatze auf der alten Steinbank, unter dem Ahorn, der noch immer nicht müde wurde zu grünen, obgleich er schon über vierhundert Jahr alt war und sich schon recht schwer auf die noch ältere, aber noch unerschütterte Mauer lehnen mußte. Früher hatten andere Bäume hier gestanden, da war er als Same hierhergeweht worden, aufgegangen, erst schüchtern, dann immer vergnügter gewachsen; die alten Bäume hatten ihn geschützt, aber auch verborgen, so daß Niemand sich um ihn gekümmert hatte. Dann waren die alten Bäume abgestorben und gefällt worden, und nun hatte man ihn entdeckt und gelobt, und er war groß und endlich alt geworden. Von Lodoiska und Jaromir wußte er nichts, die hatten vor seiner Zeit gelebt; aber von manchem andern Jünglinge, auch wol von einer holden Tochter des Schlosses war er der Vertraute gewesen. Vielleicht hatte das Pförtchen sich manches Mal einem Liebenden geöffnet, der sich ein- oder hinausschlich; aber der treue Baum hatte es nie verrathen. Jetzt sollte er wieder Liebende sehen und schwieg auch und breitete seine Aeste weit aus, als wolle er schützen und verbergen. Der Sonnenschein drang aber doch hindurch und umglänzte die Bank und Mathilde, die still in ganz einfachem Kleide und mit aufgestecktem Haare dasaß, und eben in dieser Nachläßigkeit so wie in der Blässe, die ihr gesenktes Gesicht bedeckte, reizend aussah, aber tieftraurig war, weil sie sich fragte, warum Alexander denn nicht immer so gewesen sei, als in den letzten Monaten? Dann hätte sie ihn, wenn auch nicht so als Edgarn, aber doch so innig geliebt, daß Edgar ihr Herz nicht sehnend gefunden, nicht gewonnen hätte; aber nun war es zu spät gewesen. Das überdachte sie, und einzelne Thränen fielen auf ihre gefalteten Hände, die sie in den Schooß gelegt hatte, herunter, während über ihr Ranken, welche an der Mauer hinaufgeklettert waren, den Sonnenschein gierig einsaugten, und unten an den Steinen und neben der Bank Gräser und Kräuter sich eines über das andere hinaus in den Frühling drängten. Die Bäume an dem Kanale hörten hier auf; unter dem letzten stand Edgar und starrte auf Mathilde; er wollte sie nicht erschrecken und konnte doch kaum an seinem Platze bleiben. Da erhob sie die Augen und sah ihn, sie schwieg und blieb sitzen, aber ihre Hände schlossen sich krampfhaft in einander. »Mathilde!« sagte er und näherte sich ihr langsam, bis auf einige Schritte, wo er stehen blieb; »Mathilde! dachten Sie an mich? Ich liebe Sie.« Sie zitterte und weinte. »Lassen Sie uns ruhig sprechen, Mathilde,« fuhr er fort, obgleich er sich nur mit der größten Mühe bekämpfte; »Sie müssen mein werden.« – »Das kann ja niemals geschehen,« antwortete sie, bitterlich weinend. »Doch,« sagte er, »doch. Oder lieben Sie mich nicht genug?« – »O Gott;« sagte sie und hob die strömenden Augen zum Himmel auf. Er hatte sich ihr unwillkührlich noch mehr genähert; nun riß es ihn hin, und er preßte sie heftig an seine Brust. »Mathilde!« rief er, »Sie nicht haben? eher sterben!« Sein Kuß verschloß ihr die Lippen. »Laß sie los!« sagte Heinrichs Stimme hinter ihm. Er wandte sich wild um; Mathilde fuhr mit einem angstvollen Schrei in die Höhe; der Jüngling stand da, wo Edgar vorhin gestanden hatte, eine entsetzliche Blässe entstellte ihn und aus seinen Augen drang ein fahles Licht. »Was willst Du hier?« rief Edgar zornig, indem er Mathilden noch immer umfaßt hielt. »Laß sie los!« wiederholte Heinrich, mit leiser, aber schrecklicher Stimme, »oder ich vergesse Alles.« Mathilde wollte sich entsetzt losmachen, aber Edgar riß sie noch fester an sich. »Auf Deinen Befehl nicht;« sagte er kalt. Heinrich trat einen Schritt vor; doch jetzt hörte man von der Gartenthür her die Stimme Alexanders, der nach seiner Frau und seinen Brüdern fragte. Heinrich gelang es, sich zu bekämpfen, und er sagte: »ich werde jetzt noch schweigen, aber wachen.« – »Wie Du willst;« antwortete Edgar gleichgültig, indem er Mathilden auf die Bank niederließ und dann Alexandern entgegenging. Mathilde weinte fort; Heinrich stand finster da. Als Edgar mit Alexandern zurückkam, trat Heinrich auf diesen zu und sagte: »Du hast mich nicht gerufen, aber ich bin doch gekommen.« – »Ich wollte Dir etwas ersparen,« antwortete Alexander; »doch da Du hier bist, ist mir's lieb.« Dann setzte er hinzu: »warum weinst Du so, Mathilde?« – »Es bewegt sie;« antwortete Edgar, indem er sich ihr näherte und ruhig sagte: »Fassung!« Alexander näherte sich ihr auch, aber er umfaßte sie und hob sie so sanft in die Höhe. »Liebes Herz!« sagte er dabei, »liebes, gutes Herz!« Seine Stimme war so zärtlich, daß Edgar die heftigste Eifersucht empfand, welche beinahe hervorgebrochen wäre, als Mathilde sich fest an ihren Mann schmiegte. Dieser fragte: »gehen wir hinauf?« Sie gingen, er noch immer Mathilde umfassend, Edgar neben ihm. Heinrich folgte mit Anbetung für Alexander, mit Haß und Verachtung gegen Edgar und die junge Frau.

Im Zimmer angekommen, forderte Alexander seine Brüder auf, zu entscheiden, was er thun solle. Er betrachtete Goczyn, da ihr ganzes Vermögen darauf stand, auch mit als ihr Eigenthum. Heinrich sagte fest: »Goczyn muß erhalten werden, und sei es mit den größten Opfern.« Edgar sagte nichts gegen diese Entscheidung; aber er entwickelte ruhig den Stand und den wahrscheinlichen Lauf der Verhältnisse. Der Verstand muß jeder Leidenschaft dienen; Edgar gebrauchte den seinen, um seine Eifersucht, seinen Groll gegen Alles, was ihn von Mathilden trennte, in kalten, schlagenden Worten auszulassen. Seine Worte trafen um so schärfer, da er Recht hatte. Alexander war nicht im Stande, den Besitz unter den Verwickelungen, welche folgen mußten, wenn man die Gelder zu übertriebenen Zinsen aufnahm, frei zu erhalten. Es war fast mit Gewißheit vorauszusehen, daß er sich früher oder später in derselben Lage befinden würde, aus der er sich jetzt zu retten suchen mußte; aber es war nicht vorauszusehen, ob dann auch, wie jetzt, das Vermögen der Brüder gesichert sein würde. Das war es, was Edgar in kurzen Sätzen entwickelte, worauf er schwieg und gleichgültig in einem Buche blätterte. Alexander hatte das Alles schon selber durchgedacht; hätte er allein gestanden, so würde nichts ihn bestimmt haben, zu weichen; jetzt entschied er sich nach einem letzten kurzen Kampfe für das Opfer und sagte: »gut, ich verkaufe.« Heinrich, der wol wußte, daß dieses Wort unwiderruflich sei, warf einen glühenden Blick des Hasses auf Edgar. Mathilde hatte bisher schweigend zugehört; als sie jetzt den schmerzlichen Ausdruck von Alexanders Zügen sah, eilte sie herbei, fiel ihm um den Hals und rief: »Nein, nein, das nicht! Wir wollen Alles thun, wir wollen uns auf jede Art einschränken; nur das darf nicht sein!«

Alexander drückte sie an sich. »Nein, Mathilde;« sagte er, »es muß sein. Edgar hat Recht, und ich habe meine Unfähigkeit schon früher erkannt. Und was das Einschränken betrifft – das brauchen wir nicht erst zu wollen, wir werden es ohnehin müssen.«

»Und wenn uns nichts bleibt,« rief Mathilde, »als dieses Schloß, an dem Dein Herz hängt! Ich weiß, Du denkst an mich, aber ich will nichts, als Dich nicht mehr so traurig sehen. Denke nicht anders von mir, verkaufe nicht!«

»Ich denke von Dir nur, daß Du mein Liebstes bist;« antwortete Alexander, »aber verkauft muß werden; es ist nöthig, und ich habe es gesagt.«

Sie wollte noch einreden, aber er wiederholte ernst: »ich habe es gesagt.« Dann wandte er sich zu Edgar, der Mathilden mit zusammengezogenen Lippen gehört hatte, und bat ihn, an Herrn Faß zu schreiben, damit am andern Tage Alles abgemacht werden könne. – Herr Faß hatte von Tag zu Tag ungeduldiger auf einen solchen Brief gewartet; er kam am frühsten Morgen, am Abend war Goczyn sein, in drei Tagen wollte Alexander es verlassen. Am liebsten wäre dieser nicht einen Augenblick länger geblieben; aber was man mitnehmen wollte, die Bibliothek, das Silber und so viel Betten, Wäsche und Porzellan, als zu der künftigen, in das Kleine zu ziehenden Haushaltung nöthig war, mußte eingepackt und zu Frau von Hain geschickt werden. Alles Uebrige, was das Haus enthielt, wurde Herrn Faß überlassen, da eine Versteigerung Alexandern unerträglich gewesen wäre. Die Ahnenbilder sollten nicht aus ihrer Ruhe gestört werden; man vertraute sie der romantischen Thorheit der zukünftigen jungen Besitzerin an; aber die Waffen und Geräthe der Vorfahren wollte Heinrich durchaus nicht zurücklassen, und so wurden sie zum großen Verdruß des Herrn Faß, der sie, wie er sagte, gern auch gehabt hätte, noch zuletzt eingepackt und fortgeschickt.

Sonnenstrahl wurde ebenfalls auf das Gut der Frau von Hain gebracht und dort der besondern Freundschaft Wilhelms empfohlen. Seine vier schönen Rappen behielt Alexander auch, aber nur, um sie in der Residenz, wohin man nach Edgars Vorschlag zuerst wollte, zu verkaufen. Dann wollte man nach Berathung mit Herrn von Bayer einen Lebensplan entwerfen, vielleicht erst einige Zeit reisen, vielleicht auch sich gleich für einen Ort bestimmen, wie das sich denn am Besten machen würde.

Johann hatte von Herrn Faß glänzende Anerbietungen erhalten, damit er, wenn Alexander es erlaube, in seinem Dienste im Schlosse bleibe, aber darauf sehr höflich geantwortet: »er sei kein Erbstück.« Von ihm abgewiesen, ging Herr Faß zum alten Henne, um wenigstens einen von der Dienerschaft Alexanders zu behalten; denn der Kutscher blieb auch bei seinen Rappen. Der alte Soldat empfing den neuen Herrn mit wenig Höflichkeit, war aber schon entschlossen zu bleiben; denn seit zwanzig Jahren war er mit jedem Baume im Garten verwachsen. Seine runde Frau aber hörte kaum von diesem Entschlusse, als sie ihm unumwunden erklärte: dann bliebe er allein zurück, sie ginge mit der Herrschaft. Er starrte sie ganz verdutzt an und wollte ihr im Anfange gar nicht recht glauben; als sie ihn von der Ernstlichkeit ihrer Worte überzeugt hatte, schwankte er lange zwischen seiner Hälfte und den Bäumen und Krautbeeten. Endlich trugen diese den Sieg davon; mit einem schweren Seufzer sagte er: »so geh', wenn Du willst.« Und sie packte wirklich ihre Sachen zusammen.

Drei Tage sind bald vergangen. Der letzte Abend in Goczyn war angebrochen. Eine rosige Dämmerung lag auf den Wiesen und wallte um die fernen Waldsäume. Der Mond ging in diesem zarten Lichte über dem Garten auf und machte Alles noch lieblicher. Die Aepfelblüthen dufteten, die alten Bäume rauschten mit den frischen Blättern, als erzählten sie verjährte Sagen mit neuen Worten. Die Frösche schwiegen nicht im Graben, d'rüben am Kanale sangen die Nachtigallen, und in aller dieser Frühlingsschönheit stand das graue Schloß so feierlich ernst, als wüßt' es, daß am andern Morgen die Söhne des alten Geschlechtes, dessen Heimath es so lange gewesen war, es verlassen und einem Fremden übergeben würden.

Man hatte sich zum Thee in dem Wohnzimmer versammelt. Außer dem Flügel und einigen kleineren Geräthschaften fehlte nichts darin, und doch hatte es nichts Wohnliches mehr. Von einer Unterhaltung war natürlich gar nicht die Rede. Man trank schweigend; Jeder überließ sich seinen Gedanken.

Der Abend wurde dunkler und das Mondlicht deutlicher. Das Zimmer nahm eine heimliche Gestalt an, zugleich aber drang der Duft süßer und hinauslockender zu dem offenen Fenster herein. »Wollen wir noch einmal in den Garten gehen, Mathilde?« fragte Alexander. Sie stand sogleich auf; er gab ihr ein Tuch um und öffnete ihr dann die Thür. Wie ein Schatten verschwand sie dadurch, er folgte ihr und machte hinter sich die Thüre zu. Edgar und Heinrich blieben allein.

Edgar wandte sich zu dem Fenster und wartete auf Mathildens Erscheinen unten. Sie trat bald hinaus, Alexander folgte ihr langsam über die Brücke und durch die Thür am Ende derselben; als sie aber im Garten waren, schlang er seinen Arm um den zarten Wuchs Mathildens, zog sie dicht an sich, und so gingen sie in den stillen Wegen hin. Aber auch jetzt schwiegen sie lange, bis endlich Alexander sagte: »So war es an dem Abende, wo ich Dich zuerst hier einführte. Damals meinte ich, es sei auf lange Jahre, und morgen –«

»Alexander, mußt' es sein?« fragte die junge Frau.

»Es muß nichts sein, Mathilde;« antwortete er; »oder es muß Alles sein. Sind wir gebunden? sind wir frei? Ich weiß es nicht. Wir thun, was wir eben für das Beste halten. So auch ich hier. Vielleicht hätt' ich etwas Anderes thun sollen, vielleicht konnt' ich es auch. Nun ist's zu spät, und am Ende ist's auch gleich.«

»Nein,« sagte sie ernst; »es ist nicht gleich, ob man sich glücklich oder unglücklich macht, und Du wirst jetzt unglücklich sein und –«

»Durch meine Schuld? Meinst Du das? Du hast Recht, ich hätte mein altes Besitzthum mehr vertheidigen können, aber ich bin muthlos.«

»Ich habe Dich immer für unerschütterlich stark gehalten.«

»Ja, ich mag täuschen; meine Ruhe, mein ganzes Wesen mögen den Eindruck von Kraft hervorbringen, aber eigentlich hab' ich keine; mein Muth ging lange verloren; ich kann keinen Kampf mit dem Leben aushalten.«

»Du kannst das Kleine nicht, weil Du nur das Große kannst;« antwortete Mathilde.

Alexander sah sie bewegt an. »So denkst Du von mir?« fragte er; »täuschest Du Dich auch nicht, Mathilde?«

»Nein,« antwortete sie fest. »Du wurdest auf der Höhe geboren; deswegen hast Du unten im Gewühl der Flächen keine Luft und kannst nicht vorwärts, wie die Andern. Aber man gebe Dir Raum dahinzuschreiten, und es wird kein Ziel sein, an welches Du nicht gelangst.«

»Auf der Höhe;« wiederholte Alexander; »das ist kein Glück, man ist einsam da. Oder bist Du es neben mir nicht gewesen?«

»Du kannst nicht lügen,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort; »Du schweigst, und das ist mir Antwort genug. Ich habe Dich nicht glücklich gemacht.«

»Du hast mich nicht geliebt;« sagte sie so leise, daß man ihre Worte kaum hörte.

»Ich kann auch nicht lügen;« erwiederte er. »Nein, ich habe Dich nicht geliebt, wie Du es werth warest. Ich habe Deine Lieblichkeit empfunden, Dich gesegnet wie meinen Engel, Dir gedankt, aber Dich nicht geliebt. Vergiebst Du mir?«

»Ich hatt' es nicht zu fordern;« antwortete sie.

»Engel!« rief er; »Mathilde, ich liebe Dich doch! Was mein Herz noch hat, das giebt es Dir. Aber freilich, es ist nur wenig.«

»Armer Alexander!« sagte sie sanft.

»Ja wohl, arm;« antwortete er; »ich wollte, Du wärest schon aufgeblüht gewesen, als ich noch alle meine Liebe hatte; Du hättest sie nicht weggeworfen, und ich wäre glücklich. Nun habe ich Dich in mein Schicksal verflochten, ohne Dir ein freundliches bereiten zu können, und Du könntest mir bittere Vorwürfe machen, wenn Du nicht wärest, was Du bist. Aber ich selber mache mir sie.«

»Alexander,« sagte sie, »es kommt Alles von Gott. Wenn Du mich auch nicht liebst, so hast Du mich doch lieb, und dann Deine Güte und Nachsicht, die sich immer gleich blieb – o, nein! ich habe Alles, worauf ich Anspruch machen darf.«

»Du vergiebst mir also ganz?« fragte er. »Jede einsame Stunde, alles unbefriedigte Sehnen, meine trüben Blicke, die Liebe, die ich noch jetzt auf das Grab einer Andern streue, da sie doch Dir gehört – Alles, Alles?«

»Alles!« sagte sie und barg den Kopf an seiner Brust. Es drängte sie, auch um seine Vergebung zu bitten, und doch fühlte sie sich ihm in diesem Augenblicke so eigen, daß ihre Liebe für Edgar ihr fast nur wie ein böser Traum erschien, daß sie sich gerettet glaubte und schwieg.

Auch er schwieg; aber er preßte sie fest an sich und drückte seine Lippen in ihr Haar, auf ihre Stirne, auf ihre Lippen. Er schien von heftiger Wehmuth bewegt zu sein und dieses theure Wesen wie vor einem Abschiede noch einmal recht nahe fühlen zu wollen. Sie standen eben unter einem der blühenden Aepfelbäume; er brach einen Zweig mit Knospen und Blüthen ab und drückte ihn in Mathildens Hand; dann führte er sie langsam dem Schlosse wieder zu.

Dort war unterdessen nicht von Liebe gesprochen worden. Als Edgar Mathilden nicht mehr sah, stützte er den Arm auf das Fensterbret und den Kopf auf die Hand, und wollte in die Zukunft sehen. Da fühlte er seine Schulter leise und doch heftig berührt, und als er sich umwandte, sah er Heinrich entschlossen vor sich stehen.

Sie sahen sich einige Augenblicke lang fest an; dann sagte der Jüngling wie damals in der Residenz: »ich habe mit Dir zu sprechen.«

»Wie vor drei Tagen im Garten?« fragte Edgar; »was willst Du?«

»Wissen, was Du willst;« antwortete Heinrich.

»Mit welchem Rechte?« fragte Edgar.

»Mit demselben Rechte, mit welchem ich mich überall dem Schlechten entgegensetze;« antwortete Heinrich.

»Thue das da, wo Dein Recht anerkannt wird;« sagte Edgar; »ich erkenn' es nicht an.«

»Aber ich kenne Deinen Willen,« sagte Heinrich finster, »Dein Wesen und Deinen Willen. Ich habe Dich lange gekannt. Du entgehst mir nicht.«

»Was frägst Du mich da erst.«

»Weil ich Deine Schlechtigkeit aus Deinem eigenen Munde hören wollte.«

»Und hast Du sie gehört?«

»Ja, denn Du hast geläugnet.«

»Geläugnet, und auf Deine Frage?«

»Oder Dich der Antwort entzogen. Das ist eins, und Dein Schweigen Antwort genug. Du willst Mathilde entehren, wie Du schon andere Frauen entehrt hast.«

Edgar wandte sich mit verächtlichem Lächeln von ihm ab.

»Du brauchst nicht zu lächeln;« sagte Heinrich. »Ich meine das nicht im gewöhnlichen, nicht in Deinem Sinne. So viel verstehest selbst Du von Mathildens Reinheit, daß Du weißt, Du kannst sie nur mit einem Scheine von Recht gewinnen. Du wirst Alexanders Edelmuth mißbrauchen, ihn dahin bringen, daß er seine Rechte aufgiebt, vielleicht selber bei Mathilden für Dich spricht. Dann wirst Du sie heirathen. Du siehst, ich kenne Dich gut.«

»Vortrefflich;« sagte Edgar ironisch.

»Spotte nicht!« rief Heinrich heftig.

»Wie soll ich Deine Anmaßung anders aufnehmen?« fragte Edgar. »Etwa indem ich Dich wie einen Knaben züchtige?«

Das Gesicht des Jünglings wurde vom Krampfe der Wuth bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und er ballte die Hände. Dann faßte er sich mit aller Macht und stand dem Bruder eben so kalt als dieser gegenüber.

»Ich habe Dir noch nicht gesagt, was ich will,« sagte er, »und bitte Dich es zu hören. Wenn Du es wirklich dahin bringst, daß Mathilde Alexandern verläßt, so wirst Du mir den Tag vor Deiner Hochzeit mit ihr eine Zusammenkunft mit Pistolen gewähren.«

»Und wenn ich sie abschlage?« fragte Edgar.

»Das wirst Du nicht;« antwortete Heinrich. »Oder sollte Dir es einfallen, daß wir Brüder sind? Das laß Dich nicht stören. Ebenso gut, als Du die Frau des einen Bruders verführst, kannst Du auch mit dem andern Kugeln wechseln. Wenn man sich einmal über dergleichen Bedenklichkeiten hinwegsetzt, muß man es auch in allen Dingen thun. Wie gesagt, wenn Du Mathilde überredest, zwischen uns eine Zusammenkunft mit Pistolen!«

»Und wenn ich sie abschlage?« fragte Edgar noch einmal.

»Dann schieße ich Dich so nieder;« antwortete Heinrich kaltblütig.

»Gut,« sagte Edgar.

»Ist es abgemacht?« fragte Heinrich.

»Du wirst den Tag bestimmen;« antwortete Edgar. Heinrich setzte sich nun auch nieder, und sie schwiegen, bis Alexander und Mathilde wieder hereintraten. Bald nachher trennte man sich. Von Ruhe konnte aber in dieser Nacht nicht die Rede sein; nur Mathilde schlief gegen Morgen, von Thränen müde, ein.

Der Morgen kam und theilte die duftigen Nebel. Dann kam die Sonne, und die Nebel lösten sich halb auf und blieben halb als goldene Schleier noch hängen. Heinrich trat an das Fenster, und ihm gegenüber stand Alexander an dem seines Schreibzimmers. Die Brüder grüßten sich ernst; dann ging Heinrich in den Garten, Alexander zu Mathilden, sie zu wecken. Sie schlug die Augen traurig auf. »Liebes Herz,« sagte er sanft, »der letzte Morgen ist da.« – »Ach, wenn er erst vorüber wäre!« sagte sie beklommen. »Er wird es bald sein;« antwortete Alexander. Er schellte dem Mädchen; Mathilde eilte mit dem Anzuge und kam bald in den Saal, wo die Brüder schon waren. Man frühstückte; unten wurde der Wagen bepackt, ebenso ein kleiner für Frau Henne und das Mädchen. Während dieser letzten Vorbereitungen brachten Neugierige aus dem Städtchen die Nachricht, Herr Faß werde mit dem Pächter, welcher seine Tochter heirathen sollte, bald hier sein, die Tochter aber erst zu Mittag folgen. »So müssen wir eilen;« sagte Alexander. Der Kutscher zog schon die Pferde heraus, Edgar und Heinrich hatten ihre Hüte, auch Mathilde hatte bereits Abschied von ihren Zimmern genommen. »Ich werde mir auch den Hut holen;« sagte Alexander. Er ging, der Wagen stand bereit, – da fiel ein Schuß. »Was war das?« fragte Mathilde zitternd. Edgar ging rasch hinaus, Heinrich folgte halb wahnsinnig. Als sie an der Treppe vorübereilten, stürzte die Dienerschaft leichenblaß herauf. »Dort war es!« schrie Johann und wies nach dem Schreibzimmer. Alle drangen hinein. Alexander lag auf dem Sopha, er hatte fest auf das Herz gezielt und bewegte sich nicht mehr. Auf dem Schreibtische lag ein Blatt, nur zusammengefaltet, an Heinrich von Aarhausen gerichtet. Hier ist, was es enthielt:

 

»Das Leben hat mich schon lange gedrückt; jetzt wird es mir mit einem Male zu schwer. Ich glaubte mich von hier losreißen zu können, aber die alte Zeit zieht mich zurück und in's Grab. Ich folge, indem ich, was mein ist, Mathilden lasse. Sie laß ich Dir, und Euch Alle segne Gott, so wie er mir verzeihen möge.

Alexander.«


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