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Achtes Kapitel.

Alexander hieß Mathilde sich ausruhen und ging zu Heinrich. Die Frau, welche diesen bediente, hatte eben bei ihm zu thun, und Alexander konnte unbemerkt in das Zimmer treten, wo Heinrich am Schreibtische saß, und sowol in seiner nachläßigen Kleidung, die nur eben hinreichte, ihn zu bedecken, als in seiner völligen Achtlosigkeit auf Alles, was um ihn her war, deutlich zeigte, das er nichts weniger erwarte, als einen Besuch. Das Zimmer war nicht besser darauf eingerichtet, als er selber; Kleider lagen auf den Tischen und Bücher auf der Erde; jeder Stuhl war mit Papieren bedeckt, und der Staub tanzte dicht und lustig in dem Scheine, welchen die Sonne zu den offenen Fenstern hineinwarf, und welcher mit der zugleich einziehenden Luft das einzige war, was diese wüste Vernachläßigung noch irgend erträglich machen konnte. Heinrich selbst war das treueste Bild eines Menschen, der aus Verzweiflung studirt; die linke Hand geballt, in der rechten die Feder, starrte er auf das Papier vor sich so finster hin, als wenn alle Winterwolken sich vor dem Frühlinge auf seine Stirn geflüchtet hätten. Alexander betrachtete ihn ernst; er war schon in Goczyn nicht so ruhig seinetwegen gewesen, als er sich vor Mathilden gezeigt hatte – hier fand er seine Befürchtungen bestätigt. Die fahle Blässe auf den überwachten Zügen des Jünglings zeigte, wie er wild im Unmuth auf seine Natur eingestürmt war; der eingepreßte Mund hatte einen Ausdruck, den Alexander wohl kannte – stumm verbissenen Schmerz. Jetzt schob Heinrich das Heft, auf welches er bisher geblickt hatte, heftig von sich, stampfte die Feder auf den Tisch und ließ sie liegen. Es mußte wol eine mathematische Aufgabe gewesen sein, mit der er sich gequält hatte; denn er murmelte: »ich bring' es nicht heraus – wie And'res auch nicht – wie nichts.« Er warf einen langsamen düstern Blick auf die Fenster; dann seufzte er und stützte sich mit beiden Armen auf den Tisch und den Kopf in die Hände. Alexander that einige Schritte, Heinrich hörte ihn nicht; Alexander ging dicht zu dem Jünglinge hin und legte die Hand auf seine Schulter.

Heinrich fuhr nicht zusammen, er konnte sich nur mit Mühe aus seinem Sinnen erwecken. Als es ihm gelungen war, hob er den Kopf, drehte sich um und sah den Bruder. Seine Augen hatten einen dumpf verwunderten Blick,

»Du?« sagte er, als könne er sich noch nicht recht besinnen. »Wie kommst Du hierher?« fragte er.

»In meinem Wagen;« antwortete Alexander, der die Veränderung in dem Jünglinge nicht bemerken wollte, »es muß doch Einer von uns zum Andern kommen, wenn wir uns wiedersehen sollen!«

»Aber warum kommst Du?« fragte Heinrich.

»Wie ich Dir sage, um Dich zu sehen, und dann auch, um Mathilden eine Freude zu machen.«

»Sie ist hier?« fragte Heinrich, und in seinen Augen begann Feuer zu zucken.

»Allerdings ist sie hier,« sagte Alexander, »denkst Du, ich werde sie zu Hause lassen? Sie freut sich sehr, Dich zu sehen; Du mußt gleich zu ihr, während ich zu Bayers gehe; nur will ich bleiben, bis Du angezogen bist.« Er sah sich nach einem nicht belegten Stuhle um und glaubte an dem entfernteren Fenster einen zu finden; als er aber näher kam, sah er auch auf diesem Zeichnungen, an ihn gelehnt Mappen, überdies einen Staub, den er nicht aufrühren wollte. Er kam zu Heinrich zurück, dieser war aufgestanden und bot ihm stumm den Stuhl, auf welchen er gesessen, an. Alexander schob den Stuhl dem Fenster näher, setzte sich nieder und sah hinaus in den Garten, der an das Haus stieß. Heinrich machte keine Bewegung. Alexander sah sich endlich nach ihm um, und als er ihn starr stehen sah, fragte er: »Nun?«

»Was soll ich?« fragte Heinrich. – »Dich anziehen;« erwiderte Alexander. Heinrich stand unentschlossen. »Willst Du?« fragte Alexander etwas ungeduldig; »ich habe nicht Zeit, lange zu warten. Ueberdies ist es selbst in der eignen Stube unschicklich, sich so zu vernachläßigen, wie Du.«

Ein Erröthen bedeckte Heinrichs Stirne. Er ging und zog sich einen leichten Rock an, der freilich voll Staub war; denn er hatte auf einem Stuhle im Winkel gelegen, der durch das Geheimniß der Gestalt etwas mehr verbarg. Alexander war Heinrich mit einem strengen Blicke gefolgt und sah ihn jetzt, als er aus dem Winkel wiederkam, ernst und kalt an.

»Ich wünsche überhaupt zu wissen, warum ich Dich so finde;« sagte er. »Ich kann bei einem jungen Manne einige Unordnung entschuldigen; aber eine solche, wie dieses Zimmer sie zeigt, setzt entweder einen Mangel an aller Sitte, oder eine gänzliche Verachtung derselben voraus. Das Erste ist bei Dir nicht der Fall, also das Zweite, was noch schlimmer ist. Was kannst Du mir antworten?« fragte er, als Heinrich eine Bewegung machte, als ob er sprechen wollte. Der Jüngling war glühend roth, aber er schwieg.

»Ich hoffe, daß ich es morgen anders finden werde,« fing Alexander wieder an, und zwar in einem Tone, der sagte: ich befehle; »übrigens ist dies nur die Einleitung zu dem gewesen, was ich Dir zu sagen habe. Ich bin durch und durch unzufrieden mit Dir.«

»Was habe ich gethan?« fragte Heinrich.

»Ganz und gar Deine Stellung vergessen,« antwortete Alexander, »und zwar gegen Alle die so gütig waren, sich mit Dir zu befassen. Du hast an Mathilde einen Brief geschrieben, den ich bei ihr zu entschuldigen suchte, der sich aber eigentlich gar nicht entschuldigen läßt. Edgar ist krank gewesen, Du hast Dich um ihn so wenig bekümmert, als wenn er Dir ein ganz fremder Mensch gewesen wäre. Du hast alle Deine gesellschaftlichen Pflichten mit Willkühr verletzt. Du hast selbst ganz vergessen, was Du mir schuldig warst – und warum? weil Deine Eitelkeit das Lob Deines Bruders nicht ertragen konnte.«

Heinrich zog den Mund zusammen, um die Thränen zu verschlucken, die ihm glühend in die Augen drangen. Alexander sah es, fragte aber noch immer gleich strenge: »weißt Du, daß das kleinlich ist?«

»Ich konnt' es ja nur von ihr nicht ertragen,« sagte Heinrich; »und wenn Du es wüßtest, wie sie von ihm geschrieben hat!« Zugleich suchte er unter den Papieren Mathildens Brief hervor und bot ihn dem Bruder hin.

»Was soll das wieder?« fragte dieser noch strenger; »ist der Brief etwa an mich geschrieben?«

»O Alexander,« rief der Jüngling, und die Thränen stürzten ihm nun wirklich aus den Augen; »Du bist ungerecht, Du tadelst nur mich, Du wirst es einsehen, wenn es zu spät ist; Edgar hat Dich schon einmal betrogen; es wird zum zweitenmal geschehen, und Dein blindes Vertrauen wird Dich unglücklich machen, wie ich es jetzt schon gränzenlos bin.«

Alexander stand auf, trat rasch vor Heinrich hin, und auch sein Auge funkelte. »Vergiß nicht, daß Du von meiner Frau sprichst!« sagte er nachdrücklich.

Heinrich hatte alle seine Kraft zusammen genommen; aber vor Alexanders strengem Unwillen hielt sie nicht aus, und er warf sich auf den Stuhl, legte Arme und Kopf auf den Tisch und schluchzte bitterlich. Alexander konnte ihn nicht lange so sehen; sein Unwille war schon vorüber, und im Grunde liebte er an Heinrich selbst dessen Fehler; er liebte ihn zudem mehr als Edgarn, was er auch immer darüber sagen mochte. So ging er, neigte sich über ihn und sagte: »laß uns ruhig sprechen, Heinrich.«

Der Jüngling hörte an dem Ton der Stimme, daß Alexander wieder wie sonst sei, und noch immer schluchzend sprang er auf und warf sich mit seinem ungebändigten Schmerze an die Brust des geliebten Bruders.

Alexander fühlte, wie die ganze Gestalt des Jünglings von Leidenschaft durchzuckt und bewegt wurde, und ihn selbst ergriff ein tiefer Schmerz. Er fragte sich, wie das enden solle, und konnte nur schwach hoffen, diese bittere, stürmische Flut einer unseligen Neigung durch feste Besonnenheit so lange in Schranken zu erhalten, bis sie sich entweder in sich beruhigt oder in genügender Entfernung ausgetobt habe. Eines nur konnte geschehen; was, das mußte sich erst entscheiden. Für den Augenblick versuchte Alexander die Beruhigung durch seine milde, schöne Stimme.

»Ruhig, lieber Heinrich,« sagte er; »Du willst ja ein Mann sein, und der darf sich nicht so bewegen lassen, wie der Schmerz es eben will. Stähle Dich frühzeitig; das Leben hat ganz andere Kämpfe. Bedenke, daß Du an Mathilden kein Recht hast, als das, was sie Dir giebt. Bedenke auch, daß Beschuldigungen, wie Du sie eben ausstießest, einen Mann zum Schurken machen und einer Frau alle Ehre nehmen. Du hast Dir nicht überlegt, was Du sagtest; aber es kommt jetzt die Zeit, wo Du überlegen mußt, was Du sagst, denn ein Mann muß jedes seiner Worte vertheidigen können. Wenn Du ruhig an Edgar denkst, so wirst Du ihm nicht länger zutrauen, daß er seines Bruders Frau verführen könnte, und nun gar Mathilde. – Du hast ihr vorgeworfen, sie sei veränderlich, aber sie kann das mit weit größerem Rechte Dir vorwerfen, denn in Goczyn hättest Du doch eher Dein Leben eingesetzt, als sie eines Treubruches fähig gehalten, und was hat sie denn seitdem gethan? Sie hat Edgarn schätzen gelernt – ist Dir aber dadurch etwas entzogen? Nicht ein Schatten; im Gegentheil, ich bin überzeugt, daß Du ihrem Herzen lieber bist; daß sie Edgarn mehr bewundert, ist ganz natürlich, aber auch völlig ohne Nachtheil für Dich. Und dann – selbst wenn sie Dich wirklich gekränkt hätte – wer wird denn gleich der ganzen Welt zeigen, daß man unglücklich sei? Sich hier einzusperren und wie ein Amadis als Dunkelschön mit verwirrtem Haare dazusitzen, – gestehe, Heinrich, war es nicht eine Thorheit?«

In Alexanders Ton lag eine wunderbare Mischung von wehmüthigem Spott und schmerzlichem Ernst, und der Blick, mit welchem sein Auge auf Heinrich ruhte, hatte denselben Ausdruck. Heinrich hatte ihn losgelassen; die Weichheit des Jünglings war vorüber, und er sah fest vor sich nieder. Als Alexander schwieg, richtete er das zugleich dunkle und blasse Auge auf diesen und schien etwas sagen zu wollen; plötzlich aber wandte er sich ab, und gab nur durch seine Handlungen zu erkennen, daß Alexander ihn überzeugt habe, indem er einen Spiegel herbeiholte, Kamm und Bürste aus der langen Ruhe, worin sie gelegen, störte, und mit vieler Sorgfalt sein lockiges, dunkelblondes Haar zu ordnen begann. Alexander blätterte unterdessen in den Heften auf dem Tische und machte wissenschaftliche Fragen, die Heinrich ruhig beantwortete, während er sich zugleich ankleidete. Als er endlich damit fertig war und Beide aufbrachen, hätte nur ein scharfes Auge Schmerz um den Mund des Jünglings, Sorge in den Zügen Alexanders gelesen.

Sie gingen einige Straßen mit einander und sprachen über gleichgültige Gegenstände; dann blieb Alexander stehen und heftete einen prüfenden Blick auf den Jüngling. Heinrich hielt die Prüfung ruhig aus. »Willst Du allein zu ihr gehen?« fragte nun Alexander. »Mir ist es gleich;« antwortete Heinrich. »Ich glaube, es ist besser;« sagte Alexander nach augenblicklichem Nachsinnen; »sage ihr denn, ich würde einen Augenblick bei Bayers bleiben.« Sie trennten sich, und Alexander fing an sehr ernstlich nachzudenken. War Heinrich schon zum Bewußtsein seiner Neigung gekommen, oder quälte sie ihn nur noch wie ein dumpfes, unverstandenes Weh'? War es überhaupt eine wirkliche Neigung für Mathilde besonders, nicht vielleicht nur die Leidenschaft der Jugend, welche eben auf sie gefallen war, weil sie seinem Blicke am nächsten gewesen? Das Alles fragte sich Alexander und neigte sich zu der letzten Annahme, weil er sie wünschte; auch hatte er dergleichen nur halb persönliche Leidenschaften oft beobachtet. So viel sah er deutlich, daß eine Reise für Heinrich das Beste sei, und daß er einstweilen nichts thun könne, ein Ergebniß seines Nachdenkens, welches ihn nicht eben befriedigt bei Herrn von Bayer eintreten ließ. Bei diesem fand er denn auch keine Beruhigung, indem sogleich von Heinrich und seiner unerklärlichen Veränderung angefangen wurde. Herr von Bayer sprach davon mit Unzufriedenheit; seine Frau mit Besorgniß. Alexander suchte sie durch irgend eine der Wunderlichkeiten zu erklären, welche jedem Aarhausen erblich anklebten. Herr von Bayer aber schüttelte bedenklich den Kopf. »Ich glaube gern, daß Ihr ein wunderliches Geschlecht sein mögt,« sagte er; »aber hier ist es etwas Anderes, eine bloße Wunderlichkeit hält bei einem Menschen von neunzehn Jahren nicht so lange aus; da steckt eine Leidenschaft dahinter, und Sie müssen etwas thun.« – »Ihn auf Reisen schicken,« antwortete Alexander; »sonst weiß ich nichts.« – Nein, mit ihm sprechen;« antwortete Herr von Bayer. »Das geht am wenigsten,« sagte Alexander; »wenn ich über eine Thorheit spreche, theile ich sie schon halb.« – »Thorheit?« – sagte Herr von Bayer – »hm, man ist mit diesem Worte doch immer recht schnell bei der Hand. Aber was haben Sie denn jetzt mit Heinrich gemacht?« – »Ihn auf dem Wege zu meiner Frau gelassen;« antwortete Alexander. »Das ist gut,« sagte Herr von Bayer, »die schließt ihm vielleicht das Herz auf.« – »Ich zweifle;« sagte Alexander; »und ich würd' es auch durchaus nicht wünschen, die beiden Kinder würden etwas Kluges mit einander beschließen. Es ist selbst besser, daß ich sie nicht länger allein lasse, im Falle Sie doch Recht hätten.« – »Ich komme mit;« sagte Herr von Bayer.

Heinrich seinerseits hatte den Weg, der ihm noch übrig blieb, auch nicht ohne Selbstgespräch zurückgelegt. »Ich habe geschwiegen,« dachte er; »wozu auch reden – er glaubt dennoch an Beide – ich glaube nicht. Mathilde ist nicht mehr rein, Edgar kann sich keiner Frau nähern, ohne sie zu verderben. Ich soll nicht zeigen, was ich fühle – gut, ich will mich verbergen – sie soll es nicht wissen, daß ich sie bewache. Ich werde thun, als glaubt' ich Alles; – Alexander hatte Recht, mich wie einen Knaben zu behandeln, ich habe mich wie einen solchen gezeigt – mich kindisch Preis gegeben – ich will's nicht länger. Aber bei Allem, was ich erduldet, sie sollen mich nicht betrügen; ich werde sehen und dann – was dann? Ich weiß es nicht – da ist das Haus – nun Verstellung – Ruhe.«

Er trat in das Haus und erblickte bald den lächelnden Johann, welcher seinerseits den jungen Mann sogleich erkannte und mit großer Freundlichkeit ihm entgegen und dann vor ihm her die Treppe hinauf eilte. Oben blieb er an der Thür von Mathildens Zimmer stehen, die Hand auf der Klinke, bereit zu öffnen. »Melde mich;« sagte Heinrich, indem er auch stehen blieb. – »Sie werden sich doch nicht versagen, die gnädige Frau zu überraschen?« sagte Johann lächelnd. Zugleich öffnete er weit die Thür; Mathilde wandte sich vom Tische ab und um, Heinrich stand der Thür gerade gegenüber, Mathilde sah ihn und stieß einen Ruf des freudigen Erschreckens aus; er trat schnell gefaßt ein, Johann schloß die Thür.

»Theure Schwester,« sagte Heinrich auf englisch, indem er sich Mathilden rasch näherte; »was für ein Vergnügen, Euch hier zu sehen!«

»Haltet Ihr es für ein Vergnügen?« fragte die junge Frau, während er sie küßte; »man sollte es nicht denken.«

»Wie das, theure Schwester?«

»Gut, theurer Bruder; Ihr schriebt niemals eine Zeile seit Weihnachten, und wir warteten vergebens auf Euch in den Ferien; da kann man wol glauben, daß Ihr Euch nichts aus uns macht.«

»Ihr denkt nicht so, Mathilde; Ihr wißt sehr wol, daß ich Euch Beide mehr liebe, als irgend etwas in der Welt.«

»Warum habt Ihr uns denn so viel Unruhe gemacht?«

»Habt Ihr denn an mich gedacht? Hattet Ihr Zeit, es zu thun?«

»Wie könnt Ihr nur solche einfältige Fragen thun?«

»Seid nicht böse, Mathilde; Alexander hat mir gesagt, daß ich Unrecht gehabt habe; sagt mir das auch, und ich werde überzeugt sein und Euch um Vergebung bitten.«

»Gut denn – ich sage Euch, Ihr habt Unrecht; wir haben an Euch gedacht, obgleich Ihr es nicht verdientet; ich bin nicht verändert, und Ihr seid ohne Grund eifersüchtig. Nun bittet um Vergebung.«

»Ich thu' es, süße Schwester, vergebt mir; seht ich kniee vor Euch!«

»Steht auf, Heinrich,« sagte Mathilde, plötzlich ernst; »Ihr seid nicht aufrichtig.«

»Ja, Du hast Recht,« rief der junge Mann, sprang auf und sah sie mit bittenden Blicken an; »ich war nicht aufrichtig, ich sprach falsch, wie ich eine fremde Sprache sprach. Da Du es siehest, will ich Dir's auch sagen. Nein, ich habe nicht Unrecht, Du hast mir Unrecht gethan.«

»Und darum wirst Du falsch?«

»Ich hab' es nur versucht, ich will's nicht länger sein. Ich wollte – o, ich kann es nicht sagen, was ich wollte. Sage Du mir – aber nein, aber nein, sage mir nichts. Sieh mich nur an – ja, das sind Deine Augen, die Augen, die ich immer sah und von denen ich glauben konnte, sie hätten gelogen.«

»Ich lüge nicht, Heinrich!«

»Nein, Du lügst nicht – ich glaube nun wieder an Dich; o Mathilde, ich hatte Unrecht.«

»Und ich Recht!«

»Nicht ganz, Mathilde, nicht ganz.«

»Nun, so wollen wir theilen und Jeder halb Unrecht und halb Recht haben. Willst Du's?«

»Mathilde!« sagte Heinrich, vor ihr knieend, als sie sich auf das Sopha gesetzt hatte. »Mathilde!« wiederholte er; »o, mein Gott, was hat sich mir in dieser Stunde Alles durch den Kopf gedrängt!«

»Sonnenstrahl ist schön und munter,« sagte Mathilde lächelnd, indem sie Heinrich eine Hand gab und mit der andern über sein Haar strich.

»Das hast Du mir damals durch Edgar sagen lassen.«

»Und jetzt sag' ich Dir's selber. Die Hyazinthen haben im Garten köstlich geblüht.«

»Ich hab' es vergessen, mir welche zu kaufen.«

»Alles über Deinen Studien.«

»Alles über dem, was Du mir angethan hattest.«

»Das war eine rechte Thorheit, Heinrich.«

»War es eine Thorheit, Mathilde? Ich will hier so gern ein Thor sein! War es eine Thorheit?«

»Das war es, Heinrich; Du bist ein Thor gewesen, darüber kann ich Dir Brief und Siegel geben.«

»Ich glaube Dir, selbst wenn Du lügst, wollt' ich Dir glauben. Es ist jetzt hier der erste Augenblick, wo ich seit vier Monaten wieder aufathme.«

»Du mußt nicht mehr neidisch sein, Heinrich.«

»Ich will Alles thun, was Du mir sagest.«

»Auch nicht mehr ungerecht gegen Edgar sein.«

Heinrich heftete seine Blicke noch fester auf ihr Gesicht; es blieb ruhig wie ein klarer Spiegel. Er ließ die Augen sinken und sagte gepreßt: »ich will es versuchen, aber die Annäherung zwischen uns überlasse der Zeit.«

»Das ist Alles, was ich verlange – Du bist gewachsen, Heinrich.«

»Ich werde doch nicht so groß, als Alexander.«

»Aber viel größer bist Du geworden. Wie hast Du denn das gemacht, da Du so viel gesessen hast?«

»O, ich bin auch viel gegangen. Den ganzen Abend, oft auch einen Theil der Nacht hindurch.«

»Warum denn nicht am Tage?«

»Da fand ich Menschen, Bekannte, und ich wollte allein sein.«

»Das war nicht gut.«

»Nein, das war nicht gut, denn statt der Menschen gingen dunkle Gedanken mit mir.«

»Die hättest Du durch Gebet verbannen sollen.«

»Wenn man das immer könnte, liebe Schwester. Wenn das Gebet Macht haben soll, muß der Glaube es thun, nicht die Leidenschaft, und die that es bei mir. Ich will Dich nicht erst in meine Seele hineinsehen lassen, wie sie diese Zeit über war, – es giebt Zeiten im Leben, auf die man einen Stein wälzen muß, daß sie verborgen bleiben – aber ich war sehr unglücklich. Gott gebe, daß Du es nie so sein mögest, daß Du nie Gedanken haben mögest, die sich nicht verbannen lassen.«

»O, ich kenne deren auch schon,« sagte Mathilde, und ein leises Beben war in ihrer Stimme, und eine leichte Blässe überflog ihr Gesicht.

»Seit wann, Mathilde?« fragte Heinrich und sah sie scheu und ängstlich an.

»Sonst,« antwortete sie, »jetzt nicht mehr. Jetzt bin ich sehr glücklich. »Sie sah vor sich hin, wie man in eine schöne, sonnige Ferne blickt, die Lippen halb zum Lächeln geöffnet, und das Nahe vergessend. »Mathilde!« sagte Heinrich leise. Sie fuhr leicht zusammen und blickte ihn lieblich an. Er fragte: »verzeihst Du eine Frage?«

»Wenn sie nicht sehr unartig ist.«

»Weißt Du etwas von dem Verhältniß, in dem Edgar und die Räthin zu einander stehen? Du erröthest; das heißt deutlich: Ja.«

»Alexander hat mit mir darüber gesprochen.«

»Und was sagst Du dazu, Mathilde?«

»Ich kann nur bedauern.«

»Du urtheilst sehr mild – sonst hättest Du anders gesprochen. Dein Herz besticht Dich hier; es ist Gefahr in solcher unzeitigen Nachsicht – es ist selbst schon ein eigenes Hinneigen zu der Schuld darin, wenn diese uns nicht mehr erschreckt.«

»Es ist Dein Glück, daß ich Dich heute so lieb habe, Heinrich. Entschuldige ich denn die Schuld? Ich bedauerte, daß edle Menschen durch unselige Neigung in dieselbe verwickelt werden können, und wer dürfte denn auch verurtheilen? Wir haben nicht am Abgrunde gestanden, lieber Heinrich; wir wissen nicht, wie der Schwindel hinunterreißt.«

»Ja, wer an den Abgrund kommt, weil er die Erde vergaß, um einer Gestalt zu folgen; – aber wer kalt an den Rand tritt, die Tiefe mißt und dann überlegt, in den Pfuhl hinuntersteigt – und das hat Edgar gethan. Er liebt diese Frau nicht.«

»Aber sie liebt ihn, und das hat ihn hingerissen.«

»Hingerissen! – Du kennst uns Aarhausens noch wenig, liebe Schwester, sonst würdest Du das nicht sagen. Ich kann Dir versichern, daß wir nur thun, was wir wollen, und eben darum, weil ich weiß, daß Edgar dieses Verhältniß gewollt hat, ist mir's so in tiefster Seele widrig, so unrein, so gewöhnlich. Wenn er diese Frau liebte, warum würde er sie dann nicht um jeden Preis dem Manne entreißen, der jetzt Rechte an sie hat? Warum thut er's nicht?«

»Weiß ich's denn?«

»Ich weiß es. Weil sie kein Vermögen hat und Edgar eine Frau ohne Vermögen nicht brauchen kann. Dieselbe Rücksicht hält sie bei ihrem Manne und dieser läßt es gehen, weil es ihm nichts ausmacht, weil er selber nicht besser ist. O, das Ganze ist so widerwärtig.«

»Warum sprechen wir dann davon?«

»Weil ich Dich fragen wollte, ob Du glauben kannst, daß ein Mann, der die Liebe einer Frau wie die Räthin annimmt, im Stande sei, jemals die Reinheit einer andern Frau zu lieben?«

Eben als Mathilde antworten wollte, eine Antwort, die wahrscheinlich zu weit geführt haben würde, trat Alexander mit Herrn von Bayer ein: dieser eilte, die junge Frau zu begrüßen, und die Frage verhallte ohne Erwiderung.


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