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Fünfzehntes Kapitel.

Der Spätherbstwind fuhr über den frischen Acker, und Edgar war wieder in der Residenz und – verheirathet.

War er glücklich? Nein. Er war unglücklich. Er liebte Mathilde, trotz des Hasses, mit welchem er gegen seine Liebe anstürmte, so sehr sein Stolz sich empörte, so sehr er sich selber darüber verachtete – er war unglücklich. Und Hortense war auch unglücklich; denn sie mußte neben Mathilden sinken, und sie sank. Edgar erblickte sie im Staube und zeigte ihr das, zwar nur in unbewachten Augenblicken deutlich, aber dann auch deutlich genug, und durch feindliches Wesen zeigte er es ihr in jedem Augenblick. Sie ertrug es; sie sagte sich schmerzlich, daß sie eigentlich keine Achtung fordern dürfe; sie betrachtete die Leiden, welche ihr durch den so heißersehnten Besitz geworden, als Buße für ihre frühere Schuld; sie weinte im Verborgenen und flehte um eine bessere Zukunft; sie liebte den Mann, der sie unglücklich machte.

An einem der letzten Novemberabende saßen Beide auch so ohne Freude beisammen. Der Abend war eben erst hereingebrochen, aber die Lampe schon angezündet, denn die Dunkelstunde ist nur für Glückliche, oder für Unglückliche, die allein sind. Hortense arbeitete, Edgar las die Zeitungen, da trat der Bediente herein und meldete, daß Jemand den gnädigen Herrn zu sprechen wünschte »Allein?« fragte Edgar. »Davon hat er nichts gesagt;« antwortete der Bediente. »So laß ihn hier hereinkommen;« sagte Hortense sanft. Edgar nickte unmuthig dem Bedienten zu, und dieser öffnete Herrn Faß die Thüre.

Der Mann war mager geworden und hatte ein verzagtes, melancholisches Ansehen, welches mit der zu weiten Weste und dem lange nicht mehr ausgefüllten Rock eine traurige Uebereinstimmung hatte. Edgar sah das, aber ohne Mitleid; auf seiner Stirne bildete sich vielmehr der feindseligste Zug. Herr Faß, der trübselig zu ihm aufblickte, verstand diesen Ausdruck nur allzuwol und stieß einen tiefen Seufzer der Entmuthigung aus.

»Das ist eine unerwartete Ehre;« sagte Edgar endlich, als Herr Faß immer noch schweigend vor ihm stand; »darf ich fragen, wie ich dazu komme?«

»Ich bin ein unglücklicher Mensch, Herr von Aarhausen;« antwortete Herr Faß mit leiser Stimme.

»Und was soll ich dabei?« fragte Edgar.

»Ich habe es Ihnen schon geschrieben;« sagte Herr Faß, und sah noch kläglicher als vorhin zu Edgar auf.

»Ich habe Ihre Briefe unbeantwortet gelassen;« antwortete Edgar scharf.

»Das weiß ich zu meinem Unglück;« sagte der neue Gutsherr jammervoll; »aber eben deswegen komm' ich her. Sie müssen mich hören, Herr von Aarhausen, Sie müssen sich erbarmen; ich halt' es in dem unglückseligen Schlosse nicht aus.«

»So ziehen Sie heraus;« antwortete Edgar.

»Das ist ja schon geschehen,« seufzte Herr Faß, »aber der Spuk ist mir ja nachgezogen.«

»Da kann ich nicht helfen;« sagte Edgar kalt.

»Ja, Sie können helfen,« jammerte Herr Faß; »wenn das Unglücksschloß wieder in Ihren Händen ist, wird der Geist Ruhe haben. Ich hab' es Ihnen Alles auseinandergesetzt. Goczyn und Siemianice für achtzigtausend Thaler – Sie machen den besten Rückkauf – erbarmen Sie sich – wollen Sie?«

»Nein,« antwortete Edgar unbeweglich.

»Nein!« wiederholte Herr Faß; »nein! o Du mein Heiland – o Du mein Gott – ich Unglücklicher! Herr von Aarhausen, Sie sind ja doch ein Mensch, haben Sie denn kein menschliches Herz? Denken Sie sich's doch nur – beim Winde trappt es im ganzen Hause herum – wo ich stehe, packt's mich an – ist denn das ein Leben?«

»Ich weiß nicht;« sagte Edgar.

»Im ganzen Hause trappt es beim Winde,« schrie Herr Faß, mit der ganzen Rücksichtslosigkeit des Jammers.

»Und ich will nicht;« sagte Edgar, mit hervorzuckender Heftigkeit in der Stimme. »Ich hasse Goczyn – ich will es nie wiedersehen.«

»O Du gnädiger Gott, und was soll denn aus mir werden?« fragte Herr Faß.

»Werden Sie ein Betbruder,« antwortete Edgar; »singen Sie Bußlieder, wenn es trappt; schreien Sie zum Herrn, wenn es Sie packt; – thun Sie, was Sie wollen oder was Sie nicht wollen, – was ich will – wissen Sie; was aus Ihnen wird, ist mir einerlei, und nun – haben Sie meine Antwort.«

»Ja, die hab' ich, aber Sie haben kein menschliches Herz;« sagte Herr Faß mit schmerzlich ergebenem Gesicht; »ich werde zurückgehen in mein Haus des Elends; aber wenn es mein Letztes ist, so haben Sie meinen Tod auf dem Gewissen.«

»Wie Sie wollen;« antwortete Edgar gleichgültig. – »Was ist schon wieder?« fragte er finster den Bedienten, der leise die Thüre geöffnet hatte. »Ein Herr erwartet Sie in Ihrem Zimmer;« antwortete dieser.

»Ich habe wol nicht mehr die Ehre, Sie zu sehen, Herr Faß;« sagte Edgar zu dem geschlagenen Manne. Er ging; Herr Faß stand noch immer wie ein Bild des hoffnungslosesten Jammers da. Hortense fühlte Mitleid. »Ist denn das auch wirklich so, wie Sie sagen, Herr Faß?« fragte sie; »hat die Einbildungskraft Sie nicht getäuscht?«

Herrn Faß war es, als höre er einen Engel, so erquickend klang ihm in seiner Trostlosigkeit diese sanfte Stimme. Er kam näher und erzählte; der Mann hatte keine Vernunft mehr, nur noch Furcht; er schalt auf seinen Schwiegersohn, der an den Spuk nicht glauben wolle, und Hortense konnte ihn zu keiner andern Ueberzeugung bringen.

Während sie sich diese undankbare Mühe gab, war Edgar in sein Zimmer getreten, wo der Bediente die Wachslichter angezündet hatte. Von ihrem ruhigen Scheine beleuchtet, stand halb in einen Mantel gehüllt ein junger Mann und wandte sich langsam nach Edgarn um. Dieser sagte: »Heinrich!«

»Ich bin es,« antwortete der junge Mann. Er war in tiefer Trauer, völlig blaß, ohne Regung in den Zügen, tiefe Ruhe in jeder leisen Bewegung. »Sie ist todt!« sagte er nach einigen Augenblicken.

»Ich dachte mir's, als ich Dich sah;« antwortete Edgar; »wann ist sie gestorben?«

»Vor einigen Wochen;« versetzte Heinrich.

»Schmerzlos?« fragte Edgar.

»Am Nervenschlage;« sagte Heinrich; »ich fand sie des Morgens todt. Deine Karte hat sie noch erhalten.«

Edgar fuhr zusammen; aber er bezwang sich sogleich wieder und fragte: »weiß ihre Mutter es schon?«

»Nein,« antwortete Heinrich; »ich will erst zu ihr. Für Dich aber fand ich diese Papiere in Mathildens Schreibtisch.« Er legte einige Blätter in einem an Edgar überschriebenen Umschlag auf den Tisch.

Edgar sah sie nicht an. Er fragte: »wo ist sie begraben?«

Heinrich antwortete: »auf Torcello, wo ich einem Fischer eine Stelle abkaufte.« Edgar schwieg. Heinrich sagte: »lebe wohl!« und ging. Hortense war längst allein und wartete mit Unruhe; da kam der Bediente und sagte: der gnädige Herr habe für die ganze Nacht zu schreiben. Hortense blieb traurig einsam; Edgar las Mathildens Blätter, die hier folgen mögen.

 

»Triest, August.

»Wir sind hier und fahren in wenigen Stunden mit dem Dampfschiffe nach Venedig; – dann wird so Wasser als Land zwischen uns sein. O ich weiß nicht, wie ich die Kraft hatte, mich bis hierher fahren zu lassen. Wie oft hab' ich in Todesangst die Hände auf die Lippen gepreßt, weil mich's drängte zu schreien, daß der Wagen halten sollte, daß ich zurückwollte. Ich zwängte das wahnsinnige Geschrei in die Brust zurück; aber nun ich hier bin, habe ich fast keinen Athem mehr. Der Raum macht die Trennung; eine Stadt nach der andern hinter sich aufgethürmt wissen, das ist's, was scheidet und was so fürchterlich ist.

Und dabei denken, daß Sie mit kalten, höhnischen Worten von mir gingen, daß Sie meine Liebe für klein und machtlos hielten, daß Sie meine Leiden nicht anerkennen – o Gott! Edgar, fühlen Sie denn nicht, daß ich nicht anders konnte? Ich weiß nicht– auch meine Mutter sprach von Wahl – ich müßte doch auch die Möglichkeit einsehen, wenn es eine gäbe. Es giebt keine – glauben Sie denn, ich hätte mich freiwillig elend gemacht? O, ich bin noch so jung – ich kann noch so lange leben, und ich hätte das Glück nicht wollen sollen, wenn ich es hätte fassen können?

Edgar, ich habe es Ihnen noch nie deutlich gesagt, daß ich Sie liebe, und Sie müßten es auch wissen, hätten Sie nicht zweifeln wollen. Aber da Sie meine Liebe eine Lüge schelten, so sag' ich's Ihnen. Sie sind noch nie so geliebt worden, als von mir. Dieses Gefühl tödtete meinen Frieden und nagt an meinem Herzen; aber es ist doch das Einzige, das ich auf Erden der Mühe werth halte. Eh' ich Sie sah, hatt' ich blühende Jugend, und jetzt bin ich nur noch der Schatten meiner selber; aber ich möchte nicht wieder werden, was ich war, und Sie nicht gekannt haben. Ich habe meine Mutter und meine Heimath verlassen, aber ich denke an nichts, als an Sie. Ich erröthe, indem ich dieses Geständniß schreibe; doch Sie sollen es erst lesen, wenn ich todt bin, und ich würde nicht sterben können, wüßt' ich nicht, daß Sie Ihre Ungerechtigkeit gegen mich einsehen würden.

 

Venedig, am Morgen.

Nun bin ich in meinem Grabe, denn hier will ich sterben. Ich will? Weiß ich denn, ob der Tod kommen wird? Er soll ja die Unglücklichen höhnen, indem er sie verschont; aber wenn Gott Erbarmen hat, so schickt er mir ihn.

 

Venedig, den letzten August.

Meine Hand zuckt vor Scham, daß sie den Wahnsinn meines Herzens schreiben soll; aber ich kann meine Stimme nicht ersticken.

Edgar, von Ihnen getrennt sein und wissen, daß ich Sie nicht wiedersehe, ist gräßlich; ich weiß nicht, wie ich den Gedanken noch länger ertragen soll; ich weiß nicht, wie es möglich sein wird, die künftigen Tage zu durchleben. Ich bitte Gott um den Tod; sonst verläßt mich die Kraft, wenn Sie nicht von der Liebe getrieben kommen und mich retten. Ich kann Sie nicht rufen, Sie müßten mich plötzlich mit dem innern Auge sehen, wie ich auf Sie warte und, wenn Sie kämen, Sünde und Alles thun wollte, um die Ihre zu werden.

 

Venedig, den ersten September.

»Wenn Sie einmal eine Andere liebten – daran hab' ich heute gedacht. O, nur das nicht! Lieber Sie todt wissen, als einer Andern –

Und Sie werden es thun; – wie Sie an mir zweifeln konnten, so können Sie mich auch vergessen. Ich sehe plötzlich scharf; Edgar, Ihr Herz ist nicht gut – es ist stolz, und hat für Andere nichts. Und sollte es doch noch an mir hängen, so wird Ihr Wille es mit Gewalt losreißen und einer Andern zuwenden. Und ich werde das hören – und schweigen müssen.

O, Edgar! ich wollte manchmal, ich hätte Sie nicht geliebt.

 

Venedig, den 14. September.

Es ist Sonnenuntergang – Edgar – die Gondeln schiffen im goldenen Lichte. Der Himmel ist klar – daß er mich aufnähme! daß ich eingehen könnte! Unendliche Sehnsucht kommt über mich, einmal ruhig zu sein. Wenn ich jetzt den Kopf an Ihre Brust legen und so einschlafen könnte auf immer – dann wollt' ich sagen: ich bin glücklich gewesen.

Die Stunden unsers Beisammenseins erscheinen mir wieder. Ich könnte sie zählen, so steht jede vor mir da. Erinnern Sie sich noch an welche? An den Sylvesterabend? An das Wiedersehen nachher? An den Abend Ihrer Erklärung? Ich denke an den einzigen Kuß, die größte Schuld und die einzige Seligkeit meines Lebens.

Wenn ich hätte die Ihre werden können– lassen Sie mich's einmal ganz denken! Ich hätte Sie täglich gesehen, oder doch nur selten auf Monate nicht. Ich hätte für Sie geschaffen und geborgt – Ihr Blick hätte auf mir geruht, mild und liebend; denn wenn Sie auch verwunden können, gegen mich, die ich mich ganz Ihnen hingegeben hätte, würden Sie diese Macht nicht gebraucht, Sie würden mich still an Ihrem mächtigen Herzen haben liegen lassen. O, das ist ein Traum, gegen den alle Wahrheit in der Welt nichts ist, ein Traum, der zu schön ist, als daß er hätte wirklich werden können. Und so lösche er aus!

Edgar – nur noch einmal Ihre Lippen führen, wie sie die meinen damals liebeheiß suchten! Nur noch einmal Sie ansehen, und sei es auf Minuten, oder wenn Sie schlafen, aber nicht so die Augen schließen müssen jeden Abend mit der Gewißheit, ich werde Sie am Morgen nicht finden! Die Luft bildet ja nirgends eine Mauer: warum dringt meine Sehnsucht nicht zu Ihnen? O der Raum, der entsetzliche Raum, der uns trennt!

Das ist noch das Einzige, daß ich hier unglücklich bin, wo Sie gewohnt haben. Darum wollt' ich auch hierher; – für mich ruhen Ihre Blicke noch auf Venedig – ich fühle sie, wenn meine Augen traurig umhersehen. Edgar – Edgar – wie habe ich Sie geliebt!

 

Den 20. September.

Die Schiffe gehen und kommen – Du kommst auf keinem; – wann wird der Tod kommen?

 

Den 28. September.

Heute sah ich die Sonne von Torcello untergehen; da will ich begraben werden, Heinrich hat mir's versprochen. Der arme Heinrich – ich wollte er stürbe mit mir; denn was soll er ohne mich in der Welt? Doch nein – er ist jung – er wird sich noch trösten. Und Sie werden mich vergessen. Wenn ich nur diesen Gedanken nicht haben müßte! Sie haben mich geliebt, aber können Sie treu sein? wollen Sie es? Nein, Edgar, die Treue ist nicht für Sie; warum kenn' ich Sie denn mit einem Male so gut? warum fällt alles Blendwerk von Ihnen ab, und ich sehe Sie, wie Sie sind – und liebe Sie doch, wo möglich wahnsinniger, als je?

Alexander stand unendlich höher, als Sie – Heinrich ist tausendmal besser, als Sie – und ich liebte Jenen nicht und lasse Heinrich seine Jugend ohne Hoffnung durchleben, und nur Sie sind in meinem Herzen.

 

Den 3. Oktober.

Wenn das Meer mich verstände, so zög' es die Gondel, auf der ich fahre, hinunter und bettete mich zu Tausenden auf seinen Grund.

 

Den 30. Oktober.

Ich habe Ihre Karte erhalten – Ihre Verbindungskarte. Edgar, das hätten Heinrich und Alexander nicht gethan. Es ist eines Mannes unwürdig; denn es ist eben so gut, als schlügen Sie mich mit roher Hand; der Mann die schwache Frau. Ich verachte mich, daß ich Sie noch liebe.

 

Den 31. Oktober.

Ich bin hart gegen Sie gewesen, Edgar, wie Sie schlecht gegen mich waren. Ich weiß nun, daß Sie mich noch lieben. Nicht bei Hortensen werden Sie mich vergessen. Ich weiß auch, daß Sie mich nur verwunden wollten, weil Sie selber unerträglich litten. Nur ein reiner Mensch bleibt edel im Leiden – Sie sind nicht mehr rein – Sie mußten sich für Ihre Qual rächen. Aber Sie lieben mich noch und werden mich lieben – ich habe, was ich will; ich vergebe Ihnen, ich lasse Sie ruhig mit Hortensen – Sie sind mein.

Lassen Sie es jedoch Hortensen nicht entgelten, daß Sie mich genug liebten, um mich hassen zu können. Machen Sie wenigstens ein Wesen so glücklich, als Sie können. Hortense hat es um Sie verdient, ich gönne ihr ein armes Glück, den Schatten von dem, welches ich genossen hätte. Auch haben Sie diese Verpflichtung auf sich genommen und müssen sie erfüllen, so wie ich von nun an nicht mehr an Sie schreiben darf. Wie ich die Kraft dazu haben werde, weiß ich noch nicht; aber den Willen hab' ich, und ich sage Dir Lebewohl, mein geliebter Freund, aber auch, wie Du einst zu mir sagtest: auf Wiedersehen!«

 

So hatte sie also ihren Tod nicht so nahe geahnet; aber in den ersten Tagen des Novembers war sie gestorben.


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