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Drittes Kapitel.

Was Mathilde an dem ersten Abend ausgesprochen hatte, schien in Erfüllung zu gehen; sie war überglücklich, denn sie war ohne einen Gedanken, daß es je anders werden könne. Zudem dachte sie nicht daran, daß ihr Glück größtentheils nur in ihrer Empfindung lag; doch schützte auch Alexander ihr Leben so schön, daß es natürlich war, wenn sie glaubte, er thue noch mehr. Sie hatte sich zwar schon nach Liebe gesehnt, aber eigentlich war sie doch noch nichts weiter als ein Kind, bei der Mutter ein stilles und ernstes, jetzt in der neuen Freiheit ein frohes, spielendes Kind, welches Alles nachholte, was es bisher nicht hatte treiben dürfen. Schon daß sie schlafen konnte, so lange sie wollte, und anziehen, welches Kleid ihr an dem Tage eben am meisten gefiel, machte sie herzinnig vergnügt: wie vielmehr nun nicht das Bewußtsein, daß sie in Allem ihre eigene Herrin sei; denn Alexander dachte nicht daran, ihr Herr zu sein, er freute sich vielmehr, wenn sie recht viel wollte, denn es war immer etwas Kluges, dessen Ausführung auch ihm Vergnügen machte. – Heinrich, der sich in Goczyn von einer ernstlichen Krankheit erholen sollte und daher länger als gewöhnlich blieb, war ihrem leichtesten Einfalle blind unterworfen. Bei Spaziergängen starrte er unverwandt nach ihren Augen, um ihnen abzuspähen, von welcher Blume sie etwa angezogen würden; diese bot er ihr im nächsten Augenblicke, wenn er sie auch aus Nesseln oder Dornen hatte pflücken müssen. Er hatte großes Talent zum Zeichnen, aber keine Geduld es auszubilden; nur in Stunden der Unruhe zeichnete er und daher immer nur hastige Umrisse, aber sein inneres wildes Jugendleben zuckte in diesen, und Jeder, der sie sah, ward davon überrascht. Eine solche Zeichnung brachte er ihr fast täglich, und immer bezog sie sich auf etwas, das den Tag vorher durch Mathilde in ihm angeregt worden war. Die Blumen, welche sie zu Sträußen und Kränzen unermüdlich verwand, reichte er ihr ebenso unermüdlich zu, und im Garten arbeitete er oft mit dem Morgenrothe, wenn etwas nicht ganz ordentlich war und der alte Gärtner Henne nicht Zeit hatte, es zu machen. Mathilde hatte für dieses alles ihn auch herzlich lieb; wenn er einmal nicht da war, rief sie nach ihm, wie nach einem verlorenen Kinde; ein Kuß war oft seine Belohnung, und endlich durfte er sie Schwester und Du nennen. Er hatte sich erst lange nicht dazu entschließen können, es war ihm wie Vermessenheit vorgekommen; als er es endlich über die Lippen gestoßen hatte, war er an den Kanal geeilt, wo sich Erlen ganz dicht an diesen drängten, und hatte geweint; ob aus Lust oder Weh, das hatte er nicht gewußt, aber die Thränen waren ihm glühend aus den Augen gestürzt. Mathilden's Schönheit mochte ihn wol so aufregen; er hatte eine leidenschaftliche Empfindung von aller Schönheit, und nun war diese blühende ihm täglich so nahe. Aus dieser steten Nähe, in welche er mit Frauen bisher noch nie gekommen war, mochte es sich auch erklären lassen, daß Mathilde ihm als das reizendste Weib erschien und manche schönere Gestalt, die er schon gesehen, vor dieser neuen ganz verschwand.

Mit dem Haushalte sich zu beschäftigen, hatte Mathilde nicht nöthig; die runde, stattliche Frau Henne hatte sowol, als Alexander's Oheim noch lebte, als später für Alexander das Regiment in Wirthschaft und Küche so ausgezeichnet geführt, daß Mathilden nichts übrig blieb, als es ihr auch fernerhin zu überlassen, doch mit Vorbehalt der täglichen Ertheilung ihrer Befehle, welche einzuholen Frau Henne auch an keinem Morgen versäumte. Frau Henne nahm sich allerdings bisweilen die Freiheit, es anders zu machen, als die, wie sie sagte, zwar recht vernünftige, aber doch noch gar sehr junge Frau es gerade gewollt hatte, und Mathilde zog über jeden solchen Eingriff in ihre Hausfrauenrechte ein so böses Gesicht, als sie es überhaupt ziehen sonnte; aber eigentlich stimmten Frau Henne und ihre junge Herrschaft doch sehr gut zusammen, um so mehr, da Mathilde an hundert andere Dinge zu denken hatte, die ihr alle wichtiger waren.

Des Morgens lernte sie reiten, Alexander hatte einen wunderhübschen schlanken Schimmel für sie gekauft, den Heinrich Sonnenstrahl genannt hatte, weil, wie er leidenschaftlich murmelte, nur ein solcher werth sei, Mathilden zu tragen. Sonnenstrahl schien dieses sein Glück anzuerkennen, besonders seit er täglich Brot und Zucker erhielt, wenigstens gab er Antwort, wenn Mathilde ihn rief, und erschreckte sie nie, so daß sie bald recht keck zwischen den Brüdern dahinritt und auf dem schlanken leichten Thiere unbeschreiblich anmuthig aussah. Kamen sie von solchem Ritte, oder von einer raschen Spazierfahrt nach Hause, so las Heinrich einige Stunden vor, und nach Tische unterrichtete Alexander Mathilden im Englischen, welches er in volksthümlicher Reinheit sprach, da er länger als zwei Jahre bei einem Freunde in England gelebt hatte.

Dieser Freund hatte auf der Universität der Residenz studirt und Alexandern, der damals bei der Garde stand, bei dem Besuche von Vorträgen kennen gelernt. Als er nach seiner Rückkehr in das Vaterland ganz unerwarteter Weise in den Besitz eines Titels und damit verbundener weitläufiger Güter kam, lud er seinen Bruder, wie er Alexander nannte, zu sich ein. Alexander hatte eben den Dienst verlassen, wollte reisen und wußte in der verzweifeltsten Stimmung nicht wohin; die Einladung des Freundes war ihm, was dem Verirrten ein Ruf ist, der ihm einen Pfad zeigt. Er reis'te, er kam an, er stammelte an der Seite des Freundes Alles aus, was er gelitten, was seine Züge so zerstört hatte. Lord Mowbray sagte wenig; er reichte ihm ernst die Hand, und Alexander fühlte zum ersten Male wieder die Möglichkeit des Trostes. Nach einigen Tagen fragte Lord Mowbray den Freund: ob er immer bei ihm bleiben wolle? Er sagte: auch er habe das einzige Mädchen, welches er je geliebt, verloren; er werde nie heirathen; nahe Verwandte habe er auch nicht; ein entfernter werde einst sein Erbe sein, solle aber sonst ihm fremd bleiben, so wollten sie ganz einsam mit einander leben, studiren, jagen, auch wol reisen, aber sich nie mehr in die Welt mischen. Lord Mowbray hatte einfach gefragt, Alexander ihm seinerseits die Hand gereicht und nur gesagt: »ja, ich will.« Damit war Alles abgethan; gewöhnliche Bedenklichkeiten konnten zwischen ihnen nicht stattfinden; Alexander war von diesem Augenblicke an wirklich der Bruder Lord Mowbray's, und sie lebten, wie dieser es gesagt. Die Tage gingen ruhig hin; sie sprachen nicht mit einander von ihren Schmerzen; Jeder wußte, was der Andere litt, Keiner störte den Andern. Lord Mowbray war stärker und äußerlich ruhiger; Alexander erhob sich an seinem Beispiel; er studirte England in staatswissenschaftlicher Hinsicht und suchte in dem Allgemeinen sich selber zu vergessen. Die Großartigkeit des englischen Adelthums machte ihm die Brust weit; er fühlte, daß er in solche Verhältnisse gehöre, nicht in die fast ausgeglichenen seines Vaterlandes. Sein Charakter, seine Ansichten, selbst sein äußeres Wesen bildeten sich in diesem Sinne aus, und er wurde völlig unpassend für ein Leben in Deutschland. Und doch sollte England bald keine Heimath mehr für ihn sein. Es war Frühling; die Freunde reisten an die Küste, da das Baden im Meere für Beide ein Lieblingsvergnügen war; doch eines Tages sank Lord Mowbray, von einem Krampf ergriffen, unter und ertrank. Alexander war zu weit von ihm entfernt; den leblosen Körper brachte er an das Ufer; Rettung war nicht möglich. – Dumpf und starr kam Alexander nach Deutschland zurück; in finsterer Abgeschiedenheit verlebte er die ersten Monate. Dann raffte er sich zusammen, die Ansicht gewinnend, daß gerade dieser Freund nicht so betrauert werden dürfe. So wandte er sich der Heimath wieder zu und kam nach Goczyn, wo der Bruder seines Vaters lebte. Seine Jugendliebe zu dem ernsten Schloß erwachte. Er beschloß bei dem alten Oheim zu bleiben, der nie verheirathet gewesen war und sich, seit er einst im Aerger den Abschied genommen, hier mit dem alten Henne und von Zeit zu Zeit mit einem ehemaligen Kameraden so gut oder so schlecht, als es ging, unterhielt. Heinrich war damals ein eilfjähriger Knabe und unter der sorglosen Aufsicht des alten Herrn und bei dem Unterricht des Kantors aus dem Städtchen bisher aufgewachsen, wie er Lust hatte. Alexander zog ihn an sich und wurde ihm von nun an Bruder und Vater zugleich; die Eltern waren ihnen Beide schnell nacheinander gestorben, als Heinrich vier Jahre alt war.

Die Beschäftigung mit dem Knaben und die wilde Liebe, mit welcher dieser bald an dem Bruder hing, waren Bande, welche Alexander auf das Neue an das Leben knüpften; auch war er nun ein Mann und wurde allmälich immer ruhiger; endlich konnte er sogar wieder heiter sein. Der Oheim starb und hinterließ ihm Goczyn, auf dem auch das Vermögen seiner Brüder stand; er fuhr fort Heinrich zu leiten, und lebte zurückgezogen, doch besuchte er von Zeit zu Zeit die Residenz und empfing wol auch den Besuch Edgars und einiger früheren Freunde. Es konnte nicht fehlen, daß er nun auch wieder in Berührung mit Frauen kam, die allmälich, und ohne daß er es im Anfange merkte, eine unbestimmte Sehnsucht in ihm erweckten. Als Heinrich das Schloß verlassen hatte, um sich dem Forstfache zu widmen, ward es ihm sehr öde in dem alten, einsamen Bau; es war eigentlich kein Mensch weniger als er für kalte Abgeschiedenheit gemacht, und der Gedanke an ein häusliches Verhältniß kam ihm erst flüchtig, dann immer öfter; doch war er noch nicht entschlossen, als er Clementinen kennen lernte. Sie war nicht mehr ganz jung, aber sehr liebenswürdig; er schwankte, wir wissen: warum. In dieser Unsicherheit führte ein Zufall ihn auf das Gut der Frau von Hain; er sah Mathilden und war schon in der ersten Stunde entschieden. Mathildens kindlich unbefangenes Wesen versprach ihm ein friedliches Glück, wenn wir das, was das Leben ihm überhaupt noch bieten konnte, Glück nennen dürfen, und er glaubte, auch ihr genügen zu können. Seine Hoffnung hatte ihn nicht getäuscht; ob er mit seinem Glauben Recht gehabt hatte? Noch immer schien es so, aber vielleicht war es auch nur Schein; wenigstens zeigte Heinrich in manchen Stunden eine düstere Stirne, und der erste Unmuth gegen Alexander begann leise in ihm zu keimen. Heinrich war, wie Mathilde, achtzehn Jahre alt, also gerade in dem Alter, wo die Leidenschaften aus ihrem Schlafe erwachen und sich unheimlich zu regen beginnen. Das Glück, eine Frau wie Mathilde zu besitzen, schien ihm so übermenschlich, daß er erwartet hatte, Alexander werde sich darin ganz verlieren, und nun sah er ihn so ruhig, wie immer. Anfänglich glaubte er noch, Alexander scheue sich nur vor ihm, und das Feuer lodere im Geheimen; aber wie wäre es möglich gewesen, daß es nie auf einen Augenblick hervorzuckte? Er mußte sich endlich eingestehen, daß Alexander wirklich ruhig sei, und staunte diese Ruhe zuerst wie ein Räthsel an, dessen Lösung er nicht finden könne. Bald aber änderte sich seine Art, dieselbe anzusehen.

Einer neuen Bestimmung der Regierung zufolge, sollten die Gemeinden sich wieder von mehreren, den Gutsherrschaften bisher geleisteten Diensten durch Geld loskaufen können, und auch nach Goczyn kam eine Commission in dieser Angelegenheit, in der Alexander natürlich selbst verhandeln mußte. Wie er jedoch über diese rasche Aufhebung sämmtlicher Vorrechte dachte, wird nach der Schule, in welcher seine politischen Ansichten sich gebildet, wol leicht zu errathen sein. Er war auch nicht wenig verstimmt, und es trat nun mit einem Male deutlich hervor, wie Mathilde seine Gedanken nicht besonders ausfülle; denn er dachte den ganzen Tag über nicht daran, sich mit ihr zu beschäftigen, selbst als er bei der Verhandlung nichts mehr zu thun hatte. Mathilde aber hatte von ihrer Mutter oft gehört, eine Frau sei dazu da, die Launen ihres Mannes zu ertragen, als daß sie sich jetzt nicht hätte daran erinnern sollen; sie mußte sich jedoch erst daran erinnern, sie hatte es in den vier glücklichen Wochen ganz vergessen.

Es verwöhnt nichts so leicht, als das Glück; Mathilde suchte umsonst heiter zu scheinen, als sie den Nachmittag bei ihrer Arbeit saß. Heinrich sah es und stand hastig auf, um aus dem Fenster zu sehen. Es kamen Fliegen herein; er warf es hastig wieder zu, nahm ein Buch und schien zu lesen. Zu sprechen war ihm nicht möglich, und so machte er Mathilden diesen ersten getrübten Tag noch mehr fühlbar. Als Alexander am Abend endlich kam und nach einer flüchtigen Liebkosung von dem widerwärtigen Geschäft sprach, wurde Heinrich immer unmuthiger, und dieses Gefühl verschwand auch nicht, als das Geschäft abgethan und Heinrich wieder wie sonst war, so wie auch bei Mathilden der Nachhall dieser Tage leise zurückblieb und bei Allen der frühere Ton verklungen schien. Mathilde war wie ein Kind, das einmal im Spielen gestört worden ist und sich nicht wieder hineinfinden kann. Alexander bemerkte das wol; doch fand er es natürlich, daß sie nach und nach frauenhafter werde, um so mehr, da sie nicht minder heiter aussah als sonst, nur sich mehr und ernstlicher beschäftigte. Sie hatte sich auch schon ganz darein gefunden, daß es nicht immer so wunderschön habe bleiben können; aber Heinrich konnte sich über den Wechsel nicht zufrieden geben. Er dachte nach, wie wenig Zeit seit der Hochzeit erst vergangen sei; der Mond war nur ein Mal verschwunden und wieder erschienen; statt des Jasmins dufteten die Linden und statt der weißen Rosen leuchteten die weißen Lilien, und schon erkannte, wie Heinrich meinte, Alexander sein Glück nicht mehr. Dann sagte er sich, Alexander habe es noch nie erkannt, und es trieb ihn an, sich laut und zürnend auszusprechen.


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