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Vierzehntes Kapitel.

Es war der Abend vor der Abreise Mathildens, und diese trat zu ihrer Mutter ein.

Frau von Hain hatte geweint; ihre Stärke reichte nicht aus, um thränenlos das Kind, welches ihr durch die Schmerzen selber, die es ihr machte, das liebste geworden war, ziehen zu sehen, ohne seine Wiederkehr zu hoffen; denn die klare, strenge Frau, die sich nie getäuscht oder geschmeichelt hatte, sah auch, daß nur durch ein Wunder Mathildens sinkendes Leben sich wieder aufrichten könne. Sie hatte darum geweint; aber sie wollte es der Tochter verbergen und blieb deshalb in der Sophaecke sitzen, wo es schon dämmerig war, da der Mond auf der andern Seite des Hauses leuchtete.

Mathilde kam leise näher, kniete bei ihrer Mutter nieder, und nahm deren Hand in ihre zarten, abgezehrten Hände.

Ein langes Schweigen herrschte, während Mathilde mit dem Kopfe an der Brust der Mutter ruhte. Es war zum erstenmale, daß sie ihr trauriges Vertrauen in dieser Stellung ausdrückte; vor zwei Monaten würde sie es noch nicht gewagt haben, aber seitdem hatte sie in der Mutter das Weib entdeckt, und so fürchtete sie sich nicht mehr, und erst nachdem sie lange sich fest und kindlich an das starke und doch weiche Herz der Mutter angeschmiegt hatte, sagte sie aus der tiefsten Seele: »Meine liebe Mutter, ich bin gekommen, um Dir zu danken.«

Die einfachen Worte, der rührende Ton, in welchem Mathildens sanfte, müde Stimme sie sprach, erschütterten Frau von Hain durch und durch. Sie legte den Arm um Mathildens Nacken, zog die zarte hingegebene Gestalt dicht an sich, küßte lange und schmerzlich den Mund, der nie mehr lächelte und sagte: »mein Kind, wollte Gott, ich hätte Dich schützen können!«

»Das konntest Du nicht, gute Mutter,« antwortete Mathilde, traurig liebkosend; »da Gott es nicht gethan hat, konnte es Niemand. Und wärest Du auch immer bei mir gewesen, Du konntest nicht verhindern, daß ich ihn sah und hörte, und Du weißt ja, was seine Stimme und sein Auge ist.«

»Ja,« sagte Frau von Hain, »so verleiht Gott die herrlichsten Gaben und der Mensch wendet sie zum Verderben der Menschen an! Was hat nicht Edgar Alles empfangen, und was hat er bis jetzt gethan?«

»Liebe Mutter,« sagte Mathilde bittend, »sage nichts auf ihn. Was er auch immer gethan haben möge, mich hat er geliebt.«

»Aber seine Liebe hat Dein Leben zerstört,« antwortete die Mutter, »oder glaubst Du, daß Du ihn einst vergessen kannst?«

»Ihn vergessen?« wiederholte Mathilde; »liebe, liebe Mutter, nein, das ist nicht möglich. Edgar vergißt man nicht. Und wenn ich es könnte, ich möcht' es nicht, selbst für alles Glück. Daß ich an ihn denken kann, ist ja das Einzige, was mir bleibt.«

»Warum wurde diesem Manne solche Macht gegeben, oder warum hast Du ihn nicht früher kennen gelernt?« sagte Frau von Hain halb vor sich hin.

»Ja, wenn das gewesen wäre,« sagte Mathilde, und ein Schauer rieselte durch ihren Körper und machte ihre Stimme beben – »dieses Glück – ich habe mir es manchmal vorgestellt; aber ich konnte die Vergleichung mit der Wirklichkeit nicht lange ertragen.«

»Mathilde,« sagte Frau von Hain, »die Wirklichkeit stand in Deiner Macht – hast Du auch recht geprüft, ehe Du wähltest? Hat keine Scheu vor mir, keine Furcht vor Deinem Lehrer Dich zurückgehalten? Glaube mir, mein liebes Kind, wir hätten nicht etwa aus Nachsicht mit Deiner Schwäche nachgegeben, nein, wir hätten Dich jeden Schritt mit dem festen Glauben thun lassen, daß Du Deinem Gewissen nach ihn thun könnest.«

»Liebe Mutter,« antwortete Mathilde, »von Wahl war ja hier nicht erst die Rede; ich konnte ja nicht anders.«

»So wirst Du gehen,« sagte die Mutter, »und –« sie vollendete nicht.

»Und wenn es wäre, Mutter, so wär' es ja das Beste;« sagte Mathilde ganz leise.

»Mathilde, kommst Du wieder?« fragte Frau von Hain.

»Wenn ich kann – ja;« antwortete Mathilde mit Ueberwindung; »wenn ich nicht kann, dann vergieb mir.«

»Gott segne Dich,« sagte die Mutter.

»Und Dich, Mutter,« sagte Mathilde inbrünstig, »für Deine Treue von meiner Kindheit an bis zu dem Tage, für Alles, was Du mir ins Herz geprägt hast, für das Schweigen, mit welchem Du mich schontest, – für Alles, – und er lasse Dich an meinen Geschwistern eben so viel Freude erleben, als ich Dir ohne meinen Willen Schmerz gemacht habe.«

Frau von Hain drückte die Tochter fest an sich; dann sagte sie: »ich bedarf der Sammlung auf morgen, darum gehe jetzt, mein liebes Kind.«

Mathilde stand auf. Noch einmal sah sie mit liebendem Blick in die schönen Züge der Mutter; noch einmal wandte sie die Augen im Zimmer von einem vertrauten Gegenstande auf den andern. Dann beugte sie sich, küßte die Stirne der Frau von Hain, sagte mit dem Ausdruck der tiefsten Liebe: »lebe wohl, meine Mutter!« und ging leise der Thür zu. Und als sie diese ohne Geräusch hinter sich schloß, da war es, als sei in dem Schatten des Abends ein tröstendes Licht verlöscht, oder ein liebliches Rauschen von jungen Baumblättern in schwerer, trüber Luft langsam verstummt.

Draußen wartete Wilhelm mit Mariechen auf sie. Die kleineren Geschwister schliefen schon; diesen beiden aber hatte sie noch eine Stunde im Garten versprochen. Dem Prediger, ihrem Lehrer, der von seinem Dorfe herübergekommen war, hatte sie am Nachmittage Lebewohl gesagt; jetzt wollte sie von ihren Zöglingen, Rosenstöcken, die sie gepflanzt, Bäumchen, die sie aus Samen gezogen, Abschied nehmen. Leise trat sie zu allen hin; sie wußten es nicht, daß sie scheiden wollte; sie standen ruhig in der milden Luft unter den Sternen. Der Mensch trauert mit der Natur, die Natur nie mit dem Menschen. Mathilde fühlte das. »Sie sind alle grün, und ich welke!« sagte sie schmerzlich. Dann nahm sie die Geschwister an die Hände und ging mit ihnen durch die schattigen Gänge, so wie durch die, welche dem Sternenlicht offen lagen. So glich sie einem schönen trauernden Engel, der die Kinder bisher geleitet hatte und sie nun verlassen sollte, und von dessen Lippen die letzten himmlischen Bitten fielen. »Sei die Stütze Deiner Mutter, Wilhelm, und der Schutz Deiner Geschwister, die keinen Vater mehr haben; – Marie, mache die Mutter einst durch Dein Glück glücklich!« das waren die letzten Worte, welche die weinenden Kinder von ihr hörten, als sie an der Thür des einsamen Zimmers die Schwester endlich zögernd verließen. Die Kinder schliefen bald; der Schlaf ist der Schutzgeist der Kinder, der ihnen selbst die bittersten Thränen von den Augen trocknet. Mathilde legte sich nicht nieder. Sie ordnete, was sie zurückließ; sie schrieb ihren letzten Willen, in welchem sie das ihr von Alexander hinterlassene Vermögen zwischen Edgar und Heinrich theilte, und einige Zeilen an ihre Mutter. Frau Henne war während dem leise hereingekommen; Mathilde vertauschte ihren Anzug mit Reisekleidern. Es war Mitternacht vorüber; Johann kam behutsam, um die letzten Kleinigkeiten in den Wagen zu tragen, der schon gepackt und jetzt geräuschlos herausgezogen worden war. Als es halb Eins schlug, trat Heinrich mit sonderbar gemischten Empfindungen in das Zimmer der Schwester. Er hatte eben mit schnellem Entschlusse das Blatt mit den letzten Worten Alexanders verbrannt, denn er konnte sich der Hoffnung nicht erwehren und wollte sich wenigstens der Versuchung entziehen, Mathilden durch einen so heiligen Willen zu bestimmen. Jetzt reichte sie ihm die Hand und sagte: »nun ist es doch so gekommen, wie Du einst sagtest: ich bin Lodoiska, Du bist Jaromir; Dir folg' ich.« – »Nein, Mathilde,« antwortete Heinrich, »Du folgst mir nicht, ich folge Dir, und das bis an's Ende der Welt, bis in den Tod.« – »Zum Leben und zur Freude nicht,« sagte sie; »aber Du hast es gewollt.« – »Ich will nichts anderes;« sagte er fest. Sie lehnte sich auf seinen Arm; mit unhörbaren Tritten gingen sie durch das Haus. Ein alter Diener, der Mathilden als Kind getragen hatte, und der es wußte, daß sie die Pein des letzten Abschiedes vermeiden wollte, öffnete ihr die Thüre und war der einzige, der ihr aus ihrem väterlichen Hause einen Segenswunsch mitgab. Der Wagen stand schon bereit; Frau von Hain schickte die Tochter bis zur ersten Station; der Kutscher hatte geschwiegen, wie der alte Bediente. Am Wagen warf Mathilde noch einen Blick zurück; dann ließ sie sich von Heinrich hineinheben. Sie ließ den Schleier herunter; aber sie weinte nicht, sie sehnte sich unaussprechlich fort. Heinrich stieg auch ein; Frau Henne setzte sich zum Kutscher, Johann einstweilen auf den Kasten. Dann fuhr der Kutscher langsam aus dem Hofe; die Schlafzimmer gingen alle auf den Garten; die Hunde waren besänftigt worden; Keiner im Hause ahnte die nächtliche Abreise. Als der Morgen die traurige Mutter aus ihrem Kummer, die Anderem aus dem Schlafe weckte, da war Mathilde verschwunden, wie ein Traum mit der Nacht und statt ihrer sanften Lippen sagte das zurückgelassene Blatt der Mutter und den Geschwistern ihr letztes Lebewohl.

An demselben Abende saß Hortense einsam und sah das Wasser im Springbrunnen aufsteigen und niederfallen; da trat Edgar in das Zimmer. Sie hatte schon draußen seinen Schritt erkannt; in früherer Zeit würde sie sich unwillkührlich zu diesem Wiedersehen vorbereitet haben, aber der wahre Schmerz der letzten Monate hatte sie selber wahrer gemacht, und als Edgar ihr nahe trat, suchte sie zu verbergen, wie sehr sie zitterte, und fragte, so gefaßt sie konnte: »Edgar, was wollen Sie bei mir?«

»Ihre Vergebung;« antwortete er.

»Die haben Sie schon längst;« sagte sie.

»Die Vergebung der Großmuth,« sagte Edgar; »aber ich will die Vergebung der Liebe.«

»Auch die haben Sie;« antwortete Hortense.

»Ich will noch etwas Anderes,« sagte er; »Sie, Hortense.«

»Mathilde liebt Sie nicht?« fragte die bebende Frau.

»Nein,« antwortete er, »aber Sie lieben mich, Hortense. Sie haben nicht um jeden Preis rein bleiben wollen; Ihre Schuld war der Preis meines Glückes, und Sie gaben ihn. Und ich verließ Sie, um jenes kalten Kindes willen; aber ich war nicht bei mir, Hortense, thöricht, unsinnig, oder auch schlecht, treulos, was Sie wollen – sagen Sie's – aber seien Sie noch einmal groß, geben Sie sich mir noch einmal hin – ich will Sie lieben, ich liebe Sie wieder, Hortense, werden Sie mein, wie Sie es wollten, wie ich es wollte – lassen Sie Alles vergessen sein – ein neues Leben, eine neue Liebe soll anfangen – sprechen Sie, – wollen Sie's, Hortense? – haben Sie mir vergeben?«

Er hatte diese unzusammenhängenden Worte rasch und heftig hervorgestoßen; – seine Stimme glühte, sein Athem war heiß und schnell, er stürzte sich mit Gewalt in ein neues Gefühl, in Betäubung, in eine andere Liebe. Hortense fühlte das, aber sie liebte ihn, und als er ihre Hände ergriff und leidenschaftlich an die Lippen preßte, sagte sie mit Schmerz und Würde: »Edgar, Sie lieben Mathilde noch, aber sie sind unglücklich, und ich gehöre Ihnen.« Er umfaßte und küßte sie heftig, und die unglückliche Verlobung war zum zweitenmale geschehen.


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