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III. Capitel.
Die Steinkohlenperiode.

Immer höher trat das Land über den Ocean empor, durch zahlreiche Felsenklippen zerklüftet. Aber immer waren es nur einzelne Inseln, welche als Oasen aus dem Urmeere hervorragten. Die heutigen Steinkohlenlager der Erde erzählen uns, wo diese Inseln lagen. Sie finden sich über die ganze Erde verbreitet und werden selbst in den Polarländern beobachtet. Auf der nördlichen Halbkugel der Erde lagen sie im jetzigen Spitzbergen, auf der südlich davon gelegenen Bäreninsel, an mehren Punkten des nördlichen Eismeeres, z. B. auf der Melville-Insel und Byam-Martin, vielleicht auch an einigen Punkten zwischen der Baffins-Bay und Behringsstraße, an der Ost- und Westseite von Grönland. Alle übrigen wichtigeren Steinkohleninseln befanden sich zwischen dem nördlichen Polarkreise und dem Wendekreise des Krebses, wie die Kohlenflötze Großbritanniens, Spaniens, Frankreichs, Belgiens, Deutschlands, Rußlands und Sibiriens beweisen. Deutschland selbst war damals in mehreren Inseln vorhanden. So ein Theil der Rheinlande, Westphalens, Thüringens (Grafschaft Henneberg und Saalkreis), Sachsens, Schlesiens, Böhmens, Mährens u. s. w. Wo sich hier nur immer ein Steinkohlenflötz befindet, da war auch das Land bereits über das Urmeer gehoben, alles übrige Land lag noch unter dem Wasserspiegel begraben. In Nordamerika reichten diese Inseln nach Taylor nur bis zu 50° n. Br., während sie in der Alten Welt um 6–8° höher hinaus gingen. Viel ungewisser ist die Bestimmung der Steinkohleninseln auf der südlichen Erdhälfte. Nur einzelne Punkte von Südamerika, Ostindien, den Sundainseln, vielleicht auch von Vandiemensland, Afrika u. s. w. gehören hierher.

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Ideale Landschaft der Steinkohlenperiode, nach Unger.

Jedenfalls darf man auch von der Ausdehnung der Steinkohlenlager auf den einstigen Umfang der Wälder schließen, welche jene Inseln besaßen. Das Kohlenlager des Alleghanygebirges in Nordamerika ist 165 deutsche Meilen lang und 37 Meilen breit, besitzt also einen Flächenraum von 3000 Meilen. Zwischen dem Missouri und Ohio befindet sich ein anderes, welches 2650 Quadrat-Meilen umfaßt, eine Länge von 72 Meilen und eine Breite von 43 Meilen hat. Gegen diese ungeheure Ausdehnung treten unsere sämmtlichen Steinkohlenlager in Europa weit zurück. Europa scheint dagegen in jener Periode in weit mehr Inseln gehoben gewesen zu sein, als Nordamerika.

Anders ist es mit der Mächtigkeit der Steinkohlenlager. Diese berechtigt uns zu Schlüssen über die Zeitdauer der Steinkohlenwälder. Chevandier fand, auf einen 63jährigen Ertrag zweier Buchenhochwälder gestützt, daß unsere heutigen Wälder in 100 Jahren mit ihrem Kohlenstoffe eine Steinkohlenschicht von 7 Pariser Linien auf 1 Hectare oder 3,917 preuß. Morgen bilden würden. Eine solche Berechnung, auf ein Steinkohlenflötz angewendet, läßt natürlich leicht aus der Mächtigkeit der Schichten auf die verflossene Zeit schließen. So hat man die Zeitdauer dieser Wälder in dem zwischen der Saar und Blies gelegenen, als Saarbrücker Steinkohlenformation bekannten Steinkohlenflötze nach ihrem Inhalte von 90,8 Billionen Pfund Kohlen, in welchen 72,6 Billionen Pfund Kohlenstoff enthalten sind, auf 672,788 Jahre berechnet. Es liegt jedoch auf der Hand, daß hieraus nicht auf die Zeitdauer der Steinkohlenperiode geschlossen werden kann; denn es ereignete sich nicht selten, daß sich zwei bis drei solcher Flötze über einander bildeten, folglich die Zeitdauer der Steinkohlenpflanzen weit über die hinaus ging, welche zur Bildung des Steinkohlenflötzes gehörte. G. Bischof hat sie auf 9 Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückversetzt. Doch liegt es auf der Hand, daß alle derartigen Rechnungen keine unbedingte Gültigkeit haben können.

Ungleich tiefer zieht uns deshalb das Bild an, das wir uns aus den Pflanzenresten von diesen Urwäldern der Vorzeit zusammenzustellen vermögen. Einförmig, wie noch die ganze vom Meere zum größten Theile bedeckte Erde, ragte eine Steinkohleninsel über das Urmeer empor, ohne jene grotesken Felsenbildungen, wie sie unsere heutigen Inseln so oft zeigen. Tiefe Sümpfe bedeckten das Land, hier und da marschenartig umgestaltet, je höher sich seine Fläche über den Ocean hob. Aber überall wucherte bereits seit längerer Zeit eine niedere Pflanzenwelt, die der Algen und Moose. Ungeheure Strecken waren von Torfmoosen und Schachtelhalmen bedeckt. Auf ihren Humusschichten sproßten die Urwälder empor. Aber welche Urwälder! Schlanke Farrenstämme von brauner Färbung, bis auf die Wurzel herab von den dicken Schwielen abgestorbener Blattstiele oder von tafelartiger Stuccatur bedeckt, von üppigen grünen Moosen bewohnt, strebten viele Fuß hoch zum Lichte, das finstere Wolken wesentlich dämpften, aber dadurch gleichzeitig beitrugen, den das Dunkle liebenden Farren das günstigste Klima zu geben. Hohe, schopfartig gestellte Wedel, in zierliche gefiederte Blättchen vielfach getheilt, bildeten wie prachtvolle Straußfedern den von jedem Winde leicht bewegten Wipfel. So sproßten sie palmenähnlich aus dem jungfräulichen Boden hervor. Ihr leichtes, luftiges Blätterdach, voll Anmuth und Grazie, war aus 10-15 Fuß langen und mehr als 5 Fuß breiten Wedeln gebildet. So senkte es sich in sanften Schwingungen bald traumhaft zur Erde nieder, bald lag es wie die Speichen eines Rades wagerecht am Gipfel ausgebreitet, aber immer ätherisch leicht. Von unten auf betrachtet, mußte dieses wunderbar zarte Blätterdach, dessen Obergrund die finsteren Wolken waren, einen seltsamen Contrast mit diesen drohenden Wolken bilden, die nicht zu dieser unendlichen Sanftheit der Wedel paßten. Doch nicht alle Farren besaßen palmenartige Schafte. Sehr viele wucherten mit ihren Wedeln auf dem Boden, ungeheure üppige Büsche bildend. In der Gegenwart, so scheint es, bietet nur Neuseeland ein ähnliches Landschaftsbild. In diesem Lande ist es, wo die Farren große Strecken des wellenförmigen Landes bedecken und als zusammenhängende Pflanzendecke gleichsam die Stelle der Wiesen vertreten. Gibt es überhaupt noch in der Gegenwart einen landschaftlichen Anhaltpunkt für das Pflanzenbild der Steinkohlenwälder, so dürfte er im antarctischen Archipel zu suchen sein; um so mehr, als sowohl die inselartige Erhebung des Landes, als auch die noch gegenwärtig dort existirenden Pflanzentypen Vieles mit dem Bilde gemein haben, das sich der Forscher so gern von dem Landschaftsbilde der Steinkohlenperiode entwirft. In der That vervollständigen diesen Vergleich auch jene seltsamen Zapfenbaumgestalten, welche wir noch heute in diesem Inselmeere antreffen. Die bei einer andern Gelegenheit (S. 20) schon erwähnte Säulencypresse Forster's von den Neuen Hebriden, welche zu dem Geschlechte der Araucarien gehört, scheint mir in vielfacher Beziehung zu jenen Pflanzentypen zu stehen, die man bisher als baumartige Bärlappe (Lycopodiaceen) bezeichnete. Diese Nadelholzgattung zeichnet sich besonders durch ihre Stämme aus. Sie sind mit regelmäßig angeordneten Narben versehen, welche von den früher hier gestandenen, aber abgefallenen breiten Blättern gebildet wurden. Wenigstens findet man dieses Merkmal bei einigen Arten. Hiermit stimmen auch die in den Steinkohlenflötzen gefundenen Stämme überein, die man als Lepidodendreen, Schuppenbäume, bezeichnet hat. Noch merkwürdiger ist die Säulencypresse, von welcher ich noch den von Forster mitgebrachten Zweig besitze, durch die Anordnung ihrer Blätter. Dieselben gleichen genau den hornartigen Schuppen unserer Tannenzapfen. Ja, denkt man sich einen solchen Zapfen zu einem schlanken Zweige in die Länge gezogen, so hat man das vollständige Bild eines solchen Zweiges. Dadurch erlangt derselbe allerdings eine gewisse Aehnlichkeit mit manchen Bärlapparten, und wir besitzen hier denselben Fall, den wir schon einmal in Casuarina zu bewundern hatten. Wie sich hier aus der Abtheilung der Kryptogamen die Form des Schachtelhalms mit dem Typus der Nadelhölzer combinirte, so verband sich hier, so zu sagen, der Typus der Bärlappe mit dem der Zapfenbäume. Setzt man also eine Säulencypresse statt der Kaurisichte ( Dammara australis) Neuseelands auf jene Farrenfluren, so wird man im Geiste so ziemlich das Landschaftsbild der Steinkohlenperiode besitzen. Es müßte täuschend werden, wenn man statt der Sigillarien aus Neuholland den schon erwähnten Grasbaum herüberholte und ihn nebst einigen Palmen, von denen die Steinkohlenflötze nur Spuren zeigen, dorthin pflanzte.

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Der Grasbaum ( Xanthorrhoea Hastile R. Br.) aus Neuholland.

Trostlose Einförmigkeit neben tiefster, tiefster Stille mußte der Charakter dieser Urwälder sein. Nur einzelne lichtscheue Amphibien durchkrochen, obwohl noch selten, gespensterhaft diese Wälder. Kein Vogelsang, kein Insektenbrummen störte die wüste Einsamkeit. Sie war um so niederdrückender, je geringer die Zahl der Pflanzenfamilien, Gattungen und Arten dieser Wälder war. Wenn gegenwärtig wenigstens 11,000 Pflanzenarten dem kleinen Europa allein angehören; wenn darunter allein gegen 6000 Blüthenpflanzen gezählt werden, so haben wir bis jetzt trotz eifrigster Nachforschung kaum 800 Pflanzenarten in der Steinkohlenperiode, die sich doch über die ganze Erde verbreitete, kennen lernen. Die Verhältnisse haben sich gegenwärtig wunderbar umgestaltet. In den Steinkohlenwäldern bildeten nach Göppert die größte Masse die Sigillarien und Stigmarien, dann folgten die Araucarien und Calamiten, dann die Lepidodendreen, die Farren und endlich die wenigen übrigen Steinkohlenpflanzen. Die fünf ersten Familien besitzt Europa nur in winzigen Andeutungen oder gar nicht mehr, von den Farren kaum 50, während doch die Steinkohlenwälder schon jetzt über 200 Arten mehr lieferten. Noch einförmiger werden diese Urwälder, wenn man mit Brongniart annimmt, daß in den einzelnen Epochen, d. h. in den einzelnen kleineren Zeitabschnitten der riesig langen Steinkohlenperiode gleichzeitig kaum mehr als 100 Arten auftraten. Nur unsere Nadelwälder liefern zu dieser Einförmigkeit ein einigermaßen ähnliches Seitenstück, insofern unter ihrem Schatten nur wenige andere Gewächse eine Heimat finden. Diese große Uebereinstimmung und Einförmigkeit der Steinkohlenflor auf der ganzen Erde bezeugt, daß die Klimate sich noch nicht in derjenigen Weise gesondert hatten, wie sie die Gegenwart kennt, daß sie vielmehr durch die größere innere Erdwärme und den umschließenden Ocean eine gleichmäßigere Temperatur – man schätzt sie auf 20–25° R. – besaßen. Ließ diese innere Erdwärme durch allmälige Ausstrahlung nach, verlor das Urmeer an Fläche, hob sich das Land immer höher: so mußte das Inselklima allmälig zu einem continentalen umgeschaffen werden. Die Bedingungen zu neuen Schöpfungen waren fortwährend gegeben; dagegen überdauerten die Gewächse der Steinkohlenperiode diese Umänderung des Klimas nicht, sie gingen an ihr oder dadurch zu Grunde, daß ihre Lebensdauer überhaupt abgelaufen war. Sollten dennoch zähere Typen diese Umwandlung überlebt haben, so mögen es Araucarien und Farren gewesen sein. Denn wie sich die klimatischen Grenzen eines Gewächses außerordentlich ausdehnen lassen, zeigen noch heute unsere Culturgewächse. Doch muß hierbei immer festgehalten werden, daß die Steinkohlenflora sich sicher nur in einem Inselklima erhalten haben könne. Aus diesem Grunde werden wir nochmals zu dem antarctischen Inselmeer zurückgeführt. Sollten sich wirklich Typen aus der Steinkohlenzeit erhalten haben, so könnte es nur hier geschehen sein. Meine subjective Ueberzeugung läßt mich in der Thal immer wieder auf diese Behauptung zurückkommen und glauben, daß das australische Inselreich nicht allein, wie man schon oft vermuthete, der älteste Erdtheil sei, sondern daß sich in ihm auch noch die meisten Anklänge an die Steinkohlenzeit erhalten haben. Trotzdem kann nicht geläugnet werden, daß hier und da der Untergang der Steinkohlenwälder durch stürmischere Ursachen, Fluthen und Landhebungen mittelst vulkanischer Kräfte herbeigeführt worden sein könne. Das scheinen wenigstens jene Steinkohlenflötze Englands zu beweisen, welche gegenwärtig sich weit bis in das Meer hinein erstrecken und über denen jetzt die stolzen Flaggen mit Hilfe derselben Kohlen segeln, die hier tief im Meeresschooße vergraben liegen, derselben Kohlen, durch welche eine unendlich ferne Urzeit der heiteren Gegenwart die Hand reicht. So verknüpfen sich nicht selten in der Natur und der Geschichte die seltsamsten Gegensätze. Ist es nicht die wunderbarste Auferstehung, welche die Steinkohlenwälder nach 9 Millionen Jahren in der Geschichte der Menschheit hielten und unserem Jahrhundert, dem Zeitalter des Dampfes, die größte Triebkraft, der größte Hebel zu Reichthum und Bildung wurden?


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