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IX. Capitel.
Die Diluvialperiode.

Groß und prächtig war das Morgenroth der heutigen Schöpfung angebrochen. Gewaltig hatte sich selbst die höchste Stufe der Creaturen, die Säugethierwelt, in der tertiären Periode entfaltet. Tausendfache Mittel bot die neue Zeit zur Erhaltung ihrer Geschöpfe, und doch – war in dieser Größe noch kein Bleibendes. Bald neigte sich auch der Tag der tertiären Schöpfung zu Ende.

Die Bedingungen, unter denen sie sich groß und prächtig entwickelt hatte, veränderten sich; andere traten an ihre Stelle, wohl einer neuen Schöpfung, aber nicht der alten durchaus günstig. Jedenfalls lagen die Hauptveränderungen in der Umänderung des Klimas; denn die Pflanzen der tertiären Periode deuten in der ältesten Epoche auf ein fast heißes, in den beiden jüngeren Epochen auf ein warmes und gemäßigt warmes Klima hin, das sich damals über die ganze Erde verbreitet hatte. Wir müssen auch hier annehmen, daß das veränderte Klima vorzugsweise der immer mehr veränderten Erdoberfläche seinen Ursprung verdankte, daß die größere Abkühlung der Erde schwerlich die Hauptursache war. In der That, wenn man nach den abgelagerten Braunkohlen auf die damalige Gestalt der Erdoberfläche zurückschließt, d. h. wenn man nur diejenigen Punkte für gehoben erklärt, welche mit einer Vegetation, bestanden waren, so gab es selbst in Deutschland noch viel zu thun, um das Meer dahin zurückzudrängen, wo es gegenwärtig ist.

Nach Leopold von Buch's Untersuchungen gibt es in Deutschland sieben größere Braunkohlenbecken: das oberrheinische, das rheinisch-hessische, das niederrheinische, das thüringisch-sächsische, das böhmische, schlesische und norddeutsche. Sie gehören nach demselben mit allen übrigen europäischen Braunkohlenlagern zu ein und derselben Braunkohlenformation, die sich nach der Erhebung der Nummuliten- oder Eocänformation dadurch bildete, daß Bäche und Ströme Blätter und Bäume in die Tiefe führten, um hier unter neuen Erdschichten begraben zu werden. Wir haben schon einmal gesehen, daß dieser stürmischen Ablagerung ebenso wohl eine ruhige zur Seite gehen konnte, wie sie die Gegenwart noch jetzt in ihren Torfbildungen besitzt, und daß nur eine durch vulkanische Kräfte veränderte Terrainbildung angenommen zu werden braucht, um die von Jahrtausenden aufgehäuften Humus- und Torfschichten, welche noch Stämme und Blätter eingehüllt besaßen, unter Wasser- und Schlammschichten allmälig zu begraben. Von den südlichen Gebirgen Italiens bis zum Harze, von 41°-32°, also über 11 Grade der Breite, ist nach Buch keine Veränderung in Blättern und Stämmen der Braunkohle bemerkbar. Ueberall finden sich z. B. als Leitpflanzen die Blätter von Ceanothus, Daphnogene, Dombeyopsis, Eichen, Liquidanibar und das Blatt der Flabellaria, einer Palme. Freilich zeigen die einzelnen Kohlenlager auch ihre besonderen Verschiedenheiten. Das von Radoboj in Croatien erinnert z. B. an eine australische Ebene; nichtsdestoweniger aber kommen hier ebenso häufig die Blätter des Ceanothus polymorphus vor, wie bei Oeningen und an andern Orten. Im rheinisch-hessischen Becken ruhen diese Kohlenlager mitten zwischen basaltischen Gebirgen, welche häufig sehr gewaltsam auf jene einwirkten. »Das Holz«, sagt von Buch, »ist da, wo der Basalt diese Schichten durchsetzt, auf die mannigfachste Art gebogen, zerborsten, die Fasern sind zerrissen und wunderbar in einander geschlungen, oft sind die Schichten selbst in den seltsamsten Krümmungen über einander geworfen und mit Basaltstücken vermengt. Die große, mächtige und zerstörende Aufblähung der Basaltgebirge ist mithin erst nach der Bildung der Braunkohle erfolgt, ebenso, wie die Westalpen sich erst später erhoben. Das Siebengebirge hat sich mitten durch die Braunkohlenschichten seinen Weg aufwärts gebahnt; die Braunkohlen und der Sandstein sind von den aufsteigenden Trachytdomen auf die Seite geschleudert und mit den trachytischen Reibungsconglomeraten vermengt. Mitten zwischen den Kegeln erscheinen noch Blätter, aber so von Trachyttuffen umhüllt, daß sie wie aus dem Inneren der Erde hervorgegangen angesehen werden könnten. Das Alles gibt uns ein Recht, die Hebung der Gebirgsschichten auch nach der Braunkohlenzeit zu behaupten und daraus den großen Wechsel des jetzt erscheinenden Klimas abzuleiten, dem die bisher bestandene Welt der Geschöpfe allmälig unterlag.

Jetzt erst hatten sich die Klimate so geordnet, wie sie im großen Ganzen wahrscheinlich noch jetzt existieren. Jetzt erst gab es ein kaltes, gemäßigtes, warmes und heißes Klima. Das erstere bewirkte die Bildung von Gletschern, die eine um so größere Ausdehnung gewannen, als das Meer noch immer weiter ausgebreitet war, als gegenwärtig, folglich durch größere Verdunstung zur Vermehrung und Ausdehnung der Gletscher im Norden und den Alpen beitrug. Daher kam es, daß diese Gletscher bis auf die Spiegelfläche des Meeres herabstiegen, abschmolzen, weiter fortschwammen und da, wo sie schmolzen, die aufgeladenen Erdschichten, die Moränen, mit oft so gewaltigen Granitblöcken fallen ließen. Diese großartige Bodenwanderung trug in der weiten nordeuropäischen Ebene nicht wenig dazu bei, den Meeresboden zu erhöhen und die sogenannten Diluvialschichten zu bilden. Daher, wie wir schon in dem Abschnitte über die Pflanzenwanderung fanden, die vielen Granitgeschiebe, welche auch die norddeutsche Ebene noch heute bedecken. Dieser Bodenbildung zur Seite ging eine andere, welche durch Regenfluthen bewirkt wurde. Diese wuschen die verwitterte Gebirgskrume in die Thaler herab und bedeckten die Thalsohle mit neuen Erdschichten. Daß die Diluvialgeschiebe oder die erratischen (Wander-) Blöcke Norddeutschlands Skandinavien entstammen und nicht unwesentlich zur Colonisation dieser Gegenden von dort aus beitrugen, ist ebenfalls bereits ausführlich bei Betrachtung der Pflanzenwanderung abgehandelt worden (S. 80).

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Das Zitzenzahnthier oder Ohiothier ( Mastodon gigantcus).

Konnten jedoch schon zur Zeit der Diluvialperiode Pflanzen aus Skandinavien zu uns wandern, welche noch heute bei uns gedeihen, so folgt daraus, daß schon damals eine ähnliche Vegetation wie heute vorhanden sein mußte. Ob sie jedoch erst neu geschaffen oder ein Ueberrest aus der tertiären Zeit war, ist bis jetzt nicht entschieden. Unserer alten Anschauung zufolge, nach welcher die Pflanzendecke der Gegenwart nicht das Product einer einzigen, sondern aller Schöpfungsperioden zusammen ist, welche jedoch nichtsdestoweniger gern, zugesteht, daß an einzelnen Punkten, wie in den kälteren Erdgürteln, die meisten Typen an Alter und Klima ausstarben, also dieser Anschauung zufolge konnten sich recht wohl einige Pflanzen auch aus der tertiären Zeitscheide bis auf uns erhalten haben. Bei den Thieren wenigstens scheint es ausgemacht, daß viele bis an die Grenze der Jetztwelt lebten. So die elephantenartigen Geschöpfe. Im Jahre 1806 fand man im Eise der Lena an ihrem Ausflusse ins Eismeer ein Mammuth wohlerhalten mit Haut und Haar. Die Untersuchung seines Speisebreies lehrte, daß es sich von den Nadeln sibirischer Nadelhölzer, namentlich der sibirischen Lärche ( Larix sibirica), ernährt habe. In Nordamerika nicht anders. Nach Defor's Untersuchungen lebten dort die Mastodonten, und zwar dieselbe Art, welche in Sibirien beobachtet wurde, bis in die Alluvialzeit, welche der Anfang der Gebirgsbildung der Gegenwart ist, also bis nach der Diluvialperiode. Auch hier zeigte die Untersuchung der Nahrungsüberreste, daß sich diese Thiere von den Nadeln des Hemlock oder der canadischen Tanne ernährten. »Da nun diese Tanne«, sagt Defor sehr richtig, »noch einen guten Theil unserer Urwälder (in Nordamerika) ausmacht, so steht nichts der Behauptung entgegen, daß die Mastodonten noch heut zu Tage hier eine reichliche Nahrung fänden, wenn es wahr ist, daß jener Nadelbaum zu ihrer Nahrung diente.« Es folgt aber daraus nicht, daß die Schöpfung dieser Mastodonten erst in der gegenwärtigen Periode erfolgte; denn da sie an der Grenzscheide zwischen Jetztwelt und Diluvialzeit ausstarben, so sind wir eher berechtigt anzunehmen, daß sie aus der tertiären Zeit stammen und am Anfänge der Jetztwelt dem Alter der Art und dem veränderten kalten Klima ebenso erlagen, wie Höhlenbären, Pferde, Vielfraße (Megatherien), Tiger, Hyänen, Rhinocerosse u. s. w. hier zu Lande, in Nordasien und Nordamerika ausstarben. Was aber auch immer die Ergebnisse der Naturforschung sein mögen, dafür wird sie immer mehr Beweise, beibringen, daß zu keiner Zeit schroff von einander geschiedene Schöpfungs-' Perioden existirten, nach deren Beendigung alle Geschöpfe wieder untergegangen wären; sie wird, was auch unser Bemühen war, der allmäligen Aufeinanderfolge der Schöpfungstypen Wort und Beweis widmen und zu der Ueberzeugung gelangen, daß eine solche Anschauung allen Wechsel, alle Räthsel der Vorwelt einfach erklärt, wie es geschehen muß, wenn die Naturwissenschaft nicht gezwungen sein will, zu der unhaltbaren Annahme zu kommen, daß einst andere Kräfte wie heute existirten.

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Mammuth, Mastodon und Riesenhirsch der Diluvialzeit.

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X. Capitel.
Die Periode der Jetztwelt.

Es war ein langer Weg, den die Natur zurückzulegen hatte, ehe sie auf der Höhe der Jetztwelt anlangte. Auf jeder neugewonnenen Stufe war sie eine gestaltenreichere geworden. Wir dürfen die früheren Stufen darum noch nicht unvollkommen nennen; denn sie entsprachen als die ganze Summe aller lebenzeugenden Naturkräfte der jedesmaligen Schöpfungskraft der Natur. Darum waren auch sie vollkommen, so gut wie die heutigen Pflanzenschöpfungen der Polargegenden vollkommen sind in Bezug auf ihr eisiges Klima. Eins doch können wir nicht läugnen, daß nämlich jede Schöpfungszeit, in welcher noch kein Mensch auf Erden wandelte, trotz aller Erhabenheit eine für uns grausige ist und sein muß. Ganz außerordentliche Bedingungen mußten erfüllt werden, ehe dem Menschen seine Stätte bereitet war.

Die Pflanzen allein bereiteten sie ihm, wie sie bereits dem tiefer stehenden Thierreiche eine bewohnbare Heimat gegeben halten. Sie, welche allein es vermögen, sich von derselben Kohlensäure zu ernähren, welche alles thierische Leben hemmt, sie reinigten die Luft der Vorwelt von jenem unendlichen Reichthume an Kohlensäure, welcher durch die großartigen chemischen Zersetzungen bei der Erdbildung an das Luftmeer abgegeben war. Sie regelten auch die Menge des Stickstoffs in der Luft, welcher daselbst als Ammoniak meist vorhanden ist, und führten hierdurch nach langen Kämpfen jenes schöne Gleichgewicht der Zusammensetzung der Luft herbei, in welchem das höchstorganisirte Thier, der Mensch, zu leben vermochte. Ehe diese Bedingungen nicht erfüllt waren, konnte kein roth- und warmblütiges Thier athmen und leben, konnte folglich auch der Mensch nicht geboren werden. Die Pflanze war demnach seine natürliche Mutter, die ihm seine Stätte bereitete. Wie sich die physikalischen Bedingungen zu diesem großen Ziele allmälig harmonischer gliederten, haben wir bereits Schritt für Schritt von den ältesten Schöpfungsperioden bis auf die Jetztwelt in der Entwickelung des Pflanzenreichs verfolgt. Wir fanden, daß die allmälige Aufeinanderfolge der Geschöpfe Hand in Hand mit der Ausbildung der Erdoberfläche ging; daß die Typen nach einander, in den ältesten Zeiten nur sparsam, in den neuesten außerordentlich reichhaltig auftraten; daß sie früher dieselben auf der ganzen Erde waren, während sie jetzt in bestimmte Florengebiete gegliedert sind. Dies namentlich ist eine der wunderbarsten Thatsachen, obgleich sie durch den Wechsel der Klimate leicht verständlich wird. Da, wo wie in Grönland gegenwärtig keine Pflanze über einen Finger dick und ein Paar Fuß lang wird, also nur von fußhohen Wäldern gesprochen werden kann, sproßten in früheren Zeiten Urwälder empor, deren Stämme denen milderer Zonen kaum nachstanden. Sie finden sich gegenwärtig als Kohlenlager, oft von 2–3 Fuß dicken Stämmen durchsetzt, aufgespeichert. Je näher der Gegenwart, um so verschiedener, folglich um so mannigfaltiger wird die Pflanzendecke der Erde.

In der That mußte die Pflanzenwelt diesen Reichthum der Gestaltung erreichen, wenn der Mensch das universelle Wesen werden sollte, das er jetzt ist. Nur erst dadurch, daß gewisse Familien ihrer Heimat ihren Charakter bestimmend aufdrückten, prägten sie im Vereine mit den Umrissen der Gebirge, der Beleuchtung, der Wolkenbildung u. s. w. dem Menschen seinen jedesmaligen Charakter auf. Das steht bereits so fest, daß wir für diese große geographische Thatsache kaum noch eine Autorität beizubringen nöthig hätten. Aber wir bringen sie dennoch. Es ist, so etwa sagt unser berühmter Geograph Karl Ritter, keinem Zweifel unterworfen, daß der tiefe Eindruck der Natur ebenso auf die jugendliche Entwickelung jedes einzelnen Menschen, wie auf die ganzer Völkerschaften nicht ohne den wichtigsten Einfluß auf gemüthliche und geistige Umgestaltung des inneren Menschen und seine äußere Individualität in allen Regionen des Erdballs und durch alle Jahrhunderte hindurch bleiben konnte. Der nomadisirende Araber mit der umherschweifenden Phantasie verdankt jedenfalls seine freiere, ungebundene, gestaltlose Gedanken- und Mährchenwelt, mit der er sich die leeren, unermeßlichen Räume seines Bodens wie seines ewig klaren, wolkenlosen Himmels auszufüllen strebt, der Natur seiner Heimat, in welcher sein feurig-thätiger Geist und Leib sich Alles erst erjagen und verschaffen muß. Auch beim Hindu bewährt sich der Gedanke: wie die Natur, so der Mensch. Er, der in sich gekehrte, festgesiedelte, in die üppigste Natur gleichsam verwachsene Mensch verdankt ohne Zweifel diesseit und jenseit des Ganges seine phantastisch-religiösen Anschauungen jener Alles überwuchernden Fülle wunderbarer und kolossaler Pflanzen- und Thierformen. An jeder Stelle seiner Heimat sprossen ihm Götter aus Ranken, Blumen und Bäumen hervor, überall wandern die Menschenseelen in Thierleiber. Ein Volk, das sich ebenso von den reizendsten wie schreckendsten Gestalten umgeben sieht, ohne sich über dieselben, erdrückt von der Natur, geistig erheben zu können, mußte der Naturgewalt unterthänig bleiben, die sich in den Formen der Gebirge, Gewässer, Thiere und Pflanzen so entschieden aussprach, mußte ebeuso in die Tyrannei dämonischer und menschlicher Herrscher nothwendig verfallen. So hatte auch die Erde außer der astronomischen Stellung dieser Länder, außer den Einflüssen von Licht und Wärme ihre Bedingungen geltend gemacht. Von Arabien westwärts durch das ganze dürre, pflanzenleere Libyen bis zum Atlas, ostwärts vom wasserreichen Indus über den Ganges und das feuchte, pflanzenreiche Hinterindien bis zu der inselreichen Sundawelt hinaus zeigte sich dieser irdische Einfluß in vielen Abstufungen und Steigerungen der Gegensätze in den Charakteren der Völker. Er hat ganzen Völkergruppen des Morgenlandes auf Jahrtausende hinaus das Gepräge eigenthümlicher religiöser, philosophischer und dichterischer Anschauungen aufgedrückt. Diese Gepräge werden so mannigfache Formen annehmen, als die landschaftlichen Naturen des Erdballs in wesentlich verschiedenen Charakteren hervortreten und auf Erd- und Wasserwirthschaft, Jagd- und Bergleben, Hirtenstand, Festsiedelung, Umherstreifen, Kriegführung, Friede und Fehde, Vereinzelung und Gesellschaft, Rohheit und Gesittung u. s. w. einwirken. Durch ihre Stellungen gegen Licht und Wärme aber, sei es im kalten oder heißen Gebiete der Erdräume oder in ihren mittleren Breiten, überall werden sie wieder durch die Naturumgebung allein schon, abgesehen von jeder andern Einwirkung, die mannigfachsten Farben, Töne und Abstufungen gewinnen. Die Ossianische Dichtung auf der nackten Haide des rauhen, wolkenreichen schottischen Hochgestades entspricht einem andern Naturcharakter ihrer Heimat, wie der Waldgesang des Canadiers, das Negerlied im Reisfeld am Joliba, das Bärenlied des Kamtschadalen, der Fischergesang des Insulaners, das Renthierlied des Lappen u. s. w. Alle diese sind nur einzelne Laute der vorherrschenden, gemächlich-geistigen Stimmung und Entwickelung, welche den Naturvölkern, aus denen sie hervortönen, durch das Zusammenwirken des sie umgebenden Natursystems, durch den Gesammteindruck der Natur eingeprägt und wieder entlockt wurden. Inwiefern ein solcher Eindruck aus dem Naturzustande durch höhere geistige Vermittelung sich auch in einem Culturzustande des Individuums wie eines ganzen Volkes fortzupflanzen im Stande sei, zeigt sich auf ionischem Boden in dem Homerischen Gesänge, der, unter dem begünstigtsten Himmel, am formenreichsten Gestade der griechischen Inselwelt hervorgerufen, wie er diese noch heute herbeizaubert, auch in diesem Gepräge für alle folgende Zeit die klassische Form gab. Es folgt aus diesen wenigen Worten, die man leicht zu ganzen Bänden auszudehnen im Stande wäre, daß nicht allein unsere ganze Cultur die Naturblüthe aller Punkte der Erde zusammen sei, sondern auch, welche unermeßliche Bedeutung die Pflanzenschöpfung der Gegenwart und die auf sie begründete Thierwelt für den nahenden Menschen besitzen mußte. In der That, so entsetzlich es, wie wir schon bei Betrachtung über die Ursachen der Jahreszeiten und Zonen sahen, gewesen sein würde, wenn überall z. B. ein ewiger Frühling, sofern er überhaupt zu denken wäre, einherwandelte, ebenso trostlos einförmig würden alle Pflanzengebiete bis zur Jetztwelt für die allseitige Entwickelung der Menschheit gewesen sein. Darin liegt die hohe geistige Bedeutung der gegenwärtigen Pflanzendecke für die Geschichte des Menschen. Durch den Einfluß ihrer verschiedenen Typen geweckt, wirken jetzt die verschiedenen Charaktere der verschiedensten Völker in wohlthuendem Wechsel auf einander, um sich gegenseitig aus der Niedrigkeit der Uncultur zu erlösen, wie die Stoffe der Natur zu ewiger Verjüngung der Formen in ewigem Wechsel kreisen.

So war die Pflanzenwelt zwiefach die Mutter des Menschen. Zuerst war sie es, die ihm seine Heimat zubereitete, dann entwickelte sie seine geistigen Anlagen in Verbindung mit der ganzen Natur und dem geistigen Wesen des Menschen selbst. Wie das Letztere geschah, haben wir eben gesehen. Anders das Erstere. Die Pflanze war die große Mittlerin zwischen dem Reiche des Starren und der Thierwelt. Nur die Pflanzenwelt allein vermochte es, aus den Stoffen der Erde eine lebendige Zelle zu zeugen. Es war ihre erste große That, die Erde zur lebendigen Pflanze zu erlösen, den großartigen Stoffwechsel zwischen Luftmeer und Erde einzuleiten, den Reichthum der Kohlensäure und des Stickstoffs in der vorweltlichen Atmosphäre in Pflanzensubstanz umzuwandeln. Es war darum ihre zweite große That, dem thierischen Leben hierdurch die nöthigen Bedingungen zum Leben zu schaffen. Es war die dritte große That der Natur, die größtmögliche Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten zu erzeugen, um einer ebenso großen Mannigfaltigkeit der Thierwelt als materielle Grundlage dienen zu können. So fanden bereits die niedersten, fast nur organische Flüssigkeiten einsaugenden Aufgußthierchen ebenso, wie bald die Pflanzen- und später die Fleischfresser durch die Pflanzen ihre Stätte bereitet. Nun konnte auch noch ein Wesen erscheinen, welches fähig war, Alles zu genießen. Sollte es ein selbstbewußtes sein, so fand es auch bereits in dem ungeheuren Wechsel der Gestaltung und ihrer wohlthätigen Gliederung in bestimmte Gebiete die ersten Keime zu seiner Erlösung für die höchste Freiheit seines Geistes, um, wie es Alles genießen konnte, so auch Alles erkennen zu können.

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Aus dem brasilianischen Urwald. Wurzelvegetation. (Nach v. Martius.)

Wir sind an dem bedeutendsten Augenblicke der Schöpfung angelangt. Jetzt erst konnte die Natur sprechen: Es werde Licht! Das tiefe Gesetz, das die Stoffe des Weltalls zur Individualisirung in Weltkörpern, Krystallen, Pflanzen und Thieren zwang, das ewige Gesetz der chemischen Verwandtschaft, der Liebe, feierte nun endlich seinen höchsten Triumph. Jetzt erst erschien das herrliche Wesen, dessen Haupt zur Mutter des Lebens, zur Sonne, frei emporblickte, dessen aufrechter Gang die Thiergestalt vom niederen Kriechen zur höchsten Freiheit der Bewegung und Schönheit verklärt hatte, dessen Zähne schon für edlere Nahrung, dessen Hände und Füße schon für Kunst und That zugerichtet waren, dessen erste Mienen bereits von dem innewohnenden weltenerkennenden Geiste zeugten, dessen ganzes Sein unaussprechlichen Frieden schöner Form in sich trug, es erschien – der Mensch. Tiefe Nacht umhüllte diesen erhabenen Augenblick der Schöpfung. Alles aber, was Vernunft und Wissen zu lehren vermögen, sagt uns, daß es einen ewigen Bund zwischen Stoff und Form gebe und daß auch der Mensch diesem Bunde seine Schöpfung verdankt. Und wahrlich, der Mensch wird durch diese Erkenntniß kein schlechteres Wesen, wenn neben ihm auch der Stoff erhoben wird. Wenn die Natur noch täglich im Stande ist, schon in die erste winzige Keimzelle des Eies, welches kein unbewaffnetes Auge zu erkennen vermag, die Fähigkeit zur Entwickelung eines selbstbewußten, weltenerkennenden Wesens zu legen, dann müssen wir voll Bewunderung erkennen, daß der Mensch, das höchste Ideal jenes ewigen Bundes zwischen Stoff und Form, die Krone der Schöpfung ist. In dieser Erkenntniß allein fühlt er sich dem ganzen Weltall befreundet; es gehört ihm zu, wie er dem Ganzen. Die Pflanze, früher seine Mutter, ist ihm im Laufe der Zeit seine Freundin geworden. Gern liest er nun in ihrer Geschichte die eigene, und mit Freudigkeit läßt er auf diesem Standpunkte den tiefernsten Augenblick an seiner Seele vorübergleiten, wo einst auch eine Pflanze wieder aus seinem zerfallenen Leibe auferstehen wird, wie er aus dem ihrigen hervorging; er mißdeutet den Dichter nicht mehr, wenn ihm derselbe heiter zuruft:

Es wird der Stoff zu andern Formen sich verjüngen,
Und als ein Blüthenzweig sein Grabeskreuz umschlingen.

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