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Oestliche und westliche Halbkugel der Erde.

Viertes Buch.
Die Pflanzenverbreitung.


I. Capitel.
Die Pflanzenregionen.

Ueberall, wo der Wanderer am Fuße der Gebirge aufwärts zu ihren Gipfeln steigt, bemerkt er eine ähnliche Veränderung des Landschaftsbildes, wie jener, welcher aus den heißen Zonen nach den Polen vordringt. Beide finden, daß die Wärme immer mehr abnimmt, daß sich das dampfförmige oder flüssige Wasser in ewiges Eis verwandelt und daß sich mit dieser Abnahme der Wärme auch das Gewächsreich vermindert und wesentlich verändert. Von diesem Standpunkte betrachtet, ist die Pflanzendecke der Erde ein lebendiges geographisches Thermometer. Pol und Aequator bilden darin die beiden schroffen Gegensätze der Erde. Am Aequator erhebt sich die Quecksilbersäule durch Ausdehnung am höchsten, am Pol sinkt sie durch Zusammenziehung out tiefsten. Ebenso das Gewächsreich. Am Aequator erreichen seine Typen den höchsten Grad der Ausdehnung; riesenhaft werden Stämme, Blätter und Blumen; blendender, glühender wird die Farbenpracht. Am Pol sinkt die Pflanze zum Zwergigen herab; ein Grün, düster wie die lange Nacht der Polarwelt, hat sich der Blätter bemächtigt, welche derber und lederartiger erscheinen. Nur hin und wieder leuchtet auch hier, gleichsam ein Abglanz der wunderbaren Mitternachtssonne und des Nordlichtes, eine unvermuthete Farbenpracht in manchen Pflanzen auf. In dem stetigen Lichte der am fernen Horizonte wochenlang ununterbrochen kreisenden Sonnenscheibe empfangen Gräser und andere Pflanzen ein saftigeres Grün. Reiner und höher werden die Farben der Blumen. Die Dreifaltigkeitsblume ( Trientalis) und Anemonen, welche in der gemäßigten Zone weiße Blumen erzeugen, tauchen sie unter den Strahlen der Mitternachtssonne in das tiefste Roth.

Mehr aber, als dieses drängt sich dem Wanderer ein bestimmter Wechsel der Pflanzentracht auf. Wie jedes Land seine eigenen Trachten in der Menschenwelt besitzt, ebenso in der Pflanzenwelt; hier ist er der Ausdruck der geringsten klimatischen Veränderung. Am leichtesten wird er erkannt, wenn man von der heißen Meeresebene bis zu den Gipfeln der Hochgebirge emporsteigt, wie es z. B. in auffallender Reinheit die tropischen Länder zulassen. Hier ist es, wo man in wenigen Stunden denselben Wechsel des Gewächsreichs wahrnimmt und bewundernd genießt, wie man ihn nur in Jahren auf einer Forscherreise über den Erdball durch die verschiedenen Zonen zu finden vermag. Terrassen- oder gürtelförmig umsäumen bei entsprechenden Temperaturen ganz bestimmte Gewächse die Gebirgskegel und Gebirgszüge, häufig so schroff, daß auf entsprechenden Höhen plötzlich eine Pflanzenform die andere ablöst und der Landschaft ihren Charakter verleiht. Man hat diese terrassenförmigen Pflanzengruppirungen die Pflanzenregionen genannt.

Verschieden ist der Eindruck, den diese Pflanzenterrassen auf den Wanderer in verschiedenen Erdtheilen und Zonen machen; aber dennoch herrscht auch hier bei aller Ungleichheit eine große Uebereinstimmung des Pflanzenwechsels. Macht man sich im Geiste eine Skala für die auf die Gebirge und für die in die Meerestiefe steigenden Pflanzenformen, auf welcher die ersteren nach dem leichtesten, die letzteren nach dem schwersten Luftdrucke sterben, so werden die beiden Endpunkte der Tiefe und Höhe von winzigen unscheinbaren Zellenpflanzen, dort von mikroskopischen Algen, hier zugleich auch von Flechten gebildet. Unter den Algen sind es in der größten Meerestiefe meist kieselschalige Urpflanzen oder Diatomeen, auf der größten Höhe auf ewigem Schnee das weichzellige Schneeblut ( Protococcus nivalis), welches den Gletscher oft auf weite Strecken in purpurrother Färbung überzieht. Diese sind die letzten Bürger des Gewächsreichs auch an den horizontalen Polen der Erde. Zieht man sich auf jener Skala zwischen den beiden Endpunkten in Gedanken einen Gleichmesser, welcher genau die Mitte hält und das heiße Klima vertritt, so erscheinen hier ebenso charakteristisch und beständig, wie die Pflanzenformen der beiden senkrechten Pole, die Palmen, der schöne Ausdruck unvergänglichen Erdenfeuers. Zwischen diesen beiden Pflanzenpolen und dem Pflanzenäquator, also zwischen Urpflanzen und Palmen, liegen die Grenzen aller übrigen Gewächse. Will man, wie bei einer Thermometerskala, die aufsteigende Pflanzenlinie die positive (+°), die zur Meerestiefe absteigende aber die negative (-°) nennen, so verdienen beide diese Namen in der That. Die negative Pflanzenlinie hat bei aller ungeheuren Mannigfaltigkeit in sich selbst doch die größte Einförmigkeit. Außer sehr wenigen Blüthenpflanzen wird sie nur aus Urpflanzen (Protophyten) und Tangen (Algen) gebildet. Dagegen stellen sich in der positiven Pflanzenlinie diesen wenigen Pflanzenfamilien mehr als 200 andere entgegen.

Die gemäßigte Zone erlaubt uns nicht, eine Wanderung durch alle Klimate zu bewerkstelligen, da ihr die warme und heiße Zone- fehlen. Allein schon Italien rückt uns diesem Ziele näher. Steigen wir z. B. mit Rütimeyer vom Golfe Neapels aus der Meeresebene, der klassischen Ebene von Herkulanum, Pompeji und Stabiä, auf den Bronte St. Angelo bis zu einer Höhe von 4450 Fuß, so grüßt uns in der milden Region dieses Landes die edle Palmenform in der Dattelpalme, die hier freilich nur äußerst sparsamund angepflanzt ihr Federhaupt wiegt. Wo die dunkle Lava zu Tage tritt, kleiden dickblättrige Fettpflanzen aus der Gattung Mesembryanthemum (Eiskraut), ihre Spalten aus und erinnern uns an die Cacteen der mejikanischen Gebirge ebenso, wie an die von denselben Pflanzen umgürteten Klippen Südafrikas. Wunderbar ist dieser Anblick; denn das Auge gewahrt hier einen dichten glänzendgrünen Rasen, welcher von dicht an einander gedrängten Stengeln mit fingerlangen, fingerförmig gestellten und gebogenen, saftigen, dreikantigen Blättern gebildet wird. Auch die Blumen verwischen die Cactusähnlichkeit nicht. Vom Mai bis Juli drängen sich auf diesem Rasen große scheibenförmige, prachtvoll purpurrothe Blumen dicht an einander, um zu dieser Zeit die vulkanische Landschaft wie mit einem Purpurmantel zu umsäumen. Um die Aehnlichkeit voll zu machen, fehlen selbst ächte Cacteen nicht. Es ist die eingeführte indische Feige ( Cactus Opuntia). Bäume von 20–30 Fuß Höhe mit knorrigen gegliederten Stämmen, rissiger brauner Rinde und einer Menge von scheibenförmigen Aesten, die sich gleichfalls gliedförmig auf einander thürmen und ihre Oberfläche mit einem grauen Netze bedecken, bildet sie hier Hecken und Gestrüppe, die weder Hand noch Fuß durchdringt. Ja, selbst Kanonenkugeln bleiben darin stecken und verlieren in diesem saftigen Fleische ihre furchtbare Kraft. Wenn dann aus der Fläche der Aeste gelbe Blumen und später reihenweis gestellte kirschenähnliche und eßbare Fruchtbeeren an diesem Gestrüpp erscheinen, so hat der Nordländer einen Eindruck empfangen, der ihn sofort nach den fernsten Gestaden der heißen Klimate versetzt. Auch Hecken der Aloë oder der amerikanischen Agave unterstützen diesen Eindruck. Anpflanzungen von Zuckerrohr, Reis und Baumwolle erhöhen ihn ebenfalls. Um jedoch die Aehnlichkeit mit Südafrika wiederherzustellen, erscheint hier und da über dieser Zone am Fuße der Wälder ein Gürtel von baumartigem Haidekraut ( Erica arborea). Darüber hinaus liegt der Gürtel der immergrünen Gebüsche, so weit noch der milde Hauch des italienischen Klimas reicht. Lavendel, Rosmarin und Thymian bekleiden die sonnigen Abhänge. Lorbeer- und Erdbeerbaum, welche nebst Myrten, Oleander, Cistusrosen, Kork- und Steineichen, Steinlinden, Laurustinus, Oelbaum, Orange, Mandelbaum u. s. w. am Adriatischen Meere die immergrüne Region bilden, umsäumen den höher gelegenen Waldgürtel, den meist die Cerreiche ( Quercus Cerris) beginnt und die Mannaesche ( Fraxinus Ornus), Kastanie und endlich die Buche, fortsetzen. Aus den feierlichen Hallen, die diese dunkelgrünen, heiteren Laubgestalten bilden, tritt jetzt der Wanderer in die tiefernsten Wälder der Fichten. Aber auch sie werden bald von anderen Gestalten abgelöst. Ein breiter Gürtel von Haidekräutern, mit verkrüppelten Buchen und Kastanien, mit Seidelbastpflanzen ( Daphne), Hülsengewächsen (Wicken, Klee, Erbsen) und andern vermischt, folgt ihnen, bis auch er wieder einer neuen Pflanzenwelt Platz macht. Wiesenkräuter sind es. Veilchen bilden im vulkanischen Geröll Gebüsche. Saubrod ( Cyclamen) kriecht mit weißen Blumen auf dem Boden dahin. Bald bedecken Gräser und Riedgräser borstenartig die Gebirgskämme und verbergen oft prachtvolle Liliengewächse: Affodill, Meerzwiebel und Safran. Endlich erscheinen die eigentlichen Pflanzen der Alpen, mannigfache Steinbrecharten ( Saxifraga) mit ihren hauslauchartigen Blattrosetten, wohlriechende Primeln, Enzianen. Unser Führer hat Recht: »In dieser Weise im südlichen Italien Bekannte aus den höchsten Alpen anzutreffen, in einem Marsche von drei Stunden die Pflanzenformen durchzugehen, die in wagrechter Richtung etwa den Raum von der Küste Nordafrikas – wir sagen sogar Südafrikas – bis an das Eismeer einnehmen, ist ein Genuß, der reichlich Mühe und Arbeit lohnt.« Ich habe mit Absicht diese Bergregion gewählt, weil sie eine europäische ist und in nächster Nähe von uns versinnlicht, was wir oben sagten. Noch weit instructiver ist für die senkrechte Verbreitung der Gewächse die Insel Madeira. Zu Unterst, sagt I. M. Ziegler, breitet sich der Weinbau aus, der am vortheilhaftesten in den wärmeren Eingängen der engen Thäler, besonders du Südseite, betrieben wird. Unter den über Schilfrohr gebogenen Reben sind die Beete aller übrigen Culturgewächse: Zuckerrohr, Kaffee und Gartengewächse. Nur der Wärme und Feuchtigkeit liebende Yams ( Arum peregrinum), eine Aroidee, verlangt seine Stelle neben oder unmittelbar über dem Weine. Weizen und Roggen steigen im Süden über den Gürtel der Kastanienwälder bis zu den Gruppen von Föhren auf 2500–3000 Fuß an der Nordseite. Ueber die Rebe ziehen sich im Süden zwischen 1000 und 2000 Fuß Kastanienwälder hin, und nur ausnahmsweise gehen sie an gegen den Westwind geschützten Stellen höher. An der Nordseite begleitet die Kastanie die Rebe beständig, fürchtet hier aber den Wind, den sie an der Südseite in ihrer eigentlichen Region leicht erträgt. Dahingegen meiden die Lorbeerwälder ( Laurus canariensis, Oreodaphne phoetens und Persea indica) starke Luftzüge. Diese liebt wieder die Föhre ( Pinus pinaster), die sich nur an der Südseite einfindet, da Föhren überhaupt dürre und sandige Standorte lieben. Ueber dem Lorbeer breitet sich bis an die obersten Kämme die sogenannte Matoregion aus. Sie besteht aus baumartigen Haidekräutern ( Erica arborea), Heidelbeersträuchern ( Vaccinium maderense), Ginster ( Genista) und Gaspeldornen ( Ulex), welche unserer Hauhechel ( Ononis) auffallend gleichen. Wo diese Sträucher vor Westwinden geschützt sind, gedeihen sie besonders üppig und dringen in höhere Regionen vor, sinken aber im umgekehrten Falle rasch auf zwergige Formen herab. I. M. Ziegler macht uns darauf aufmerksam, daß sich hier dieselben Verhältnisse wiederholen, die in unserer nördlicheren Heimat sich einstellen. Auch hier breiten sich ähnliche Gewächse je nach Höhe, Lustströmungen und Feuchtigkeitsverhältnissen über die Höhen bald üppiger, bald verkümmerter aus; die Heidelbeere sucht Schutz und Feuchtigkeit unter Weißtannen, die Haide erscheint unter lichten Föhrenbeständen, der Ginster ( Genista tinctoria und pilosa) zieht den sonnigen Waldsaum vor. Ueber dieser Matoregion wächst auf der Südseite zwischen Gebüschen kümmerlich Gras. Es folgt hieraus einfach, daß die Regionen der Pflanzen um so höher gehen, je mehr dieselben durch den Standort begünstigt werden, daß man also, wie man längst weiß, bei der Pflanzenerhebung nicht allein die Höhe, sondern auch den Standort unter verschiedenen Himmelsgegenden oder die Exposition wesentlich berücksichtigen muß.

Indeß hat jedes Land bei allen Aehnlichkeiten, welche die Pflanzenerhebung nach der natürlichen Verwandtschaft der Gewächse zeigt, seine großen Eigenthümlichkeiten, die sich nach Klima, Lage des Landes und Lage der Gebirge richten. Mit Palmen beginnt überall die heiße Zone, mit Flechten endet die kalte, und je höher die Pflanzenwelt steigt, um so verkrüppelter werden ihre Typen. Doch gibt es auch hier Ausnahmen. So z. B. auf Java. Hier auch ist es, wo die einzelnen Pflanzenregionen so allmälig in einander übergehen, daß sich der Pflanzenwechsel, wie Blume, Reinwardt und Junghuhn berichten, der unmittelbaren Beobachtung des Wanderers völlig entzieht. Es folgt hieraus einfach, daß auf Java der Uebergang der klimatischen Regionen ebenso allmälig vor sich geht, da die Pflanzenwelt der treue Ausdruck einer mittleren Wärme ist. Von der Meeresebene, wo die Kokospalme das großartige Litorale des indischen Meeres bewohnt, bis zu einer Höhe von 2000 Fuß und unter einer mittleren Wärme von 22°-18°, 85 R. reicht auf Java die heiße Region, die sich durch immergrüne Laubwälder, namentlich durch eine Menge von Feigenarten auszeichnet. Je höher aber die Feigenform steigt, um so kleiner werden ihre Arten. Hier auch hat die Reiscultur ihr Gebiet. Bis zu 4500 Fuß, unter einer mittleren Wärme von 18°, 85-15° R., reicht die gemäßigte Region, das Gebiet der Kaffeecultur, durch Rassamalawälder ( Liquidambar Altinjiana Bl.) charakterisirt. Prachtvoll ist der Bau der Rassamala. Schnurgerade Säulen sendet sie wie gedrechselt zu ungeheurer Höhe empor und begrenzt sie durch eine dichte Krone hellen Laubes. Bis zu 7500 Fuß beginnt die kühle Region, das Gebiet der Eichen, Casuarinen und jener seltsamen Nadelhölzer, welche, wie die Podocarpen, ein breites, oft orangenartiges Laub tragen. Schnurgerade, wie die Rassamala, erhebt sich Podocarpus, einer der schönsten Bäume der südlichen Halbkugel, zu beträchtlicher Höhe, über alle Bäume jener Region hinausragend und von der Dammarfichte mit breitem Laube treu begleitet. Prachtvoll blühende Alpenrosen und herrliche Farren wohnen unter ihrem Schatten. Von den hohen Stämmen hängen die wunderbaren, wassererfüllten Becherblätter der Destillirpflanzen ( Nepenthes) herab. Sie erinnern uns an die Blüthen des Pfeifenstrauchs ( Aristolochia sipho) unserer Lauben. Endlich erscheint bis zu 10,000 Fuß Höhe die kalte Region mit einer mittleren Wärme von 10°, 35-6°, 45 R. Hier treten die Haidekräuter als die Vertreter der alpinen Gewächse hervor. Sie folgen dicht auf die Lorbeerwälder, welche sich bis zu diesen Höhen emporheben und verkrüppelnd mit langen Flechtenbärten behängen, wie es auch bei uns in der subalpinen Region, besonders in Nadelwaldungen, geschieht. Allein wir stoßen nicht sofort auf zwergige Haidekräuter. Prachtvoll, baumartig erheben sie sich, ächte Kinder eines kälteren Klimas, bis sie erst auf den höchsten Höhen von zwergigeren Arten vertreten werden. Hier ist die eigentliche Heimat der Alpenrosen oder der Rhododendra; hier prangen Heidelbeersträucher in neuen Formen; hier erinnert Alles an eine nordischere Heimat: niedliche Gentianen, Johanniskräuter, Jelängerjelieber ( Lonicera) oder Geisblattarten, Ranunkeln oder Hahnenfußgewächse, Baldriane, Gänseblümchen ( Bellis), Katzenpfötchen ( Gnaphalium), Veilchen, Flieder, Doldenpflanzen, Ampfer, Tausendgüldenkraut, Minzen ( Mentha), Fünffingerkräuter oder Potentillen, Spierkräuter oder Spiräen, Riedgräser u. s. w. Die ganze Wanderung zeigt uns einen verwandten Pflanzenwechsel, wie wir ihn in Italien und auf Madeira fanden und überall finden, wohin wir uns auch auf der Erde wenden, nur von den jedesmaligen Eigenthümlichkeiten des Landes verändert.

Ueberall aber tritt uns auch die Bedeutung der Exposition entgegen. Nicht immer brauchen es dieselben Gewächse zu sein, welche sich rings um einen Bergkegel gruppiren, um je nach der Richtung der Windrose auf verschiedenen Stufen der Ausbidung zu verharren. Durchschnittlich bekleiden sich die nördlichen, südlichen, östlichen und westlichen Abhänge mit andern Pflanzenformen. Daher kommt es, daß durch hohe Gebirgsrücken die Floren der Erde ebenso schroff von einander geschieden werden, wie die Menschen. Der südliche Abfall der Alpen besitzt bei aller Verwandtschaft der Familien und Gattungen doch andere Arten als der nördliche. So tragen z. B. im Himalaya die nördlichen und südlichen Abhänge bei Nainy-Tal unter 79° 28' L. und 59° 22' Br. diesseits Nipal nach Hoffmeister zwar beide Nadelhölzer, allein während die nördlichen bis zu 8500 Fuß Höhe von der 40 Fuß hohen knorrigen Cypresse ( Cypressus torulosa) bestanden sind, besitzen die südlichen Abhänge prachtvolle Bestände der 50-70 Fuß hohen langblättrigen Föhre ( Pinus longifolia). Noch mehr. Man sollte meinen, daß da, wo die Gebirge ein Polarklima erreichen, auch die Pflanzen der Pole auftreten müßten. Das ist nicht der Fall. Obschon auch hier immerfort eine Verwandschaft mit der Pflanzenwelt der kalten Zone austritt, so erscheinen doch stets, je nach dem Lande, andere Arten, häufig auch andere, oft verwandte Gattungen und Familien. Dies rührt daher, daß auf den höchsten Gebirgen die Pflanzenwelt unter einem weit geringeren Luftdrucke und unter einer verschiedenen Lichtbrechung erzeugt wurde und erhalten wird. Will man alle diese unendlichen Verschiedenheiten im Wechsel der Gewächse auf ein einfaches Gesetz zurückführen, so muß man geradezu sagen, daß kein Punkt der Erde dem andern völlig gleich ist, und daß hierin alle Verschiedenheit bei aller Verwandtschaft gesucht werden muß. Wie verschieden ist z. B. die Alpenhöhe der peruvianischen Puna von der unserer europäischen Alpen! Während hier nur unregelmäßige Schneestürme eintreten, erscheinen sie dort mit erstaunlicher Regelmäßigkeit täglich gegen 2 Uhr Nachmittags unter Donner und Blitz. Plötzlich ist alle Vegetation unter tiefem Schnee begraben und ein Polarklima hergestellt. Aber der nächste Morgen schon zeigt, daß wir uns unter dem Gleicher befinden. Um 10 Uhr beginnt die Sonne den Schnee zu schmelzen, die herrlichsten Alpenkräuter, prachtvolle Calceolarien entsteigen ihrem weißen Schneebette, und bis um 2 Uhr herrscht wieder die Sonne der Tropen mit alter Gluth und Herrlichkeit.

Man hat das in der That auch längst gefühlt und sich bemüht, durch Aufstellung bestimmter Pflanzenregionen für jedes Land die Gleichheit, Aehnlichkeit und Verschiedenheit derselben je nach dem bestimmten Gebiete hervortreten zu lassen. So haben z. B. Wahlenberg und Schouw für die nördliche Schweiz sechs Regionen aufgestellt: 1) die Ebene, 2) die Region des Wallnußbaumes, 3) die Region der Buche, 4) die Region der Nadelhölzer, 5) die Region der Alpenrosen, 6) die Region der Alpenkräuter. Die Ebene reicht bis zu 1000 Fuß Höhe und wird durch den Weinstock charakterisirt. Die zweite Region reicht bis zu 2500 Fuß und bildet zugleich die untere Bergregion. Die dritte geht bis 4000 Fuß und bildet zugleich die obere Bergregion, in welcher das Gebiet der Obstbäume endet. Zuerst verschwinden Aepfel und Birnen, dann folgen die Kirschen; mit ihnen enden Eichen, Ulmen, Linden, Haselnuß, endlich Buchen und mit diesen auch die menschlichen Winterwohnungen. Die vierte Region schiebt ihre Grenzen bis zu 6500 Fuß hinauf, wo die Arve oder Zirbelkiefer ( Pinus Cembra) das Endglied ist. Die fünfte Region geht bis 7000 Fuß Höhe und macht sich durch ihre Alpenrosen oder Rhododendra, sowie durch würzige Alpenkräuter bemerklich. Die sechste Region bestimmt den Pol des organischen Lebens. Bis zu 8200 Fuß vordringend, besitzt sie nur Alpenkräuter von niederem Wuchs und herrlichen Blumen. In der südlichen Schweiz reichen diese Regionen natürlich etwas höher hinauf. Ganz anders in der warmen gemäßigten Zone. So z. B. auf Corsica, dem Mittelpunkte der Mittelmeerflora, die sich durch gewürzige Lippenblumen und graziöse Nelkengewächse auszeichnet. Diese merkwürdige Insel mit ihren schroffen Gebirgsbildungen, welche eine Höhe von 8250 Fuß erreichen, zeigen nach den Untersuchungen von Francesco Marmoccci nur drei scharf begrenzte Pflanzenregionen. Die erste geht von der Meeresebene bis zur Höhe von ungefähr 1750 Fuß, die zweite von da bis ungefähr zu 5725 Fuß Erhebung, die dritte reicht bis zum Gipfel der Gebirge. Die erste ist warm, wie das Klima des Mittelmeergebietes, und besitzt nur Frühling und Sommer. »Selten fällt das Thermometer 1-2 Grad unter Null und nur für wenige Stunden. Auf allen Küsten ist die Sonne selbst im Januar warm; dagegen sind die Nächte und der Schatten zu allen Jahreszeiten kühl. Der Himmel bewölkt sich nur für Augenblicke; der einzige Wind von Südost, der schwere Sirocco, bringt anhaltende Nebeldünste, welche der heftige Südwest, der Libeccio, wieder vertreibt. Auf die gemäßigte Kälte des Januar folgt bald eine Hundstagshitze für acht Monate und die Temperatur steigt von 8 auf 18 Grade, selbst auf 26 im Schatten. Es ist ein Unglück für die Vegetation, wenn es dann nicht im März oder April regnet, und dieses Unglück ist häufig. Doch haben die Bäume Corsicas (wie die der ganzen Mittelmeerzone) allgemein harte und zähe Blätter, welche der Dürre widerstehen, wie Oleander, Myrte, Cistrosen, Lentiscus ( Pistacia Lentiscus), Oelweide u. s. w. Die zweite Region kommt dem Klima von Frankreich, namentlich von Burgund, Morvan und der Bretagne gleich. Hier dauert der Schnee, der sich im November zeigt, bisweilen 20 Tage; aber er thut merkwürdiger Weise dem Oelbaume keinen Schaden bis zur Höhe von ungefähr 3400 Fuß, sondern macht ihn noch fruchtbarer. (Nebenbei bemerkt, erfriert der Oelbaum in der Provence bei einer Kälte von 5° R. und hält in der Krim bequem bei 12° Kälte aus; eine Erscheinung, die ebenso seltsam wie die vorige ist.) Die Kastanie scheint der eigentliche Baum dieser Region zu sein; denn sie endet in einer Höhe von ungefähr 6280 Fuß und weicht hier den grünen Eichen, Tannen, Buchen, Buxbäumen und Wachholdern. In diesem Klima wohnt auch der größere Theil der Corsen in zerstreuten Dörfern auf Berghängen und in Thälern, da das Klima der untersten Region fast pestaushauchend ist. Die dritte Region ist während acht Monaten stürmisch und kalt, wie das Klima Norwegens. Hierher flüchten sich nur noch einige Tannen, welche an grauen Felsen zu hängen scheinen. Hier auch ist das Gebiet des Geiers und des Wildschafes, sowie das Vorrathshaus und die Wiege der vielen Ströme, welche in das Land herniederrauschen.« Hier sehen wir zugleich die Pflanzenwelt im innigsten Verein mit der Temperatur. In der glühenden Ebene fruchtbare Ländereien, Meerpinien, graziöse Lorbeerrosen, Tamarisken, Fächerpalmen ( Chamaerops humilis), Dattelpalmen, indische Feigen ( Cactus Opuntia), Agaven, Feigen, Granaten, Reben, Orangen, Mandeln, Johannisbrodbäume, Mispeln, Brustbeerbäume ( Zizyphus vulgaris) u. s. w.; auf den mittleren Höhen Pflanzen, wie wir sie kaum oder nicht in unsern Ebenen zu ziehen vermögen; auf den höheren Gebirgen Gewächse, welche mit unsern Waldregionen bis zu ungefähr 6500 Fuß hinauf Übereinkommen oder ihnen ähnlich sind! So besitzt jedes Land seine eigentümlichen Regionen, die, je weiter es nach dem Gleicher hin liegt, um so höher steigen. Die kalte Zone besitzt gewöhnlich nur eine Region, obschon selbst in den Ländern des Eismeeres die Pflanzen entschieden ausgesprochene Höhenverhältnisse zeigen. Die gemäßigte kann man in 4-6, die warme meist in 5-4, die heiße in 9, wie es Humboldt im tropischen Amerika that, theilen, je nachdem sich die Pflanzen in bestimmten Gürteln auf die Gebirge hinauf verbreiten. So lebt in der senkrechten Verbreitung der Gewächse ein Wechsel, eine Mannigfaltigkeit, die uns beim ersten Schauen zu verwirren drohen. Aber dennoch waltet ein harmonischer Geist darin. Verwandt ist die Verbreitung der Gewächse in wagrechter und senkrechter Richtung. Hier erreicht sie nur den Pol früher wie dort. Daraus folgt, daß die beiden Erdhälften wie zwei Bergkegel betrachtet werden müssen, deren Fuß am Gleicher, deren Haupt am Pole ruht. Rings um diese zwei Berge sind die Pflanzen in verschiedenen Typen vertheilt; aber beide entsprechen sich gegenseitig durch ähnliche Gewächse, je nach Länge und Breite, nur verschieden durch Boden und Klima. Ebenso entsprechen diesen beiden Hauptbergen die wirklichen Gebirgskegel mit ihren Gewächsen. Was dort Längsrichtung nach dem Pole hin, ist hier die Höhenrichtung; was dort Breitenrichtung, ist hier die Exposition.

Man hat die Pflanzenregionen zu gliedern versucht und gefunden, daß, wenn man vom Pol gegen den Gleicher vorrückt, die Schneegrenze um 1800 -2000 Fuß höher steigt. Hierauf fußend, begründete Meyen für jede Erdhälfte acht Pflanzenregionen, deren mittlerer Durchschnitt eine Erhebung von 1900 Fuß beträgt und welche von ganz bestimmten Pflanzen aus gezeichnet werden. So gewann er 1) die Region der Palmen und Bananen bis zu 1900 Fuß, bei einer mittleren Wärme von +30-27° C., der Aequatorialzone entsprechend; 2) die Region der Baumfarren und Feigen bis 3800 Fuß, unter einer mittleren Wärme von +23½° C., der tropischen Zone entsprechend; 3) die Region der Myrten und Lorbeerpflanzen bis zu 5700 Fuß, bei einer mittleren Wärme von +21-20° C., der subtropischen Zone entsprechend; 4) die Region der immergrünen Laubhölzer, unter einer mittleren Wärme von + 17° C. und einer Erhebung von 7600 Fuß, der wärmeren gemäßigten Zone entsprechend; 5) die Region der jährlich sich entlaubenden Laubhölzer bis zu 9500 Fuß, mit +14° C. mittlerer Wärme, der kälteren gemäßigten Zone entsprechend; 6) die Region der Nadelhölzer bis zu 11,400 Fuß, mit einer mittleren Wärme von +11° C., der subarktischen Zone entsprechend; 7) die Region der Alpensträucher bis zu 13,300 Fuß, der arktischen Zone entsprechend, unter +7° C. mittlerer Wärme; 8) die Region der Alpenkräuter, bis zu 15,200 Fuß, mit +3-4° C. mittlerer Wärme, der Polarzone entsprechend. Man sieht auf den ersten Blick, daß diese Anordnung nur eine ideale, mehr schematische ist. Sie hat aber den Vorzug größerer Deutlichkeit, wenn man sich die allmälige Abnahme der Pflanzendecke mit zunehmender Erhebung und ihr Wechselverhältniß zur Wärme zu versinnlichen unternimmt. Will man wahr sein, so muß man für jedes einzelne Land, für jede einzelne Zone ganz besondere Tabellen anfertigen, welche die örtlichen Abweichungen der Pflanzenregionen wiedergeben; eine Arbeit freilich, die erst nach Jahrhunderten gelöst sein wird. Wie verschieden dann eine solche Erhebung derselben Pflanzen ausfällt, können uns am besten die Culturpflanzen beweisen, obschon sie diese Höhen unter künstlichen Verhältnissen erreichten. So ist die mittlere Grenze der Wallnuß in den nördlichen Alpen nach Adolph Schlagintweit bei 2500 Fuß, in den Centralalpen bei 2700 Fuß, in den südlichen Alpen am Monte Rosa und Mont Blanc bei 3600 Fuß. Ihre^ mittlere Grenze erreicht die Buche am ersten Orte bei 4200 Fuß, am zweiten sinkt sie auf 3900 Fuß herab, am dritten steigt sie auf 4800 Fuß hinauf. Am auffallendsten jedoch bestätigen die Getreidearten den ausgesprochenen Satz. Ihre höchste Erhebung erreichen sie in den nördlichen Alpen bei 3700 Fuß, in den Centralalpen bei 5100 Fuß, in den südlichen Alpen bei 6000 Fuß. Nach Fr. von Tschudi gedeihen Kartoffeln in Glarus noch bis 4500 Fuß, in warmen Sommern bis 5100 Fuß. Gerste, Flachs, Hanf, Kohl, Feldbohnen, Rotherbsen, Lauch und Petersilie gehen bis 4500 Fuß. Einzelne Kirschbäume reifen ihre Früchte bei 4000 Fuß selten; ihre Region ist bei 3500 Fuß zu Ende. Im Jura ist in der ganzen unteren Alpenregion kein eigentlicher Anbau mehr; dagegen werden auf der Gemmi noch bei 6428 Fuß Erhebung Rüben, Spinat, Salat und Zwiebeln, wenn auch mit wechselndem Erfolge, gebaut. In Ländern aber, wo die bedeutende Bodenerhebung eine höhere Wärme der Alpenthäler hervorruft und die Lärche noch bis 7000 Fuß steigt, erhebt sich auch die Culturgrenze höher. So erreicht die Gerste, welche am wenigsten Wärme bedarf, eine Höhe von 6040 Fuß; der Hafer bleibt unter 5300 Fuß; Sommerrogen geht bei Zug und Selva bis 5000 Fuß, bei Fettan bis 5500 Fuß; die Kartoffel erreicht eine mittlere Höhe von 5400 Fuß. Im Oberengadin gingen Rüben sogar bis 6500 Fuß. Diese höchsten Culturgrenzen Europas bleiben jedoch weit unter denen Asiens und Amerikas. In der westlichen Sierraregion Perus reift Weizen noch bei 10,800 Fuß, die Kartoffel bei 11,000 Fuß; Pfirsichen und Mandeln gedeihen unter 12° s. Br. in engen geschützten Thälern noch bei 10,000 Fuß, während sie in den Alpen schon bei 2000 Fuß verkümmern. Im Himalaya sind die Verhältnisse der Cultur noch günstiger. In dem gepriesenen Thale von Kaschmir bilden Aepfel- und Birnbäume noch bei 5200 Fuß, auf einer Höhe, welche den Brocken fast noch ½ Mal übersteigt, Obsthaine und reichen bis 7500 Fuß hinauf. Ja, die Aprikose gedeiht sogar bei 10-12,000 Fuß überaus reichlich und herrlich. Bei Tschetkul im oberen Baspalhale zwischen dem Bhaginathi und Sutledsch baut man auf einer Höhe von 10,495 engl. Fuß noch zwei Weizenarten, Buchweizen und Raps. Stellt man hierneben die Culturgrenzen unserer niederen Gebirge, so ist der Abstand noch gewaltiger, als in den Alpen. Im Harze erreicht schon bei 1800 Fuß Erhebung in der Hochebene von Klausthal der Ackerbau nebst Obstbäumen, Ahornen, Ulmen, Eichen und Linden seine Grenze, um von da an das Gebiet den Nadelhölzern bis zu 3000 Fuß zu überlassen, worauf bereits die subalpine Flor beginnt.

Diese große Verschiedenheit der Pflanzenerhebung ist ein Seitenstück zu der mannigfaltigen Erhebung der Schneegrenze, mit welcher die Grenze des Gewächsreichs zusammenfällt. So liegt z. B. die unterste Grenze des ewigen Schnees im nördlichen Himalaya nach Durocher bei 16,145 rh. Fuß Erhebung, im südlichen dagegen schon bei 12,840. In den Anden liegt die Schnegrenze unter 5° mittlerer Breite bei 15,248 Fuß, in den Hochgebirgen von Mexiko unter 20° n. Br. bei 14,564 Fuß, in den Apenninen bei 9228 Fuß, in den Alpen bei 8586 Fuß, in den Pyrenäen bei 8904 Fuß, in den Karpathen bei 9196 Fuß, am Sneehättan in Norwegen bei 5185 Fuß, auf Island bei 2990 Fuß, auf dem Sulitelma in Lappland bei 3717 Fuß, auf dem Beereneilande ( île cherry) bei 572 Fuß, an der Südwestküste von Spitzbergen sinkt sie bis zur Ebene herab. Alle diese Abweichungen richten sich nach der geographischen Länge und Breite oder nach der isolirten Lage einzelner Pics, oder je nachdem ein festländisches, d. h. ein kälteres, oder ein milderes Inselklima vorhanden ist. Im Himalaya wird durch die Strahlung der tibetischen Ebene, wie durch die Trockenheit und Helligkeit der Luft in Mittelassen die große Abweichung der Schneegrenze im nördlichen und südlichen Theile hervorgerufen.

Alle diese Verschiedenheiten deuten darauf hin, daß sie ihren Ursprung einer bestimmten mittleren Jahreswärme verdanken. Eine solche würde nicht vorhanden sein, wenn sich jene Schneegrenzen nicht im Allgemeinen gleich blieben. Dennoch übt auch die Temperatur der Jahreszeiten und Monate einen bedeutenden Einfluß; denn wenn sich in den Alpen die ganze Vegetationszeit nur auf ein Paar Monate ausdehnt, so müssen Keimen, Knospen, Blüthen und Fruchtreife natürlich von der Wärme dieser Jahreszeiten abhängen. Daher kann es kommen, daß man mitten auf einem Gletscher in der warmen Jahreszeit ebenso, wie in dem sommerheißen Thale, seinen Rock überflüssig findet und ihn auszieht. Jene Erscheinung wiederholt sich auch in der wagrechten Verbreitung der Klimate im Norden, wo binnen ein Paar Monaten gesäet und geerntet werden muß. So treibt z. B. in Torneå (Lappland) die Gerste schon in der fünften Woche Aehren und wird in der zehnten geerntet, wogegen sie bei uns 14-16 Wochen zur Reife bedarf. Freilich wird diese durch die langen Sommertage, wo die Sonne ununterbrochen am Horizonte kreist, wesentlich gefördert. Adolph Schlagintweit scheint mir für die Verschiedenheit der Pflanzenerhebnug das einfachste Gesetz gefunden zu haben. Es lautet: Je größer die Sommerwärme bei gleicher mittlerer Jahrestemperatur ist, desto höher reichen die Pflanzen hinauf, und desto kälter sind die Jahresisothermen (Linien gleicher Jahreswärme) an der Pflanzengrenze. An den freien Erhebungen der Alpen, belehrt uns der Genannte weiter, ist das Klima, besonders an den höchsten Gipfeln, im Sommer ein gleichmäßiges, im Winter aber ein meist extremes, wodurch die ungünstigste Verkeilung der Wärme für die Pflanzen hervorgerufen wird. Umgekehrt aber nimmt die Sommerwärme zu, je massenhafter sich die Gebirge zusammengruppiren und von der Kegelform entfernen. Die beiden letzten Sätze folgen sehr einfach aus der schon oben gemachten Erfahrung, daß sich in den niederen Gebirgen die Sommerwärme und mit ihr die Pflanzenwelt schon auf weit geringeren Erhebungen vermindert. Am auffallendsten ist hierin in Deutschland der Harz. Während z. B. in den Alpen gewisse Pflanzen erst auf sehr bedeutenden Höhen erscheinen, gehen sie an der Mündung des Bodethales fast bis zu dessen Sohle herab. So z. B. Moose ( Timmia austriaca, Trichostomuum glaucescens, Grimmia Hoffmanni, Orthotrichum urnigerum u. a), Farren ( Woodsia ilvensis), die Alpenrose ( Rosa alpina u. a.) Selbst der weit mildere Thüringer Wald wiederholt in seinen nach Norden geöffneten Thalern dieselbe Erscheinung. Das zweiblumige Veilchen ( Viola biflora), sonst nur ein Bewohner höherer Gebirge und deren Ausläufer, gedeiht im Annathale bei Eisenach in derselben Ueppigkeit, wie in den Alpen; freilich in einer Atmosphäre, welche durch beständige Feuchtigkeit außerordentlich kühl erhalten wird. Weisia serrulata, ein unscheinbares, aber charakteristisches Laubmoos, bewohnt die schroffen Felswände der Landgrafenschlucht unweit des Annathales unter ähnlichen Verhältnissen, wie das genannte Veilchen, während es sonst nur auf den höchsten Alpen von Salzburg, Kärnthen und Tirol erscheint. Aehnliche Verhältnisse zeigen auch Schwarzwald, Fichtelgebirge, Erzgebirge, Riesengebirge u. s. w.

Der französische Naturforscher Boussingault war der Erste, welcher die Wechselwirkung zwischen Pflanzenwachsthum und Wärme für die Landwirthschaft praktisch machte. Er zählte die Wärmegrade, welche eine Pflanze bis zum Reifen ihrer Früchte empfangen muß, und wies somit nach, auf welche Grundsätze hin der Ackerbau die Cultur seiner Gewächse in den einzelnen Klimaten zu gründen hat. So verlangt z. B. für Freysing in Baiern nach Professor Meister Winterweizen 149 Tage bei 10,7° R., mithin 1595 Wärmegrade; Winterroggen erfordert 137 Tage bei 10,6° R., also 1452 Grade, Sommerweizen 120 Tage bei 15,1° R., demnach 1812 Grade, Sommerroggen 110 Tage bei 13,8° R., also 1797 Grade, Sommergerste 100 Tage bei 13,8° R., darum 1380 Grade, Hafer 110 Tage bei 13,7° R., folglich 1507 Wärmegrade. Erhalten die Pflanzen diese Wärmesummen nicht, dann findet keine Fruchtreife statt. Wir fanden schon oben, in wie viel kürzerer Zeit im Norden das Getreide reifen muß und daß die charakteristisch Hellen und warmen Juninächte diese Reife beschleunigen. Trotzdem erfordert der Roggen noch eine künstliche Zeitigung. Sie wird in Rußland dadurch bewerkstelligt, daß man die Garben über künstliches Feuer stellt und so das Korn auf dem Halme nachreifen läßt, durch die Fähigkeit der Grasfrucht, selbst im unreifen Zustande keimfähig zu bleiben und noch später gewissermaßen nachzureifen, allerdings sehr begünstigt. Daher das gedorrte runzlige Ansehen des russischen Getreides, welches wir aus dem Norden beziehen. Mit der Erhebung der Pflanzen verringert sich die Dauer ihres Wachsthums ebenso, wie mit ihrer Annäherung zu den Polen. Nach A. Schlagintweit beträgt diese Dauer zwischen 7-8000 Fuß Höhe in den Alpen nur 95 Tage. An der äußersten Grenze der Blüthenpflanzen beschränkt sie sich bei 10,000 Fuß Höhe auf ungefähr einen Monat. Die Zeit, welche von der Saat bis zur Ernte des Wintergetreides verfließt, verlängert sich mit der Höhe und erreicht an der äußersten Getreidegrenze bei 5-5200 Fuß in den Alpen zuweilen ein volles Jahr. Ebenso verringert sich der Körnerertrag, die Güte der Frucht und das Verhältniß ihres Gewichtes zu dem des Strohes mit der Höhe.

Wir dürfen jedoch nie vergessen, daß alle diese Angaben sich nur auf örtliche Ursachen beziehen, und müssen uns erinnern, daß selbst auf Höhen, auf welchen in der gemäßigten Zone alle Spur des Lebens verschwindet, unter günstigeren Verhältnissen noch ein reiches Leben herrschen kann, wie die Vergleichung der Himalayahöhen mit denen unserer niederen Gebirge schon beweist. Es folgt daraus eine ungemein ungleiche Vertheilung der Wärme über den Erdkreis; eine Vertheilung, welche die Ursache der großen Mannigfaltigkeit der Pflanzendecke in verschiedenen Ländern vorzugsweise ist. Wir wissen bereits, daß dies einestheils von der Erhebung der Erdoberfläche, dem Baue der Gebirge, ihrer Verbindung mit dem Meere, den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Gesteine u. s. w. abhängt. Man kann sich das durch einige schroffe Beispiele nochmals ins Gedächtniß zurückrufen. Ein Gebirgsland, welches rings von sengenden Wüsten umgeben ist, wird dadurch zu einer Insel werden, die eine eigenthümliche Vegetation erzeugt und ihre Pflanzengrenzen höher hinauf rückt, als ein Alpenland, welches aus reich befeuchteten Thälern emporsteigt. Wir finden das theilweise im Himalaya vertreten. Ebenso wird sich ein anderes Land als Insel, als Oase abschließen, welches rings von hohen Gebirgsrücken, von Gletschern und ewigem Schnee umgeben wird. So z. B. der Kanton Wallis. Im dritten Falle kann eine Erderhebung rings vom Meere eingeschlossen sein und somit an einem milderen Klima Theil nehmen, wie England beweist, welches überdies durch das Vorbeiströmen des warmen Golfstromes eine mildere Temperatur erhält und dadurch Camelien, Lorbeer, Myrten u. s. w. im Freien gedeihen läßt und selbst im Winter noch üppige Wiesen der Viehzucht darbietet. Im vierten Falle können die Länder weite, hügelige Ebenen darstellen. Alle diese Verhältnisse, von denen Winde, Feuchtigkeit, Luftdruck u. s. w. wesentlich abhängen, tragen zu den großen Verschiedenheiten der Pflanzendecke bei. Es wird mithin kaum einen Punkt der Erde geben, wo die Verhältnisse des Klimas völlig dieselben wären. Allein nichtsdestoweniger kann eine mittlere Jahreswärme an verschiedenen Punkten der Erde dieselbe sein. Seit Humboldt hat man sich bestrebt, diese Punkte auf der Karte genauer zu verzeichnen und durch von dem Genannten als Isothermen (Linien gleicher mittlerer Jahres- Wärme) bezeichnete Linien mit einander zu verbinden. Natürlich kann es auch Orte geben, welche eine gleiche mittlere Winterwärme haben; die hierdurch hervorgebrachten Linien sind die Isochimenen. Der dritte Fall kann der sein, daß gewisse Orte eine gleiche mittlere Sommerwärme besitzen; sie werden durch die sogenannten Isotherm verbunden. Man geht hierbei von der Erfahrung aus, daß es nicht darauf ankomme, wie weit sich ein Ort von dem Gleicher, sondern von dem Meere entferne. Je näher diesem, um so gleichmäßiger, milder wird sein Klima sein; je entfernter von ihm, um so kälter wird sein Winter und um so heißer sein Sommer sein. Die Gründe sind schon früher (S. 69) von uns weitläufiger auseinander gesetzt worden. Diese Linien haben das praktisch Gute, daß man sofort aus ihnen ersieht, wie weit noch ein Ort culturfähig und bewohnbar ist. Weiß man z. B., unter welcher mittleren Sommer- und Winterwärme eine Pflanze im Freien gedeiht, so braucht man nur die Isothermen und Isochimenen nachzusehen. Es ist aber auch hier nicht zu vergessen, daß die Temperatur der Sommermonate wesentlich zu berücksichtigen ist. Die größte bisher beobachtete mittlere Jahreswärme beläuft sich zu Massoua in Abyssinien auf +24¾° R.; die niedrigste Temperatur beträgt auf der Melville-Insel im südwestlichen Eismeere - 15° R. Inselklimate werden sich stets mehr für Viehzucht, Continentalklimate mehr für Ackerbau eignen. Dort werden wie in England die üppigsten Wiesen erzeugt; hier wird die Sommerwärme so bedeutend, daß z. B. nach Humboldt noch in Astrachan, wo das Thermometer im Winter bis auf -25° und -30° herabsinkt, nahe am Kaspischen Meere die herrlichsten Weintrauben gezeitigt werden können, obschon die Reben im Winter 6 Fuß unter die Erde gegraben werden müssen. Das kommt aber daher, daß es ein Continentalklima besitzt, dessen mittlere Sommerwärme auf 21,2° wie bei Bordeaux steigt, obschon die mittlere Jahrestemperatur nur etwa 9° beträgt.

Die atmosphärische Wärme ist es jedoch nicht allein, welche einen so bedeutenden Einfluß auf das Pflanzenleben im Gebirge ausübt. Auch die Bodenwärme, welche ihren Ausdruck in der Wärme der Quellen findet, trägt wesentlich zu der großen Verschiedenheit in der senkrechten Vertheilung der Gewächse bei. Wie man demnach Isothermen aufzustellen im Stande war, ebenso hat man auch Isogeothermen (Linien gleicher Bodenwärme) ausgezeichnet, um die Gleichheit, Ähnlichkeit und Verschiedenheit der Gewächse auf Gebirgen zu erklären.

Es versteht sich von selbst, und wir haben schon mehrmals darauf hingedeutet, daß die feuchten Niederschläge des Luftmeeres in innigster Wechselwirkung zu Luft- und Bodenwärme stehen und daß sie auf verschiedenen Höhen eine sehr verschiedene Vegetation hervorrufen müssen, weil, wie die Erfahrung schon früh lehrte, auf bedeutenderen Höhen die Menge der feuchten Niederschläge aus der Atmosphäre in Gestalt von Thau und Regen größer ist, als in der Ebene. Aber auch hierin sind die Verhältnisse in den Alpen nicht gleich. So herrschen in den nördlichen und nordöstlichen Alpen die Sommerregen, in den südlichen und westlichen die Herbstregen vor, wodurch wiederum – andere Bedingungen der Pflanzenwelt entgegentreten und eine Umgestaltung der Pflanzendecke hervorgerufen werden muß. Daß jedoch nicht immer bedeutende Höhen eine größere Menge von feuchten Niederschlägen bedingen, haben wir schon am westlichen Abhange der Cordilleras an der chilesischen Küste gesehen. Obschon an einem der bedeutendsten Meere, am stillen Oceane gelegen, befindet sich doch längs der Küste Chiles eine wasserlose Hochebene von 2-5000 Fuß Erhebung, einer Breite von 10 deutschen Meilen und einer Länge von drei Breitengraden. Bei Botija, ungefähr unter 24½° s. Br., findet sich noch eine reiche Küstenvegetation, oberhalb dieser Station nach Norden hin, also dem Gleicher zu, verschwindet alles vegetabilische Leben. Das ist die Wüste von Atacama nach den neuesten Forschungen unseres Landsmanns R. A. Philippi. Hier fällt fast nur ausnahmsweise Regen. Alle 20-50 Jahre, erzählt uns der Genannte, finden einmal wolkenbruchähnliche Regengüsse statt, alle Thäler füllen sich dann mit Wasser und wälzen bei ihrem starken Gefälle ungeheuere Schutt-und Schlammmassen herab. In dieser ganzen Wüste existirt kein Baum; nur kümmerliche Vereinsblüthler, Bocksdorne( Lycium) Verbenen, blattlose, casuarinenartige Ephedraarten u. s. w. überziehen hier und da den durstenden Boden. Gräser flüchten sich an das Wasser. Unterhalb aber dieser Wüstenhochebene, die sich wie eine steile Wand am Meere erhebt, gedeihen an den steilen Abhängen in der Ebene Cacteen. Je höher man steigt, um so reicher wird die Vegetation. Allmälig nimmt sie wieder ab und mit 1700 Par Fuß Erhebung ist Alles todt. Die Pflanzenreiche Zone findet sich also nur zwischen 750 und 1500 Fuß Erhebung. Sie ist, sagt der Reisende, genau dieselbe, wo den größten Theil des Jahres hindurch Wolken und Nebel schweben. Ihnen erlaubt das steile Gebirge nicht, weiter nach Osten über die Hochebene zu gehen. Warum, hat unser Reisender nicht angegeben. Wir werden unten wieder darauf zurückkommen. Wir brauchen jedoch, um diese seltsame Erscheinung kennen zu lernen, noch nicht an die Küste Chiles zu wandern. Das Karstgebirge Illyriens erhebt sich als Felsenwüste ebenso grausig vom Fuße des Adriatischen Meeres. Aber hier weiß man, daß es die furchtbare Bora, ein Nordwind ist, der durch Trockenheit und Heftigkeit alles vegetabilische Leben tobtet und nur da gedeihen läßt, wo die Pflanzen sich in Erdsenkungen zu flüchten vermögen. Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit den dürren und regenlosen Küsten Südamerikas am stillen Oceane. »Die Küste von Peru«, sagt Maury, »liegt in der Region beständiger Südostpassate. Obgleich sich diese Gestade an dem Rande des großen Südseekessels befinden, so regnet es doch dort niemals. Der Grund ist einleuchtend. Die Südostpassate im atlantischen Ocean bestreichen zuerst die Gewässer an der afrikanischen Küste. Nach Nordwesten ziehend, wehen sie quer über den Ocean, bis sie die brasilianische Küste erreichen. Unterdessen haben sie sich ganz mit Wasserdampf angefüllt, den sie quer über den Continent hinwegführen und auf ihrem Wege absetzen, sodaß davon die Quellen des Rio de la Plata und die südlichen Nebenflüsse des Amazonenstromes gefüllt werden. Endlich erreichen sie die schneebedeckten Gipfel der Anden, und der letzte Rest von Feuchtigkeit, den nur die dortige tiefe Temperatur ihnen auspressen kann, wird ihnen nun entzogen. Nachdem sie den Kamm jener Kette erreicht haben, wälzen sie sich nun als trockene kalte Winde an den dem stillen Ocean zuliegenden Bergabhängen hinunter. Da sie keine Dampf erzeugende Oberfläche und keine Temperatur vorfinden, welche diejenige an Kälte überträfe, der sie auf den Berggipfeln ausgesetzt waren, so erreichen sie den Ocean, ehe sie von Neuem mit Wasserdampf beladen sind und ehe also das Klima Perus ihnen irgend welche Feuchtigkeit entziehen kann. So sehen wir die Andesgipfel zu einem Wasserbehälter werden, der die Flüsse Chiles und Perus füllt.« Daher kommt es mithin, daß die Südseeküste Amerikas die vegetationsarme, die atlantische Seite hingegen die Pflanzenreiche ist. Man kann hieraus auch erklären, warum an den steilen Abhängen der Wüstenhochebene von Atacama eine Pflanzenreiche Region bis zu 1500 Fuß Erhebung sich vorfindet, während darüber hinaus Alles Wüste ist. Nach Maury müssen die feuchten Niederschläge sich an den Abhängen derjenigen Gebirge zeigen, wo die Passate nach einem Wege über eine weite Meeresstrecke zuerst anprallen; der Niederschlag wird um so größer sein, je steiler die Erhebung und je kürzer die Distanz zwischen Gebirgskamm und Ocean ist. Diese Verhältnisse kommen hier in der That vor. Ohnfehlbar erhalten die steilen Küsten unterhalb der Wüste von Atacama vom stillen Oceane eine mit Wasserdampf gesättigte Luftströmung. Wenn nun die trockenen und kalten Südostpassate sich von der atlantischen Seite her und von den Andesgipfeln herab wälzen, so werden sie jene wärmere Luftschicht der Südseeseite erkälten und ihre Feuchtigkeit verdichten. Diese muß als fortwährender Nebel niedergeschlagen werden. So ist es in der That. Wenn auch übertrieben, sagt man von Paposo, unter 25° s. Br., daß man hier in neun Monaten die Sonne nicht zu sehen bekomme. Wir sehen aus diesem Beispiele, wie der Bau der Gebirge und die dadurch regierten Luftströmungen den wesentlichsten Einfluß auf die feuchten Niederschläge der Länder ausüben und somit die Pflanzenwelt den verwickeltsten Einflüssen hingegeben ist.

Endlich übt der mit der Höhe abnehmende Luftdruck den größten Einfluß auf das Pflanzenleben. Wie sich aus chemisch-physikalischen Gründen leicht ableiten ließ, begünstigt der verminderte Luftdruck nach Adolph Schlagintweit vorzugsweise eine größere und raschere Verdunstung des Wassers aus den Pflanzentheilen und macht sie dadurch für Licht und Wärme in directer Besonnung empfänglicher. Hierdurch ist es den kleinen Alpenkräutern gegeben, ihre Entwickelung in einem so kurzen Sommer zu durchlaufen und eine ungeahnte Blumenpracht zu entfalten. In den Polarländern wird dasselbe durch die außerordentliche Trockenheit der Luft erreicht, und natürlich muß diese Trockenheit, welche wie in Sandwüsten den Durst des Wanderers bis aufs Höchste steigert, von der außerordentlich niedrigen Temperatur des Luftmeeres abhängen, welches alle Feuchtigkeit sofort niederschlägt.

Eine der eigenthümlichsten Erscheinungen im Leben der Alpengewächse, womit gewöhnlich auch eine mehrjährige Dauer zusammenhängt, ist ihr derber, gedrungener Bau. Auch dieser ist mit Bodenbeschaffenheit und den verschiedensten Ursachen der Höhenklimate aufs Innigste verflochten und spricht sich am klarsten in der Bildung der Jahresringe bei den Nadelhölzern aus. Dieselben nehmen mit der Höhe an Dicke ab, obschon diese Erscheinung von Lage und Boden bedeutend verändert wird. Dasselbe wiederholt sich, je weiter die Gewächse nach Norden vorschreiten. Wiederum ein Beweis, wie außerordentlich ähnlich die Bedingungen sind, welche in der senkrechten und wagrechten Pflanzenverbreitung zum Vorschein kommen. Der Mensch hat das sinnig benutzt und gerade von diesen Orten die Mastbäume seiner Schiffe geholt. Wenn auch die Jahresringe hier dünner, so sind sie doch um so kräftiger, da sie sich fester an einander lagern. Ein solches Holz widersteht länger als jedes andere, in gutem Boden und milderem Klima im vollen Sinne des Wortes verweichlichte, der Zeit und dem Wurme. Darum ist es auch klangreicher und wird vor jedem andern zur Verfertigung guter musikalischer Instrumente gesucht.

Man hat die verschiedene Erhebung der Pflanzen in bestimmte Gruppen getheilt: das Pflanzengebiet der Ebene, der montanen, subalpinen und alpinen Region. Im Allgemeinen bezeichnet das erste die Tiefländer, das zweite das niedere Gebirge, das dritte die Region bis zur Fichtengrenze, das vierte die Region der Alpenpflanzen. Eine nivale Region zieht sich in wenigen Flechten, Moosen und Schneeblut bis zu den Gletschern und auf sie hin. Je nach den Oertlichkeiten kann fast jede der vier ersten Regionen in eine untere und obere Abtheilung zerfallen. Dann muß man unterscheiden: die Ebene des Meeres und des Hügellandes, das Gebiet der Obstbäume und der Laubwälder, oder die untere und obere Bergregion, das Gebiet der Fichte oder die subalpine Region, endlich die untere alpine Region oder das Gebiet der Alpensträucher, und die obere alpine Region oder das Gebiet der Alpenkräuter. Von allen diesen Regionen rufen die Gebirgsgebiete die größte Abwechslung in ihrer Pflanzendecke hervor, weil sie die größte Abwechslung von Boden, Klima und Quellen besitzen. In der gemäßigten Zone ist das alpine Gebiet zugleich auch das duft- und farbenreichste. Ein tiefgrüner Rasenteppich wechselt mit dem belebenden Indigoblau der Gentianen und dem brennenden Roth der Alpenrosen, in einer Pracht, welche in der entgegengesetzten Region eine Erinnerung an die Pracht und Mannigfaltigkeit der Tropenwelt ist. Tropenfloren und Alpenfloren besitzen den reinsten Charakter. Aber wie dort Alles freudiger zur Sonne empor in das Luftmeer wächst, so ziehen sich hier die Gewächse an der Grenze des organischen Lebens verkrüppelnd auf den Boden zurück, der in freier Besonnung eine höhere Temperatur als das Luftmeer bietet. Nirgends ist die Erde so sehr Mutter wie hier, wo sie fast ausschließlich Stoff und Wärme zum Gedeihen ihrer Pflanzenkinder abgibt. Aber auch nirgends wie hier finden wir so schön bestätigt, wie durch weise Benutzung des Kleinsten selbst bei beschränkteren Mitteln Hohes und Edles erreicht werden kann. So winzig auch die letzten Alpenkräuter sein mögen, so herrlich und groß werden doch ihre Blüthen. Sie gleichen dem Sohne des Gebirges, der bei aller äußeren Unscheinbarkeit nur zu häufig den in Ueberfülle geborenen und gepflegten Sohn der Ebene durch seine Geistesblüthen, namentlich durch Charakter weit übertrifft.


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