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Cactusformen in Brasilien auf den sogenannten Caatinga-Fluren. Nach v. Martius.

XVI. Capitel.
Die Cactusform.

Was die Haideform auf ihrem Boden, ist gewissermaßen die Cactusform in der dienen Welt, die Verkündigerin nie versiegenden Lebens auch auf Wüstenboden; um so mehr, als einige Arten, wie z. B. der Melonencactus ( Cactus melocactus) der Llanos, zur Zeit der entsetzlichsten Dürre fast die einzigen Wasserquellen jener Steppen sind. Sie ist die Forru des Starren und in Verbindung mit den Fettpflanzen (Crassulaceen) und einigen cactusartigen Wolfsmilchpflanzen zugleich die Form des Massigen, Fleischigen. Es gehört der ganze seltsame Geschmack unserer Zeit, die große Mannigfaltigkeit der Stamm- und Blüthenbildung der Cacteen dazu, an ihrer Form Gefallen zu finden. Die Cacteen sind reine Achsengewächse, denn es ist bei ihnen kaum von einer Blattbildung die Rede. Was man als eine solche bezeichnen muß, ist ein winziger schuppiger oder fleischiger Theil, welcher in der Jugend die eben erst sich bildenden Stacheln stützt und, wenn diese sich ausgebildet haben, wieder verschwindet. Die meist in Bündeln stehenden Stacheln können als umgewandelte Nestchen betrachtet werden. Bei dieser Familie bewährt sich recht deutlich, was wir oben sagten: je mehr ein Theil – wie hier der Stamm – vorherrscht, um so unharmonischer wird die Tracht der Pflanze. Das Gefühl bleibt unbefriedigt; denn es verlangt durchaus ein schönes Gleichgewicht zwischen allen Pflanzentheilen, wenn die Pflanze den Eindruck des Harmonischen hervorrufen soll. Man kann den Anblick der Cacteen – und das ist er im hohen Grade – originell, eigentümlich und frappant nennen; allein die Form ist und bleibt eine extreme, die ebenso abstößt wie alles Extreme, Leidenschaftliche. Um das Abstoßende voll zu machen, gesellen sich häufig in drohendster Weise furchtbare Stacheln dazu. Sie können nur den Eindruck des Unbehaglichen, Schmerzerregenden hervorbringen, man hält sich gern von ihnen fern und kann sich beglückwünschen, daß diese vegetabilischen Formen keine beweglichen thierischen sind, die uns wie Igel zwischen den Füßen herumzulaufen vermögen. Nichtsdestoweniger sind die Cacteen Bilder höchster Genügsamkeit. Die dürrsten, sonnenverbranntesten Orte bewohnen sie, während oft Alles um sie her in Staub zerfällt, in einer Ueppigkeit, welche den höchsten Contrast zu ihrer Umgebung hervorruft und hierdurch wieder mit ihnen aussöhnt. Darum kann uns die Cactusform nur in ihrer Heimat wohlthätig anziehen; herausgerissen aus ihr, gleicht sie einem Kunstwerke, das für eine bestimmte Umgebung berechnet war, unter veränderten Verhältnissen aber das Gegentheil hervorbringt oder mindestens eine große Schwächung seiner Wirkung erfährt.

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Die medicinische Wolfsmilch ( Euphorbia officinarum), als Ausdruck für die cuctusähnlichen Wolfsmilcharten.

Die Cactusform ist nur der Neuen Welt eigenthümlich; dafür erhält sie in einigen Wolfsmilchpflanzen der Wüsten, Steppen und Felsengebirge Vertreterinnen der heißeren Zone in der Alten Welt. Auch sie erscheinen oft wie Formen, die ein seltsam gelaunter Künstler aus irgend einem weichen Teige zusammenknetete und ebenso unregelmäßig in Klumpen auf einander thürmte, wie ein Kind seine Schneemänner zusammensetzt. Der Anblick der cactusartigen Euphorbiengebüsche auf Java, sagt Zollinger, ist ein wahrhaft trostloser, wenn er auch im höchsten Grade eigentümlich genannt werden muß. Auf den Galapagos-Inseln gewähren, selbst in kurzer Entfernung, solche Euphorbiengebüsche dem Wanderer den Eindruck, als ob sie blattlos seien, ihr Laub eben, wie bei uns im Herbste, abgeschüttelt hätten. Daher das Trostlose der unteren Region dieser Inseln. Diese Form wird den Cacteen um so verwandter, als auch sie häufig eine vegetabilische Quelle in sich verbirgt. Sie ist dadurch noch bemerkenswerter, daß sie statt des Wassers – Milch liefert. Bekanntlich gehört die Tabaybe der canarischen Inseln ( Euphorbia balsamifera) hierher.

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Stapelia bufonia.

Eine dritte Familie wiederholt abermals die Cactusform. Es sind die Asclepiadeen. In der Gattung Stapelia des Caplandes, wo sich eine große Anzahl von Arten findet, erreichen sie diese Form, die durch ihre herrlichen Blumen ebenso wie die Cacteen wieder gut macht, was ihr die starre Stammbildung versagte.

Eine vierte Familie nähert sich schon hier zu Lande der Cactusform, nämlich die Salzkräuter oder Salicornien aus der Familie der Meldengewächse oder Chenopodiaceen. Sie bewohnen als blattlose Gewächse, von denen Glied auf Glied sich thürmt und nur höchst unbedeutende Blumen hervorbringt, den Salzboden unserer Salinen und Meeresküsten. Es gibt einige Cacteen, welche genau die Tracht der Salzkräuter annehmen. So z. B. Rhipsalis salicornioides. Das sind jedoch nur Ausnahmen unter den Meldenpflanzen.

Eine fünfte Familie bildet fast durchaus nur cactusähnliche Gewächse, aber von eigenthümlicher Tracht, nämlich die der Fettpflanzen oder Crassulaceen. Zu ihr gehören unser Hauslauch, Mauerpfeffer u. s. w. Sie vermitteln den Uebergang zu den Saxifrageen oder Steinbrecharten, von denen viele auf den Alpen die Tracht der Fettpflanzen annehmen, und ebenso zu den Portulakgewächsen oder Portulaceen.


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