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Über den Schlaf

Schlaf und Wachen, wie Ebbe und Flut, Nacht und Tag, Berg und Tal, Liebe und Haß, wie alles Erscheinende, sind Symbole des tiefgreifendsten Gedankens der Natur, den wir ihr nachzudenken vermögen: Rhythmus. Im Schlafe wird unser Orientierungsvermögen für den Raum, in dem wir auf Erden sind und für den Zeitbegriff rhythmisch abgeblendet. Das Persönlichkeitsgefühl bleibt erhalten. Die Logik ist zum Teufel.

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Der Schlaf ist ein Dämpfer, den das Dunkel über die Saiten unserer Seele spannt. Wir machen im Schlaf keine Wahrnehmungen, sondern die unbewußten Wahrnehmungen huschen gespenstig über die Tasten und werden nur in der Idee bemerkbar. Das Reale ist gleichsam ein Motiv der selbsttätigen Idee.

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Im Schatten des Schlafes reifen die Pläne, spinnt das Gedächtnis seine Netze, heilen die Leiden, wachsen die Gedanken. Gärtner, Schmied und Arzt ist der Schlaf Er zieht die Sehnsuchtsblume, er schmiedet den Panzer gegen Gefahr, er braut die Säfte, die uns heilen.

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Schlaf und Sonnenuntergang, Erwachen und Sonnenaufgang sollten parallele Dinge sein. Die Kultur hat Scheinsonnen erfunden, welche das Dunkel und den Schlaf hintergehen. Aber die Natur läßt sich nicht überlisten. Die Nerven müssen hohe Prozente zahlen für das gestohlene Licht.

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Wer seine Müdigkeit künstlich bekämpft: Nikotin, Alkohol, Tee, Kaffee – legt seinem treuesten Wächter eine Binde um die Augen.

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Man suche seinen persönlichen Schlafrhythmus zu ergründen, d. h. die Stundenzahl zu finden, die man gebraucht, um ganz ausgeschlafen zu sein. Diese Stundenzahl sei eine heilige Zahl. Der Teufel Geselligkeit dividiert ohn' Unterlaß daran herum.

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Verschlafe, wenn du Talent dazu hast, ruhig die volle Hälfte deines Lebens: du wirst die andere Hälfte doppelt gelebt haben.

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Es gibt Menschen, die das Leben so lieben, daß sie den Schlaf wie einen Zins des Todes betrachten. Es gibt derer, die sich fürchten einzuschlafen, weil sie ihr Bewußtsein nicht verlieren möchten. Solche Leute sind Verschwender. Der Sparsame schläft gern. Der Geizige wird grob, wenn er gestört wird.

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Die Schlafzimmer müssen kühl sein. Nur wenn die Haut blutleer ist, schläft man tief. Alles, was ihre Gefäße füllt: Wärme, trockene Luft, dicke Polster, rauhe Stoffe sind schlafwidrig. Kalte Waschungen, Haarkämmen, Streicheln, Einwickeln der Beine in glatte Binden, sind natürliche Schlafmittel. Warme Bäder erregen. Warum gibt es keine Wiegen für Große? Die Erwachsenen sind kindlicher, als man denkt.

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Es gibt Menschen, die hypnotische Kraft in ihrer Persönlichkeit haben. Sie verstehen, krause Seelen zu glätten. Das ist die Gewalt, mit welcher das Unharmonische nach Harmonie drängt. Wehe! wenn zwei Dissonanzträger in demselben Schlafzimmer sind.

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