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Über das Ich.

Was soll man von sich selber sagen?

Ich kenne mich nicht besser, als irgendein anderer, der mir ein Rätsel wäre.

Sich selbst zu erkennen, ist die Aufgabe, die man mit gleichem Rechte einem Toilettenspiegel zumuten könnte.

Wir sind Mosaiksteine zu einem Weltgemälde, dessen furchtbare Schönheit wir ahnen, dessen Sinn wir nie begreifen.

Kann ein Spiegel etwas aussagen über den, der ihn geschaffen?

Aber wir verlangen, arme Spiegel der Sonne, von uns, etwas über die Sonne auszusagen, das mehr als Lichtwirkung ist.

Ich weiß von mir nur, daß ich keine Einheit, also ein Nicht-Ich bin!

Ich gehöre mir und einem »Mehr als Ich«. Das ist das Resultat meines Denkens und meines Gefühls.

Ich bin der Beauftragte eines höheren Ichs. Cogitatus sum, ergo cogito.

Ewig in der Sklavenrolle, mich zu demütigen oder zu empören, mich zu erhalten oder zu vernichten.

Mein Ich ist eine jeden Augenblick wechselnde Variation über eine nur scheinbare Einheit meiner Empfindungen.

Ich bin nur ich, weil der Augenblick, die Phase des vorüberrollenden Weltalls, in mir sich von Moment zu Moment spiegelt.

Ich bin eine Diagonalempfindung von allem, was auf mich von außen und von innen wirkt.

Das Außen ist der Kosmos, sind die Zellkugeln des Kosmos, das Innen sind die Zellkugeln, die meine Einheit konstituieren und meine Säfte produzieren.

Mein Ich steht zwischen dem Mikro- und Makrokosmos.

Ich bin nur, was mein Mikrokosmos sich von mir vorzustellen erlaubt.

Eine Flasche Wein, eine Zigarette hat über mich viel mehr Stimmungsmacht, als alle Ethik der Welt.

Weil dieser Konflikt zwischen Außen- und Innenwelt an der Atmosphäre des Gehirns aufblitzt, hat man das Gehirn den Sitz der Seele genannt.

Aber meine Seele sitzt in diesem Augenblick in meiner Geschlechtsdrüse, im nächsten in meinem Lebersystem, im nächsten in meinem Phantasieorgan oder in meiner Schilddrüse.

Man sollte daher von einem steten Platzwechsel der Empfindungen, nicht aber vom Sitz der Seele sprechen.

Meine Seele ist ein Faden der Weltseele, der in mich einen Apparat, hineingesenkt ist.

Durch uns muß das Leben hindurch, wie ein Lied durch jeden in ihm enthaltenen Ton. Das Leben passiert uns, wir sind sein Weg. Daran müssen wir sterben.

Gleich wie ein Ton stirbt am Verklingen:
Durch ihn hindurch muß sich das ganze Tonwerk schwingen –
So stirbst du zwar, doch nicht vergebens:
Ein Torweg warst du dann des ganzen Lebens.

»Gott vergib ihnen! Sie wissen nicht was sie tun,« ist ein Königswort.

Daraus entspringt:

Herrschergelüst oder Demut.

Vor die Frage, König oder Gehenkter zu sein (zugunsten des Ganzen) können nur Christusseelen gestellt werden.

Sowie das Reich der Ideen (Gott sei Dank das Reich der einzigen Unsterblichkeiten nach Goethe) erlöschen würde, wäre der Tod der Realitäten da. Die Realisten begreifen am wenigsten, daß alle ihre Sicherheiten: Geld, Macht, Besitz, Erwerb – Plunder sind vor der einzigen Realität, die es geben kann, das wirklich Wirkende: die Idee hinter der Erscheinung, das Ding an sich, von dem alle Dinge nur Schatten, Momentaufnahmen, Symbole sind. Der einzige Realist, den es geben kann, ist der Metaphysiker. Er allein ahnt Wahrheit.

Ist ein Gott in mir, so ist er nicht mit mir zufrieden, ich aber auch nicht immer mit ihm.

Ich weiß, daß ich ein Versuchskaninchen bin, aber meine Versuchskaninchen wollten auch nicht gerne auf die Sezierbank.

Gott macht ein großes Mosaikbild, in dem wir jeder ein klein Steinchen sind.

Wenn ein Steinchen ausfällt (Selbstmord), kann das ganze Kunstwerk unendlichen Schaden leiden.

Ein Händler wollte ein berühmtes Tierbild (Bild einer Wiese) nicht kaufen, weil einem Ochsen darin eine kleine Spitze des Schwanzes abgeplatzt war.

Wenn sich nur jeder so recht von Gottes Gnaden fühlte, würde man nicht die Königsgedanken so absurd finden.

Das Gottesgnadentum senkt sich auf Thron, wie auf Kanzel, Studiersessel und kann uns unsere Dachstube zur Weltallskajüte machen.

Ich fühle mich als Beauftragter, aber ich weiß, daß ich ein schlechter, ungetreuer Postbote hoher Sendungen bin. Ich habe manches unterschlagen, für das mich der Vorgesetzte strafen wird. Womit soll ich bezahlen, wenn nicht mit meinen Tränen?

Ich habe oft das Gefühl, daß Tränen Ersatzwerte sind für veruntreute Reichtümer und Kostbarkeiten.

Meine Tränen waren oft geschmolzener Trotz.

Ich habe mehr Mitfreude als Mitleid in mir. Im Mitleid ist oft gemeinsames Sichleidtun. Sich ohne Vorteil mit freuen zu können, ist uneigennütziger und ehrlicher.

Es ist beides Sache der Phantasie.

Die ist mir gegeben, reicher als die Milch von Mutterbrust.

Es gibt keine Menschensituation, in die ich mich nicht hineindenken könnte.

Darum hat mich Gott zur Buße Arzt werden lassen.

Alles verstehen heißt nicht alles verzeihen, sondern alles verurteilen.

Denn überall sieht der Verstehende den Weg, auf dem alles vermeidbar gewesen wäre.

Nur unvermeidbar Leidende haben mein ganzes Mitleid.

Ich bin mir immer sehr reich vorgekommen, auch wenn ich kein Geld hatte. Ich glaube, Selbstbewußtsein mit einigem, wenn auch bescheidenem Grunde ist das größte Bankkapital. Sicher das sicherste.

Vertrauen auf Fähigkeiten verschiedenster Art ist wie ein Freibrief zum Leben.

Es gibt keine Summe, gegen die ich mein Ich eintauschte. Es gibt kein Glück, für das ich mein Unglück hergäbe.

Es ist eben der Sinn des Organischen; Selbstbehauptung, Aufrechterhaltung des Einmaligen, nie Wiederkehrenden, Unnachahmlichen »Ichs«. Gottes Stempel und der Druck seines Petschaftes sind nicht nachzuahmen.

Ich weiß, daß ich die Welt nur irrend schaue,
Doch ist es alles mein Gesicht:
Die Sonne über all das Schattengraue,
Dies bißchen Eigen, Gott, das nimm mir nicht!!

*


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