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Sprüche in Reimen und Prosa

Der Geldmensch ist der größte Phantast.

Er nimmt das Stückchen Gold für das, was es bedeutet.

Gold bedeutet Vermögen, Glück, Liebe, Gesundheit, Talent, aber ist es nicht.

Gold hat zu dem Verderblichen Beziehungen: zu Wurst-, Austern-, Fisch-, Fleisch-, Käse-Gift (Goldtrichlorid allein bindet diese Alkaloide) und zur Menschenseele, die also in ihren Tiefen Gier bergen muß.

»Ach, wir Armen!« sagt Gretchen.

Wäre nicht dieses Phantasma um den sogenannten Realisten, er wäre reif zum Gehenktwerden!

*

Zweimal hat die Geisteswissenschaft der Menschheit einen ungeheuren Verlust durch Bibliothekenbrand erlitten, einmal etwa 2000 vor Chr. Geburt in China durch die Bücherverbrennung des Tsiu Schi Herang, bei der 2 Millionen Handschriften von Chinas Geschichte durch einen Fanatiker à la Rousseau kaputt gingen, und durch den unter Antonius entstandenen Brand der Bibliothek in Alexandria, bei dem 250 000 Papyrusrollen zum Teufel flogen (von dem sie kamen?).

Und die geistige Welt hat doch nicht aufgehört.

Was ist der Natur wertvoller, Bibliotheken oder Gehirne, welche Gedanken produzieren, um Bücher zu füllen?

*

Wir lernen alles aus dem Schutt der Zeit,
Und aus Ruinen hebt sich die Vergangenheit.

*

Metaphorisch

(Manche Metapher entbehrt nicht des Reizes).
Orden sind Hämorrhoiden des Ehrgeizes!

*

An die Philosophen

Ihr feilt an einem sonderbaren Schlüssel,
Geheimschrift der Natur zu übertragen.
Begriffe sind ein vielverzweigter Rüssel,
Den Fels der Wirklichkeit allseitig zu benagen.
Aus dem Ereignis baut ihr euch Ideen,
Die fangnetzartig durch das Weltall wehen.
Der lahme Wandrer greift nach Krücken,
Wie würd' ein kleiner Wagen ihn beglücken!
Gedanken sind Vehikel der Propheten,
Um überhaupt die Weltallreise anzutreten.

*

Wenn wir Hypothesen verlassen – ist das nicht, Als wenn ein Vögelchen seine Schalen zerbricht? Es brauchte die Schalen, um sich zu entwickeln, Und entwickelte sich, um, reif geworden, sie zu zerstückeln!

*

Haben wir den Tempel gebaut, sei das Gerüst abgebrochen, Wir sind doch aber an ihm zur Höhe gekrochen. So ist es der Irrtum, der uns nützt und belehrt. Eine fruchtlose Wahrheit ist gar nichts wert.

*

Sukzession und Koexistenz,
Und dabei die ewige Permanenz
Sind mir gar gelehrte Worte,
Für ein einfach Tuch eine goldene Borte.
Ob mit Beharren und Folge der Dinge
Es schließlich nicht ebensogut (oder schlecht) ginge?

*

Darwinismus

Daß doch der Evolutionist Die einzige Konsequenz vergißt: Daß, wenn der Mensch den Affen entsprießt, Der Mensch der Affe Gottes ist.

*

Grundgesetz der Erkenntnis

Wie oft ward »Anschauung« und »Begriff«,
Segelnden Gedanken zum Felsenriff.
Der Mensch ruht nicht, noch rastet.
Bis er nicht im Geiste etwas fühlt,
Mit dem er in den Erscheinungen wühlt,
Als wenn er sie anschaut, befühlt und betastet.
Er hat die Taster in seinen Sinnen
Und baut sich die Welt noch einmal dadrinnen.

*

Fiktionen, Hypothesen, Theorien sind auch ideoplastisch.

*

Brunst der Denker

Nimmer genügt dem Denker die lockende, käufliche Dirne,
So für den höchsten Genuß findet die Wahrheit er arm.
Zeit auch reichet ihm kaum, zu erwarten die himmlische Schöne,
Also unendlichen Drang stillet die eigene Lust.

*

Zum Schaltwerk der Gedanken

Die schwebende Gewitterwolke meiner Seele, diese Reservekraft, welche die ewige Reibung des Kosmos, Milieus, der Umwelt, die Ereignisse von Außen, ebenso wie die Hormone von Innen in mir an meinen Nervenmaschinen erregen, ist wie eine aufgespeicherte Orientierungskraft, welche ich in der Einsamkeit (Traum, Phantasie, Kunstwerkschaffen, Denken, und sogar im Somnambulismus, Hellsehen usw.) mobilmachen kann, und zwar, vermöge eines bewußten, wie unbewußten Willens (bewußt: mittels des Bendaschen Muskels, unbewußt: mit den Gesäßmuskeln des Sympathikus).

Orientierungsreserve! Fonds meines Denkens, Kapital auf den Banken meiner Gedanken. Reichtum der Seele.

*

Zur Dämonie

Auf den Banken
Meiner Gedanken
Wuchert mit Zinseszins eine Kraft,
Welche mir meine Reserven schafft.
Sie füllt sich an Strahlen der rollenden Sonne,
Sie saugt sich voll aus Schmerz und Wonne,
Sie zimmert an den elektrischen Platten,
Im Spiele von Farben und Licht und Schatten.
Ton und Geräusch, Getast und Gefühltes,
Das Laute, das Stille und Aufgewühltes:
Aus allen äußern und inneren Jammern
Und meiner Organe Heinzelmannkammern,
Treibt sie des Daseins heilige Mühle,
Die ich mit Herzschlag am Werke fühle,
Die ich im Traume, im denkenden Dämmern
Höre phantastisch zimmern und hämmern,
Bald zu handeln und bald zu sinnen,
Feurig mit Taten und innig mit Spinnen
Zarter Gewebe von Seele zu Seele
Nach meines Wunsches stillem Befehle!
Und der Strömen Kaskadengebraus
Macht meinen Menschen-Reichtum aus.

*

Glossen zu Mechtild Lichnowskys:
»Der Stimmer«.

Seite 5: Wie bequem Ihr es doch habt, Ihr berufenen Dichterleute? Ihr macht eine phantasievolle Umkehrung des Tatbestandes und schon ist ein verblüffender Geistesreichtum da! »Kein Weg führt zu den Blumen!« Die Wahrheit ist, daß von den Blumen zu Euch kein Weg führt! Die stillen Forscher kennen tausend Wege der Gedanken zum Wesen der Blume, ihre Romane auf dem Wege zur Erhaltung des Lebens, ihre Bestimmung als Wiegen für die Käfer-Störche der Geburten, ihre Zellorganisation als Vorstufe zum Geistigen, ihre Farben – ihre Düfte in den Funktionen der Symbiose von Millionen Lebewesen, ihre Seelenrudimente, ihren Schlaf, ihre Träume, ihr vorbildliches Geschlechtsleben – das alles natürlich ahnungsreich mehr, als gewiß – – aber ein Dichtergenie kehrt dem allen den Rücken und sagt: im Grunde wissen wir nichts von der Natur, von Pflanze, Bach und Strom und macht die vorliegende, geradezu süße Träumerei:

»Sie sind

Aber, welch' ein Reichtum ist unsere Denkmöglichkeit, daß wir vielleicht nicht sind!

Ach! Dichter sind doch Menschen, die von Träumen leben

Und sich am Seil der Phantasie hoch über dieses Leben heben!

Fürstin! Sie sind nicht modern. Sie sind eine Blüte der Romantik!

Seite 6–8: Die Geschichte ist das nach Ideen (Gedanken) Geschichtete!

Es gibt keine Anatomie der Geschichte, keine Sezierkunst der Vergangenheit, denn die Geschichte lebt, die Leiche der Vergangenheit wird immer lebendiger beim Sezieren!

Seite 9: Das mit den blauen Tauben, »die ziehen ihre weinroten Füße ein in den Nischen des Domes und wollen schlafen«, ist ein Gedicht für sich.

Der Türmer.

Wie bebt es in den Balken,
Was will des Sturmes Schrei'n?
Horch! meine alten Falken Gurren
und schlafen ein! usw.

»Schuppenartig gepflastert!« Die Straße als Rücken eines Krokodils gesehen ist großartig!

Wer Seite 9 geschrieben hat, ist wohl ein echter Dichter.

Seite 11: Welche Porträtkunst in der Analyse von Eggers, des Stimmers, Gesicht! Sie sind Malerin, Dichterin, Musikerin – hochbegabte Spinnerin von Geschicken.

*


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