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Über den Staat und die Nation

Der Staat ist eine Form der Gemeinschaft von Menschen, welche durch einen Ring mehrerer Grundideen zusammengehalten werden.

Die zwingendste Grundidee ist die der gemeinsamen Liebe zum Vaterland. Die Liebe zum Vaterland erzwingt die Idee der Liebe zu seinem Führer, wie die zum gemeinsamen Gotte.

Denn beide sollen den Staat schützen.

Volle Freiheit kann nur erworben werden durch Staatenlosigkeit, dann ist sie Willkür (Anarchie), oder durch Hingabe an eine Idee, dann ist sie bewußte Unterordnung.

Die erste Form der Freiheit ist unorganisierbar, sie streicht die Idee des Staates aus.

Die zweite, die freiwillige Hingabe an ein Ideal, ist realisierbar. Sie bedeutet die Anerkennung des »Mehr als Ich« über dem Ich. Es ist ein Staat zu denken, in dem alle Diener des Vaterlandes sind, in dem alle Berufe nur ausgeübt werden können als Funktionen des Gesamtwillens aller Staatsangehöriger.

Bereicherung des Nationalvermögens durch jeden, gemäß seiner Fähigkeiten.

Freie Berufe mit dem direkten Ziel der Selbstbereicherung sind immer a- oder antisozial. Sie teilen diese Tendenz mit dem Verbrechertum. Nur daß sie im Schutz der Gesetze, jene gegen das Gesetz stehlen.

Das ist der Grund, warum das Kapital doch » olet«.

Die Verstaatlichung aller Berufe in einem solcherweise antikapitalistischen (selbst monarchischen) Staate ist eine Frage der Zeit, d. h. der Reifung der Ideen. Daß jeder jedem diene, jeder jeden erfreue, jeder jedem helfe und ein Bruder sei – das wäre doch wohl die höchste Menschenkultur! Wird sie je erreicht werden?

Zivilisation gestattet ein Civis zu scheinen, Kultur zwingt einer zu sein.

Ohne höchste Ethik ist daher Kultur nicht denkbar.

Zivilisation ohne Kultur ist wie ein Schornsteinfeger im Sonntagsstaat, oder wie ein Neger im Zylinder.

Gute Sitten können Kultur vortäuschen, wie Parfüm ein Sauberkeitsbedürfnis. Zivilisation ist Dressur zu symbolischen Allüren, sie soll Bildung vortäuschen oder imitieren.

Ein wahrhaft guter Mensch kann leicht die Zivilisation, nie die Kultur beleidigen.

Eine Nation ist eine Gemeinsamkeit von Menschen mit gleicher seelischer Organisation, Genossenschaft einer gleichen Logik des Gefühls, eines gleichen Gebrauches der Wortsymbole, und einer hohen Wahrscheinlichkeit gleichen Handelns unter gleichen Bedingungen.

Nationalität ist Gleichrichtung der Phantasie.

Sie muß einen organisch-biologischen Grund haben. Der heißt: die Gemeinsamkeit autochthoner Nahrungsquellen. Im Boden liegen die Geheimnisse der Vorfahrenseelen.

Gemeinsame Geister der Vorzeit erzeugen durch Nahrung die Siegel ihrer Denkart bei den folgenden Generationen. In dieser Konstanz der Nahrung liegt die Wurzel zu konstanten Gefühlsnormen der Nationangehörigen.

Nationalität ist eine Stammesart in Reinkultur. Nicht nur bakteriell sind die Mischkulturen inkonstant. Sprache, Haar-, Haut-, Augenfarbe sind schon sekundäre Artcharaktere.

Die Nation wurzelt im Seeligen eines Volkes.

Dieses Seelische ist bedingt durch konstante Wiederkehr des erdgeborenen Erzeugungsmaterials aller Regenerationen.

Alles Internationale wird früher oder später nationales Gift.

Ein tiefsinniges chinesisches Sprichwort sagt: Die Heimat stirbt auf Reisen.

Man könnte sagen: Jeder Gott stirbt an fremden Göttern.

Vielleicht ist die Konstanz der Juden durch rituelle Strenge der Nahrung aus langen Vorzeiten hochgezüchtet.

Die Weltgeschichte, staatlich betrachtet, ist ein gigantisches Experiment, um festzustellen, welche Völker dauerhafter sind: Nomaden zu Land oder See oder die Autochthonen.

Bisher lautet das Resultat: Untergang von Babylon, Assyrien, Ägypten, Hellas, Rom usw., usw. China besteht 10 000 Jahre vor Christi und 2000 nach ihm. Vor diesem Experiment scheint der Kosmopolitismus gerichtet. Aber auch rein geistig genommen: Heimat und Scholle ist der Garten der tiefsten Mysterien. Echte Blumen entblühen nur dem Heimatacker, Orchideen dem Treibhaus oder dem Urwald.

Durch alle Intellektkunst leuchtet doch das Leid des Volkes.

Es gibt eigentlich keine nicht-nationale Kunst.

Der Phantasie gerade des echten Heimatsohnes imponiert nur das ebenso bodenständige Echte des Fremdländischen als ebenbürtig.

Die Fähigkeit des Deutschen, sich fremdem Heimweh einzufühlen, hat ihm den Ruf der Liebäugelei mit dem Fremden eingetragen.

Natürlich: das phantasiereichste Volk muß auch das verstehendste sein.

Im Grunde können Nationen sich nicht verstehen.

Ihre Phantasie ist verschieden geartet und gerichtet.

Ihre Wortsymbole entstammen ganz anderen Sinneseindrücken und haben daher andere onomatopoetische Analogien.

Darum ist niemand gut übersetzbar, außer durch Umdichtung.

In jedem Wort rauscht etwas von bodenständigen Wiesen und Wäldern: in Pinien ist ein anderes Lied als in Eichen, die See klagt anders vor Felsen als vor wolkenweißem Sand.

Die an Naturvorgänge geknüpften geistigen Wendungen (Abstraktionen) haben ungleiche Quellen und andersfarbiges Stromwasser, die Kategorien sind anders orientiert.

Über-»Setzen« ist eben ein Landen auf fremden Strand, wo alles peinlich andersartig und ungewohnt ist.

Heimweh ist Vereinsamung mitten in der unverständlichen Fremde, es ist ein Massenüberfall der Fremde auf den Eingewanderten.

Akklimatisation heißt ein neues Kartenmischen der Zellen und Denkgruppen.

Nation ist die Gemeinsamkeit der Menschen, welche durch Jahrhunderte lange Bodenkultur gleich gerichtete Gefühlsanlagen (Gehirnbefruchtung durch primäre Bodenerzeugnisse) erworben haben.

Vaterland haben nur die, deren Väter Land gehabt haben oder immer von der gleichen Scholle primär genährt wurden, d. h. von dem Keimtausch ihrer Väter mit den bodenständigen Lebewesen.

Ein Städter hat kein Vaterland, sein Boden ist aus Asphalt oder Makkadam, seine Ernährung international, sekundär (aus Konserven oder alterndem Zellmaterial), seine letzte Beziehung zur Mutter Erde hat er durch Schuhsohlen unterbrochen. Die Strahlungen der Erde an seiner Sohle hat er durch Leder abgeblendet. So ist er durch sekundäre Nahrung, Bodenunständigkeit und durch begriffliches Schlucken von Druckerschwärze zu einem Intellektgespenst geworden.

Staat ist eigentlich ein Sammelbegriff für die Vermischung der vaterländisch Bodenentsprossenen, primären und städtisch gespenstigen, sekundären Menschen. »Heil dir, mein Vaterland«, das kann nur der landgeborene Heimatmensch fühlen, die anderen meinen: »Heil meine Reichsbank!« dabei. »Das Vaterland« ist eine bewußte Täuschung für die meisten. Sie haben gar keins.

Der ganze Staatsgedanke Kants, Hegels, Fichtes ist im letzten seiner Paragraphen – Polizei – Philisterliebe, der des wirklich Vaterländischen ist Schollenliebe.

»In dir zu ruhen, heilge Scholle!
Welch' höhres Ziel könnt dieses Leben krönen:
Wo Wälder ihre wundervolle
Weltklage in die Wolken stöhnen,
Wo Wogen stilldurchrauschte
Urlieder singen, Weltall abgelauschte,
Da wo das Mosaik der eignen Zelle
Einst sich als Gold hebt aus der Bodenwelle;
Da, wo ich weiß, daß ich unsterblich bin:
In meine Heimat legt mich Toten hin!
Da weiß ich ohne Kreuz und Marmormauern,
Wie meiner Kindheit liebvertraute Dinge,
Wald, See, der Blume und der Möven Schwinge,
Um ihres Bruders Erdenirrweg trauern.«

Die soziale Geschichte der Menschheit ist die Beschreibung von Kämpfen der Menschheitsschichten. Kastenkämpfe, Kastensiege.

Wechselnde Herrschaft von Symbolen über das physische Massenmaterial ist Geschichte.

Sicher zunächst auf rein geistigem Gebiet lag die Überlegenheit der in der Minorität befindlichen Herrscherklasse. Die physische Überlegenheit des Helden wäre leicht im Gemeinschaftsleben durch List und Gewalt zu brechen gewesen.

Die Herrschaft des Kraft-Symbols ist auch heute noch die eigentliche Macht der Masse. Zweites Symbol: die Religion. Das Symbol des Geldes hat eine dritte Herrscherklasse geschaffen.

Alle sozialen Metamorphosen drehen sich um die Probleme: Wann und wie gelingt es, die Macht des Symbols zu erschüttern?

Alle Staatsideen verteidigen Symbole von Plato bis zu Hegel.

Alle Revolutionen beziehen sich auf Sturz von Symbolen.

Die Entstehung eines sozialen Bewußtseins der Persönlichkeiten, Bewußtwerden ihrer gesamten Macht, ist immer der Vorläufer eines Symbolsturzes, bis zur Abschaffung der Gottheit, Kirchtums, französ. Revolution, bis zur einstigen Abschaffung des Symbols des Geldes. Es ist als ob die Menschheit im Grunde ihres Herzens jede Symbolbildung ablehnt und grollend bekämpft.

Der eigentliche Grund für Revolutionen ist die Infektiosität von irrtümlichen Ideen. Der infizierbarste Boden ist der Haß, die oft verschuldete Kränkung des Volksgemütes: akkumulierte Reizungen, die zu Gewittern führen.

Zur Revolution kann oft mehr der Anblick eines mit Diamanten geschmückten alten Weibes führen als alle Gewaltmaßregeln eines Diktators.

Die frechen Symbole des Reichtums sind die größten Staatsgefahren.

Die gesellschaftlichen Willensbildungen der beherrschten Klassen geschehen immer auf dem Boden der Verneinung. Sie sagen zwar, was werden soll, aber solche Meinungen müssen immer utopisch sein, denn kein Mensch außer Gott weiß, was werden wird oder werden soll oder gar muß, sie sagen nur, was nicht sein soll und Nieder damit! Jede Revolution ist ein Vorgang des Hasses. Leider ist nicht jede Regierung eine Funktion der Liebe.

Wo ist die Staatsordnung, die keinem Haß Raum gäbe?

Würde die siegreiche Masse gütig sein? Wann würde erschöpfte Rache zur Milde werden?

Man kann sagen, die Menschheit ist zu klug geworden, Symbole noch anzuerkennen und zu sehr (durch Neid) verdammt, um ihren Segen zu begreifen.

Symbole sind die Synthesen aller Welterfahrungen.

Es rücken an ihre Stelle nur neue: Krone (republik. Schärpe), Wappen (Vereinszeichen), Bargeld (der Arbeitsschein).

*

Uns fehlt eine Politik der Liebe, eine Partei des Sichverzeihens.


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