Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wunder der Tiefe

Als Horst und Friedel am andern Morgen an Deck erschienen, hatte der »Pinguin« den Kurs umgelegt und dampfte ostwärts.

Der erste Gang der beiden war natürlich zum Laboratorium, wo die Beute des gestrigen Abends, die über Nacht im Formolbad gelegen, von den Mitgliedern der Expedition gesichtet wurde. Strahlend begrüßte Vater Körner die »Riffpiraten«, wie er sie scherzweise nannte: »Morgen, Jungs, kommt grade recht! Die Ausbeute ist überraschend. So ein Fang wie der gestern abend bleibt selten. Dürft die Augen nun schon gehörig aufreißen!« Er nahm sie mit zu seinem Arbeitstisch, wo er ihnen vorführte, was ihm bereits durch die Hände gegangen war. Es dauerte aber gar nicht lange, da vergaß der Professor in ihm alles ringsum; er wurde immer einsilbiger und achtete der beiden wißbegierigen Schüler zu Seiten kaum mehr. Die Wissenschaft hatte ihn gänzlich beschlagnahmt.

Friedel und Horst waren mit Erstaunen schon sehr bald die merkwürdigen Verletzungen gewahr geworden, die ungewöhnlich viele der Tiere aufwiesen, die da im Formolbad lagen. Wie von innen her aufgerissen erschienen sie; förmlich geplatzt; teilweise so, daß die Eingeweide aus den Mäulern herausgetreten waren. Horst hatte gleich vermutet, daß dies die Einwirkung des plötzlich veränderten Oberflächendrucks sein müsse. Flüsternd unterhielten sich die beiden angesichts der nie geschauten Tiefseewesen von oft grotesker Gestalt. Fragen an Friedels Vater fanden nur noch ein halbes Ohr und darum kaum mehr rechte, ausführliche Antwort. Professor Körner hatte gerade eine ihm noch unbekannte Spezies mit Teleskopaugen, die wie ein Operngucker auf dem abgeplatteten Fischkopf saßen, unter den Fingern, bestimmte nach den Kennzeichen der Grundfärbung und sonstiger Merkmale die Leuchtorgane des Exemplars. Und darüber ließ sich alles vergessen.

Dr. Hell, einer der jüngeren Wissenschaftler, bemerkte, als er einmal den Kopf aus dem Mikroskopierraum herausstreckte, die nicht humorlose Lage der beiden wißbegierigen Jungen und ihres weltvergessenen Mentors, und winkte ihnen, zu ihm hereinzukommen.

»Jungens, über mich dürft ihr heute mal verfügen. Mein Spezialgebiet ist gestern weniger gut weggekommen; eines schickt sich nicht für alle! Wie? Ja, fragen Sie nur! … So … Ganz auf der richtigen Spur. Jene Tiere kommen aus Tiefen, die ungeheurem Wasserdruck unterliegen. Wenn unsereiner da drunten wäre, hätte er den Druck des Gewichts von dreihundert vollbeladenen Eisenbahnwagen auszuhalten. Und wie die Bursche da dem Druck widerstehen, wissen wir auch noch nicht. Darum geht es aber bei unserer Frage gar nicht. Der Druck ist da. Der Gegendruck wird auch irgendwie im Innern des Tieres erzeugt, oder besser, der Außendruck wird pariert. Aber sobald das Tier sehr schnell Meeresschichten passiert, die viel geringerem Druck ausgesetzt sind, also etwa an die Oberfläche gebracht wird oder gar aus dem Wasser herausgerät, wird der Kraft, die drunten dem Wasserdruck die Stange hielt, der Widerstand entzogen. Dann bringt sie von innen her, sich gleichsam hemmungslos überschlagend, jene Verletzungen hervor. Sie werden das gleiche noch oft beobachten.«

Er bemerkte, wie interessiert die beiden sich im Raume umsahen und winkte Horst als ersten zu einem der Mikroskope heran.

»Nun dürfen Sie mal bei Tage besehen, was Sie gestern abend in der Dunkelkammer so bewunderten. Sie erinnern sich des einen Exemplars mit den ausgesprochen blau strahlenden Leuchtkörpern. Echinostoma nennen wir den Burschen, seine Lichtträger sitzen hart hinter den Augen. Ich habe erst kürzlich ein paar Schnitte gemacht, die den Befund deutlich erkennen lassen. – Haben Sie das richtige Licht?« … »Jetzt?« Er hatte den Spiegel im Apparat noch etwas gedreht und fuhr fort:

»Sie sehen deutlich den Aufbau des ganzen Organs. In diesem Fall eines der vollkommensten. Wir haben sie von Seestern- und Tintenfischlaternchen bis zu den Hohlspiegelscheinwerfern der Tiefseefische in allen möglichen Abstufungen des Baues und der Feinheit. Zwar die verzwicktesten kann ich Ihnen nicht vorführen. Sie kommen nur bei einigen sehr seltenen Arten – mit den Namen will ich Sie verschonen – vor, wo dann die Leuchtkörper, sonst nach allen Seiten abgeblendet, ihr Licht von einer Seite her einzig ins Auge des Fisches selbst hineinsenden … Kurzum also: Dieser Leuchtkörper, dessen Querschnitt Sie vor sich haben – der von Echinostoma –, liegt, wie gesagt, hinter den Augen. Und zwar in einer kleinen Grube, die nach außen durch die durchsichtige Fischhaut abgeschlossen ist. Dahinter füllt das Leuchtorgan, beweglich in farbloser Blutflüssigkeit eingebettet, die ganze Grube. Einzig zwei feine Muskel- und Nervenstränge verbinden den also beweglichen Scheinwerfer mit seinem festen Hintergrund. Durch sie kann die Richtung der Lichtstrahlen durch Drehung der Linse – Sie werden sie gleich sehen – geändert werden, seitlich sowohl wie nach unten, eigentümlicherweise ist eine Bewegung nach oben nicht möglich. Hält man damit zusammen, daß die Fische alle nicht nach unten sehen können, so liegt die Vermutung nahe, der Zweck des Leuchtens sei hier nicht zuerst, irgendwelche Beute zu entdecken, sondern vielmehr andern Tieren kenntlich zu werden. Da die andern aber nicht unter sich sehen können, hätte auch das Nach-oben – blinken-können keinen Zweck. Dann wäre das Leuchten der Fische vergleichsweise von ähnlicher Bedeutung wie die der Positionslaternen eines Schiffes, verbunden mit dem Lichtkreis am Mast, welcher Fahrtstufe, Namen und alles mögliche in Blinkzeichen an den Gefährten im Dunkel vermittelt. Natürlich gibt es hier kein Wissen, sondern bestenfalls ein sehr fragliches Vermuten.

Doch nun beobachten Sie einmal den Bau des von den Muskelsträngen regierten Scheinwerferchens selbst. Ich sage absichtlich: des Scheinwerfers, denn der Bau ist ganz ähnlich. Zunächst sehen Sie die Rückwand, durch dunkle Farbschichten abgedichtet. Davor ist der Spiegel geschaltet. Können Sie die kleinen, radial gestellten glänzenden Fasern unterscheiden?«

Horst bejahte. »Schön. – Das zweiteilige gekrümmte Gebilde davor ist der eigentliche Leuchtkörper. Das von ihm ausgehende Licht wird von der ihm vorgelagerten Linse gesammelt und die an ihrem Vorderrand eingezogenen Filter gefärbt werden, während die seitlich der Linse angeordnete n Blenden die Richtung des Lichtes umschränken, vielleicht auch in einer Richtung verstärken.«

»Wahrhaftig, ein regelrechter Scheinwerfer winzigster Konstruktion. Aber woher kommt ihm das Licht, wie entsteht das?« fragte Horst, »denn ohne das Licht ist doch der schönste Scheinwerfer blind.«

Dr. Hell überlegte einen Augenblick: »Ach was, wozu soll ich Ihnen da zünftig gleich mit ein paar Theorien über die Lichtentstehung durch Schlammabsonderung und Sauerstoffzustrom antworten! Wir wollen ehrlich sein: Wir wissen es nicht. Es blieb uns ein Rätsel. Und ich glaube auch, es wird für immer letzten Endes das Geheimnis des Schöpfers bleiben. Denn längere Zeit an den Wesen der abgründigen Tiefe das Leuchten selbst zu beobachten, ist uns versagt. Vielleicht für immer, jedenfalls für lange, lange Zeit. Wir müßten zu ihnen hinunter können. –«

Da ließ ein Ausruf hellsten Erstaunens beide zu Friedel hinübersehen, der sich über das Nachbarmikroskop hergemacht hatte und in die unverstellte Linse hineinsah.

»Ja, die Radiolarien, die haben es mir auch angetan,« nickte Dr. Hell ihm zu, »ich werde sie Ihnen gleich mal in Panzer, Helmzier und Kronen aufmarschieren lassen. Leider kann's immer nur einer sehen, und nun müssen mal Sie zur Abwechslung zuschauen, Horst.«

Von feinsinnig erklärenden Worten des jungen Dozenten begleitet, sah nun Friedel unter der Linse ein Wunder der Form nach dem andern aufstrahlen. Dr. Hell reichte ihm die Präparate zu, teils ältere, schon systematisch geordnete, teils neue, die er der Beute der letzten Zonenfänge entnahm.

Was da dem schaudurstigen Blick offenbar ward, hätte das unbewaffnete Menschenauge niemals je gesehen. Sind doch die Strahlentierchen, wie die meisten der einzelligen Lebewesen, winzig klein. Und gerade in ihrer Winzigkeit solch zauberhafte Wunderwirklichkeiten. Was in Myriaden Zellen aller Wesen lebendiger Baustoff ist, hier lebt's in selbständiger Vereinzelung und bevölkert den Ozean in allen seinen Schichten, Hochsee und Tiefsee. Der Einzeller atmet und nährt sich, lebt und bewegt sich, alles durch eins, seine eine Zelle. Der Zaubermantel seines Wesens nimmt ständig neue Form an, strahlt bald hier im Ozean aus, bald dort, zieht es wieder ein, als ob nichts gewesen wäre, bewegt sich fort auf diesen »Scheinfüßchen«, durch Verlagerung seines eigenen Körpers. Das für Menschenaugen größte Wunder aber vollbringt der Strahling durch den Bau seines Schwebeschirms. Kieselsäure ist sein Baustoff, einer der härtesten Stoffe, aus dem größtenteils zum Beispiel auch der Feuerstein besteht. Tausendfach verschieden aber ist die Gestalt dieser winzigen Paläste, in denen der Strahling lebt. Und nur nach dieser Gestaltverschiedenheit des Kieselsäurepalastes ist eine Artbestimmung möglich für unsere Augen.

Wunder der Tiefe! Allerdings. Woher nur alle Vergleiche nehmen, mit denen man den Wunderbau der Radiolarienpaläste zu verdeutlichen vermöchte, die das Auge staunend erschaut?! Helm und Panzer mittelalterlichster Abenteuerlichkeit, Diademe und Kronen, wie sie nur das Märchen kennt, Filigranwerke, feiner als die zierlichste Goldschmiedekunst sie je geschaffen, Früchte, Körbchen, phantastisch verziert, garnknäuelähnliche Gebilde edelster Architektonik und Struktur, manchmal zu mehreren, vielen, sogar zu einer ganzen Familie von Einzellern rhythmisch vereinigt. Und immer jeder einzelne dieser Paläste von vollendetem Gleichmaß. Als ob ein Künstler, wie er nie gelebt, seinen Formensinn in tausendfachem Spiel aufstrahlen ließe.

Das Auge kommt nicht los von diesen Wundern der winzigsten Kunst. Tiefatmend glitt Friedel von einem Schauen ins andre. Und ward stumm vor dieser Zauberwelt der Liefe. Dr. Hell freute sich dieser staunenden Andacht.

Der ganze Vormittag verging in einer Wunderschau.

Des Sehens ward kein Ende. Andern Tags gelangen über weniger abgründigen Tiefen einige Grundnetzfänge, die wieder erhebliche Beute brachten, Seelilien, Korallenreste, Seespinnen, Foraminiferenschlamm und namentlich Glasschwämme. Friedel sowohl wie Horst hatten dieser nicht besonders acht, solange das Plasma der Tiere die Gespinste füllte. Erst als sie die ausgekochten und präparierten, die sogenannten »Venuskörbchen«, sahen, kam sie wieder das Staunen an über die Wunder der Tiefe. Diesmal die Wunder des Grundes selbst, an dem jene Tiere festsitzen, auf ihren Trossen verankert. Da konnten sie nun auch mit unbewaffnetem Auge sich sattsehen am feinsten Kieselsäure-Gespinst, aus taufend und abertausend winzigen Sternchen zusammengewoben. Und was der beiden jugendlicher Eifer dann in den Schlammproben des Grundes entdeckte, gab tagsüber noch mehr als einmal Anlaß zu lernbegierigen Fragen und lehrfreudigen Antworten zwischen Dr. Hell und seinen jungen Schülern.

Ein herrlicher Sitz droben an Deck unter dem weiten Sonnensegel, wenn des Nachmittags die eigentliche wissenschaftliche Arbeit der Expedition ruhte, oder man, neuen Aufhievens des Schließnetzes oder der Dredsche gewärtig, manch Stündchen miteinander in den Bordstühlen liegend plauderte!

Karten hatten sie vor sich, an Hand deren Dr. Hell sie den Blutkreislauf des Ozeans verfolgen ließ, jenen ewigen Strom, in dem die Wasser der Meere in zunehmender Oberflächenabkühlung auf die Pole zutreiben, dort absinken, um über den Grund hin wieder langsam zum Äquator zurückzufluten, wo sie zusammenstoßend wieder sich zur Oberfläche heben, von neuem erwärmt werden und den Kreislauf fortsetzen. In immer gleichem Rhythmus. Einzig dadurch vermag ja neues sauerstoffreicheres Oberflächenwasser über die Tiefen geführt zu werden, um allem, was dort lebt, die erste Bedingung des Lebens zuzutragen, den Sauerstoff. Einzig dadurch; denn die senkrechte Wassermischung ist unbedeutend. Und abgesehen von jenem ewigen Strom bleibt die Tiefe ohne Bewegung. Wellenschlag reicht nur wenig unter die Oberfläche, längst nicht über die untere Grenze der Hochsee hinab. Schon die Gestalt fast aller Tiefseefische ist dafür ein deutliches Anzeichen. Ihr Bau verrät im Gegensatz zu den Formen der Höchste, daß sie nicht mit Wellen zu kämpfen brauchen. Flossen wie Körper entsprechen ganz der unbewegten Stille der Tiefe.

Ewige Nacht ist da unten.

Ewige Stille.

Und ewiger Winter. Denn auch die an der Oberfläche so bedeutenden Wärmeschwankungen gleichen sich in der Tiefe fast aus. Kennt auch die Höchste Schwankungen zwischen 30 Grad Wärme am Äquator und 3 Grad Kälte an den Polen (denn Seewasser gefriert erst bei fast 4 Grad), die Tiefe mißt nur solche zwischen 2 Grad Wärme und 2 Grad Kälte im äußersten Fall. Also wirklich da drunten: Ewiger Winter.

»Wie ernähren sich denn aber solche am Grund festsitzenden Tiere, wie wir sie heute erbeuteten?« fragte Friedel.

»Durch die Myriaden stetig absinkender Lebensreste von Pflanzen und Tieren der höhere« Schichten. Gerade zum Beispiel die Glasschwämme fangen in ihrer trichterförmigen Öffnung ständig solche sinkenden Stoffe auf und assimilieren sich ihre organischen Plasmareste.«

»Der reinste Leichenregen also!« warf Horst ein.

Dr. Hell schmunzelte.

»Das Wort ist zwar nicht schön, aber richtig. Und welche Myriaden da ständig absinken, davon geben ja die Schlammproben, die wir heute unter der Linse hatten, einen deutlichen Beweis. Da saht ihr die Skelette der abgesunkenen Radiolarien zu Millionen. Und zu Tausenden die winzigen Kalkschalen der den Strahlingen nächstverwandten »Kammerlinge« mit ihren muschel- und schneckenähnlichen Gehäusen. Jener Schlamm deckt weithin den Meeresgrund in solcher Dichte und Stärke, daß es uns nach unsern Tiefseeforschungsergebnissen heute erheblich verständlicher scheint als früher, daß ganze Gebirge daheim aus ihm bestehen, einst Meeresboden bildeten und heute schroffe Kalksteinfelsen sind. Und doch handelt es sich dabei nur um die unverweslichen Reste der absinkenden gestorbenen Tier- und Pflanzenwelt.«

Wohl manchmal verharrten sie zwischen ihrem Plaudern in Schweigen, indes die Augen über die Fernen der Kimmung träumten und die Gedanken um Rätsel sich mühten, die die Liefe unter den Wassern birgt und nur langsam, ahnungsweise manchmal nur und widerwillig freigibt … Rätsel der Form nicht nur oder des Lichtes, sondern Rätsel auch der Zeit … Rätsel und Wunder zugleich.

Der letzte, auf weniger große Tiefe eingestellte Zonenfang ließ den Schluß zu, daß auch die Hochsee in dieser Breite besonders reich sei an Lichtträgern. Da zugleich die Dünung sich kaum merklich hob und senkte und der Abend warm und dem Versuch günstig zu bleiben schien, ließ Dr. Hell im Einverständnis mit Professor Körner die von ihm konstruierten niedrigen Leuchtbojen klarmachen. Gespannt schauten Friedel und Horst den Vorbereitungen zu, ohne zu ahnen, worauf das alles hinauslaufe.

Ehe die Nacht einfiel, wurde ein Boot gefiert, das sie eine Strecke weit vom gestoppt liegenden Dampfer wegruderte. Im letzten Licht brachten die Matrosen die Bojen aus. Drei waren es. Dann wurden die Ruder eingezogen, und es herrschte gespannte Stille. Dr. Hell hatte die Batterie und die Lichtkabel, die zu den Bojen führten, mit dem Schaltbrett vor sich. Aber noch war die schnell einbrechende Dunkelheit nicht völlig genug … Warten!

Ein eigentümliches Gefühl: auf solch niedrigem Boot mitten im Ozean! Dunkelnd die Weiten. Einzig im Westen ein stahlblaues Verdämmern des Tages. Düster und abgeblendet davor des Dampfers Schattenriß. Stille über den Wassern. Nur das Ächzen einer Ducht und das leise Klucksen der See an den Planken … Langsam atmet die Dünung … Von Osten her aber wirft die Nacht den Reigen der tausend Sterne über den Samt des Himmels …

Plötzlich flammt ein heller Lichtschein in der Flut. Die Bojenlampen sind eingeschaltet und werfen, nach oben abgeblendet, und hart über dem Wasser hangend, ihre ganze Leuchtkraft lockend in die Tiefe … Regungslos beobachten die dunklen Gestalten im Boot den Umkreis der Bojen.

Da! Schon ist's wieder weg! Ein kurzes Aufzucken war's um, seitwärts der nächsten Boje in einiger Tiefe. Dort wieder! Minuten vergehen – da strahlt der zarte Schirm der ersten Leuchtqualle in mildem Grün.

Es ist, als ob das Stichwort nun gegeben sei. Ein Leuchten hier ruft dem Leuchten dort. Um jede der Bojen scharen sich leuchtende Quallen strahlend bis in die Spitzen und Enden ihrer Arme. Rosenrotes und grünes Licht halten sich die Wage. Orange und Blau werfen seltener ihren Akkord dazwischen. Jäh aber erlischt alles Zauberlicht … Wie ein funkelnder Peitschenhieb flitzt ein Leuchtfisch aus der Tiefe, verhofft unter der Boje augenblickslang – weg ist er. Von neuem strahlt das Quallenfeuerwerk auf. In immer größerem Umkreis um die Bojen steckt die See ihre Lämpchen an. Andre kommen hinzu, kleine Polypen, Seescheiden …

Dr. Hell beugt sich vor und greift zum Ruder. Leise, ganz leise nähert sich das Boot der nächstschwimmenden Boje. Ein schnelles Überbordbeugen – und in der Wasserpütz ist ein neues Leuchten an Bord geholt, gefangen. Walzenförmig erscheint das Wesen. Kaum berührt es Dr. Hell an einem Ende, als eine Lichtwelle von reinstem Azurblau über den ganzen kleinen Körper hingeht. Daß auf dieser kaum fingerlangen Walze einige tausend Einzeltiere zusammen eine Kolonie bilden, ahnt weder Friedel noch Horst im Augenblick. Aber märchenhaft dünkt ihnen das blaue Licht, das auf jeden Reiz sich in tausend Fünkchen fortpflanzt.

Und rings um das Boot hört plötzlich wie mit Zauberschlag alles Dunkel auf. Wie leuchtende Bänder laufen die Strahlen querüber zwischen den Bojen durch. Das vorwärts getriebene Boot trug in den Heerzug der Feuerwalzen, den es kreuzte, den lichtlockenden Reiz. Nun sprüht das Leuchten, jäh geweckt. Blau und Purpur überbieten einander in immer neuen Wellen, Orange strahlt dazwischen hinein und Gold. Weit hinaus, dem ganzen Riesenschwarm entlang, flammt so rings um das Boot tropisches Meerleuchten in seltener Pracht.

Mit den Wundern des Himmels, die aus dem Samt der Nacht nun in Myriaden flimmern, wetteifern im Glanze märchenhafter Pracht die Wunder der Tiefe.


 << zurück weiter >>