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Sturm

Ehe »Pinguin« die Magellanstraße peilen konnte, geriet er in Nebel. Kaum einhalbhundert Meter Sicht. Maschiue langsamste Fahrtstufe. Den Sirenenruf verschluckte die Dichte des Nebels fast. Doppelposten Bug, Heck und die Brückennocks besetzt und lauschten angestrengt in das weiße Nichts rundum. Wohl geriet der Nebel über Mittag einmal ins Schwanken und Treiben. Bald aber hörte die Bewegung wieder auf, und er stand wie eine weiße Wand. Die Temperatur des Wassers war so gesunken, daß der Kapitän mit Eis rechnen mußte. Die Lage wurde allmählich peinlich. Mit geringstmöglicher Fahrt blieb »Pinguin« auf Kurs. Eine frostige Nacht im feuchten, kältenden Nebel!

Und gegen Morgen plötzlich ein schwaches Echo auf die erneuten Sirenensignale. Es konnte Täuschung sein. Aber bald blieb kein Zweifel: Aus dem Nebel kam ein leises Echo »Pinguin« stoppte und wartete den Tag ab. Als das Geräusch der Maschine nachließ, ward deutlich ferne Brandung vernehmbar. Ernst sahen sich die Leute auf der Brücke an: So nahebei?!

»Aber das ist noch weit weg!« meinte Friedel zu Pidder Karsten.

»Datt seggen de Grünschnäbel meindag schon. Aberst dat so'n Eisberg bloß mit'n obersten Top aus dat Water gucken tut, dat weet hei nich. – Und untenrum sünd denn düsse verdüwelten Objekter höllsch umfangreich, da an kann sich dat beste Schiff die Nase einrennen, auch wenn die Brandung noch weit ab ist. Ja, ja, da staunt ju man!« trumpfte er erfahrungsreich auf.

Als endlich der Nebel fiel, blitzte steuerbord fast querab die spiegelnde Schrägfläche eines großen Eisbergs. Bläulichgrün stand er über den Wogen. In der Ferne noch zwei Gesellen ähnlichen Umfangs. Hoch schäumte die Brandung an den Eisriesen hinan, deren Ausdehnung doch unter Wasser noch vielmal größer ist als der sichtbare Teil, wie Pidder Karsten durchaus richtig klargeschnitten hatte. Vom dauernden Anprall der Wogen schien der ganze Berg schräg unterhöhlt auf der Luvseite. Eine Pinguinenkolonie hockte auf den Terrassen näher seinem Gipfel.

Ihr Namensvetter aber wendete vor ihrer Nase, zeigte sein Heck, sorgte, daß er aus der wenig angenehmen Gesellschaft kam und die Magellanstraße gewann. Horst und Friedel schauten noch oft zurück nach dem Gruß der Antarktis, den fernen weißen Kolossen, die bald blendend aufstrahlten, bald durchleuchtet erglühten im Strahl der niedergehenden Sonne.

*

»Pinguin« gewann, an den felsigen Steilküsten des Feuerlandes hindampfend, den Atlantik. Nirgends brauchte er nun mehr anzusteuern, und die Fahrt verlief ziemlich ereignislos, bis auf der Höhe von Fernando Noronha noch einmal Vorbereitung zu umfangreicheren Dredschzügen getroffen wurde, da eine hier schon von anderen und um einmal, aber sonst nirgends wieder gefundene Form der Grundfauna ihnen nahelegte, ihre Eigenart noch näher zu erforschen.

Aber da begann in den Antennen ein unerwartetes Rätselraunen. Der Kapitän schaute ernst drein. Die Herren der Expedition traten zusammen. Die Zungen erführen vorerst nichts Näheres. Aber die schon fertiggemachten Apparate wurden weggepackt. Am andern Morgen hieß es: »Pinguin« fährt auf dem geradesten Wege nach Hause!

Nach Hause? Was war denn zu Hause? Niemand wußte etwas. Von »Verwicklungen« nur sprachen die Schlüsseltelegramme, die der Kapitän erhalten. Nach Lagen erst sickerte durch, daß ein politischer Mord in Österreich dabei mitspielte.

Die Ruhe an Bord war dahin. Vermutungen gingen um. Selbst Pidder Karsten dachte nicht mehr daran, sein Versprechen wahrzumachen und zu sorgen, daß Neptun die beiden »Grünschnäbel«, die zum erstenmal den Äquator überdampften, zum erstenmal auf deutschem Schiff wenigstens, in die übliche eingehende Behandlung nähme. An so was mochte denken wer wollte – Pidder Karsten jedenfalls nicht. Er ging umher und schimpfte auf die gesamte Funkerei, die einen noch nicht einmal mit solchen Mordgeschichten in Frieden lasse, durch die selbst sonst vernünftige Leute schierig wurden. »Den Düvel ok!« Sein Priem fuhr weitab ins Meer.

Dabei hatte er selbst obendrein noch seine besondere Sorge um das Wetter. Darin kannte er sich aus. Und sein Kapitän wußte auch, daß dabei auf Pidder Karsten Verlaß war, wie auf den besten Barometer. Dieser sagte aber diesmal genau dasselbe wie Pidder Karsten. »Sturm gibt bat, Maate! Und man keinen lütten. Wat Pidder Karsten is, de seggt ju: Seiht ju vor! Rasmus schall woll Webber sine Mucken kreigen! Dat geiht hart up hart!«

Der Abend kam. Am glühenden Westhimmel schoben sich über die Kimme herauf bleiblaue Wolkenbänke. Die Nacht brach an. Und der Sturm war da. Heillos wild setzte er bereits ein. Daß es zuerst manchem an Bord den Atem verschlug. Toll begann der »Pinguin« zu rollen unter den querein kommenden Seen. Mit höchster Maschinenleistung versuchte er den Kurs zu halten, so lange es irgend ging.

Einer aber wuchs jetzt und geriet in sein richtiges Element. Pidder Karsten, der alte Seebär. In unförmigem Ölzeug stand er neben dem Kapitän auf der Brücke und zwinkerte überaus wohlgemut mit seinen blanken wasserblauen Äuglein, während ihm Regen und Gischt in hurtigen Tropfen aus den Brauen über die Backen rieselten. Auch Horst und Friedel bestanden darauf, oben bleiben zu dürfen. Von den Mitgliedern der Expedition hielt freilich nur Dr. Hell an Deck aus. Die andern kämpften den Kampf mit dem Sturm in den Kojen, sehr zum Nachteil ihrer schnell seekranken Mägen.

Ein wildes Nachtbild, von der Brücke da oben über die sturmstiebende See hin. Ein wildes, voll Majestät und Kraft. Hei, wie sie dahergeritten kommen durch die Dunkelheit, die rassigen Rosse des Ozeans, sprühenden Gischt vorm Maul, dem Dampfer in die Flanke! Bis auf die Brücke herauf stiebt der verzischende Gischt. Heijj! Heijjj! … Und drüber hin hetzt die züngelnde Peitsche des Sturms. Sturm! Sturm knattert in den Signalleinen, pfeift heulend zwischen Drähten und Tauen, biegt die Topsenden der Masten, rüttelt an Winden und Ladebäumen, fällt alles an, was nicht niet- und nagelfest ist.

Auf die Leeseite des Kartenhauses gedrängt, trotzen Horst und Friedel nebeneinander und schauen trunkenen Auges ins Toben der Natur, über den sturmgezüchtigten Ozean. Ein Chaos ringsum von Nacht und Gischt. Ein Chaos von Tönen im Tosen des Sturmes.

Dauernd noch fällt der Barometer. Der Sturm wächst zum Orkan.

Mit äußerster Kraft rasen die Schaufelräder der Turbinen. Dennoch entschließt sich Kapitän Winkler, den Kurs umzulegen, dem Sturm entgegen. Die See ward zu stark. Dem Schiff droht Gefahr. Schon ist die Reeling backbord mittschiffs weggeschlagen. Solange die regelmäßigen Sturmwogen kamen, hatte es keine Not gehabt. Seit aber die Brecher ohne Pause querein schlagen mit immer stärkerer Wucht, ist der Kurs nicht ohne Gefahr zu halten.

Mühsam dreht der Dampfer. Ungeheurer und ungeheuer wechselnder Druck liegt unterdes auf dem Ruder. Das Manöver gelingt.

Aber nun beginnt ein Stampfen, daß es doppelt heißt: Festhalten! Worte zerflattern längst im Gebrüll von See und Nacht. Jeder steht mit sich allein, jeder angeseilt. In stetem Ringen um das Gleichgewicht. Fest klammern sich die Fäuste um das Geländer der Brücke.

Der Bug entschwindet den Blicken. Nur fahl gischtende See voraus! Tief hinein bohrt sich der Steven … hoch hinauf reißt ihn wieder die durchlaufende Woge! Strudelnd fällt die See von Deck zurück und schäumt die stählernen Flanken hinab zu den Geschwistern der Tiefe. Schurrend rasen, für Augenblicke aus dem Wasser gehoben, die Schrauben am Heck, daß der Boden nur so zittert. Gischt voraus! … Hoch der Bug und tief hinab! Hoch Heck und Schrauben – eine Wellenschaukel ohne Ende, eine wirkliche. Sturm!

Fernab zuckende Blitze kommen näher. Weiße Glut taucht jäh den entfesselten Ozean in Tageshelle. Offenbart ein Bild unendlicher Größe. Wolkenherab stürzen mit zerkrachenden Donnern in eins prasselnde Fluten. Jeder Tropfen schlägt ins Gesicht wie Hagel. Oder ist's Hagel? Wer achtet darauf?! Alle Sinnen gelten dem Schiff und seinem Kampf. Spotten seiner die Elemente.

Hohnlachend flieht der Sturm wolkenwärts im einen Augenblick und fällt im nächsten mit doppelter Wucht, donnerbegleitet, von neuem über das Deck. Splitternd kommt die Stange des vorderen Mastes von oben und geht mitsamt den Antennen über Bord.

Stundenlang währen Ringen und Gefahr, Sturm und Trotz!

Gegen Morgen geht der Atem des Sturmes endlich kürzer. Aber der Ozean bäumt sich desto herrischer auf, seiner Fesseln entlastet, und tobt um das ächzende Schiff, als fordere auch er noch Tribut. Nach neuen langen Stunden endlich entflieht die Gefahr. »Pinguin« wendet auf seinen alten Kurs.

Von allem, was über Bord geschlagen, blieb die Funkenanlage der bitterste Verlust.

Taub und stumm dampfte der »Pinguin« nordwärts.

Und mit abnehmender Sturmgefahr überfiel die Männer an Bord erst recht mit ganzer Wucht das Rätsel der letzterhaltenen Telegramme, die vor dem Sturm noch aufgenommen. Fremde Funksprüche, alle schiffriert! Das gab zu denken. Vermutungen und Ahnungen an Bord schossen üppiger ins Kraut. Und, wie eine Frage zwar noch, erklang dabei einmal, zaghaft und zweifelnd, zwischenhinein das Wort Krieg! Niemand unter den Gelehrten glaubte daran. Nur Dr. Hell schaute hinter seinen Brillengläsern hervor so schicksalshaft ernst den fragenden Friedel an, daß er auch ohne Antwort wußte, was in ihnen geschrieben stand. Und konnte es doch auch nicht glauben. Sich gar nichts denken bei diesem Wort. Krieg, Krieg? Was war das? …

Gegen Mittag des folgenden Tages, der sie schon nördlich der Azoren sah, kreuzte ein von Westen kommender Dampfer ihren Kurs. Sie zeigten die Flaggen und setzten die Signalbälle. Der andre drüben war so nah, daß man das Weiße der Gesichter erkannte. Aber er rührte sich zu keiner Antwort. Und mußte doch mehr wissen als das taube deutsche Schiff. Seine Funkenanlage war intakt. Jetzt schnitten sich die Kurse. Der Fremde lag hart voraus.

Endlich! Die Flagge! … Frankreichs Trikolore – aber kein Signal, keinerlei Antwort! Nichts, gar nichts!

Kapitän Winkler biß sich auf die Lippen. Das hatte er noch nicht erlebt. Eine Flegelei, wie sie die See bisher nie gekannt, daß ein Schiff den fragenden Kameraden ohne Antwort läßt. Unerhört! Aber er machte sich seinen Reim darauf. Der da drüben wollte beleidigen, wollte zeigen: Die Trikolore schert sich den Kuckuck um ein deutsches Schiff. Es sollte sein ein Zeichen der Nichtachtung, ein gewollter Schlag ins Gesicht … Ostwärts zerflatterte bald die Rauchfahne des Franzosen.

Weite und Leere ringsum …

Und im Herzen! …

Was ist mit daheim? Braut sich da auch ein Sturm zusammen? Fragen – Fragen! Aber ein Narr wartet auf Antwort. Laub und stumm schlug der Sturm das Schiff.

Und wenn nun der Sturm kam?!

Kapitän Winkler straffte sich zur Höhe und ließ noch mehr Geschwindigkeit von den müden Heizern aus den Maschinen herausholen. Nordwärts – nordwärts! … Heim!

Heim, ehe der Sturm kommt!


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