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17. Die dreizehn Räuber

Eines Tages hatte sich ein Landmann mit seinem Esel auf dem Heimwege verspätet. Plötzlich bemerkte er in der Dämmerung dreizehn berittene Räuber. Zitternd vor Furcht kletterte er schnell auf einen Baum, von wo er alles beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Die Räuber ritten seitwärts zum nahen Felsen und riefen: »Öffne dich, Steinwand!« Und der Felsen sprang auf. Beim Heraustreten riefen sie: »Schließe dich, Steinwand!«

Als sie fort waren, begab sich der neugierige Lauscher mit dem Esel zum Felsen und sprach: »Öffne dich, Steinwand!« Sogleich tat sich das steinerne Tor auf, und ein großer Schatz von Silber und Gold und allerlei kostbaren Gütern lag aufgespeichert vor ihm. Was der arme Grauschimmel nur zu tragen vermochte, wurde ihm aufgepackt und die Schatzkammer gewissenhaft wieder verschlossen.

»Na, da seid ihr ja endlich!« rief ihnen die Bäuerin entgegen. »Warum schreitest du so langsam, mein Grauschimmel? Sonst hast du's ja immer so eilig, wenn der Stall winkt. Doch was ist das? Uff! Wie schwer!« Sie hob keuchend einen Sack empor und ließ ihn fallen, daß die blanken Geldstücke nur so hervorrollten und im Laternenlicht blinkten.

»Um Gottes willen, Mann, wo hast du das her?« fragte sie erschrocken. »Hast du einen Raubmord begangen?« – »Beruhige dich!« entgegnete der Mann. »Ich habe nur eine Schatzkammer von Räubern entdeckt und mich dort ein wenig versorgt. Hol nur gleich morgen früh die Wage vom Bruder, um das Geld richtig zu wiegen!«

Wie die Wage zurückgebracht wurde, bemerkte der Bruder ein paar kleine Goldkörner, die unbeachtet darauf liegen geblieben waren.

Sogleich kam er gelaufen, um zu erfahren, wozu man die Wage benutzt habe. »Um Getreide und Kartoffeln zu wiegen«, lautete die abwehrende Antwort.

»So, so! Dann haben die Weizenkörner sich unterwegs wohl in Goldkörner verwandelt. Schau doch mal her und sage mir, wo du dieses Getreide aufgetrieben hast!«

Und der Neugierige trieb den Schweigenden so in die Enge, daß er schließlich sein Abenteuer erzählte.

Noch am selben Tage begab sich der Habsüchtige mit seinem Esel zum Felsen. »Öffne dich, Steinwand!« gebot er. Und die Steinwand gehorchte. Bald hatte er auch die mitgebrachten Säcke gefüllt und wollte hinaus aus der Höhle. Da war aber kein Ausgang zu sehen, und er hatte das Zauberwort vergessen.

Plötzlich überraschten ihn die Räuber. Er versuchte, sich schnell zu entfernen. »Halt, Bäuerlein, halt! Du hast deinen Esel vergessen!« schrie einer und führte ihn zum beladenen Esel zurück. – »So bist du wohl auch der gute Freund, der uns gestern in unserer Abwesenheit heimgesucht hat?«

»Das – das – – war ich nicht!« stotterte er ängstlich.

»Aber du weißt, wer es war?«

»Das – das – hab ich vergessen«, log er.

»Nun, dann kannst du ja hierbleiben, bis du dich wieder besinnst.«

Und schließlich verriet er den Bruder.

Nun überlegten die Räuber, wie die entführten Schätze wiedererlangt werden könnten. Der Hauptmann ersann eine List. Er ließ die zwölf Genossen in Ziegenhäute einnähen, wie man sie zur Aufbewahrung von Wein und Olivenöl verwendete. Diese seltsamen Ziegenböcke lud er dann auf einen Lastwagen und fuhr damit als Wein- und Ölhändler zur Stadt, wo der Bruder sich bereits als großer » Signore« zur Ruhe gesetzt hatte.

Der verkleidete Hauptmann klopfte an die Pforte: »Verzeihung, Herr Baron, wenn ich störe! Ich kann heute nicht weiter. Darf ich vielleicht mit meinem Wagen in Ihrem Schuppen übernachten?« »Sehr gern!« antwortete der sich geschmeichelt fühlende »Baron«. –

In der Nacht sollten nun die Räuber aus ihren Häuten herauskriechen und in den Palast, den er öffnen würde, eindringen. Wenn der Hauptmann die erste Ölziege angestochen hätte, wäre es Zeit. –

Aber die Köchin der »hohen Herrschaft« war sehr habgierig und wollte die Gelegenheit benutzen, sich heimlich mit Öl zu versorgen. Mit einer großen Nadel stach sie den ersten besten Ziegenbauch an.

Der Angestochene aber meinte, der Hauptmann habe das Zeichen zum Aufbruch gegeben. »Ist es Zeit, Hauptmann?« klang es aus dem Bauche der Ziege. Die Köchin, die die Stimme eines Geistes zu vernehmen glaubte, schrie erschrocken: »Noch nicht! Noch nicht!« und lief entsetzt zum Hause zurück. –

Im selben Augenblick erschienen Soldaten, die von der verdächtigen Fuhre Kunde erhalten hatten und nun einen ausgezeichneten Fang machten. –

In der entsprechenden, aber ziemlich trocken erzählten Geschichte von den zwölf Räubern bei Gonzenbach, II, Nr. 79, fehlen alle komischen Nebenmotive: Esel, Goldwage, habgierige Köchin, die in Ziegenfelle eingenähten Räuber, der verhängnisvolle Zuruf: »Es ist Zeit.« – Vgl. auch Kretschmer, Nr. 4: »Die vierzig Drachen« (in Schläuchen verborgen) und die Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern in »1001 Nacht«, XXI, S. 59 ff. Ferner Grimm, Nr. 142, »Simeliberg«, Bolte, III, S. 137 ff. und Köhler zu Gonzenbach, Nr. 79: »Die Geschichte von den zwölf Räubern«, wo auch Simrock, Nr. 62, Pröhle, M., Nr. 30, Otmar, S. 225, als Parallelen genannt werden. Das M. ist kulturgeschichtlich wichtig und weist auf höheres Alter hin, wo das Geld noch gewogen und Öl und Wein noch in Schläuche gefüllt wurde.


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