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30. Der Schatz in der Tropfsteinhöhle am St. Michele

Zwei Männer, Filippo und Casparri, waren mit Umgraben des Weinbergs unterhalb des Kastells von St. Michele beschäftigt. Da stieß Filippo, der jüngere von den beiden, der das Grundstück in Pacht hatte, auf einen großen Stein, der sich plötzlich loslöste und polternd versank, als hätte ihn die Erde verschlungen. Und als Filippo weitergrub und die offene Stelle untersuchte und erweiterte, bemerkte er erstaunt, daß sich darunter ein hohler Raum, eine Höhle oder ein Gewölbe, befand. »Vielleicht«, dachte er sofort, »war dies eine Schatzkammer vom Kaiser Tiberius, der ja eine Villa auf dem Michaelsberge besaß!« – »Lauf' schnell, Casparri,« rief er dem alten Tagelöhner zu, »besorge mir ein Schiffstau mit einer Ankerwinde! Ich muß doch sehen, was das für ein Loch ist!«

Sobald der Alte das Gewünschte gebracht hatte, schlang Filippo das Tau um den Leib und verschwand in der Öffnung, indem er sich langsam in die Tiefe hinabließ.

Bald erweiterte sich der Schlund, in den er hinabtauchte, und ein gewölbeartiges schimmerndes Gemach tat sich zur Seite vor den erstaunten Augen auf. Er wollte seinen Sinnen nicht trauen, als er im Halbdunkel des von oben eindringenden Tageslichts rings allerlei wunderbare weiße Gestalten und Schnörkel erblickte. Sogar von der Decke herab hingen glitzernde Zapfen hernieder. Am Boden aber auf niedrigem Marmorstuhl saß dickbäuchig wie ein recht behäbiger Mehlsack mit kugelrundem Vollmondgesicht in tiefem Schlafe ein Mann als Hüter des fabelhaften Gold- und Silberreichtums, der neben ihm aufgehäuft lag und den der habgierige schlaue Pächter heimlich zu heben beschloß.

Ohne vom Geschauten ein Wort zu verraten, ließ er sich schnell wieder emporwinden, brach aber erst noch einen Finger von einer ausgestreckten Tropfsteinhand ab. Als Casparri, der sich wunderte, daß Filippo sobald wieder zur Oberwelt zurückkehrte, ihn fragte: »Na, wie war es denn in der Hölle unten? Hast du den Teufel gesehen?« antwortete er: »Jawohl! er wollte eben herausfahren und dich holen. Ich habe ihn aber niedergehalten und ihm dabei dieses Horn abgebrochen, das ich dir zum Andenken schenke. – Wir wollen aber das Loch zudecken!« fügte er bedächtig hinzu. »Es könnte ein Kind hineinfallen.« Und sie legten einen alten aufgeschlitzten Strohsack darüber. Dann gruben und pflanzten sie weiter, als wäre gar nichts geschehen.

Sobald aber ihr Tagewerk zu Ende war und der Abend sich niedersenkte, eilte Filippo mit seiner Frau zur Höhle zurück und fuhr, um alle verborgenen Winkel und Nischen der Zaubergrotte zu erleuchten, mit sieben brennenden Laternen hinab in den nächtlichen Schlund. Allein das Gewölbe mit dem Sackmann und dem Schatze, an dem er, ihm zufällig den Rücken zukehrend, achtlos vorübergerutscht war, wollte und wollte nicht kommen. Tiefer und tiefer sank er hinab, ohne den Boden der Höhle oder einen genügend breiten Absatz zum Stehen oder Gehen zu erreichen. Plötzlich verlöschte ein unsichtbares Ungetüm das Licht seiner sieben Laternen. Und so hing er nun hilflos im grausigen Abgrund, umgeben von stockdunkler Nacht, jeden Augenblick in Gefahr, in einer Felsenkluft stecken zu bleiben oder von rollenden Steinen zerschmettert oder gar von bösen Geistern zerrissen zu werden. Entsetzt schrie er aus Leibeskräften: »Schnell, zieh mich hinauf, sonst komm ich um!« Da half sie ihm heraus.

Aber wie groß auch der überstandene Schreck war, seine Geldgier war stärker. Kaum war er mit heiler Haut davongekommen, holte er zwei seiner Brüder herbei, um das Wagstück nochmals zu versuchen. Sie wollten zu zweien hinabsteigen, während der dritte sie hinablassen und am Eingang Wache halten sollte. Langsam und vorsichtig glitten die beiden mit Hacken und Spaten hinab und gewahrten auch richtig im oberen Abteil der Grotte den schlafenden, jetzt am Boden liegenden Sackmann. Wie sie aber das aufgehäufte Gold und Silber in den mitgebrachten Sack einschaufeln wollten, fanden sie nur Asche und Kohlen.

Filippo verfiel nach der ausgestandenen Angst in ein furchtbares Fieber. Er wurde gelb wie eine Apfelsine und starb schon nach sieben Tagen; aber er hatte die schönste Tropfsteinhöhle von Capri entdeckt.


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