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14. Gib mir die fünf Soldi

Ein Mann hatte so viele Schulden, daß er nicht mehr wußte, was er anfangen sollte, seinen Gläubigern zu entrinnen.

Da kam ihm der Gedanke, sich tot zu stellen.

Während der Nacht wollte er dann aus der Totenkapelle in eine andere Gegend entweichen. – Bald darauf wurde nun sein Tod gemeldet. Man brachte seinen Leichnam zur Kapelle, und am folgenden Tag sollte das Begräbnis stattfinden.

Aber der Hutmacher, der die Totenkappe geliefert hatte, wollte die ihm dafür zukommenden fünf Soldi nicht gern einbüßen. Und da er ein schlauer Fuchs war, ließ er sich heimlich in der Kapelle mit einschließen, in der Hoffnung, die Kappe nachts unbemerkt wegzunehmen. – Als er aber den Sarg öffnen wollte, sah er eine Räuberbande in die Halle eindringen, um hier in aller Stille und Sicherheit die erbeuteten Schätze zu teilen. Schnell wurden im hellen Mondschein die blinkenden Goldstücke und Schmucksachen in Häufchen gelegt. Da diese aber sehr ungleich ausfielen, wollte jeder der Spitzbuben gern sich als erster den größten aussuchen. Um dem darüber entstandenen Streit ein Ende zu machen, wurde ausgemacht, daß derjenige zuerst wählen sollte, der den Mut hätte, dem Toten die Nase abzuschneiden.

Sofort hob einer, der weder Furcht noch Bedenken kannte, den Deckel vom Sarge. Wie er jedoch die Nase des Leichnams anfaßte, richtete dieser sich plötzlich in die Höhe, und im Nu waren die zum Tode erschrockenen Einbrecher verschwunden.

Geschwind stürzte sich der nun wieder zum Leben Erwachte auf die zurückgelassene Beute. Allein der habgierige Hutmacher sprang gleichfalls herbei und verlangte die Hälfte, die ihm auch bereitwillig gewährt wurde. – Nach vollendeter Teilung forderte er jedoch noch die fünf Soldi für seine Kappe. »Was dir einfällt!« rief der andere entrüstet. »Ich habe dir die Hälfte des ganzen Segens überlassen. Das ist schon mehr als genug. Mach, daß du fortkommst!«

»Ja, aber die fünf Soldi bist du mir noch schuldig, gib mir die fünf Soldi! Gib mir die fünf Soldi!« schrie der Hutmacher nun immer schneller und lauter, und dazwischen der andere: »Mach, daß du fortkommst!«

Inzwischen waren die beherztesten der Diebe vorsichtig wieder zurückgekehrt, um den im Stiche gelassenen Raub zu holen. Wie sie aber zur Tür kamen und von drinnen den immer lebhafter tobenden Wortwechsel vernahmen, zumal das beständige »Gib mir die fünf Soldi«, liefen sie entsetzt wieder fort; denn sie glaubten, alle Geister des Friedhofs wären aus ihren Grüften emporgestiegen und verlangten ihren Anteil.

Und die beiden Zankteufel in der Friedhofshalle tobten weiter, bis die Polizei sie überraschte und sie samt der ganzen Bescherung unter ihren wohlwollenden Schutz nahm. –


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