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Genua. Ich habe mich zwischen den Palästen herumgetrieben, in den Geschäftsstraßen, Cafés, Weinstuben, am Hafen zwischen den großen Dampfern. Habe den Chinesen zugeschaut, die einen San-Francisco-Dampfer verluden, dem Treiben auf einem Amerikafahrer, den Indern auf einem holländischen Indienfahrer, Japanern, Negern, Malaien. Habe der Musik der Fascistenarmee zugehört, Schiffskapellen, Mandolinen und Leierkästen, Fascisten beobachtet, vom maskierten Bambino bis zum weißbärtigen Alten. Banden von Buben und halbwüchsigen Rowdys im schwarzen Hemd mit Flinten, Revolvern, Keulen, Knüppeln und Knotenstöcken in phantastischen Aufmachungen.

Bild: Gustav Wolf

Im Hafen von Genua liegen große Indien- und Ostasienfahrer, und Schaluppen und Boote verkehren zwischen ihnen

 

 

Man sieht, wie Mussolini alle vagierenden Elemente, verstohlenes Brigantentum, Abenteuerlust, die Freude an Kinkerlitzchen, den noch nicht abgebauten Krieg, in eine Richtung geworfen hat, in den Kanal, auf dem er fährt. Mit Hilfe all ihrer Schwächen und Possen will er sie am eigenen Schopfe sich aus dem Dreck ziehen lassen. In jeder Barbierstube, in jeder Kneipe hängt sein Bild, halb Cäsar, halb Napoleon, auch Heldentenor und Sportsmann: der neue Italiener.

Ich lasse das Treiben an mir vorbeifluten. Das sind die Festtage des Lebens. Morgen will ich wegfahren. Ins Unbekannte. Denn man soll sich das Leben nicht zu leicht machen.

Aus meinem albergo am Hafen hat man mich liebevoll hinausgeworfen, da sich eine dreiköpfige Familie eingestellt hat und man fand, daß mein Bett gut für drei Personen Platz biete. Wir schieden in bester Freundschaft. Ich zog nebenan in einen anderen Kasten, hoch in den siebenten Stock. Und jetzt sehe ich über Hafen und Straßenzüge, über das Häusermeer der Stadt und die endlosen Reihen der Ozeandampfer.

Ich bin wieder durch enge Gäßchen getrottet und habe mich vom Strome treiben lassen. An den Schenken vorbei, in denen Männer plaudernd hocken, an den Speisewirtschaften, an den Lädchen vorüber. Sehe Kinder spielen, Frauen tratschen, junge Leute liebeln, Alte schelten, Buben raufen. Sehe Soldaten und Bürger, Dirnen und Lebemänner. Unter alten phantastischen Torbogen, zwischen himmelhohen Häuserwänden, winkeligen Treppen und Ecken. Es ist immer neu, bunt. Jede Stunde nehme ich mir vor zu arbeiten, aber es geht nicht. Soll ich in all dem strömenden Leben den Bleistift zücken und journalistisch notieren?

Bild: Gustav Wolf

Côte d'Azur bei Monte-Carlo

 

 

An einem Plätzchen hatte einer mit Kreide Roß und Reiter auf das Pflaster gezeichnet und dazugeschrieben: »Das habe ich gemacht, und habe nicht zeichnen gelernt!« Und er strich stolz die Soldis ein, die man ihm zuwarf.

Ich lief aus der Stadt hinaus, eine Palmenallee entlang, hoch über dem Meere und sah in das Gewirr der Masten und Kamine am Hafen. Das Licht vibrierte über der Stadt. Das Meer war tief und weit. Hundertmal sage ich mir: Arbeite, du bist aus Deutschland. Aber kein noch so kategorischer Imperativ nützt hier. Morgen!

Heute abend sollte das Schiff ausfahren. Nach langem Suchen fand ich es ganz draußen; ein schlimmer alter Kasten, verrostet und reif für den Abdecker, voll Wasser und Dreckpfützen, beim Verladen von Ölfässern. Es muß noch ins Trockendock. »Rossini« heißt das Beast, und übermorgen erst kann die Himmelfahrt beginnen. Also zurück in den albergo. Wenn ich nur das Billett noch nicht hätte+...

Die Piazza de Ferrari ist beflaggt. Die Paläste der Großbanken stecken in grün-weiß-rotem Lichterglanze: Siegesfeier des Fascio. Die Lausbuben im schwarzen Hemd rennen aufgeregt umher. Abteilungen des Fascistenheeres traben mit Tschintrara durch die Straßen. Unversehens bin ich mitten in einer Volksmenge. In dem Gäßchen, durch das ich heraufkam, sah ich abgehärmte Menschen sich liebevoll eines Epileptikers annehmen, hohläugige Gesichter sahen aus dumpfen Kellerlöchern. Hier sind Feuerwerk, Raketen, Schüsse, Fackelzug. Horden mit Knüppeln, Peitschen, Knotenstöcken. Finstere, fanatische Kerle, schwelender Rauch, Singsang, Gegensang, Hochrufe. Kopf an Kopf. Alle brüllen. Hut ab: Die Mussolinihymne. Einer steigt auf ein Auto und redet mit harten, abgerissenen, gehackten Bewegungen der Arme. Die Menge jubelt fanatisch.

Wann wird gekreuzigt?


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