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Das Meer. Im Zwischendeck eines spanischen Dampfers zwischen Koffern, Ballen, Menschenbündeln. Einige essen Brot, Früchte und Sardinen, andere schlafen in Klumpen aneinander gelehnt. Ruhige Vollmondnacht auf freier See. Ich denke an die Abfahrt heute abend, an den betäubenden Lärm der aufziehenden Ankerkette, der Maschinen, an die Menschenmenge am Kai und an Bord, an die Abschiedsszenen. Und an Barcelona. An den sächsischen Elektrotechniker, der alles Erreichbare auffraß und der einen suchte, der seine Rechnung bezahle. An den stolzen Dicken, mit der ewigen Sehnsucht nach dem Münchner Bier. Ich gehe zwischen den Schlafenden hindurch; in der ersten und zweiten Klasse ist noch Leben, elegante Toiletten, Brillanten, üppige Soupers.

Das Meer ist ganz ruhige nur fern am Horizont blinkt in regelmäßigen Abständen ein Feuer. Das ist das letzte, was von Barcelona noch hereinsieht. Die Stadt mit Treiben und Tosen ist im Meere versunken. Das Blinkfeuer hoch oben auf dem Kastell reicht allein bis hierher. Stumpf vor sich hinstarrend sitzen Menschen in den Winkeln des Schiffes. Das Meer ist wie flüssiges Blei.

Bild: Gustav Wolf

Auf dem Meere bei den Balearen, morgens, da der Mond untergeht

 

 

Dunkelheit auf dem Meere. Bild, Wort, Symbol, Geste, Musik, alles bleibt zurück.

Fahrt ins dunkle Weltall.

Der Sturm pfeift in den Tauen. Berge wälzen sich heran, Gischtfetzen fliegen über die Wogen hin, senkrechte Regensäulen ziehen über das Meer. Böen hauen über Deck, klatschen auf die Planken. Das Gewoge wird gewaltig, das Schiff tanzt und donnert drüber hin.

Was ist denn das Ungeheuere, Elementare am Meere? Die ewige Bewegung? Das ewig Ungeformte? Die Masse im Fluß? Das Unfaßbare, nie Festgelegte?

Dumpf donnert's und heult's, die Welt ist in Bewegung, treibt tausendfache Form hervor. Und alle Form ist Gischt, fegt über die Masse, fällt zurück, wird wieder Berg, Tal, Fließen. Wogenkämme schießen darüber hin: eine ungeheuere Schlacht. Heere wälzen sich heran in Schlachtreihen. Bis in Urgründe ausgewühlte, aufbrüllende Welt. Nichts Festgegründetes ist mehr. Die weißen Kämme rennen wie rasende Rosse daher.

Das Meer wird schwarz. Manchmal wird ein fatales Grün sichtbar. Dann wird es wieder schwarz wie Samt.

Bild: Gustav Wolf

Am Hafen von Palma auf der Insel Mallorca, der größten der Balearen

 

 

Regenstürme, das Schiff tanzt. Meer und Lust sind eine trübe, schwere Regenmasse. Sturm reißt die Wolken auseinander, Wolkentücher flattern in der Höhe. Der Sturm rast. Berge und Täler wandern.

Dumpf schlägt die Woge an den Leib des Schiffes, dumpf wie ein Kanonenschlag. Es pfeift und saust und heult und dröhnt: der Geist der Welt redet. Musik des Meeres in der Nacht. Das Chaos tönt.

Die Musik der Menschen da unten im Schiff ist dünn, leer, blaß. Da hört es auf: das Zelebrieren, Reden, Bilden. Hier ist für den Menschen nur noch Ausströmen und Verlodern in der Unendlichkeit.

Manchmal friert es einen. Denn dies ist kalt und unerbittlich wie der Tod, und ebenso klar und selbstverständlich.

Soll man sich denn wie die Hämmel aneinanderschmiegen? Sein kümmerliches Nachtlicht brennen? Sentimental lamentieren? Die tragische Geste handhaben? Man müßte ewig so weiterfahren!

Was könnte angesichts des Meeres bestehen? Da ist kein Gegenüber. Jeder Ton verhallt im Unendlichen. Dies ist zu groß, um zu erschüttern. Dies ist die Ewigkeit.

Als stehe man am Rande der Welt und riefe hinauf ins Endlose, Ewige: Einsame Kreatur, ausgesetzt.

Draußen in der Nacht fährt ein Schiff über die Dunkelheit.

Fliegende Fische, silberglitzernd, schießen über die Wogen, schlittern über die Wogenhügel, durch die Wogentäler. In Scharen. Ein Schiff zieht draußen im Ozean in der weiß glühenden Bleiflut, unter silberbleiernem, glitzerndem Himmel. Trunken von Weite, Raum, Welt.

Man liegt nachts unten wie im Herzen eines Wesens. Es pulst und tobt und hämmert ringsum, regelmäßig, dumpf, massig, als läge man im Herzen eines Kolosses, im Leibe eines Ungeheuers, rings umschlossen von pochendem Leben. Der Pulsschlag dröhnt im Innern: Hier.

Bild: Gustav Wolf

An der Kathedrale in Palma

 

 

Und das Ungeheuer stapft durch die Wogen des Meeres. Wunderfahrt!

Warum sitzt ihr in euerer Stube und dichtet Märchen? Die Wirklichkeit ist Märchen genug.

Bild: Gustav Wolf

Palma (Mallorca). Strand

 

 

Ich will langsam Atem holen, ruhig ausholen, ohne Hast, ohne heißgelaufenen Kopf, ohne fieberndes Herz.

Draußen auf dem schwarzen Samt des Meeres phosphoreszieren perlmutterne Wogenkämme. Die Regenwand ist zerrissen. Sturm fegt über Himmel und Meer. Voller Mond steht am blanken Firmament. Der Wind kommt senkrecht zur Fahrt, Wogen schlagen zwei Stockwerke hoch, über Speisesaal und Deck, hauen gegen die Luken, brüllen dumpf und schlagen an die Wände wie Kanonenschüsse. Weite Täler öffnen sich, breiten sich aus. Berge rollen heran, Schollen eines wohlgepflügten, unendlichen Ackers. Über Talmulden fließt Gerinnsel. Gischtkämme klatschen hoch, wehen im Winde. Rollende Wasserschollen, Kette hinter Kette. Das stürmt an, ein Heer, im Schlachtgesang der Massen.

Bild: Gustav Wolf

Tafel IV Außerhalb des Hafens von Valencia

 

 

Manchmal in der Nacht erschauert das Schiff, ein heftiges Beben durchzittert seinen Leib, als ob es sich vor Entsetzen schüttle, und das Meer schnauft dumpf wie ein großes Tier.

Ungeheures Rund des Meeres! Gewaltig und doch noch irdisch, doch noch daheim. Um den Horizont ein niederes Band von Wolkenbänken, dunkel wie das Meer gegen den kalthellen Himmel. Und dämmrig glimmend wie der Nachthimmel voll rötlichen Schimmers. Wie die fernen, niedrigen Küsten auf der Seite des vollen Mondes, der sein Gold auf der schwarzen Flut heranträgt, der in goldener Schimmerregion schwebt.

Der Himmel ist unermeßlich, rein, unbefleckt und erhaben.

Ungeheure Arena! Schöpfergewalt ist lebendig über meinem Kopfe, ballt Gewitter und Finsternis inmitten eines klaren Himmels, ballt Ungeheures unter dem Zenit. Wirft die Macht der Finsternis hierhin: weiße Schaumreiter rasen über das Meer.

Auf ungeheurer dunkler Regenwand blitzt ein Segel in der Ferne. Woher kommt dieser starke Blick? Ein weißer Blitz in schwarzer Luft: eine Möwe. Gebirge ragen in eine Wolkenmasse hinein. Giftgrüne Bahn zieht sich ins Unendliche. Bläue blinkt. Lichtfanfaren.

Sichverlieren an Welt! Ertrinken in Welt!

Bild: Gustav Wolf

Ein Gäßchen in Palma. Nachts

 

 

Das Meer schimmert wie Seide. Und wie der silberglänzende Leib eines Fisches. Nur leise Ton- und Farbschwankungen spielen zwischen Meer und Himmel. Da ist das Meer heller, dort der Himmel. Wundervolle Haut des Meeresspiegels, ausgespannt über der Tiefe, perlmuttern schimmernd über dem Abgrund. Heitere Welt über den Dunkelheiten.

Noch einmal fahren wir durch einen Regenschauer. Das Meer verschleiert sich, ein Wasservorhang schiebt sich her. Die Welt vergeht in halbhellen Dunst aus Wasser. Dann löst sich jede Spannung, jeder Wunsch, jede Sucht.

Bild: Gustav Wolf

Der obere Teil der Fassade einer Barockkirche in Valencia

 

 

Ort der Feste! Der hohen Feste! Der Befreiung und Erhöhung! Heiliges Meer!

Gegen fünf Uhr morgens. Wir waren unten im großen Schlafsaal, zwei Stockwerke tief, 44 Leute, auf Pritschen gelegen, hatten Kragen und Stiefel ausgezogen. Aber man konnte nicht schlafen, 43 haben gehustet und sich geräuspert die ganze Nacht. Ab und zu übergab sich einer, andere führten halblaute Gespräche. Jetzt steht der Mond noch am Himmel, plastisch, greifbar als eine volle Kugel. Wir fahren an Inseln vorbei, deren zackige Silhouetten schwarz gegen den Himmel ragen. Über die Abgründe weg, unter ewigem Sternenhimmel, zieht das Schiff mit seiner Fracht von Menschenleibern, Schicksalen und Gefühlen über das Meer. Sterne spiegeln sich wie kleine Monde in der schwarzen Flut. Man ahnt mehr, als man sie sieht, schwarze Silhouetten der Küste. Blinkfeuer zuckt allenthalben von Leuchttürmen auf. Menschenbündel liegen auf Deck herum. Ich gehe zwischen ihnen durch. Viel feingliedrige wohlige Menschenleiber liegen da als ob sie Abfall wären. Einzelne wandeln schon in dicke Decken eingemummt, wie Beduinen, umher, andere rauchen schon Zigaretten. Wir fahren nahe an einem Leuchtturm vorbei und dann auf zehn Meter Nähe an einer senkrechten Felswand vorüber. Das ist wie in der Unterwelt, unheimlich. Der Mond ist so groß und klar gezeichnet, wie man ihn sonst nur durch ein Fernrohr sieht. Es wird heller, der Himmel milchig, der Mond dunkelorange wie eine Frucht, glanzlos im blauroten Dunst.

 

Die Krane werden freigemacht. Inseln treten jetzt klar heraus. Es wird Tag. Auf Rufweite ein Segler. Der Mond wird kupfern und verlöscht im Dunst. Eine Insel mit weißem Leuchtturm liegt weit draußen im Meer. Dann geht groß und flammend die Sonne auf und der Raum wird ungeheuer.


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