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Marseille. Ein Lotse kommt an Bord, langsam fahren wir in den Hafen ein. Das Wasser wird ruhig. Weit und weiter breitet sich die Stadt aus.

Das Schiff liegt fest am Kai, zwischen anderen Warendampfern hinter einem Güterschuppen. Bald ist der leere, verlassene Kai von Arbeitern überströmt. Menschen aller Rassen, Neger, Malaien, Mischlinge und solche undefinierbaren Ursprungs. Sirenen heulen, Krane rasseln, Geschrei und Gezeter. Da soll ich also zwei bis drei Tage liegen bleiben und nicht das Land betreten dürfen? Ich soll das dumpfe Leben des Seemannes anschauen, das die Dichter romantisch verklären wie das der Schäfer oder der Sennen? Ich binde ein buntes Tuch um, stecke eine Zigarette an, klemme eine französische Zeitung unter den Arm und gehe vom Schiff herunter in die Stadt. Die Hände in den Taschen. Über Güterwagen, durch den Bahnhof, über Rangiergeleise. Man muß nur unbefangen sein und man kann durch Polizisten und Soldaten gehen. Ich sehe ihnen ins Gesicht und denke, wie lächerlich es wäre, mich jetzt anzuhalten. Ich schlendere durch die Straßen, durchstöbere die Buchläden, gehe in Kunsthandlungen, kaufe Tabak und Postkarten und rede mit Leuten, sitze mit Offizieren im Café. Bin mitten im Volksgewühl am alten Hafen, am Rathaus, trolle durch das strömende Leben der Boulevards. Da ist nichts von Haß und Erbfeind, Mensch unter Menschen. Daß ich hier herumlaufe, macht das nicht Haß und Wut und Argwohn lächerlich? Daß ich dem Bettler ein Soustück gebe?

Buntes, strömendes Leben. Volk in allen Farben. Ich sehe die chinesischen, indischen Lokale an, die Schiffe in der Sonne inmitten der Stadt, notiere Inschriften am Kriegerdenkmal:

Morts pour l'ideal de la paix, du droit, de la liberté und:

Y penser+... toujours, s'en servir+... jamais.

Man sieht wenig schöne Bauten, wenig edle Figuren, und doch ist dies eine märchenhaft schöne Stadt.

Ich schlendere durch die frische Morgenluft. Die Gemüseläden werden aufgemacht, sauber geputzte Soldaten gehen auf Urlaub. Der Proprietair steht hinter der Haustüre, dicke Wäscherinnen schleppen wulstige Bündel, der Briefträger kommt, eine Katze räckelt sich am Ladenfenster in der Morgensonne. Ich begegne Sonntagsspaziergängern. Auf den Kirchentreppen sitzen Frauen und ordnen ihre Weiden und Palmzweige zum Verkaufe. Am Triumphbogen hocken Marokkaner, Algerier, ein Bild, als ob man in Alexandrien wäre. Aus den Häusern kommen Neger, Mischlinge. Die Geschäftsstraßen beleben sich. Ausrufer und Anreißer spektakeln und zerren vorbeigehende Marokkaner in die Läden. Ein Mann mit einer gigantischen Erdbeernase, Soldaten in Feldblau, Alpenjäger, Farbige in Kaki mit Stahlhelm, andere im Tropenhelm. Auf einem zerschlissenen Teppiche macht ein Clown mit seiner Frau billige Späße, zieht ein Kleid zehnmal verkehrt an, läuft auf Stelzen. Er zittert wie im Fieber, der Körper vibriert: Absinth.

Zwischen Lagerhallen, über Haufen alten Eisens, schlendere ich durch Polizisten, Soldaten, zum Schiff. Es war wunderbar durch diesen quirlenden Strom des Lebens hindurchzulaufen, durch Gerüche der Straßen, eigenartige Stadtbilder, durch das Gewühl der Menschen, durch Geschrei und Getriebe.

Die Krane sind wieder hochgezogen, die Verladeräume werden zugedeckt. Der Kai ist wieder still, nur vereinzelt sitzen Männer da, die kleine Reusen aus Draht an Schnüren ins Wasser werfen und fischen. Die nahen Berge leuchten weißlich unter der Sonne. Ein fliegender Händler ist noch an Bord, breitet am Boden einen ganzen Kramladen aus: bunte und glitzernde Dinge, prächtige Parfümzerstäuber, farbenfrohe Hosenträger, Kragenknöpfchen, Taschenmesser, Etuis, Seifen, Schmuckstücke, blecherne Taschenspiegel und Mundharmonikas, Maßstäbe, Portemonnaies, Brillen, Pfeifen, Krawatten, Rasierpinsel und Spielzeug und tausend andere Dinge, die den Matrosen erfreuen.

Bild: Gustav Wolf

Barcelona (vom Tibidabo)

 

 

Bei herrlichstem Wetter und ruhiger See fahren wir ab. Es stellt sich heraus, daß ich wirklich vor etwa zwanzig Jahren mit diesem Schiffe gefahren bin, daß es damals »Zrinyi« hieß und dem Österreichischen Lloyd gehörte. Die Offiziere, junge Leute, die das erfahren, staunen mich an wie ein historisches Monument.

Ein Tag herrlichsten Wetters. Stille See, keine Wolke, kein fernes Land, nur stahlblaues Meer und kristallklare Luft. Und ungeheure Weite. Gegen Abend eine Schwalbe. Sie kreist um das Schiff, einige Möwen begleiten es, ein Rudel Delphine umtanzt das Schiff. Sie umspielen die Spitze, springen in die Luft, machen Wettrennen, tummeln sich, schwimmen auf dem Rücken, überspringen einander, gehen tief hinab, sausen pfeilschnell herauf und treiben allerhand Sport.

Abends wirds bewegt, scharf windig und bewölkt. Unten im Speiseraum sitzen die jungen Deutschen mit noch einem Passagier und reden über Hitler und Ludendorff, sprechen von der Schädlichkeit des Christentums, den unnationalen Pfaffen, den gottverdammten Juden. Ich gehe wieder an Deck, damit sie ungehindert sprechen können, ziehe mich in eine verlassene, dunkle Ecke zwischen den Kaminen zurück, allein zu sein auf dem reinen Meere. In kurzem aber sind alle oben und singen Hakenkreuzlieder bis spät in die Nacht.

Am nächsten Morgen erhebt sich die Sonne in Dünste vermummt. Wir fahren durch Fischerboote hindurch an der Küste Spaniens entlang. An bergigen Ufern liegen Dörfer und Städtchen, draußen geht das Meer ohne Horizont in die Luft über, die Boote hängen im Raum.


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