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Barcelona. Am frühen Morgen kamen wir an, am Mittag endlich kommt der Beamte, die Papiere zu prüfen. Und Spanien ist offen. Die Malschüler ziehen ab mit Windjacken, Rucksäcken und Hornbrillen und Kanonenstiefeln. Der Dicke, ebenfalls ein Deutscher, hat sich mir angeschlossen. Er fühlt sich jetzt verlassen und will mit mir in einem Hotel wohnen. Außerdem hat sich noch ein sächsischer Techniker angeschlossen.

Bild: Gustav Wolf

Eine Löwin im Garten von Barcelona

 

 

Die Stadt stellt die tollste Sammlung von Geschmacklosigkeiten an Bauwerken und Denkmälern dar. Man sieht wahre Orgien von exzentrischen Kapriolen und Plattheiten. Das nennen sie Neo-Katalanischen Stil. Aber auch wundervolle Straßen und Palmenalleen, eine mächtige, frühgotische Kathedrale von finster-prächtiger Wucht, in deren Hofe unter gotischen Bogen, schlanken Pfeilern und hohen Fenstern Palmen stehen und Fledermäuse huschen. Und wunderbare Löwen! Das kleine Hotel ist sauber und sehr anständig, der Ton im kleinen Speisesaal etwas laut, doch heiter und nett. An den Tischen sitzen schöne Kokotten, spanische, französische, deutsche. Puder, Schminke, untermalte Augen.

Die Stadt liegt auf der Höhe von Rom.

Ich sitze an einem Café, im Schatten an der Straße. Am Platze nebenan, Plazza de Kataluña, klettert einer die Fassade eines achtstöckigen Hauses empor. Tausende füllen den Platz, berittene Gendarme halten Ordnung. Noch in den angrenzenden Straßen staut sich die Menge.

Das Leben ist elegant und reich. Der Verkehr rollt ohne Unterbrechung Tag und Nacht. Die Frauen ganz in schwarzer Seide, die Mantillas über dem Haar. Soldaten in bunten Maskeraden wie von anno duwak. Nachtwächter mit Spießen und Laternen, Polizisten in Dreimaster, Bettler, Krüppel ohne Zahl. Daneben elegantes Paris. Aristokratische Spanier, die Vornehmheit selber. Der Hidalgo, reich und gepflegt.

Bild: Gustav Wolf

Tafel III Palma (Mallorca). Puerto, Muelle

 

 

Die Stadt hat eine ungeheure Ausdehnung und das buntgemischte Treiben aller Hafenstädte. Man lebt gut, kleidet sich nobel, arbeitet wenig und redet viel. Alles geschieht mit viel Lärm, Pathos, Geste. Sie sind höflich, freundlich und liebenswürdig und begehen wahre Exzesse von Vornehmheit. Die Kirchen sind von schwüler Pracht, aus mystischem Dunkel leuchtet es auf von Gold, strotzend, berauschend. Und tausend Kerzen brennen. Die neuen Bauwerke aber in Barcelona sind von himmelschreiender Geschmacklosigkeit, losgelassene Phantastik, ausschweifende Willkür, wahnsinnige Bildungen. Aber man bricht großzügig Bahnen in die alte Häusermasse für das neue Leben. Man legt ganze Viertel nieder und zieht breite Straßenzüge durch das Gewühl enger Gäßchen.

Drei Deutsche, die die gegenwärtige geistige und seelische Beschaffenheit Deutschlands hinausgetrieben hat, und die eine Wahlheimat in Spanien gefunden haben, die auf dem Wege sind, in den Spaniern aufzugehen, haben mich unter ihre Fittiche genommen. Sie wollen mir ihre Begeisterung für die Spanier begründen, Hemmungen und Bedenken verscheuchen und den unbefangenen Blick verschaffen, den, nach ihrer Meinung, Einstellung auf deutsche Verhältnisse und in deutsche Anschauung trüben würde.

Sie führen mich in eine der Singhallen, in eine der gewöhnlicheren. Für eine Peseta bekommt man Kaffee und Darbietungen. Wir haben eine Loge mit einem kleinen Nebenraum, in dem ein Liegebett steht. Auf der Bühne treten nur Frauen auf, fast nackt und nackt. Sie tanzen. Die Tänze sind rhythmisierte Erotik, offen, ohne jede Umschreibung oder Verdecken. Bewegungen des Beckens und der Brust. Die Tänzerinnen kommen dann in die Loge, trinken mit uns Kaffee, lassen sich Blumen schenken. Sie sind frei und unbefangen wie Kinder, singen, spielen, sind vertraulich und harmlos. Sie füllen ihren Beruf aus und gehen darin auf, voller Hingabe. Nie sieht man ordinäre Züge, gemeines Betragen, Abstoßendes oder gar Ekliges. Sie üben ihr Amt, harmlos, freudig und freundlich, studieren die Künste und erreichen Vollkommenheit. Sie sind voll Leben und Bewegung. Und als wir von dieser Stätte heißer Erotik und liebenswürdiger Freundlichkeit schieden, war es mit einfacher Herzlichkeit, wie von guten Freundinnen.

Bild: Gustav Wolf

Die Palmenallee in Barcelona beim Lopez-Denkmal

 

 

Die selbstverständliche Offenheit, die klipp und klar, eindeutig und freudig herausgestellte nackte Wahrheit sollte mir Art und Wesen der Spanier näherbringen.

Jetzt sitze ich neben Arbeitern, die ein Dach flicken sollen. Sie tun es aber nicht, sie rauchen Zigaretten, unterhalten sich oder sehen vergnügt ins Blaue. In der Ferne geht ein Herr mit einer Dame vorbei, sie rufen hinüber: »Welche Mörderaugen! Diese Augen töten! Der Glückliche!« Das sind die berüchtigten Syndikalisten von Barcelona.

Außerhalb der Stadt sah ich Schießbuden, in denen man auf elende, am Boden angebundene Tauben schoß.

Heute haben alle Gebäude halbmast geflaggt. Die Soldaten tragen die Gewehre mit der Mündung nach unten: Karfreitag. Von der Militärdiktatur merkt man wenig, aber man sagt, die 300 jährlichen Morde in Barcelona wären seither unterblieben. Die katalanische Bevölkerung möchte weg von Spanten, selbständig sein. Das sind nordische Menschen. –


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