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Johannes Kepler

Johannes Kepler.

J. Keplers Leben und Wirken vom Freiherrn v. Breitschwert (Stuttgart 1831). Vergl. Geheime Geschichten und Räthselhafte Menschen etc. von F. Bülau (Leipzig 1854, V.) und das Vorwort der Folio-Ausgabe der »Briefe« Keplers (Leipz. 1718). Joh. Kepler, 4 Bücher in 3 Theilen von Reitlinger, unter Mitwirkung von Neumann und Gruner (in Kommission von Grüninger in Stuttgart – 1868).


Kopernikus hatte durch seine kühne Hypothese von der Achsendrehung der Erde den Acker zubereitet, in welchen Kepler das fruchtbare Saamenkorn pflanzte – der wissenschaftlichen Astronomie, die durch ihn erst Leben und Gestalt empfing. Kepler ist eine unverwelkliche Zierde deutscher Wissenschaft, aber nicht blos als Mathematiker und Astronom, sondern (was noch mehr sagen will) auch als Mensch eine Zierde deutscher Nation.

Er stammte aus dem edeln Geschlechte derer von Kappel, die später ihren Namen in Kepler veränderten. Sein Großvater, Sebald Kepler, war Bürgermeister der freien Reichsstadt Weil in Schwaben, die jetzt, ein unbedeutendes Landstädtchen, zum würtembergischen Oberamt Leonberg gehört. Dessen Sohn Heinrich heirathete Katharine Guldermann, die reiche Wirthstochter aus Ellingen bei Leonberg, und zog vier Jahre nach seiner Verheirathung mit ihr nach Leonberg, wo er die Landwirthschaft trieb. Johannes aber wurde zu Weil der Stadt, am 27. Dezember 1571 geboren; er kam wie Newton als ein sehr kleines und schwächliches Kind auf die Welt. Es war damals eine wilde unruhige Zeit. Dem Vater, der seiner ritterlichen Ahnen gedenken mochte, wollte das stille Leben im beschränkten Kreise nicht zusagen; das Kriegshandwerk dünkte ihm angenehmer als der Ackerbau, und so ließ er sich von spanischen Werbern für Alba's Heer anwerben, obschon er Protestant war (1572). Bald folgte ihm die gleichfalls abenteuerlustige Frau als Marketenderin; den kleinen Johannes brachte sie zu den Großeltern nach Weil. Die Mutterliebe trieb sie aber bald zurück; sie fand ihr Kind an den bösartigen Blattern erkrankt und in Gefahr, das Augenlicht und die entzündete rechte Hand zu verlieren. Der Vater kehrte ohne Ruhm und Geld (1575) aus dem Kriege zurück, verlor dann noch obendrein durch unvorsichtige Bürgschaft einen Theil seines Vermögens, zog in's Badische, um eine Schenkwirthschaft zu übernehmen, und als es damit auch nicht gehen wollte, ließ er sich von den Oesterreichern anwerben und fand im Türkenkriege sein Ende.

An regelmäßigen Schulunterricht war bei so unruhigem Leben der Eltern nicht zu denken, zumal da die Familie sich bald vermehrt hatte. Johannes mußte öfters das Vieh hüten und sonst bei ländlichen Arbeiten helfen. Der Großvater hatte übrigens mit großer Freude die Lust zum Lernen und den offenen Kopf seines Enkels bemerkt, und hielt ihn für das Studium geeignet. Wegen der Schwächlichkeit des Knaben mußte der Vater darauf verzichten, ihn zum Soldaten zu machen, und so war es diesem ganz recht, als ihm der Großvater eine Freistelle in der Klosterschule zu Adelberg und dann zu Maulbronn verschaffte. Hier lernte der kleine Student so eifrig, daß er schon in seinem 17. Jahre das theologische Stift zu Tübingen beziehen konnte – in demselben Jahre, wo sein Vater nach Oesterreich ging, und er erhielt schon 1591 den Magistergrad.

Mit dem Entschluß, ein tüchtiger protestantischer Prediger zu werden, begann Kepler sein theologisches Studium; aber er merkte bald, daß seinem Gemüthe jene Formeln und Spitzfindigkeiten der damaligen protestantischen Theologen nicht zusagen konnten. Desto eifriger schloß er sich an den Mathematiker Michael Mästlin an, der auf einer Reise nach Italien den berühmten Galileo Galilei persönlich kennen gelernt hatte und mit ihm in ununterbrochener Korrespondenz stand. Er mußte auf dem Stifte freilich das Ptolemäische System (in welchem die Erde still stand) vortragen, that dies aber so, daß alle Mängel desselben an's Licht traten und das Kopernikanische Weltsystem als das allein richtige erkannt wurde. Der junge Kepler gerieth in große Verlegenheit; zu den mathematischen Studien fühlte er sich ganz und gar hingezogen und doch sollten diese nur eine Nebenbeschäftigung für das theologische Studium bilden. Der Geist der Liebe und Demuth, der erlösenden Kraft im Leben und Sterben des Heilandes rührte sein Herz nicht minder stark, und er wäre gern Theologe geblieben, wenn die Zeloten mit ihrer vermeintlichen Rechtgläubigkeit ihm nicht die Gottesgelahrtheit verleidet hätten. In einem lateinischen Gedichte, sowie in einem Aufsatze, den er kühn der theologischen Fakultät vorlegte, schüttete er sein Herz aus zur größten Unzufriedenheit seiner theologischen Lehrer, die ihn für unfähig erklärten zum geistlichen Beruf.

Da traf es sich, daß die steierischen Stände sich an Herzog Ludwig von Würtemberg mit der Bitte wandten, ihnen einen tüchtigen Lehrer der Mathematik und Moral für das neu eingerichtete Gymnasium zu Graz zuzuweisen; das geistliche Ministerium empfahl Kepler, und dieser mußte Gehorsam leisten, obwohl er sich keineswegs die erforderlichen Talente für das neue Lehramt zutrauete.

Bekanntlich war damals in den österreichischen Erblanden der Protestantismus weit verbreitet, und namentlich von dem österreichischen Adel mit einem Eifer gepflegt, der dann im dreißigjährigen Kriege jenen gewaltigen Rückschlag erfuhr unter Ferdinand II., dem Sohne des Erzherzogs Karl, dem Begründer der steiermärkischen Linie, unter dessen Regierung jetzt Kepler berufen ward.

Im Jahre 1593 siedelte er nach Graz über, wo er als eines seiner ersten Amtsgeschäfte den steierischen Kalender für das nächste Jahr ausfertigen und darin den Lauf der Witterung und der Welthändel zugleich vorherverkündigen mußte. Da zeigte sich nun gleich Keplers überlegener Geist. Statt der alten julianischen Zeitrechnung führte er die vom Papst Gregor eingeführte und richtigere neue ein, und trat damit einem protestantischen Vorurtheil entgegen, das in Schweden noch bis 1753 bestand. Von dem Aberglauben der Astrologie hatte er sich zwar noch nicht ganz befreiet, aber er führte diese vermeintliche Wissenschaft dem vernünftigen Denken zu. Die astrologischen Prophezeiungen benutzte er, um die Anschauungen und Bemerkungen seines hellen Geistes, seinen klaren Blick in die politischen und kirchlichen Verhältnisse, verbunden mit guten Winken und Rathschlägen, den Leuten in einer ihnen beliebten Form auszusprechen. Als er im Jahre 1609 dem jungen Wallenstein die Nativität stellte (d. h. aus der Stellung der Gestirne bei seiner Geburt die künftigen Schicksale voraussagte), sagte er offen: der junge Mann könne ein Rädelsführer von Malcontenten werden, mit seiner Obrigkeit in Streit kommen etc., setzte aber auch hinzu, »seine Natur gilt mir mehr, als sein Stern«, und wenn er erst aus dem »Saturnus im Aufgange« allerlei schlimme und bedenkliche Eigenschaften ableitete, machte dann doch der »darauf folgende Jupiter« wieder Hoffnung, »es würden sich die meisten Untugenden abwetzen und seine ungewöhnliche Natur zu hohen wichtigen Stellen fähig werden.« Weiter sagte Kepler: »welcher Astrologus bloß eine Sache aus dem Himmel vorhersagen will und sich nicht gründet auf das Gemüth, der Seelen Vernunft, Kraft oder Leibesgestalt desjenigen Menschen, dem es begegnen soll, der geht auf keinem rechten Grunde, und so es eintrifft, ist es des Glückes Schuld.« Für die pythagoräische Lehre von der Harmonie der Sphären hegte er jedoch große Vorliebe, und er suchte die Astrologie auf die Harmonie des Himmels zurückzuführen, in welcher keine Kraft vereinzelt wirkt, also auch das Leben des Menschen durch das ganze Weltall bedingt ist. »Je nachdemRo die Strahlen – so äußerte er sich hierüber – je nachdem die Strahlen der Gestirne bei der Geburt eines Menschen konfigurirt sind, fließt dem Neugeborenen das Leben in dieser oder jener Form zu. Ist die Konfiguration harmonisch, so entsteht eine schöne Form des Gemüths, und dieses bauet sich eine schöne Wohnung. Inzwischen werden Starke von Starken, Gute von Guten geboren. Die einzelnen Zufälle stehen unter der Macht Gottes und in der Gewalt des Schutzgeistes Wie Sokrates, glaubte auch Kepler fest an einen solchen Dämon und meinte von ihm wichtige Gedanken zugeflüstert zu erhalten. unter seiner Zulassung; ist das Gemüth übel zubereitet, so muß man trachten, es zu verbessern. Harmonie ist Vollkommenheit der Verhältnisse. Nur der Unendliche erkennt die Harmonie der Sphären in ihrem ganzen Umfange; der Erdball hat nur ein schwaches Nachgefühl. Dieses Nachgefühl belebt die Erdseele und macht den Menschen zum Denken und jeglichem Thun geschickter«

Sein erster Kalender erwarb ihm übrigens den Ruf eines sehr geschickten Astrologen, indem man darin die Bauernunruhen in Oesterreich und den strengen Winter von 1593-94 vorausgesagt fand. Immer mehr fesselte ihn das Studium der Astronomie, und schon 1595 erschien sein erstes wissenschaftliches astronomisches Werk, worin er die Uebereinstimmung der Raumverhältnisse der Planetenbahnen des Jupiter, Saturn, Mars, Merkur und der Venus mit den fünf regulären mathematischen Körpern Vierflach, Würfel, Achtflach, Zwölfflach und Zwanzigflach nachwies – ein Spiel des Scharfsinns, das aber eine Bestätigung des von den Theologen verabscheuten Kopernikanischen Systems enthielt, und diesem viele Freunde gewann. Der berühmte Astronom Tycho de Brahe erkannte alsbald das große Talent des jungen Gelehrten und lud ihn zu sich nach Kopenhagen ein, in der Hoffnung, an ihm einen Vertheidiger seines eigenen Systems zu gewinnen. Tycho de Brahe hatte einen Mittelweg zwischen dem alten und neuen Systeme versucht, indem er eine Bewegung der Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Sonne annahm, aber diese nicht wie Kopernikus in Ruhe ließ, sondern im Kreise um die Erde sich drehend darstellte. So hatte er wiederum die kleine Erde zum Mittelpunkt der großen Welt gemacht, und dazu konnte Kepler nicht stimmen. Da ihm aber sehr daran lag, bei Gelegenheit von Tycho's vortrefflichen Instrumenten Gebrauch machen zu können, so übernahm er die Vertheidigung desselben gegen den kaiserlichen Hofastronomen Reimarus Ursus, der sich für den eigentlichen Erfinder des Tycho-Brahe'schen Systems ausgegeben hatte. Auch Galilei schrieb beglückwünschend an Kepler und blieb mit ihm Zeitlebens in Briefwechsel. »Ich wünsche mir Glück – hieß es in dem Briefe Galilei's – in dir einen Gleichgesinnten in dem Erforschen des Wahren, einen Freund derselben Wahrheit gefunden zu haben, welcher auch ich anhange. Kopernikus hat sich einen unsterblichen Ruhm errungen, und doch wird er von Vielen verlästert, denn die Zahl der Unverständigen ist groß.«

Sein Leben in Graz gestaltete sich im Anfänge ganz günstig. Er war allgemein geachtet und beliebt und hatte zu den angesehensten Familien des steierischen Adels Zutritt. In dem Hause der reichbegüterten Müller von Mühleck, welche gleichfalls zu dem protestantischen Adel gehörten, lernte er die schöne Barbara, eine Tochter des Hauses kennen, die zwar schon zwei Mal verheirathet gewesen war, aber, nachdem sie den ersten Gatten bald nach der Hochzeit durch einen plötzlichen Todesfall verloren, vom zweiten freiwillig sich getrennt hatte, erst 23 Jahr zählte. Sie schenkte dem liebenswürdigen Gelehrten ihr Herz; doch wurde die Zustimmung der Eltern abhängig gemacht vom Nachweise der adeligen Abkunft Keplers, auf die er sich berufen hatte. Als nun Kepler nach Hause reiste, die nöthigen Dokumente zu holen, bot man Alles auf, ihm die Braut abtrünnig zu machen, indeß siegte bei seiner Rückkehr der Eindruck seiner Persönlichkeit und die eheliche Verbindung ward nach 1597 vollzogen. Die junge Frau brachte ihm eine Tochter aus früherer Ehe, aber auch eigenes und ihres Kindes Vermögen mit.

Bald darauf übernahm Erzherzog Ferdinand die Regierung, und nun hatte die Toleranz gegen die Protestanten ein Ende. Uebrigens waren die protestantischen Geistlichen nicht ohne Schuld, indem sie, wie Kepler am 9. Dezember 1598 schrieb, die Katholiken durch Schmähungen von der Kanzel reizten, sowie auch Kupferstiche zur Verspottung des Papstes verbreiteten. Kaum war der Erzherzog von seiner italienischen Reise zurückgekehrt, so erklärte er den Ständen, daß sie selber den Frieden gebrochen hätten, vernichtete den von seinem Vater ertheilten Freiheitsbrief, und befahl, daß alle protestantischen Lehrer binnen 14 Tagen das Land verlassen sollten. Auf den Rath ihrer Vorgesetzten gingen sie einstweilen bloß bis an die kroatische und ungarische Grenze, und hier wurde zu Gunsten Keplers eine Ausnahme gemacht, da sich außer den Verwandten seiner Frau auch katholische Gelehrte bei Hofe für ihn verwandten, und sein harmloses, friedliches und duldsames Wesen bekannt war. Vielleicht hoffte man auch, ihn zum Uebertritt in die katholische Kirche zu bewegen. Er ward nach Graz zurückberufen; aber der Unterricht am Gymnasio hatte aufgehört, und um so peinlicher war es ihm, seinen Gehalt zu beziehen »mehr aus Mitleid, als für einen zu erwartenden Nutzen.« Er wollte sich wieder nach Würtemberg wenden, aber seine Frau, wegen ihrer Güter und einer zu hoffenden Erbschaft, drang in ihn, noch in Graz zu bleiben. Im Jahre 1599 schrieb Kepler ernstlich an Mästlin in Tübingen: »zwar könne er sich bei seiner Ueberzeugung keine größere Pein denken, als wenn er an den Streitigkeiten der Theologen Theil nehmen müßte, und darum suche er keinen Dienst der Kirche: aber für eine Stelle in der philosophischen Fakultät glaube er doch nicht unwürdig zu sein.« Doch der akademische Senat wollte von einem Manne, der die Bewegung der Erde lehrte, nichts wissen, und Mästlin gab gar keine Antwort.

Kepler fand Trost in seiner Wissenschaft. Er übergab dem Erzherzog einen Aufsatz über die im Jahre 1600 zu erwartende Sonnenfinsterniß, beobachtete die Brechung der Lichtstrahlen, wie sie im Glas und Wasser vor sich geht, und suchte die verschiedenen Brechungswinkel zu bestimmen. Dieß führte ihn weiter zur Lösung der Aufgabe, die astronomische Strahlenbrechung für jeden Grad der Höhe zu finden – ein höchst schwieriges Problem, dessen Lösung ihm freilich noch nicht gelingen konnte, da er die Dichtigkeit der Luft auf allen Punkten der Atmosphäre als gleich annahm. Aber er arbeitete späteren Forschern vor. Und die Beobachtungen, welche der große Mann über das Auge und die Funktion des Sehens anstellte, erwiesen sich so richtig und lichtvoll, daß er damit die Forschungen aller seiner Vorgänger überflügelte. Man hatte bis dahin angenommen, daß von jedem Punkte eines erleuchteten Gegenstandes nur ein einzelner Strahl das Auge treffe; Kepler hingegen lehrte, daß von jedem hellen Punkte ein Strahlenkegel auf das erleuchtete Auge falle, der nach seiner Brechung in der Krystalllinse wieder in einem Punkte auf der Netzhaut sich vereinige. Geschähe dieß nicht (wegen zu großer Entfernung oder zu großer Nähe), so könne man auch den Gegenstand nicht deutlich sehen. Von diesem richtigen Grundsatz ausgehend fand er denn auch die wahre Ursache, warum Weitsichtige durch konkave (hohle) und Kurzsichtige durch konvexe Gläser in einer gewissen Entfernung die Gegenstände nicht deutlich zu erkennen vermögen. Während Galilei stets eine konkave Okularlinse mit einer konvexen Objektslinse verband, setzte Kepler Fernröhre aus zwei konvexen Linsen zusammen, ward also der Urheber derjenigen Verbindung von Gläsern, welche man heutzutage bei astronomischen Fernröhren noch anwendet. Für die Herstellung solcher Fernröhre fand er leider keinen Künstler in Deutschland. Seine Beobachtungen über die Brechung des Lichtes legte er in seiner Dioptrica, dem ersten Lehrbuche dieser Art, nieder.

Je mehr Gesetze er im Wirken der Naturkräfte fand, desto gewisser ward ihm der Gesetzgeber. In seiner Schrift: De causis obliquitatis in Zodiaco sprach er in begeisterter Rede von der Weisheit des Schöpfers. »In der Schöpfung – sagt er, und das war die Weihe seines ganzen Strebens – greife ich Gott gleichsam mit Händen.«

In seinem milden Sinne, der ihm alles Hadern um theologische Spitzfindigkeiten zur Pein machte, war er aber keineswegs gleichgültig gegen die Lage seiner Glaubensgenossen und die gemeinsame Ueberzeugung. Hatte er doch auf die Zumuthung, zum katholischen Glauben überzutreten, ganz bestimmt also gegen Herwart von Hohenburg, einen Freund der Jesuiten, sich geäußert: »Ich bin ein Christ; ich habe das Augsburgische Glaubensbekenntniß aus elterlichem Unterricht wie aus oftmals wiederholter genauer Prüfung geschöpft; ich hange ihm an, heucheln habe ich nicht gelernt; Glaubenssachen behandele ich mit Ernst, nicht wie ein Spiel.« Darum wagte er es im Vertrauen zu Gott, und schrieb einen Trostbrief an die Protestanten, der zur Geduld und Ausdauer ermahnte, äußerte sich auch gegen seinen katholischen Freund Herwart von Hohenburg unverholen, daß er fest dem Augsburgischen Glaubensbekenntnisse treu bleiben werde. Da ward ihm der Befehl, er solle innerhalb 45 Tagen die Güter seiner Gemahlin entweder verkaufen oder verpachten und das Land verlassen. Er entschied sich für die Verpachtung, die aber schlecht genug rentirte, wandte sich abermals mit einem Bittgesuche nach Würtemberg und abermals vergeblich. Doch Tycho de Brahe, der am Hofe Kaiser Rudolphs II. eine Anstellung gefunden hatte, lud ihn nun nach Prag ein, zur Unterstützung bei der begonnenen Arbeit einer Verbesserung der von Kopernikus entworfenen astronomischen Tafeln. Dieser Vorschlag war Keplern sehr willkommen; er verpflichtete sich zur Beihülfe durch zwei Jahre, wofern der Kaiser ihm beim Erzherzog den Fortbezug seines Gehalts und eine Zulage von 100 Gulden zusicherte. Dies geschah, und Kepler, seine Familie einstweilen in Linz zurücklassend, reiste ab. Kaum in Prag angekommen, überfiel ihn ein Wechselfieber, und noch ehe er davon sich erholt hatte, sagte man ihm, daß die kaiserliche Verwendung ohne Wirkung geblieben sei. In Tycho fand er einen hochfahrenden und unverträglichen Mann, und doch mußte er sich ihm auf Gnade oder Ungnade ergeben. Seine Gattin, die ihm nachgereist war, erkrankte gleichfalls, und in solcher Noth mußte sich Kepler jeden Thaler von Tycho erbetteln. Er verlor aber nicht die Geduld, denn er betrachtete kein Opfer zu gering, das für die Erforschung der Wahrheit dargebracht wird, und für seine astronomischen Studien war ja seine Stellung der günstigste Platz: Tycho hatte durch viele Jahre hindurch mit größter Sorgfalt eine Reihe von Beobachtungen gemacht und genau verzeichnet, und Kepler verstand es, wie kein Anderer, solche Beobachtungen zu kombiniren und die rechten Schlüsse daraus zu gewinnen. Er schrieb u. A an Mästlin: »Tycho ist ein Mann, mit dem man nicht leben kann, ohne sich beständig auf die gröbsten Beleidigungen gefaßt zu machen. Jede Beobachtung auf der kaiserlichen Sternwarte ist eine Widerlegung des Tychonischen Systems und eine Bestätigung des Kopernikanischen. Tycho kann eben so wenig seinen Aerger als ich meine Freude darüber verbergen.«

Tycho starb nach schmerzhaftem Leiden schon 1601 (24. Okt.) und der Kaiser ernannte sofort Kepler zu dessen Nachfolger, wobei der bescheidene Mann statt der 3000 Gulden, welche seinem Vorgänger als Jahresgehalt ausgesetzt gewesen waren, die Hälfte beanspruchte. Leider war Kaiser Rudolph II. wohl den Astrologen und Goldmachern sehr gewogen, aber er selber brachte es nie zum Goldmachen und es fehlte ihm stets an Gold. Kepler erhielt auch seine 1500 Gulden nicht, und mußte froh sein, wenn er durch langes Mahnen eine Abschlagszahlung erwirkte. Im Jahre 1612 beliefen sich die Rückstände bereits auf 4000 Thaler, und um nur Brod für die Familie zu schaffen, mußte er sich zum Kalendermachen und astrologischen Wahrsagen bequemen, das wenigstens prompt bezahlt wurde. Doch für die Disharmonie auf der Erde entschädigte ihn die »Harmonie des Himmels«, in welche er immer bedeutendere, überraschendere Blicke that. Schon 1601 hatte er einen neuen Fixstern im Sternbilde des Schwans entdeckt, den er bis 1620 beobachtete. Allmählig fügte er zu den 777 Fixsternen, welche Tycho beobachtet hatte, noch 280. Als er die Beobachtungen Tycho's über den Lauf des Planeten Mars verglich und auf dieser Grundlage weiter forschte, kam er zu der hochwichtigen Entdeckung, welche die erste Kepler'sche Regel genannt wird,

daß die Planeten sich nicht kreisförmig, sondern in elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen, welche im Brennpunkte der Ellipse steht.

In seiner klassischen Schrift »die neue Astronomie« Astronomia nova seu physica coelestis, tradita commentariis de motibus stellae Martis 1609., die er dem Kaiser widmete, spricht er sich in der Dedikation auf liebenswürdig humoristische Art aus, welche zugleich die Freude seines Herzens und seine eigenthümliche Lage offenbart: »Tycho de Brahe, der vortreffliche Heerführer Tycho de Brahe hat im 20jährigen Nachtwachen alle Kriegslisten jenes Gegners (des Mars) erforscht und aufgezeichnet hinterlassen, wodurch es mir gelang, mit Hülfe des Laufs der Mutter Erde ihn in seinen Krümmungen zu umgehen. – Nur muß ich bitten, den Zahlmeistern zu befehlen, daß sie die eigentliche Seele des Krieges nicht vergessen, daß sie mir Geld zum Anwerben von Soldaten verschaffen.«

Die »neue Astronomie« machte großes Aufsehen, aber keiner hat sich wohl so darüber gefreuet, wie Galilei, der alsbald darüber zu Pavia seine Vorlesungen hielt. An die erste Entdeckung schloß sich bald die zweite:

»daß sich die Planeten in der Sonnennähe schneller, in der Sonnenferne langsamer bewegen, als in ihrer mittleren Entfernung von der Sonne: daß aber demnach eine Linie von der Sonne nach einem Planeten gezogen (der radius vector) in gleicher Zeit immer gleiche Flächenräume der Bahn abschneidet.« (Die zweite Kepler'sche Regel.)

Die Hofastronomen mußten von Amtswegen dem Kaiser aus den Sternen auf die politischen Verhältnisse deuten, und Kepler hüllte in seine Prognostika manche wohlmeinende Warnung für den sorglosen Rudolph, dessen Herrschaft durch seinen Bruder Matthias immer mehr beschränkt wurde. Als im Jahre 1607 die Passauer Truppen, welche Rudolph hatte werben lassen, wegen rückständigen Soldes in Prag zu plündern begannen und in die Nähe von Keplers Wohnung kamen, erschrak seine schon länger in Schwermuth verfallene Gattin dergestalt, daß sie epileptische Zufälle bekam, aus denen sich völlige Geistesstörung entwickelte, bis 1611 der Tod sie von ihren Leiden erlöste. Sie hatte die Verhältnisse, in denen sie in Steiermark gelebt, nie vergessen können. In demselben Jahre verlor Kepler drei Kinder an den Blattern; seine Stieftochter ging wieder nach Steiermark und machte ihren Geschwistern die Erbschaft streitig. Im folgenden Jahre trat Kaiser Matthias die Regierung an; der bestätigte zwar Kepler in seinem Amte, aber sein Gehalt wurde noch unregelmäßiger bezahlt, als unter Rudolph. Die Gehülfen und Arbeiter, die zum Dienst der Sternwarte nöthig waren, blieben aus, und Kepler wandelte allein in den weiten Sälen umher. Da für die nächste Zeit vom Kaiser keine Unterstützung zu hoffen war, so folgte er mit dessen Bewilligung einem Rufe nach Linz als Professor am Gymnasium. Nach seinem ersten Kirchenbesuche legte ihm der Hauptpastor der dortigen lutherischen Gemeinde, ein geborener Würtemberger, die Konkordienformel zur Unterschrift vor, und da Kepler in Betreff der Verfluchung der Reformirten wegen ihrer abweichenden Auslegung der Einsetzungsworte eine Verwahrung beifügen wollte, schloß er ihn von dem heiligen Abendmahle aus. Im Jahre 1613, wo er dem Kaiser auf den Regensburger Reichstag gefolgt war, um den Gregorianischen Kalender durchzusetzen, traten ihm auch die lutherischen Orthodoxen entgegen. So mußte Kepler auch von der Geistlichkeit viel leiden. Seine zweite Gattin, die er diesmal nicht aus vornehmem Stande gewählt hatte Susanne Reitlinger aus Effertingen in Oberösterreich, die Tochter eines Tischlers, aber im Hause der Freifrau von Starhemberg trefflich erzogen., stand ihm allein auf seiner dornigen Lebensbahn treu und liebevoll zur Seite. Um das Maß seiner bitteren Lebenserfahrungen voll zu machen, entspann sich von 1615-21 noch ein Prozeß gegen seine Mutter, die der Hexerei beschuldigt wurde, und nur mit größter Mühe gelang es ihm, die Beklagte von der angedroheten Tortur zu retten.

Die Art, wie er sich hierbei benahm, macht seinem Charakter alle Ehre; sie zeigt uns seine kindliche Liebe wie seine Mannhaftigkeit und Entschiedenheit in wohlthuendster Weise.

Allerdings war seine Mutter nicht ohne Schuld daran, daß ein Gerede unter den Leonbergern entstand, sie sei eine Hexe und daß mit dem Schein des Rechts allerlei Zeugen zusammengebracht werden konnten, auf deren Aussagen hin man eine gerichtliche Klage wider die Frau formuliren konnte. So war sie eines Tages auf den Gottesacker gegangen und hatte den Todtengräber ersucht, ihr den Schädel ihres Vaters auszugraben, – sie wollte ihn in Silber fassen lassen und ihrem Sohne Johannes ein Geschenk damit machen. Der Todtengräber war mit Recht über ein solches Ansinnen betroffen und erschrak noch mehr, als die Frau ihm sagte, daß es bei gewissen Völkern Sitte sei, die Schädel zu Trinkgeschirren zu benutzen, und auch der von ihr gewünschte solle dazu dienen.

Schon dieser eine Zug verräth uns einen Hang zum Wunderbaren, der sich auch auf andere Art offenbarte, nämlich in der Sucht, durch allerlei Heilmittel in die Kunst des Arztes hineinzupfuschen. Sie gab u. a. einer Frau, die den Rothlauf am Fuße hatte, eine Salbe, welche das Uebel verschlimmerte und zuletzt unheilbar machte. Dem Schulmeister des Ortes, der als Hausfreund bei ihr aus- und einging, hatte sie schon manchen Labetrunk gereicht. Eines Tages bekam er aber nach einem solchen Kopfweh und Erbrechen und der im Aberglauben der Zeit befangene Mann erklärte, die Keplerin habe ihn verhext. Diese hatte ferner die Unvorsichtigkeit begangen, den Leonberger Vogt, Namens Einhorn, zu reizen, indem sie über ihn spöttisch bemerkte, daß mit Geschenken Alles bei ihm zu erreichen sei.

Der Vogt rächte sich, indem er die erste Gelegenheit benutzte, der Katharina Kepler einen Hexenprozeß an den Hals zu werfen. Sobald ihre Tochter Margaretha, die Frau Pfarrerin Sie war an den Pfarrer Binder in Heumaden verheirathet., das vernahm, schrieb sie die Schreckensnachricht ihrem Bruder Johannes. Er hatte seine Mutter vor zwanzig Jahren als eine im Städtchen geachtete Frau verlassen und hing an ihr noch immer mit warmer Liebe. Entrüstet über solch ein ruchloses Beginnen gegen seine 70jährige Mutter, verfaßte er sogleich einen Drohbrief an den Leonberger Magistrat, worin er erklärte, er werde die Hülfe seines kaiserlichen Herrn anrufen, sich Urlaub nehmen und Leib und Leben daran setzen, die Sache seiner unschuldig angeklagten Mutter zu verfechten. Sie selber lud er ein, nach Linz zu kommen.

Eben war er mit der Abfassung eines Schreibens an den in solchen Sachen vorurtheilsfreien Vicekanzler Faber in Stuttgart beschäftigt, als seine Mutter bei ihm eintrat. Sie erzählte, wie man sie in Leonberg behandelt. Jedes Wort gab dem Sohne einen Stich in's Herz. Er schrieb zu dem Briefe an den Vicekanzler noch einen zweiten an den Herzog Johann Friedrich von Würtemberg, worin er flehentlich bat, seine gute Mutter vor Schimpf und Spott zu retten.

Diese Schreiben und der Respekt vor dem kaiserlichen Astronomen hielten den Leonberger Vogt etwas in Zaum; er zog den Prozeß in die Länge.

Unterdessen hatte (1618) jener unheilvolle Krieg begonnen, den wir unter dem Namen des dreißigjährigen kennen, und hatte der bigotte Jesuitenfreund Ferdinand II. (im März 1619) den kaiserlichen Thron bestiegen. Das war den Feinden der Katharina ein willkommener Zeitpunkt, sie dem Malefizgerichte zu übergeben und als Hexe einkerkern zu lassen. Nun folgte rasch Verhör auf Verhör. Die arme alte Frau betheuerte ihre Unschuld, ohne ihre Richter anderes Sinnes zu machen.

Ihr Sohn mochte nicht mehr in Linz bleiben; er brachte seine Familie nach Regensburg und trat die 70 Meilen lange Reise nach Würtemberg an. Bevor er anlangte, hatte man die Angeklagte auf den Wunsch ihrer Angehörigen dem Vogt Aulber in Güglingen übergeben, der sie aber ebenso hart behandelte, wie der Leonberger. Als der Sohn anlangte, brachte er es wenigstens dahin, daß die arme angekettete Frau in die Stube ihres Gefangenwärters ziehen durfte. Nun trat der berühmte Astronom vor die Richter und hielt ihnen eine so eindringliche Rede, daß sie einwilligten, die Beklagte solle zur Erkennung der Wahrheit peinlich befragt werden.

Zu diesem peinlichen Verhör ward der 28. Sept. 1621 festgesetzt. Man führte die alte Frau in die Marterkammer, wo ihr der Henker alle Marterwerkzeuge vor die Augen hielt und dann der Vogt sie ermahnte, sie solle endlich die Wahrheit sagen. Da raffte sie ihre letzte Kraft zusammen und betheuerte, daß sie keine Unholdin sei, nichts mit der Hexerei zu thun habe und über sich selbst nicht unwahres Zeugniß geben könne. »Gott, dem ich Alles anheimstelle,« sprach sie, »wird die Wahrheit nach meinem Tode an's Licht bringen.« Darauf fiel sie auf ihre Kniee nieder, bat Gott, er möge ein Zeichen thun, wenn sie eine Hexe sei und betete dann das Vaterunser.

Sie hatte sich von dem auf ihr ruhenden Verdacht gereinigt und ward nun in Freiheit gesetzt. Sie überlebte ihre Freisprechung kaum ein halbes Jahr; am 13. April 1622 erlöste der Tod die Dulderin von allem Drangsal.

Auch der deutsch-patriotischen Gesinnung Keplers wollen wir gedenken. Sein Ruhm war auch nach Italien gedrungen und er erhielt 1617 einen Ruf nach Bologna; doch trotz der bedrängten Lage, in der er sich befand, lehnte er denselben ab. »Ich bin«, äußerte er sich in einem Briefe an einen Freund, »von ganzer Seele Deutscher und so sehr an deutsche Sitten und deutsches Leben gewöhnt, daß ich, selbst wenn der Kaiser mir meine Entlassung nicht vorenthielte, doch mit schwerem Herzen nach Italien gehen würde. In Deutschland durfte ich von der frühesten Jugend an meine Gedanken freimüthig äußern; wenn ich das Nämliche in Italien thun wollte, so würde ich mir, wenn nicht Gefahren, so doch Verweise zuziehen und sehr bald verdächtig werden.« Ohne Grund waren diese Befürchtungen nicht, denn bald sollten die Verfolgungen gegen seinen großen Zeitgenossen Galilei, mit dem er seit 1597 korrespondirte, und der dasselbe System (des Kopernikus) verteidigte, beginnen.

In einer so gedrückten Lage, daß er um's Brod schreiben mußte, hatte also der edle Kepler doch seine Aussichten auf Ehre und Glück im Auslande der Liebe zum Vaterlande geopfert; er hoffte, daß der Ruf nach Italien den kaiserlichen Hof bestimmen würde, seinen Verpflichtungen gegen ihn nachzukommen. Diese Hoffnung erwies sich aber als ein Trugbild.

Im Jahre 1620 hatte er die Belagerung der Stadt Linz zu bestehen, und inmitten dieser Bedrängniß erhielt er durch den englischen Gesandten zu Venedig, Sir Henry Wotton, einen Ruf nach England an den Hof König Jakobs I. Dennoch lehnte er ab. »Soll ich – schrieb er an seinen treuesten Freund Bernegger in Straßburg – »über das Meer hinüber gehen, wohin mich Wotton einladet? Ich, ein Deutscher, ein Freund des Festlandes? dem vor der engen Insel bange ist, der ihre Gefahren ahnet? Ich mit meinem schwachen Weibe und einem Haufen Kinder?«

Trotz allen Störungen und Bedrängnissen hatte er zu Linz die reifsten und erhabensten Werke verfaßt. So entdeckte er im Jahre 1618, dem verhängnißvollen, sein drittes und letztes Gesetz:

»daß bei der Planetenbewegung die Quadrate der Umlaufszeiten sich verhalten wie die Würfel der großen Achsen der Planetenbahnen«,

und im folgenden Jahre gab er seine harmoniae mundi (Weltharmonieen) heraus. Es war schon längst ein Lieblingsgedanke von ihm gewesen, die Ideen der Pythagoräer von den Zahlen und musikalischen Intervallen auf die Astronomie anzuwenden, aber lange hatte das Verworrene sich ihm nicht zur Einheit gestalten wollen. Nun rief er begeistert aus: »Seit drei Monaten habe ich den ersten Lichtstrahl erblickt; seit acht Wochen habe ich den Tag gesehen; seit einigen Tagen endlich schaue ich die Sonne in ihrem vollen Glanze. Ich gebe mich ganz meiner Begeisterung hin und trete den Sterblichen kühn mit dem freimüthigen Geständnisse entgegen, daß ich die goldenen Gefäße der Aegypter entwendet habe, um fern von den Grenzen Aegyptens meinem Gotte davon eine Hütte zu bauen. Will man mir verzeihen, so wird es mir Freude machen; tadelt man mich, so werde ich es zu tragen wissen; kurz, ich schreibe mein Buch, mag es von der Mit- oder Nachwelt gelesen werden, mich kümmert dies wenig, es kann auf seinen Leser warten; hat Gott nicht auch 6000 Jahre auf einen verständigen Beobachter seiner Werke gewartet?«

Ferner erschien im Zeitraume von 1618-22 der »Inbegriff der Kopernikanischen Lehre« in 4 Bänden, worin er lehrte, daß alle Fixsterne Sonnen seien, jede wie unsere Sonne mit einer Planetenwelt umgeben, daß aber unser Sonnensystem wahrscheinlich in einer näheren Beziehung zu der Milchstraße stehe. Endlich erschienen im Jahre 1627 die »Rudolphinischen Tafeln«, ein Riesenwerk, an dem er 26 Jahre lang gearbeitet hatte; auf dem Titel unterließ er nicht, des Kaisers Rudolph II. als des Mäcens, wie des Tycho de Brahe als des ersten Urhebers zu gedenken. Mit Hülfe dieser Tabellen konnte nun die Stellung eines jeden Planeten zu jeder Zeit bestimmt werden.

Wie nahe der große Forscher bereits dem Newton'schen Gesetz der Schwere gekommen war, mögen folgende Sätze darthun.

Jede körperliche Substanz, insofern sie körperlich ist, würde überall in Ruhe bleiben, wenn sie sich ganz allein befände, d. h. außerhalb der Wirkungssphäre eines anderen Körpers.

Die Schwere ist eine den Körpern zukommende Eigenschaft; sie besteht gegenseitig zwischen zwei gleichartigen Körpern, und veranlaßt sie, sich zu vereinigen; doch zieht die Erde einen Stein viel stärker an, als der Stein die Erde.

Hörte die Erde auf, ihre Gewässer an sich zu ziehen, so würde sogleich das ganze Meer aufsteigen und sich mit dem Monde vereinigen. Da sich nun die anziehende Kraft des Mondes bis zur Erde erstreckt, so muß sich um so mehr die anziehende Kraft der Erde bis zum Monde und darüber hinaus erstrecken. So kommt es, daß Nichts, was ähnlicher Natur wie die Erde ist, sich dem Einflusse dieser Kraft entziehen kann.

Die bewegende Kraft der Planeten hat ihren Sitz in der Sonne und nimmt an Stärke ab mit der wachsenden Entfernung von diesem Gestirn.

Es bedurfte nur Eines Schrittes weiter, um die Schwere als weltbewegende Kraft zu erkennen.

Der streng katholische Kaiser Ferdinand II. war unfähig, Keplers Größe zu würdigen, ja er war nicht einmal geneigt, den standhaften Protestanten in seinem Lande und Dienste zu behalten, und die kaiserliche Hofkammer, um sich der Besoldung und lästigen Rückstände zu entledigen, verwies Kepler an Wallenstein, den neuen Herzog von Mecklenburg, der ja ein großer Freund der Astrologie sei. Kepler reiste auch mit Vertrauen nach Sagan, wo ihm Wallenstein eine leidliche Wohnung anwies, damit er die nächste Zusammenkunft des Jupiter und Saturn berechnen möchte. Mit der Astrologie wollte Kepler nichts zu schaffen haben, und bewirkte deßhalb die Anstellung des Seni; die Konjunktionen des Jupiter und Saturn berechnete er aber gern und mit Fleiß. Wallenstein empfahl nun den tüchtigen Astronomen dem akademischen Senat zu Rostock für den Lehrstuhl der Mathematik. Kepler, welcher dem Wallenstein'schen Glück nicht recht trauete, erklärte dem Herzog furchtlos, er werde diesem Rufe nicht eher folgen, bis der Herzog die kaiserliche Genehmigung ausgewirkt haben würde. Da von seinem früheren Gehalte noch 12,000 Gulden rückständig waren, entschloß er sich, im Jahre 1630 nach Regensburg zu reisen, um dort vor Kaiser und Reich seine Forderungen geltend zu machen. Sein Freund Bernegger hatte ihn nach Straßburg eingeladen, dem schrieb er am Tage vor seiner Abreise: »Ich nehme das Anerbieten deiner Gastfreundschaft mit innigem Danke an. Gott schütze euch, er erbarme sich meines armen Vaterlandes! Bei der jetzigen Ungewißheit aller Dinge darf man keine Aussicht auf ein Unterkommen von sich weisen. Ich kann nicht wissen, ob meine Schwester bei dem gegenwärtigen Drucke, der auf Würtemberg lastet, von dem, was sie als einen Theil meines Vermögens in Händen hat, meinem Sohn (der in Tübingen studirte) etwas schicken kann. Sei du abermals Vater, doch kein allzu nachsichtiger. In diesem Augenblicke bin ich auf einer Reise nach Regensburg und Linz. Bete mit mir inbrünstig für die Kirche und für mich.«

Die neuntägige, in rauher Witterung zu Pferde gemachte Reise griff den ohnedies schon durch so viel Lebenswirren erschöpften Mann sehr an; die Kälte, mit der man ihn in Regensburg empfing, und die Vereitelung seiner Hoffnungen knickten sein bis dahin so starkes Gemüth. Er erkrankte und starb im Hause des Handelsmanns Hillibrand Pylli, am 15. November 1630. Er ward auf dem St. Peterskirchhofe beerdigt und erhielt die von ihm selbst verfaßte Grabschrift:

Mensus eram coelos, nunc terrae metior umbras;
Mens coelestis erat, corporis umbra jacet
.

(Lang' hat der himmlische Sinn die himmlischen Räume gemessen,
Schatten der Erde durchmißt nun der irdische Leib.)

Die Grabstätte ward bei der Erstürmung von Regensburg durch Herzog Bernhard von Weimar, im November 1632, von den einstürzenden Außenwerken der Festung verschüttet, und konnte nur mit Mühe wieder aufgefunden werden, als Karl von Dalberg, Fürstbischof von Regensburg, 1808 ein würdiges Denkmal errichten ließ, bestehend in einem dorischen Tempel und einer von Knoll und Dannecker gearbeiteten Büste. Auf dem Fußgestell sieht man in halberhabener Arbeit den Genius Keplers, wie er den Schleier lüftet, der die Urania verhüllt. Die Göttin reicht ihm das astronomische Fernrohr, das er vervollkommnete; in der andern Hand hält sie eine Rolle, worauf die Ellipse des Mars verzeichnet steht. Das Denkmal befindet sich in dem botanischen Garten, 70 Schritte von der letzten Ruhestätte Keplers entfernt.

Gegenwärtig ist seine Vaterstadt Weil im Begriff, ihrem berühmtesten Sohne ein Denkmal zu setzen, zu welchem der Kaiser von Oesterreich, der König von Preußen, die oberösterreichischen Landstände auch einen Beitrag gegeben haben. Unter den Städten, welche am meisten zum Denkmal beigetragen haben, steht Pforzheim in erster Reihe; dann folgen Regensburg, Nürnberg und Frankfurt a. M.

Keplers nachgelassene Schriften mögen wohl 20 Foliobände umfassen, aber sie sind noch keineswegs vollständig herausgegeben. Die russische Kaiserin Katharina kaufte die Manuskripte und schenkte sie der Akademie zu Petersburg.

Wir schließen das Bild des großen Mannes mit dem Epigramm von Kästner:

So hoch ist noch kein Sterblicher gestiegen,
Wie Kepler stieg, und starb in Hungersnot.
Er wußte nur die Geister zu vergnügen,
Drum ließen ihn die Leiber ohne Brod.


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