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William Pitt

William Pitt.

History of the political life of the Right Hon. William Pitt etc. by Gifford (6 Bde. London 1809). Fox und Pitt von Prof. Hasse im I. Heft der Zeitgenossen. Vergl. Brougham, Staatsmänner zur Zeit Georgs III. 1841.


William Pitt, zum Unterschiede von seinem Vater auch wohl »der jüngere« genannt, war der Erbe der geistigen und politischen Größe Chatam Pitts, seines Vaters. Für mittelmäßig oder gering begabte Kinder ist es gewöhnlich von Nachtheil, wenn sie große berühmte Väter haben, da die Wechselwirkung zwischen den Geistern erschwert und durch den Gegensatz die Kleinheit des Einen durch die Erhabenheit des Andern noch mehr herabgedrückt wird. William, der zweite Sohn des Grafen Chatam Pitt, gehörte aber zu den Glücklichen, deren reiche Anlagen von Haus aus die beste Nahrung und Entwickelung empfangen. Er ward am 28. Mai 1759 auf dem Landsitz seines Vaters, zu Hayes in der Grafschaft Kent geboren, zur Zeit, wo der Ruhm Chatams den höchsten Punkt erreicht hatte. Bis in sein vierzehntes Jahr ward William im elterlichen Hause erzogen. Seine klassischen Studien wurden trefflich von Dr. Wilson geleitet, der später Kanonikus zu Windsor wurde. Da er der Liebling des Vaters war, dem die vortrefflichen Anlagen seines jüngeren Sohnes bald bekannt wurden, beschäftigte sich der große Staatsmann oft und gern mit ihm. Oft sagte Graf Chatam: Mein Sohn Wilhelm wird den Ruhm des Namens Pitt noch erhöhen. Solches Lob und solches Vertrauen fiel auf keinen unfruchtbaren Boden. Der Vater unterrichtete oft selber, am liebsten durch Gespräche; er ermunterte auch den Knaben, am Gespräche der Erwachsenen Theil zu nehmen. Dabei hielt er streng darauf, daß der Gegenstand der Unterhaltung erschöpft wurde; oberflächliches Hingleiten über die Sache oder unbegründetes Aburtheilen ward nicht geduldet. Dem geistvollen Staatsmann schien ein folgerichtiges Denken, das vor dem Ergebniß sich nicht scheuet und festen Schrittes vorwärts dringt, eine Hauptrücksicht in der Bildung der Jugend; darum mußte auch die Sprache stets klar, bestimmt und lichtvoll sein, so daß keine Zweideutigkeit oder Unklarheit mehr im Rest blieb. Zuweilen mußte sich auch wohl der kleine Pitt auf einen Tisch oder Stuhl stellen, um von diesem erhöhten Standpunkte aus Reden zu halten und mit seinem Vater zu disputiren. Hierdurch ward er früh an eine gewisse Dreistigkeit und jene Sicherheit und Gewandtheit gewöhnt, wodurch die englischen Parlamentsredner sich auszeichnen.

In seinem 15ten Jahre konnte der junge Pitt schon die Universität Cambridge beziehen, wo er unter der Führung des Dr. Prettyman, nachherigen Bischofs von Lincoln, klassische, mathematische und juristische Studien machte, und durch seinen Ernst und anhaltenden Fleiß sich die Achtung der gelehrten Körperschaft erwarb. Mit gleichstrebenden Jünglingen trieb er fleißig Uebungen im Disputiren, indem man aus dem Stegreif über eine Streitfrage eine Rede halten mußte. Im Studium der Geschichte und Verfassung der Staaten des Alterthums lernte er das politische Leben des eigenen Vaterlandes verstehen und würdigen. Es war für England die kritische Zeit des Krieges mit seinen nordamerikanischen Kolonieen gekommen, und William hatte Gelegenheit, die großen parlamentarischen Debatten, besonders aber die echt liberale Politik seines Vaters im Stillen zu verfolgen. Man hatte den kühnen Parlamentsredner, um ihn von seiner einflußreichen Stellung im Unterhause zu entfernen, zum Pair erhoben mit dem Titel eines Grafen von Chatam, aber auch im Oberhause zeigte der edle Mann denselben Freimuth in Vertheidigung der Rechte des Volks. Als das Ministerium seine Gewaltmaßregeln gegen die Nordamerikaner beschlossen hatte, sprach er: »Mylords, ihr habt kein Recht über den Beutel, viel weniger über das Leben eures amerikanischen Mitbürgers. Nehmen die Amerikaner ihre Zuflucht zu den Waffen, so werdet ihr die ersten, vielleicht die einzigen sein, die darunter leiden. Ich bin ein alter Mann und in öffentlichen Geschäften grau geworden; mein Rath kommt aus Erfahrung, vielleicht ist er etwas werth. Ruft eure Truppen von dem abscheulichen Geschäft des Mordens zurück. Seid Amerika's Freunde; euer eigenes Interesse, ja eure eigene Sicherheit verlangt es!« Graf Chatam fand kein Gehör; erst 1776, als der amerikanische Krieg anfing Besorgniß zu erregen, suchte ihn das Ministerium zum Eintritt in die Verwaltung zu bewegen. Pitt aber wollte mit einem Lord North und seinem Anhange nichts zu thun haben, und erklärte, sich lieber mit der Pest assoziiren zu wollen, die damals in Konstantinopel wüthete. Als die Gefahr größer wurde, erhob er sich noch einmal von seinem Krankenlager (er litt an der Gicht) und erschien, ganz in Flanell gewickelt, in der Parlamentssitzung vom 8. April 1778; sein Schwager Lord Mahon und sein Sohn William stützten ihn. Am Ende seiner feurigen Rede sank er ohnmächtig zusammen; man brachte ihn auf sein Landgut Hayes, wo er am 11. Mai 1778 starb.

William war damals noch nicht zwanzig Jahr alt. Nachdem er eine Erholungsreise nach Frankreich unternommen, trat er 1780 in London als Sachwalter auf, fühlte jedoch bald, daß der Schauplatz seiner Thätigkeit im Parlamente und nicht im Gerichtshofe sein müsse. Durch den Einfluß des Herzogs von Rutland gelang es ihm schon 1781 (in seinem 22sten Jahre) einen Sitz im Unterhause zu erlangen. Gleich sein erstes Auftreten war glänzend; das Haus hörte mit gespannter Aufmerksamkeit dem jungen Redner zu, der mit schönem und würdevollem Ausdruck ebenso lichtvoll als verständig sprach und sich für die Meinung der Oppositionspartei erklärte, ohne zu dieser Partei zu gehören. Wie sein großer Vater war auch Pitt gegen den amerikanischen Krieg.

Als das neue Ministerium an's Ruder kam, boten ihm Rockinghain, Fox und Shelburne die Stelle eines Vizeschatzmeisters von Irland an; Pitt schlug die Stelle aus, weil er voraussah, daß das Ministerium sich bald ändern würde. Nach vier Monaten starb Rockingham, das Ministerium wurde neu gebildet, Lord Shelburne erster Lord, Fox, Burke u. A. traten aus. Jetzt nahm Pitt (10. Juli 1782) die Stelle eines Kanzlers der Schatzkammer an, und der 23jährige junge Mann benahm sich auf seinem Ministerposten mit dem Ernst und der Entschiedenheit eines gereiften Charakters, ohne andere Rücksicht, als die ihm die Pflicht und das Wohl des Vaterlandes gebot. Die Lage Englands und die Stimme des Volks verlangte gebieterisch den Frieden mit Amerika und Frankreich. In der vom König gehaltenen Rede bei der Eröffnung des Parlaments ward die friedliche Gesinnung bekannt gemacht und zugleich der Entschluß, die Finanzen zu verbessern. Gleichwohl widersetzte sich ein alter, oft bewunderter Redner, Mr. Burke, in einer meisterhaften Rede der Dankadresse; allein seiner Schlußfolge fehlte Grund und Bündigkeit, und Pitt widerlegte ihn mit männlicher Festigkeit und überlegener Klarheit. Sein ruhiger Ton, der eine tiefe Kraft der Ueberzeugung offenbarte, und die Bündigkeit seiner Darstellung machten auf das Haus den besten Eindruck; er sprach nach Giffords Ausdruck wie ein Mann, der ein gutes Gewissen hat ( mens conscia recti).

Am 20. Januar 1783 ward der Friede mit Frankreich unterzeichnet. Lord North griff, wie zu erwarten war, das Ministerium wegen der den Amerikanern zugestandenen Unabhängigkeit an; daß auch Fox dieß that, mußte bei den sonstigen philanthropischen und liberalen Grundsätzen dieses Mannes überraschen. Pitt nannte seine Verbindung mit North unnatürlich, »eine politische Abtrünnigkeit, welche nicht bloß einen jungen Mann, wie er sei, in Erstaunen setze, sondern selbst die ältesten Beobachter des menschlichen Herzens überrasche.« Um die Opposition zu verstärken, hatten sich – wie das in konstitutionellen Staaten zu geschehen pflegt – Männer der verschiedensten Richtung verbunden, aus dem überwiegenden Grunde, das Ministerium zu stürzen. Pitt sprach, ganz im antiken Sinne, treffliche Worte über die wahre, politische Freundschaft; als die Verhandlungen stürmischer wurden, ließ auch er sich von der Leidenschaft fortreißen und seine Empfindlichkeit brach in große Hitze aus. Da ward er ausgelacht; man nannte ihn den »hitzigen Knaben« ( angry boy), und dieß war eine treffliche Lehre für den Steuermann, der berufen war, das englische Staatsschiff im Sturm- und Wogendrang der französischen Revolution durch Klippen und Brandung zu lenken.

Die Opposition siegte mit einer Mehrheit von 17 Stimmen, das Ministerium trat zurück, und Lord North, Fox, Burke traten auf's Neue die Regierung an. Pitt suchte seinen Verdruß durch eine Reise zu zerstreuen, die er nach Deutschland und Italien unternahm; er kehrte jedoch noch im selben Jahre zurück. North und Fox hatten nicht umhin gekonnt, im September mit Amerika Frieden zu schließen und dessen Unabhängigkeit anzuerkennen. Bald darauf legte Fox dem Parlament die India-Bill vor; er wollte, da die ostindische Kompagnie schlecht gewirthschaftet hatte, dieser ganz die Regierung Ostindiens entziehen und ihre Rechte dem Staate übergeben. Dieß war ein kühner Eingriff in die Rechte der englischen Handelsaristokratie; man wußte im Könige die Furcht rege zu machen, daß die Maßregel bloß die Macht der Minister vermehren würde; Pitt sprach im Unterhause lebhaft dagegen, aber hier ging sie durch, doch im Oberhause ward sie verworfen, und als nun die Minister das Haus der Gemeinen zu dem konstitutionswidrigen Beschlusse zu bewegen suchten: »es sollte hinfort kein Pair dem Könige ungefragt Rath ertheilen,« erhob sich abermals Pitt, die gefährlichen Folgen eines solchen Beschlusses scharf hervorzuheben, so daß die ministerielle Vorlage auch im Unterhause durchfiel. Nun mußten die Minister ihre Entlassung abermals einreichen, und Pitt gelangte noch am Ende des Jahres 1783 als erster Lord der Schatzkammer und Kanzler der Finanzverwaltung an die Spitze der Regierung.

Pitts Stellung war schwierig, und nur einem staatsmännischen Genie, wie er es besaß, war es möglich, sich zu halten. Er hatte eine große Opposition im Unterhause, die größten Redner gegen sich; einen Fox mit der erschütternden Kraft des Wortes und der bestechenden Gewalt großer Ideen; einen Burke und Sheridan, in allen parlamentarischen Kämpfen erfahren, einen North mit aller Bitterkeit eines unerschöpflichen Tadels gerüstet. Indeß konnte Pitt auf die Mehrheit des Oberhauses, auf die Gunst des Königs und das Vertrauen der Nation rechnen, welche erkannt hatte, daß der Minister den Muth und den Willen habe, die Rechte des Engländers zu schützen. Alle Kapitalisten und Kaufleute waren seine Freunde.

Da das Unterhaus in seiner Opposition gegen das Ministerium beharrte und soweit ging, die Befugniß des Königs, sein Parlament während der öffentlichen Sitzungen, wenn wichtige Fragen noch nicht erledigt seien, aufzuheben, entspann sich ein heftiger Kampf, der von Seiten der Opposition mit maaßloser Leidenschaft geführt wurde. Als Pitt mit seiner India-Bill hervortrat, welche die Handelsfreiheit der Kompagnie schonte, letztere aber der Staatsoberaufsicht unterwarf, griff Fox die Bill mit solcher Heftigkeit an, daß er durch eine Mehrheit von 8 Stimmen den Sieg davon trug (1784, 23. Jan.). Nun wandte er sich drohend gegen den Minister: »wie er es noch wagen wolle, auf seinem Posten zu verharren, da er das Vertrauen des Volkes verloren. Durch geheimen Einfluß und mancherlei Ränke habe er sich seine Stelle erschlichen. Ob er denn nun noch länger eine Puppe der Privatgunst, ein konstitutionswidriger Minister der Krone sein wolle?« – Mit ruhiger Fassung antwortete Pitt: »je länger man ihn prüfe, desto mehr sehe er das Vertrauen des Hauses und des Volkes gegen sich zunehmen; er wisse nicht, worin er von der Konstitution abgewichen; der König habe ihn zum Minister ernannt, weil er das Recht dazu habe; das Bollwerk der Konstitution sei Freiheit im Handeln und Reden; das Parlament könne nicht das Recht anlasten, nach freien Ansichten sich und sein Verfahren zu bestimmen; er handle mit reinem vaterländischen Sinne; man solle gegen ihn Thatsachen, nicht bloße Beschuldigungen vorbringen; kein Geschrei werde ihn in seinem Entschlüsse, Minister zu bleiben, je wankend machen; gäbe er jetzt seine Stelle auf, so müßte er sie Männern einräumen, die kürzlich erst entlassen das Vertrauen des Königs und der Nation verloren hätten; doch sei er einer Vereinigung der Parteien nicht abgeneigt, nur müsse sie fest sein.«

Auf dieser Vereinigung bestand ein Theil des Unterhauses, vorzüglich vom Landadel, aber als Bedingung ward gestellt, Pitt müsse zuvor abtreten, und Fox stellte geradezu die Behauptung auf, das Unterhaus könne bei Ernennung der Minister ein Veto einlegen. Zwar erklärte sich die Stimme des Volks immer lauter für das Ministerium, allein die Opposition wußte es im Unterhause durchzusetzen, daß die Bewilligung der Gelder unterblieb. Da legte sich das Oberhaus in's Mittel und erklärte öffentlich, die »Gemeinen« handelten den Grundsätzen der englischen Konstitution zuwider. Nun gab das Unterhaus nach und entschloß sich zur Bewilligung. Jedoch wollte es sein Recht behaupten, die Entfernung der Minister zu fordern, auch ohne eine Thatsache ihnen zur Last zu legen, und richtete auf Foxens Betrieb deshalb eine Vorstellung an den König, um ihn zu warnen, »nicht durch eine Günstlingsregierung die Liebe des Volks zu verscherzen.« Auch dieser Schritt blieb fruchtlos, und die Berathungen in beiden Häusern wurden fortgesetzt bis zum 24. März, wo das Parlament sich vertagte. In der Thronrede erklärte der König, daß er es der Verfassung und dem Lande schuldig sei, sobald als möglich die Gesinnung des Volks zu vernehmen, weshalb er ein neues Parlament zusammenrufe, damit die Spaltung ein Ende nehme und die Staatsgeschäfte ungestörter betrieben werden können.

So ward denn nach dem merkwürdigsten Kampfe, der je über die wichtigsten Punkte der englischen Verfassung entbrannt war, das Parlament am 25. März aufgelöst, weil Pitt auf keine andere Weise die Mehrheit der Stimmen für die Regierung erlangen und die mächtige Whigpartei besiegen konnte. Das monarchische Prinzip in der Konstitution hatte über das demokratische den Sieg davon getragen – wenige Jahre vor dem Ausbruch der Revolution in Frankreich. Pitt hatte in der Krisis eine Festigkeit und eine Seelenstärke gezeigt, welche gerade unter den Briten die höchste Bewunderung für den jungen Helden erwecken mußte.

Die Berufung eines neuen Parlaments war eine Appellation an's Volk, und dies entschied durch seine Wahlen (fast ein Drittel der Oppositionsmänner ward nicht wieder gewählt) zu Gunsten des Ministers, der nun mit neuer Kraft seine Thätigkeit fortsetzte. Seine Hauptthätigkeit wandte Pitt auf die innere Verwaltung, namentlich der Finanzen, und auf die Vermehrung des britischen Nationalreichthums. Der Kredit war unter Norths Verwaltung während des amerikanischen Krieges sehr gesunken; Pitt stellte ihn wieder her und errichtete Fonds zur Verminderung der Nationalschuld. Zugleich schloß er 1786 den für Englands Fabriken so vortheilhaften Handelsvertrag zwischen Frankreich und Großbritannien, unbekümmert um das, was die Opposition von »natürlicher Feindschaft« beider Staaten redete. »Wenn der Krieg nöthig sei,« entgegnete er mit Recht, »werde gerade der Handel die Mittel bereiten, ihn mit Nachdruck zu führen.« Pitts gründliche Kenntniß der nationalökonomischen und finanziellen Fragen mußte selbst von der Opposition anerkannt werden.

Im Jahr 1787, ehe der französische Revolutionskrieg das Parlament beschäftigte, kam noch der Antrag zur Sprache, die Korporations- und Testakte aufzuheben, damit auch die sogenannten »Dissenters«, oder die von der herrschenden Staatskirche abweichenden Bekenntnisse freien Zutritt zu Staatsämtern bekämen. Pitt wollte der Gewissensfreiheit durchaus keine Schranken setzen, aber er sagte, Gewissensfreiheit und Zulassung zu öffentlichen Aemtern sind zwei verschiedene Dinge, und jeder protestantische Staat hat das Recht, den politischen Einfluß der kirchlichen Sekten festzustellen. England war durch den Protestantismus groß geworden, die Verfassung war aus dem protestantischen Geiste hervorgegangen. Immerhin blieb es aber ein schreiendes Unrecht, wenn in Irland wenige englische Gutsherren Millionen hungernder Katholiken aussogen; so wie das Verhältnis Irlands (und Schottlands) zu England war, konnte es nicht bleiben. Aber es muß auch in Anschlag gebracht werden, daß die katholischen Priester in Irland das Volk, anstatt es zu bilden und dem betriebsamen Engländer zu nähern, lieber aufhetzten, und es in seiner Rohheit und Unwissenheit ließen.

Es mochte vielleicht jener Egoismus und die kluge Berechnung welche der englischen Politik eigen ist, obwalten, als man die ersten Regungen der französischen Revolution ruhig sich abwickeln ließ; nur um Holland, auf welches die Franzosen ein Auge geworfen hatten, war man besorgt und schloß am 25. April im Haag mit dieser Macht, und am 13. August zu Berlin mit Preußen eine Konvention, worin der gegenwärtige Besitzstand gewährleistet wurde.

Ein heftiger Parteienkampf entbrannte aber im englischen Parlament, als im November 1788 der König (Georg III.) von einer Krankheit des Gehirns ergriffen wurde, die ihn zur Regierung unfähig machte. Fox trug nun darauf an, daß dem (zur Whigpartei sich neigenden) Thronerben die volle Ausübung der königlichen Gewalt zu übertragen sei. Doch Pitt widersprach und entwickelte aus den Grundzügen der Konstitution, daß der Prinz von Wales kein Recht auf die Regentschaft habe, vielmehr das Parlament darüber zu verfügen habe. Nun erhob sich die Opposition in leidenschaftlichen Reden, Burke sagte dem Premierminister geradezu, er strebe nach der Regentschaft. Pitt fuhr ruhig in seiner Darlegung fort, und sein Regentschaftsplan, welcher die Gewalt des Regenten einschränkt, ward von beiden Häusern angenommen und von ihm dem Prinzen vorgelegt. Da sich der Zustand des Königs (und dessen Ansehen im Falle einer Wiederherstellung zu sichern, war ja im Grunde der Kern des Entwurfs) besserte, so blieben die Dinge beim Alten, obschon Pitts Einfluß immer mehr wuchs.

Wir sind nun auf den Punkt gelangt, von welchem aus Pitts politischer Charakter zu beurtheilen ist. Wir haben gesehen, mit welcher Energie er den Parteien Stand hielt, aber auch mit welcher Zähigkeit er auf die »alleinseligmachende« Konstitution sich steifte und die Toriespartei auf alle Weise stützte, obwohl er einst den Whigs gehuldigt und liberalen Maßregeln das Wort geredet hatte. War er von dem Geiste des Vaters abtrünnig geworden; war der, welcher Wilberforce's Rede und Schrift zu Gunsten der Befreiung der Neger feurig unterstützt hatte, ein Anderer geworden? Mit nichten. Derselbe englische Vortheil, welcher gebot, den Krieg mit den nordamerikanischen Kolonieen zu vermeiden, konnte auch der humanen Bestrebung der Emanzipation der Neger Vorschub leisten, nachdem Amerika sich von England getrennt hatte. Philanthropische Grundsätze schiebt der Engländer gern vor, wenn sie seinen realen Zwecken dienen; es mochte dem edlen Fox bei aller Ueberschwenglichkeit Ernst sein mit seinen Bestrebungen für größere Volksfreiheit aber er war insofern mehr Deutscher, Franzose, mehr Mensch als Engländer. Pitt war durch und durch Engländer.

Als nun die französische Revolution sich immer größer entfaltete, und der Weltbürger Fox die aufgehende Sonne politischer Freiheit des Volkes jubelnd begrüßte und dem frohen Glauben sich hingab, dieses neue Licht der Volksfreiheit werde bald alle Länder Europa's erleuchten: da stellte sich Pitt abermals auf den engherzig britischen Standpunkt, der von Frankreich nichts wissen wollte, der einem Talleyrand wie einem Spion mißtraute, der das neue Evangelium der Demokratie für eine politische Irrlehre, die zum Verderben der Nationen führte, erklärte.

Die französischen Revolutionsmänner hatten stark auf die Unterstützung Englands gerechnet, dessen freie Verfassung sie stets als Muster gepriesen; sie ergriffen jede Gelegenheit, ihre englischen Sympathien kund zu geben, die von den Freiheitsmännern in England selber mit großem Enthusiasmus erwidert wurden. Volksgesellschaften oder Whigklubs entstanden aller Orten, in London bildete sich eine eigene Revolutions-Sozietät, welche die Vorgänge in Paris durch Reden und Trinksprüche verherrlichte und sogar eine eigene Deputation zur pariser Nationalversammlung sandte, die höchst ehrenvoll aufgenommen wurde. Das Bundesfest am 14. Juli 1790 wurde auch in London durch ein großes Gastmahl gefeiert, und Lord Stanhope brachte einen Toast aus auf ein Bündniß zwischen Frankreich und Großbritannien zur Stiftung eines ewigen Friedens. Ganz besonders ergossen sich die beiden großen Oppositionsredner Fox und Sheridan in begeistertes Lob der Revolution. Um so mehr überraschte es, als bald darauf Burke, der früher die Freiheit der Nordamerikaner so warm vertheidigt hatte, im Parlament feierlichst erklärte, diese neufranzösische Freiheit sei vom Uebel, und er sage sich von ihren Anhängern, seinen ehemaligen Freunden, auf immer los. Pitt äußerte sich bei dieser Gelegenheit würdevoll, ohne Ausfälle auf Frankreich; doch drückte er Burke seinen Dank aus für das der britischen Konstitution gespendete Lob. Dieser schrieb seine »Betrachtungen über die französische Revolution«, worin er allen Zorn und alle Bitterkeit auf die Bewunderer der Franzosen ausschüttete, und ein Extrem durch das andere zu beseitigen meinte. Seine Schrift fand bei den Engländern eine glänzende Aufnahme; dennoch durfte sich kein Unbefangener verhehlen, daß manches Mittelalterliche, Verrottete und Verfaulte in der aristokratischen Verfassung fortbestand, wodurch die Wahlen verfälscht, dem Parteitreiben aller Vorschub geleistet, die Stimme des Geld- und Machtlosen zum Schweigen gebracht wurde. Sollte aber in dem Augenblicke, wo die Franzosen alles Bestehende über den Haufen stürzten, und dem historischen Recht kühn das Vernunftrecht entgegenstellten, die Grundveste der englischen Verfassung, die durch und durch eine aristokratische ist, erschüttert werden? Pitt, in seinem glühenden Hasse gegen die französische Umwälzung und ihre Träger, verkannte das Berechtigte in der großen Bewegung, aber er handelte im Geiste des englischen Volks, wenn er am Hergebrachten fest hielt. Er irrte, indem er das Gleichgewicht Europa's durch englisches Geld und durch Verbindungen der Kabinete herstellen wollte, die mit Soldheeren und abgelebten Einrichtungen gegen die überströmende Volkskraft der Neufranken kämpfen sollten. Aber man muß den Mann bewundern, der, wenn eine Koalition auf dem Festlande gescheitert war, eine zweite herstellte, und nachdem diese unterlegen, eine dritte in's Leben rief; der, unbeirrt von den Finanzwirren im eigenen Lande, diese schnell löste, die Zahlkraft des Volks bis in's Aeußerste steigerte, selbst bis zur Härte die armen Unterthanen drückte, um Alles, was gegen Napoleon Krieg führte, mit Geld und Subsidien zu unterstützen; der dieselbe Energie, Klugheit und Ausdauer wie Napoleon, wenn auch auf andere Weise, entfaltete, und der vielleicht der einzige Charakter war, vor welchem Napoleon sich fürchtete.

Das war nicht zu loben, daß die englische Regierung gar nichts that, um den unglücklichen König Ludwig XVI. zu retten; erst dann, als die Nachricht von der schmählichen Hinrichtung des Königs nach London kam, rührte man sich, und Pitt sah die Nothwendigkeit ein, sein System eines thatenlosen Drohkrieges, wie er es bisher gegen Spanien und Rußland durchgeführt hatte, zu verlassen. Pitt erklärte in einer gründlichen Rede, daß, wenn Frankreich in die Schranken der Mäßigung zurückkehren wollte, England nichts lieber wolle als Frieden; beharre es aber in seiner Feindschaft gegen alles Monarchische und in seinen Vergrößerungsplänen, so müsse England auf seine Sicherheit denken. Nunmehr erklärte Frankreich am 1. Februar 1793 an den König von Großbritannien den Krieg, und Pitt sprach geradezu es aus, daß mit den französischen Jakobinern nie und nimmer an Frieden zu denken sei. Diesem Grundsatz ist er bis zum Ende seines Lebens treu geblieben. Er ließ es sich wenig kümmern, als der Konvent ihn »für den Feind des Menschengeschlechts« erklärte. Um den demokratischen Ideen im Lande selber die Verbreitung unmöglich zu machen, griff Pitt zu Gewaltmitteln: er setzte die Fremdenbill durch, wodurch zeitweilig die Gastfreundschaft Englands in Bezug auf Flüchtlinge aufgehoben wurde; selbst das Palladium der englischen Freiheit, die »Habeaskorpusakte«, wodurch jeder Engländer vor willkührlicher Verhaftung geschützt ist, wurde gleichfalls zeitweilig außer Wirksamkeit gesetzt, die Presse in ihrer Freiheit beschränkt, das Gesetz gegen aufrührerische Umtriebe geschärft, das stehende Heer vermehrt. Die Schuldenlast wuchs in schreckhafter Weise, am Ende des Jahres 1795 belief sie sich schon auf 322 Millionen Pfund Sterling. Im Jahre 1797 stellte die Bank ihre Zahlungen ein; auf den Flotten entbrannte ein höchst gefährlicher Aufruhr. Pitt ließ sich durch nichts irre machen, das Parlament mußte die zeitweilige Zahlungseinstellung für gesetzlich erklären, so daß die Banknoten gleich klingender Münze galten. Der Aufstand der Seeleute auf den Flotten von Portsmouth, Plymouth und in der Nore wurde theils durch Solderhöhung und Bestrafung der Schuldigen, theils durch Isolirung der aufständischen Schiffe beigelegt. Die Zusammenrottungen des Volkes in London konnten Pitt auch nicht von seinem Wege abbringen. Als ihn einst der Pöbel auf der Straße mit harten Schimpfreden verfolgte, wandte er sich, sobald er die Hausthür erreicht hatte, um, verbeugte sich und sagte ruhig: »Es ist wahr, das Volk muß ungeheure Lasten tragen.«

Frankreich suchte England mit einer Landung zu schrecken; es hatte am katholischen Irland einen gefährlichen Bundesgenossen, aber der Plan mißlang. Der Aufstand in Irland ward mit blutiger Strenge unterdrückt; durch ein kolossales Bestechungssystem und glänzende Vorspiegelungen suchte man das aufgeregte Volk an England zu ketten; im Jahr 1799 erhielten die Irländer mit den Schottländern das Recht zur Beschickung des englischen Parlaments. Die Opposition widersetzte sich auch dieser Vereinigung, doch Pitt setzte sie durch, und erfüllte das Wort Bacons: »England, Schottland und Irland zu Einem Staate verbunden, werden ein Kleeblatt sein, wie es kein König in seiner Krone trägt.« Irland blieb freilich fort und fort die schwache Seite des Staats Großbritannien, aber es war mit der Einverleibung dieser Insel in die gemeinsame Verfassung doch viel gewonnen.

Die erste Koalition gegen Frankreich, vornehmlich gebildet durch Preußen, Oesterreich und das deutsche Reich, war gescheitert; das Schreckensregiment hatte in Frankreich die Armeen aus der Erde gestampft, und die Revolutionsgenerale hatten mit todesverachtender Kühnheit gekämpft und gesiegt. Das linke Rheinufer ging verloren, Pichegru eroberte Holland; Preußen schloß den unheilvollen Baseler Separatfrieden (1795). Aber zur See waren die Engländer desto glücklicher gewesen; sie schlugen überall die französischen und spanischen Flotten, eroberten die Kolonieen in Ost- und Westindien, und da Holland sich mit Frankreich verbunden hatte, ging der ganze Erwerb dieser einst so blühenden See- und Handelsmacht auf England über.

Die zweite Koalition, geschlossen von Oesterreich und Rußland, brachte Anfangs die Franzosen sehr in's Gedränge, sie verloren ganz Italien bis auf Genua, und Nelson vernichtete bei Abukir die französische Seemacht. Bonaparte, der bis St. Jean d'Acre in Syrien vorgedrungen war, kehrte nach Frankreich zurück und sein Genie gab allerdings dem Gange der Dinge eine andere Wendung, doch wünschte er mit England den Frieden. Nach dem Staatsstreich vom 18. Brumaire (9. November 1799) schrieb er an den König von England; Pitt rieth, daß ihm gar nicht geantwortet wurde. Er gedachte, Frankreich total abzusperren und auszuhungern, da die englischen Flotten auf allen Meeren geboten; aber eben diese zu furchtbarer Höhe gestiegene englische Seemacht drückte gleich sehr den Freund und Feind und lähmte den Handel der Neutralen. In England selber entstand Getreidetheuerung, das Volk, müde der immer mehr wachsenden Lasten, die es tragen mußte, und der Opfer, die es bringen sollte, murrte, und da Pitt nach seinen Grundsätzen keinen Frieden schließen konnte und wollte, legte er am 14. März 1801 sein Ministerium nieder, worauf Addington das Ruder übernahm und mit Frankreich den Frieden von Amiens schloß. Zwar klagten Grey und Francis Burdeff den freiwillig abgetretenen Minister wegen seiner Verwaltung, die das Unglück von ganz Europa verschuldet habe, an, und namentlich ward seine Finanzverwaltung angegriffen, aber das Haus beschloß mit einer Majorität von 211 Stimmen gegen 52, Pitt den Dank der Nation auszusprechen. Sir Robert Peel, ein reicher unabhängiger Kaufmann, obwohl nicht zur Pitt'schen Partei gehörig, sprach mit edlem Feuer für den großen Minister. »Seine Uneigennützigkeit,« äußerte er sich u. A., »ist ebenso offenkundig, als seine Einsicht; er ist der Wohlthäter unsers Vaterlandes gewesen, er hat keines Mitbürgers Interesse vernachlässigt, außer sein eigenes.« Achtzehn Jahre lang – ein seltener Fall in konstitutionellen Staaten – hatte er seinen hohen Posten behauptet und den Angriffen der Opposition männlichen Widerstand geleistet.

Wie sehr ein starker Charakter vonnöthen sei in schwierigen Zeitläuften, merkte man bald genug an der Führung des Lord Addington. Die Riesenpläne Napoleons, der seinen tiefen Haß gegen England nicht verbergen konnte und sich immer noch mit Gedanken einer Landung trug, ließen das englische Volk nicht zur zuwartenden Unthätigkeit herabsinken; als ein neuer Bruch mit Frankreich unvermeidlich schien, ward Pitt abermals (12. Mai 1804) mit dem Beifall der Nation an die Spitze der Staatsverwaltung gestellt. Als man im Jahr 1803 in England allgemein von Seiten Frankreichs einen Ueberfall befürchtete und Alles zu den Waffen eilte, hatte Pitt selber eine kleine Freischaar eingeübt, und mit Fox, der nun von manchen früheren enthusiastischen Ideen zurückgekommen war, sich ausgesöhnt. Er wünschte jetzt seinen großen Nebenbuhler und Gegner mit in's Ministerium zu nehmen, aber dem widersetzte sich der König, welcher es Foxen nicht verzeihen konnte, daß er einst einen Toast »auf die Souveränetät des Volkes von England« ausgebracht hatte.

Pitt ordnete nun mit seiner unermüdlichen Kraft die Rüstungen im größten Maßstabe an und brachte die dritte Koalition (Oesterreich, Rußland, Schweden, Neapel – Preußen in unseliger Verblendung isolirte sich) zusammen. Nelson hatte zwar bei Trafalgar den glänzendsten Sieg errungen (den er mit seinem Leben erkaufte), aber Oesterreich unterlag bald den sieggewohnten französischen Waffen, und die große »Dreikaiserschlacht« bei Austerlitz gab der Hoffnung der britischen Patrioten, den allgewaltigen Napoleon niederzuwerfen, den Todesstoß. Der für Oesterreich so unglückliche preßburger Friede beugte den an der Gicht schwer erkrankten Staatsmann vollends nieder; die jahrelangen Sorgen und Kämpfe, die er hatte durchmachen müssen, hatten seine physische und moralische Kraft erschöpft; er starb – man kann wohl sagen – gebrochenen Herzens, aber mit Ergebung in Gottes wunderbare Rathschlüsse; in den Armen seines früheren Mentors, des Bischofs Prettyman, hauchte er am 23. Januar 1806 seine große Seele aus.

Das Parlament bewilligte dem in Armuth gestorbenen Minister 40,000 Pfund zur Bezahlung seiner Schulden, und das Haus der Gemeinen beschloß, daß William Pitt auf öffentliche Kosten bestattet und ihm ein Denkmal in der Westminster-Abtey errichtet wurde. Auf einer Denkmünze, die sein Andenken ehren sollte, standen die Worte aus Shakespear: »Er war ein Mann, dessen Gleichen wir Alles in Allem genommen nicht wieder sehen werden.«

Pitt war unverheirathet; er lebte und webte in seinen politischen Arbeiten, und arbeitete bis tief in die Nacht. Von größeren Gesellschaften war er kein Freund, weßhalb er auch sein Aeußeres vernachlässigte. Die wenigen Stunden seiner Muße verlebte er gern mit seinen vertrauteren Freunden, und in ihrem Kreise konnte er sehr witzig und heiter sein. Sonst war ein ruhiger Ernst ein vorwiegender Charakterzug. Sein kühler Verstand ließ es schwer zum Ueberwallen des Gefühls kommen; eben dieser scharfe Verstand zerstörte aber auch unerbittlich alle Phantasiesprünge und bloß ideale Anschauungen in den Reden eines Fox und Anderer, die vielleicht für den Augenblick mehr blendeten, aber an der Praxis des Staatslebens nicht Stich hielten. Pitt war auch ein gründlicher Kenner der griechischen und römischen Literatur. Einst war in einer Gesellschaft gelehrter Männer von einer Verbesserung im Text des Theokrit die Rede, und es fand eine vorgeschlagene Veränderung wegen ihres Witzes allgemeinen Beifall. Pitt beschämte aber die gelehrten Sprachkenner durch die einfache Bemerkung, daß diese Variante gegen die Regeln der Metrik verstoße. Die Klarheit und der harmonische Fluß wohlgeordneter Gedanken zeichneten ganz vorzüglich seine Parlamentsreden aus; es war ein anziehender Gegensatz, den leidenschaftlichen Fox zu sehen, der mit seiner imponirenden Gestalt und wahren Stentorstimme das Haus erschütterte, und den langen hagern Pitt, der kalt und säst unbeweglich auf seinem Platze stehend die kühnen Angriffe zurückschlug, indem er, auf alle Bestechung der Phantasie verzichtend, nur auf die Ueberzeugung wirkte. Er war stets objektiv, nur die Sache im Auge behaltend. Es war verzeihlich, wenn bei dem fortwährenden Widerspruch der Opposition ihm doch zuweilen die gewohnte Ruhe zu behaupten schwer ward. Als während des irländischen Aufstandes von Pitt strengere Maßregeln für die Matrosenwerbung empfohlen wurden, widersetzte sich Tierney der Bill, obwohl er ihre Zweckmäßigkeit anerkannte. Pitt entgegnete: Wenn Sie die Ausführung einer Maßregel nicht wollen, von der Sie selbst sagen, daß sie dem Vaterlande heilsam sei, so hindern Sie die Verteidigung Englands. Diesen persönlichen Angriff wies Tierney mit der Aufforderung an den Sprecher des Hauses zurück, er sollte Pitt zur Ordnung rufen. Da dies nicht geschah und Pitt seine Aeußerung wiederholte, forderte Tierney den Minister auf einen Zweikampf. Zur bestimmten Zeit und am bestimmten Orte erschienen die Duellanten, um mit Pistolen ihren Streit auszufechten. Tierney hatte den ersten Schuß und fehlte; darauf schoß Pitt sein Pistol in die Luft ab, und die Sekundanten erklärten die gegebene Genugtuung für vollständig. Zum Aergerniß der kirchlich gesinnten Engländer war das Duell an einem Sonntage während des Gottesdienstes ausgefochten worden. Die Liebe zum Vaterlande, der Stolz auf die britische Ehre und Macht, war seine einzige Leidenschaft. »Diese Liebe für sein Vaterland« – urtheilt Bredow – »machte gewissermaßen sein Genie. Sie gab ihm Pläne ein, deren Umfang und Kühnheit man nicht ohne Bewunderung betrachten kann.«

Die Franzosen behaupten zwar, Pitt habe Napoleons Größe erst herbeigeführt, da er dem Kaiser gegenüber stets in seinen Plänen verunglückt sei; dies ist aber eine sehr oberflächliche Ansicht der Dinge. Denn Pitt stärkte in dem Riesenkampfe vor Allem die Kräfte Englands zur See, Frankreichs Seemacht wurde gänzlich aufgerieben, und die Gegenmaßregeln Napoleons, den englischen Handel zu lähmen, zeigten die Federkraft der Hülfsquellen Pitts erst im vollen Glanze. Pitt häufte allerdings die Schuldenlast seines Vaterlandes zum Ungeheuren, aber er gab der Nation auch jenen Schwung, der sie befähigte, immer größere Opfer zu bringen. Er führte gleich von vornherein die englische Nation wider die auflösenden Richtungen der französischen Revolution in den Kampf; Napoleon stieg nur darum so rasch, weil er auf dem Kontinent bloße Soldheere und schwankende Kabinetspolitik sich gegenüber fand. Die Ermannung und Erhebung des Volksgeistes konnte hier erst später erfolgen. Den Egoismus und die Härte der englischen Handelspolitik, die keine »moralischen« Rücksichten kennt und alle Mittel gebraucht, die zum Zwecke führen, dem englischen Minister zum Vorwurf machen, hieße ihm vorwerfen, Engländer zu sein. Wir Deutsche sind den andern Völkern gegenüber leider nur zu wenig egoistisch und zu sehr human, für welche Tugend wir oft genug Schläge bekommen haben und auch wohl noch bekommen werden. Daß es übrigens Pitt an einer edlen praktischen Humanität nicht mangelte, bewies er durch die Gründung einer Ackerbaukolonie zu Sidney-Cowe an den entlegenen Küsten Australiens (Neu-Südwales), wodurch er Verbrechern und sittlich Verwilderten Mittel bot, wieder Menschen und Bürger zu werden.

Das Denkmal, welches die englische Nation ihrem großen Staatsmann errichtet hat, steht in der Westminster-Abtei und wurde am 15. August 1815 feierlichst enthüllt. Die Statue ist von weißem Marmor mit dem Gewande des Lord Kanzlers der Schatzkammer bekleidet; sie streckt den rechten Arm aus, an den großen Redner im Unterhause erinnernd. Zur Seite steht die Muse der Geschichte, welche die Thaten Pitts in ein Buch schreibt. Am Fußgestell seiner Statue liest man die Inschrift: »Dieses Monument ist errichtet vom Parlament zu Ehren William Pitts, Sohnes von William Grafen von Chatam, zum Zeugnisse der Dankbarkeit für die großen Dienste, die er dem Staate geleistet, und des Schmerzes über den unersetzlichen Verlust dieses großen Ministers. Er starb 1806 im 47sten Jahre seines Alters.«

Im Jahre 1829 ließ auch die Stadt London Pitts Statue in Bronce, 12 Fuß hoch, von Chantrey anfertigen. William Pitt war nicht populär wie sein Vater Chatam; wie durch und durch national er aber gewesen, das ward erst nach seinem Tode recht offenbar.


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