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Ferdinand v. Schill

Ferdinand v. Schill.

Lebensbeschreibung Ferdinands v. Schill nach Originalpapieren von J. C. Haken (Leipzig 1824, 2 Bändchen). Vgl. Minerva 1826. 3. Bd. S. 419 und die Berichte der Augsb. Allgem. Zeitung von 1809.


Ferdinand v. Schill ward als der jüngste unter vier Brüdern im Jahr 1773 auf dem väterlichen Gute Sothof bei Rosenberg in Schlesien (nach Andern am 6. Januar 1776 auf dem Rittergute Wilmsdorf bei Dresden) geboren. Der Vater, aus einem ungarischen edeln Geschlechte abstammend, hatte in den beiden ersten schlesischen Kriegen unter Maria Theresia gedient, war dann, mit dem österreichischen Dienst unzufrieden, zu den Sachsen gegangen und hatte ein Freikorps geworben, mit dem er zu Anfang des siebenjährigen Krieges nicht unbedeutende Unternehmungen ausführte, und 15 Jahre später, kurz vor dem Ausbruch des bayrischen Erbfolgekrieges, folgte er einer dringenden Einladung des Prinzen Heinrich von Preußen und trat in preußische Dienste. Nach dem Tode Friedrichs des Großen nahm er seinen Abschied. Seitdem lebte er auf seinem Gütchen in Oberschlesien in ländlicher Zurückgezogenheit. Als aber im Jahre 1806 der Krieg gegen Napoleon ausbrach, erwachte in ihm wieder der alte Soldatengeist; er sammelte alle Förster und Jagdleute in seiner Gegend und ging damit um, ein Kriegskorps aus ihnen zu bilden, als Graf v. Hoym, der Statthalter der Provinz Schlesien, es für angemessen fand, ihm dies Unternehmen zu verbieten. Noch aber war der innere Kern des ungebeugten Greises so frisch, daß er, zwei Jahre später, dem ungestümen Drange seines Vaterherzens folgend, sich zur Reise nach Pommern aufmachte, um sich am Anblick seines tapfern Sohnes zu letzen, der nun Gelegenheit gefunden hatte, die Träume seiner Jugend zur Wirklichkeit werden zu lassen.

Was der junge Schill nicht müde ward zu hören, und was auch fort und fort die Lieblingsunterhaltung des Vaters bildete: das waren die Kriegsgeschichten und Abenteuer des kühnen Parteigängers, der, so verschiedenen Herren er auch gedient, sich immer brav gehalten und dem Namen »Schill« Ehre gemacht hatte. Ferdinand wünschte sich kein anderes Glück und kannte kein anderes Lebensziel, als das väterliche Waffenhandwerk, den Dienst der leichten Reiterei, den auch seine älteren Brüder gewählt hatten. Solcher Wunsch entsprach auch völlig den Absichten des Vaters, und so trat er, ein 16jähriger Jüngling, im Jahre 1789 in das nämliche Husarenregiment, in welchem jener zuvor gedient, als Standartenjunker ein. Als er dem Freunde seines Vaters, dem General Graf v. Kalkreuth vorgestellt ward, glaubte dieser in dem jungen Schill etwas echt Militärisches zu entdecken, das zu guten Hoffnungen berechtigte, und erbot sich, ihn in sein eigenes Dragonerregiment, das zu Pasewalk in Vorpommern stand, einzustellen und ein väterliches Auge auf ihn zu richten. Solch' ein Vorschlag wurde mit Freuden ausgenommen. Doch der Graf Kalkreuth sah seinen Schützling selten, und dieser zeichnete sich im Regiment auch so wenig aus, daß man ganz an seinen militärischen Anlagen zweifelte. Das Einerlei und Kleinliche des Garnisondienstes, das pedantische Exercitium ließ den jungen Schill völlig kalt und theilnahmlos, er war fast immer zerstreut und machte viele Fehler. In seinem Garnisonsort Garz an der Oder, wo er die längste Zeit verlebte, vegetirte er bloß; Niemand achtete auf ihn, und er selber lebte verschlossen, mit seinen Plänen und Gedanken allein beschäftigt.

Am unglücklichen 14. Oktober 1806 war Schill unter Denen, die, vom Herzoge von Braunschweig angeführt, die beklagenswerte Schlacht bei Auerstedt fochten. Unter dem Befehl des Hauptmanns v. Brockhausen ward er auf eine Feldwacht seitwärts am Eckartsberge entsandt, und traf erst mit dem Feinde zusammen, als der Verlust der Schlacht bereits entschieden und das Heer schon in völliger Auflösung begriffen war. Die Feldwache ward von der feindlichen Uebermacht geworfen, und Schill, von den Seinigen getrennt, sah sich von mehreren französischen Reitern in die Mitte genommen. Man forderte ihn auf, sich zu ergeben; allein der Tapfere, vom Jammer dieses Tages zur hohen Lebensverachtung getrieben, leistete fortdauernd eine verzweifelte Gegenwehr, wodurch er mehrere seiner Gegner verwundete, aber auch um so mehr ihre Erbitterung gegen sich reizte. Schnell würden die nach seinem Kopfe gezielten Hiebe schon hier seinem Leben ein Ziel gesetzt haben, wenn nicht ein glücklicher Umstand die Wucht der Streiche gebrochen hätte.

Das Regiment nämlich, in welchem Schill diente und das schon von Hohenfriedberg her, wo es Wunder der Tapferkeit verrichtet, einer hohen Auszeichnung genoß, war zum Leibregiment der Königin ernannt worden; und als es daher im Herbst 1805 auf seinem Marsche nach Thüringen durch Charlottenburg zog, ward sämmtlichen Offizieren desselben die Ehre, von der Königin Luise zur Tafel gezogen zu werden. Um auch ihrerseits hierbei in geziemendem Glanze zu erscheinen, hatten sie sämmtlich u A. sich aus Berlin neue Hüte schicken lassen, worunter für Schill einer traf, der um Vieles zu weit befunden wurde. Der Hut mußte stark wattirt werden und schützte nun am 14. Oktober 1806 Schills Haupt. Bald aber ward auch der Hut ihm vom Kopf gehauen, und unmittelbar darauf empfing er mehrere Kopfwunden, die ihm fast alle Besinnung raubten. Es war allem Anschein nach um ihn geschehen, als der nächste nach ihm gezielte Streich, von seinem Schädel niedergleitend, sein muthiges Pferd verletzte, welches nunmehr, da auch sein Reiter es nicht länger im Zügel zu halten vermochte, ihn durch einen gewaltigen Satz den Säbelklingen seiner Gegner entrückte und weit davon führte.

Ganz mit Blut bedeckt und fast leblos fanden ihn zwei Unteroffiziere seines Regiments, als er eben vom Pferde gesunken war, erkannten ihn und führten ihn auf der Flucht mit sich fort, nachdem sie mit ihren Schnupf- und Halstüchern nothdürftig seine Wunden verbunden hatten. Als man in Weißensee anlangte, war die Kraft des Verwundeten so erschöpft, daß man ihn aufgab. Doch der Chirurgus Fremming, der ihn kannte, versuchte alle seine Kunst, ihn zum Bewußtsein zurückzurufen, und seine Bemühung blieb nicht ohne Erfolg. Wie viel Anstrengung es auch galt, ihn weiter fortzubringen, da er das Fahren nicht ertragen und sich doch auch kaum auf dem Pferde halten konnte: so gelang es ihm doch, Nordhausen zu erreichen, wo er von einem Arzte gütig aufgenommen und auf's Beste verpflegt ward.

Längeres Weilen war gefährlich; die Flucht ging weiter nach Magdeburg. In den Straßen dieser Festung wimmelte es von Wagen, Pferden und Menschen; doch fand sich auch hier eine menschenfreundliche Seele, der Sprachlehrer Berr, ein geborener Franzose, der den todtbleichen Reitersmann in seine Wohnung aufnahm und im schönen Wetteifer mit seiner Gattin ihn pflegte und erquickte. Die guten Leute drangen in ihren Gast, er solle sich Ruhe gönnen und bei ihnen seine Genesung abwarten. Schill, der weniger an seinen Zustand als an das Schicksal seines Vaterlandes dachte, entgegnete seinem Wirthe: »Verschaffen Sie mir nur die Ueberzeugung, ob man Magdeburg zu halten gedenkt!« Sein Freund ging aus, kehrte aber mit der niederschlagenden Nachricht zurück, daß bereits von Uebergabe gesprochen werde. Von edlem Zorn entbrannt, raffte Schill seine letzte Kraft zusammen, um das Stück des auseinander bröckelnden Preußens zu suchen, das der Feind noch nicht sein nennen durfte. Er gönnte sich nicht Ruhe noch Rast; vom Wundfieber erschöpft, machte er endlich in Kolberg Halt und fand da gastliche Aufnahme im Hause des Senators Westphal.

Als er einigermaßen genesen um sich schaute und die Lage des Vaterlandes erwog, sagte ihm sein schnell treffender Blick, daß vom äußersten Punkte der Monarchie mit zusammengehaltener Kraft wohl mit Erfolg wider den Feind operirt werden könnte. Die Festung Kolberg befehligte zwar der feige altersschwache Kommandant Loucadou, aber die Bürger waren vom besten Geiste beseelt, der Hafen war als Landungspunkt für die Schiffe der verbündeten Seemächte wichtig, und die örtliche Lage begünstigte Unternehmungen, die man in die Flanke und den Rücken des gegen die Weichsel vordringenden Feindes leiten konnte. So beschloß Schill, lieber gleich hier, wo es Noch that und wo augenblicklich geholfen werden konnte, thatkräftig einzugreifen, als sich erst in der Ferne einen noch zweifelhaften Wirkungskreis zu suchen. Schon am siebenten Tage nach seiner Ankunft stellte er sich dem Obristen v. Loucadou vor, und trug ihm seine Dienste auf dem Wall an, wiewohl er, als Kavallerieoffizier, glauben dürfe, sich außerhalb der Festung durch Entsendungen von Streifkorps am nutzbarsten zu machen. Der Kommandant war in der glücklichen Laune, ihm diesen Wunsch zu gewähren, und bewilligte ihm vorläufig einen kleinen Trupp von sechs Mann. Mit diesen wollte Schill sogleich aufbrechen, um die Getreidevorräthe in Treptow, Cammin und Wollin nach Kolberg in Sicherheit zu bringen. Loucadou meinte, das könnte er noch einige Tage anstehen lassen. »Nur von einem Ausmarsch in dieser Stunde und in diesem Augenblick darf ich mir einigen Erfolg versprechen,« entgegnete der blasse junge Mann mit einem schönen Feuer, und erhielt die Erlaubniß.

Noch am nämlichen Tage Abends 7 Uhr (10. November 1806) langte er in Treptow an, und es war hohe Zeit, da bereits für den folgenden Tag ein feindlicher Trupp angesagt war, welcher das Magazin ausleeren wollte. Es wurden also noch in der Nacht die sämmtlichen Vorräthe, bestehend in 315 Scheffel Roggen, 150 Scheffel Mehl und 768 Scheffel Hafer, durch aufgebotene Fuhren nach Kolberg geschafft. Um sich die Franzosen möglichst vom Leibe zu halten, entsandte Schill zu gleicher Zeit eine Patrouille von zwei Mann des Weges nach Schievelbein, die das Gerücht aussprengen mußten, es seien russische Truppen bei Kolberg gelandet und im Begriff, die Gegend zu besetzen. Dadurch fand sich der Feind bewogen, auf halbem Wege umzukehren. Auch die Vorräthe in Cammin und Wollin wurden glücklich gerettet.

Allmählig gesellten sich zu der kleinen Schill'schen Truppe noch andere Freiwillige, so daß ein Häuflein von 26 Reitern zusammengebracht ward, deren Ausrüstung freilich sehr dürftig war. Manchem Gaul fehlte der Sattel und selbst die Decke, ein Strick versah die Stelle des Zaums und anstatt der Degenkoppel prangte eine selbst gedrehte Schnur. Desto besser war der Muth und gute Wille der Reiter, auf welche wie durch Sympathie die Kühnheit Schills überzugehen schien. Mit welcher Unerschrockenheit diese Tapferen ihre Streifzüge unternahmen, davon möge ein Fall unter vielen zum Beleg dienen. Es war am 7. Dezember Abends, als Schill, im Begriff nach Greifenberg zu ziehen, durch die Ermüdung seiner Leute gezwungen ward, einige Stunden in dem Dorfe Schnittrige zu rasten. Da kam ein Bote, der die Nachricht brachte, in Gülzow, kaum 1½ Meilen zu seiner Linken entlegen, wimmele es vor: französischen Reitern und Fußgängern. Dies schien die Vermuthung zu bestätigen, daß der Feind einen Handstreich auf Kolberg beabsichtige und diese Truppe in Gülzow nur als sein Rückhalt zu betrachten sein möchte. Schill setzte sich sogleich in aller Stille in Marsch, beobachtete aber die Vorsicht, einige mit Stroh beladene Wagen vorauf fahren zu lassen, theils um durch sie einen unvermutheten Reiterangriff hemmen, theils dahinter um so vortheilhafter seine eigenen Schüsse anbringen zu können. Immerhin aber blieb das Unternehmen gewagt, da 50 bis 60 Mann badenscher Fußtruppen und ebensoviel französische Reiter in Gülzow standen. Jenen hatte Schill nur 10 Mann von gleicher Waffe entgegenzusetzen, die er auf einem Fußsteige voraussandte, um den Kirchhof des Fleckens zu besetzen und zu behaupten. Sechs Kürassiere schickte er links um den Ort, an dem gülzower Moor und See entlang, mit dem Auftrage, sich erst dann zu zeigen und anzugreifen, wenn er selbst, mit vier Dragonern vom Regiment der Königin, von der Greifenberger Seite her in den Ort einsprengen würde.

Der Feind war aber durch einen seiner Kundschafter bereits von der Annäherung der Preußen in Kenntniß gesetzt, diesseits des Kirchhofs vor Gülzow aufmarschirt und empfing die Ankömmlinge mit einem lebhaften, wiewohl unwirksamen Gewehrfeuer. Auch die feindliche Reiterei war schon in Bewegung. Schill fühlte, daß kein Augenblick gesäumt werden dürfte, diese zu werfen und seinen in einem so ungleichen Gefecht stehenden Leuten Luft zu machen. Er stürzte sich also mit der Handvoll seiner treuen Begleiter in die Gassen, stieß auch sofort in der Gegend der Apotheke auf die französische Kavallerie und hieb unbedenklich auf dieselbe ein. Unterstützt von seiner Kühnheit, der finstern Nacht und der plötzlichen Ueberraschung fiel dieser ungestüme Angriff um so glücklicher aus, als gleich anfangs der feindliche Anführer und einige der Vordersten verwundet wurden und Schill, dies gewahrend, zu wiederholten Malen rief: »Kosaken vor!« Dies vollendete die Bestürzung; der ganze geschreckte Haufe wandte sich zu übereilter Flucht, ward bis zum Dorfe Klemmon verfolgt und verlor selbst ein paar Gefangene. Dann stieß er auf den Trupp Kürassiere, die ihm von Schill in den Rücken geschickt waren, ritt diesen gewaltsam über und versprengte zwei derselben, die in Kolberg Schills völligen Untergang verkündeten.

Dieser war indeß stracks nach dem Flecken zurückgekehrt, wo seine Infanterie noch fortwährend gegen die badenschen Truppen im heftigsten Feuer stand. Gelang es ihm nicht, dasselbe schnell zum Schweigen zu bringen, so mußte er besorgen, daß die Flüchtlinge dadurch zur Umkehr ermuthigt und ihm der kaum errungene Vortheil wieder entrissen würde. Er sprengte also entschlossen an jene heran und forderte sie auf, das Gewehr zu strecken. Wirklich auch bewog sie die Flucht der Reiterei und der Wahn, es mit einem zahlreichen Gegner zu thun zu haben, zur Ergebung; und so blieb nur noch eine kleine Abtheilung, welche das Amtsgebäude besetzt hielt, zu bekämpfen übrig. Aber wiewohl nur ein einziger Weg dahin führte, schien auch dieser kleine Rest durch scharfen Anlauf wohl überwältigt werden zu können, und nur erst, als die Pferde seiner ansprengenden Dragoner plötzlich vor einem nicht bemerkten Schlagbaum zurückbäumten und eine wohlangebrachte feindliche Salve sie sämmtlich, jedoch ohne die Reiter zu verletzen, verwundete: erkannte der Anführer die Nothwendigkeit, zur Besiegung dieser Hindernisse, einiges Fußvolk herbeizuführen. Die zur Bedeckung der Gefangenen Zurückgelassenen wurden hierzu aufgefordert, und folgten willig, aber erst nachdem drei von diesen Braven durch Bajonetstiche gefallen waren, gelang es dem vierten, sich Bahn zu brechen – und nun erst entflohen die Eingeschlossenen durch eine kleine Hinterpforte über das Moor. Das Gefecht, das um 11 Uhr Nachts begonnen hatte, war um 2 Uhr beendigt; bei der geringen Zahl seiner Mannschaft hatte Schill nur 33 Mann Gefangene gemacht, aber auch drei Gepäckwagen und 1000 Thaler erbeutet, welche der Feind aus den königlichen Gefällen sich angeeignet hatte. Alles wurde nach Kolberg geschafft.

Solche Unternehmungen, so gering auch zunächst ihr Ergebniß war, trugen doch nicht wenig dazu bei, den gesunkenen Muth in manchem Herzen wieder zu beleben, den Glauben an die alte preußische Tapferkeit wieder zu stärken und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht sinken zu lassen. In und um Kolberg ward Schills Name gefeiert, Bürgerschaft und Soldaten schenkten ihm unbedingtes Vertrauen und dies ward auch durch manche unglückliche Streifzüge nicht erschüttert. Dem Kommandanten Loucadou war aber der steigende Ruhm wie der rastlose Unternehmungsgeist des kühnen Parteigängers gleich unbequem; er wollte ihm keinen Mann mehr zu seinen Streifereien verabfolgen lassen. Schill sah sich im Anfang des folgenden Jahres (1807) genöthigt, beim Könige die Erlaubniß zur Errichtung eines Freikorps nachzusuchen; er erhielt sie, und in wenigen Wochen standen vier Schwadronen Husaren, eine Kompagnie berittene Jäger und einige leichte Fußtruppen, zusammen gegen 1000 Mann, völlig gerüstet da. Einiges ersparte Geld, das er sich durch seinen früheren Pferdehandel erworben hatte, legte er freudig auf den Altar des Vaterlandes nieder. Seine Absicht war, am Ausfluß der Oder, auf der Insel Wollin, festen Fuß zu gewinnen, von hier aus das feindliche, zur Berennung von Kolberg bestimmte Korps im Rücken zu bedrohen, wo möglich auseinander zu sprengen und den Kolbergern Luft zu machen. Doch die verkehrte Weise, wie von schwedischer Seite der Feldzug in Pommern eingeleitet wurde und die feindliche Uebermacht bewirkten, daß sein Ueberfall gegen Naugard (am 11. Februar) mißlang, und daß er aus Naugard mit empfindlichem Verlust zurückgeschlagen wurde. Er war genöthigt, sich in das befestigte Hölzchen, »die Maikuhle« genannt, unter den Schutz der Kanonen von Kolberg zurückzuziehen. Hier boten die Tapferen den die Festung immer enger einschließenden Feinden Stand; sie mußten Tag und Nacht unter freiem Himmel kampiren und ohne Unterlaß auf den Füßen sein, und doch zeigten sie sich immer willig und brav. Die Angriffe der Franzosen wurden mit blutigen Köpfen zurückgewiesen, und als sie zu einem entscheidenden Schlage sich sammelten, ging Schill ihnen mit ein paar Kanonen und seinem gesammten Truppenkörper entgegen, verwickelte sie in einen Morast und benutzte die dadurch entstandene Unordnung so rasch und glücklich, daß auf dem verwirrten Rückzüge Alt- und Neu-Werder für den Feind verloren gingen und derselbe bis an seine feste Stellung zu Sellnow zurückgetrieben wurde. Hätte der kolberger Kommandant in dieser entscheidenden Stunde mit seiner ganzen Macht mitgewirkt (was Schill zu wiederholten Malen, aber vergeblich forderte), so wäre auch Sellnow geräumt worden. Doch wie hätte ein Mann wie Loucadou einem Schill nacheifern sollen!

»Drei Tage nachher« – so erzählt der alte Nettelbeck in seiner Selbstbiographie – »den 15. April, schiffte der Rittmeister v. Schill für seine Person sich auf einem Fahrzeuge ein, das nach Schwedisch-Pommern abging. Das neuerlichste Mißverständniß mit dem Kommandanten trug wohl vornehmlich die Schuld, daß jener wackere Mann in einer so schwülen Stickluft nicht länger auszudauern vermochte. Ohnehin war sein in's Große und Freie strebender Geist nicht für die engen Verhältnisse eines belagerten Platzes gemacht; aber dennoch würde er auch hier, wie bisher, seinen Platz auf eine ehrenvoll ausgezeichnete Weise ausgefüllt haben, wenn man seinem Kraftgefühl nicht von mehr als Einer Seite Hemmketten angelegt hätte. Selbst aber, indem er sich jetzt von uns entfernte, geschah es nur, um uns aus der Ferne desto wirksamere Hülfe zu gewähren. Von Anfang an waren seine Entwürfe dahin gerichtet gewesen, sich in Pommern ein Kriegstheater zu errichten, von wo aus Stralsund und Kolberg sich zu wechselseitiger Unterstützung die Hände böten. Nun waren aber in den letzten Tagen auf allerlei Wegen die günstigsten Nachrichten bei uns eingekommen über die Fortschritte des Königs von Schweden nach Swinemünde – ermunternd genug, um einen Mann von Schills feuriger Seele zu neuen großen Hoffnungen, aber auch zu dem Entschlusse zu begeistern, den guten Willen der Schweden an Ort und Stelle gegen den gemeinschaftlichen Widersacher in Bewegung zu setzen.«

Auf die Länge konnten sich die Schillschen Truppen nicht in offenem Felde halten; sie mußten der Uebermacht weichen und machten den Versuch, sich nach Preußen durchzuschlagen; dies gelang nicht, und der größere Theil kehrte nach Kolberg zurück. Gneisenau, der junge Nachfolger des alten Loucadou, ließ 130 Mann dieses Korps zu Schiffe nach Schwedisch-Pommern überführen, wo sie auf's Neue in Wirksamkeit treten konnten. Schill hatte schon wieder eine vierte Husarenschwadron von 113 Pferden, eine Abtheilung von 33 reitenden Jägern und zwei Kompagnieen leichter Infanterie, jede von 130 Köpfen organisirt, als von Tilsit her die Friedenskunde erscholl und die gezückten Säbel in ihre Scheiden brachte. Schill wurde von seinem Könige mit dem Verdienstorden belohnt; und als die Franzosen die Hauptstadt geräumt hatten, genoß er die Ehre, zuerst mit seiner Schaar in Berlin einzuziehen. Sein Ruhm verbreitete sich in die Hütten des Landmanns und in die Säle der vornehmen Welt. Ein Offizier aus der alten Schule, der ihm vormals näher gestanden, und der es durchaus nicht begreifen konnte, wie ein Seconde-Lieutenant so plötzlich zum Inhaber eines Regiments vorgerückt und seiner Tapferkeit willen so gefeiert sei, sprach mit Kopfschütteln: »Ei, wer hätte das gedacht! Wie hat doch nur aus dem Schill etwas werden können, der nicht einmal verstand, einen Zug gehörig anzuführen!« Freilich war Schills ganzes Auftreten und Wirken der vollste Gegensatz zur alten Zopfperiode, es waren nun auf Ein Mal den Leuten die Augen aufgegangen, daß in ihm ein preußischer Krieger erschienen sei, wie er sein sollte, und dieses Bewußtsein war in dem gemeinsten Bauer und Handwerker lebendig geworden, so daß kleine Lebensbeschreibungen und Anekdotensammlungen, mit Holzschnitten im Geschmack des gehörnten Siegfried, wenn sie Schills Namen an der Stirn trugen, mit Begierde gekauft und gelesen wurden.

Schill verstand es aber auch, wie Wenige, mit dem Soldaten und gemeinen Manne umzugehen, und durch sein freundliches Wesen und eine körnige Beredtsamkeit sich ihr Zutrauen zu gewinnen. Seine äußere Erscheinung war höchst einnehmend; er stand jetzt im kräftigsten Mannesalter, sein rundes blühendes Gesicht mit den dunkelfeurigen Augen, die kräftige Haltung, die Husarenuniform, die ihm wie angegossen saß, machten den besten Eindruck, und wer ihm einmal näher getreten war, hing auch mit Leib und Seele an dem liebenswürdigen Manne. Der ihm so reichlich angezündete Weihrauch machte ihn nicht stolz, verblendete jedoch seinen Sinn auf andere Weise. Er glaubte berufen zu sein, dem stillen Ingrimm des Volkes die Bahn öffnen zu müssen, und bei seinem leidenschaftlichen Hasse gegen Napoleon und seinem ebenso großen Vertrauen auf die gerechte Sache des deutschen Volkes übersah er die Gefahren oder schätzte sie zu gering.

Der in Königsberg gestiftete »sittlich-wissenschaftliche« Verein, unter dem Namen des »Tugendbundes« bekannt, der sich rasch nach allen Provinzen hin verzweigte, schürte das Feuer der Unzufriedenheit und des Hasses gegen die Fremdherrschaft. Der König sah sich aber durch Napoleon gezwungen, den Bund förmlich zu mißbilligen. Wenn auch Schill nicht eigentlich Antheil daran nahm, so konnte er doch nicht verhindern, daß ihm seine Freunde unaufhörlich zuredeten, man dürfe nicht zu lange unthätig zuschauen, ja die Fürsten müßten durch das Volk zum Losschlagen veranlaßt werden. Als nun die heldenmüthigen Spanier sich erhoben und den bisher unbesiegten Napoleon in die Enge trieben; als Oesterreich rüstete und Erzherzog Karl das Vertrauen wieder lebendig machte; als die braven Tyroler so mannhaft für das Vaterland stritten: da glaubten auch die norddeutschen Patrioten die Volkskraft aufbieten zu müssen, um gleichzeitig mit Oesterreich den Erbfeind zu bekämpfen. Leider war das Volk noch starr und schläfrig – dafür hatten ja die deutschen Fürsten selbst gesorgt, und die geringe Zahl der Vaterlandsfreunde war nur ein Tropfen auf einen heißen Stein! Einer von Schills Agenten, ein Herr v. Tempsky, der unter dem Namen Thielau sich in Burg aufhielt und von Zeit zu Zeit Nachricht gab über die Vorfälle an der Elbe, schrieb an Schill:

»Endlich hoffe ich und glaube ich doch, daß der Zeitpunkt eingetreten sein wird, wo wir einmal die Bestimmung unsers Zwecks mit Gewißheit zu erwarten haben. Mit äußerster Spannung erwarten wir von Ihnen die Resultate hierzu.« – »Es läßt mich keinen Augenblick länger warten, mir die endlichen Befehle zu unserem Vorhaben von Ihnen auszubitten!« – »Längeres Zögern kann durchaus zu nichts nützen, als die ohnehin schon wegen öfterer Täuschung ziemlich muthlosen Leute noch muthloser zu machen und ihnen jede Lust zu benehmen. Jetzt ist es gewiß der rechte Zeitpunkt, weil die Erbitterung in Westphalen wegen der neuen Konskription und der neuen enormen Abgaben mit jedem Tage zunimmt, und Alles lauert auf den glücklichen Augenblick eines entscheidenden Ausbruchs.« – »Wir wissen mit Zuverlässigkeit, daß die Stimmung der Menschen in Westphalen von der Art ist, daß Niemand länger Geduld haben, sondern losarbeiten will. Wenn es nicht binnen Ende Monats geschieht, verlieren wir zu viel Leute: denn sie werden drüben wie's Vieh zusammengetrieben, um nur die Zahl herauszubringen. Kommen Sie selbst und dringen mit vor, so sind wir des Sieges gewiß! Ihr Name gilt für eine Gottheit schon, an den Jeder mit fester Zuversicht glaubt!« – »Alle meine Leute freuen sich wie Kinder auf baldiges Losschlagen und erwarten mit Ungeduld den Augenblick des Befehls. Ich bin nicht im Stande, sowie Keiner von uns, die Menschen länger zu erhalten.« Ein anderer Brief, der allerlei Nachrichten von den in Oesterreich erfochtenen Siegen enthielt, endigte mit dem Zuruf: » Brutus, schläfst Du

Als wenn nichts geschehen sei, setzte Schill ruhig seine gewöhnlichen Beschäftigungen fort, führte sein Volk täglich mit vollem Gepäck, als solle es in's Feld gehen, vor's Thor und übte es in den Waffen. Da empfing er die Nachricht, daß Romberg, sein westphälischer Agent, auf dem Rückwege nach der Heimath in Magdeburg festgenommen sei, und daß man ihm alle Briefe sammt den Proklamationen an's deutsche Volk abgenommen habe. Der Fall wurde sogleich an den westphälischen Hof nach Kassel, von dort an den König nach Königsberg berichtet.

Nun galt es, durch einen schnellen Entschluß dem drohenden Ungewitter zuvorzukommen. Sollte sich ein Schill in so kritischer Zeit auf eine Festung sperren, sollte er den Gedanken der Befreiung des deutschen Vaterlandes, den er mit so glühender Begeisterung umfaßt hatte, in feiger Flucht zu Grabe tragen? Sollte durch sein entschiedenes Vorgehen doch nicht vielleicht die träge Masse mit fortgerissen werden können? Wie, wenn der Erfolg den Ungehorsam gegen seinen König rechtfertigte? – Solche Gedanken mochten die Seele des Majors v. Schill bewegen, als er sein Husarenregiment, das zweite brandenburgische, am 28. April 1809, Nachmittags um 4 Uhr, zum halleschen Thore hinausführte, als ob's dem Exercitium gelte. Unter verschiedenen militärischen Schwenkungen mochte er etwa eine Meile gegen Potsdam vorgerückt sein, als er Halt gebot und seinen Truppen in feuriger Rede eröffnete, daß der Augenblick zum Losschlagen gekommen sei. Der Redner hielt in seiner Begeisterung hoch die goldgestickte Brieftasche empor, welche ihm seine Königin geschenkt und worin sie mit eigener Hand die Worte gezeichnet hatte: »Für den braven Herrn v. Schill. Luise.« Dieses Kleinod trug er fortan auf seinem Herzen. »Freudig will ich für die Wohlfahrt unsers Königshauses mein Blut vergießen und sterben!« – so rief Schill, und allgemeiner freudiger Zuruf begleitete jedes Wort. Alle waren entschlossen mit ihm zu siegen oder zu fallen. Am 2. Mai waren ihm noch 300 Waffenbrüder von der Infanterie gefolgt, die heimlich in der Nacht Berlin verlassen hatten. Ganz Berlin staunte ob der unerhörten überraschenden That, und wer auch das allzukühne Beginnen nicht billigte, wünschte doch den Braven einen guten Erfolg.

Der kleine Haufen setzte sich nach Magdeburg zu in Bewegung, denn Schill gedachte, den Elbstrom nahe bei dieser damals schwach besetzten Festung zu überschreiten und dann den Platz durch einen kühnen Handstreich zu überrumpeln. Dem französischen Befehlshaber in Magdeburg war aber schon Alles verrathen worden und Schill mußte in einem weiten Umwege sich links wenden, um den Uebergang bei Wittenberg zu versuchen. Nach längerem Unterhandeln mit dem dortigen Festungskommandanten ward dem Regiment zugestanden, mit klingendem Spiel, im Angesicht der Garnison, dicht vor den Thoren der Festung vorbei über die unter dem Bereich ihres Geschützes liegende Elbbrücke zu ziehen. Am 2. Mai langte der Zug in Dessau an, wo seine Erscheinung die Einwohner zu einem Enthusiasmus erweckte, der erfreulicher war, als die kühle mißtrauische Aufnahme in Sachsen. Der Herzog war entflohen, aber aus Achtung gegen ihn bezahlte die Truppe alle ihre Bedürfnisse baar und schonte selbst die Kasse des westphälischen Postamts. Der Hofbuchdrucker mußte eine Proklamation drucken, die überall verbreitet werden sollte.

»An die Deutschen«

»Meine in den Ketten eines fremden Volkes schmachtenden Brüder! Der Augenblick ist erschienen, wo Ihr die Fesseln abwerfen und eine Verfassung erhalten könnt, unter welcher Ihr seit Jahrhunderten glücklich lebtet; bis der unbegrenzte Ehrgeiz eines kühnen Eroberers unermeßliches Elend über das Vaterland verbreitete. Ermannt Euch, folgt meinem Winke, und wir sind, was wir ehemals waren! Ziehet die Sturmglocken! Dieses schreckliche Zeichen des Brandes fache in Euren Herzen die reine Flamme der Vaterlandsliebe und sei für Eure Unterdrücker das Zeichen des Untergangs. Alles greife zu den Waffen; – Sensen und Piken mögen die Stelle der Gewehre vertreten. Bald werden englische Waffen sie ersetzen, die schon angekommen sind. Mit kräftiger Hand geführt, wird auch die friedliche Sense zur tödtenden Waffe. Jeder greise zu den Waffen, nehme Theil an dem Ruhme der Befreier des Vaterlandes; erkämpfe für sich und seine Enkel Ruhe und Zufriedenheit! Wer feige genug ist, sich der ehrenvollen Aufforderung zu entziehen, den treffe Schmach und Verachtung, der sei Zeitlebens gebrandmarkt! Ein edles deutsches Mädchen reiche nie die Hand einem solchen Verräther! Fasset Muth! Gott ist mit uns und der gerechten Sache. Das Gebet der Greise möge Segen für uns erflehen. Siegreich rückten Oesterreichs Heere vor, trotz der großprahlerischen Versicherungen Frankreichs; die Tyroler haben schon rühmlich die Fesseln zerbrochen; die braven Hessen haben sich gesammelt; an der Spitze geübter Krieger eile ich zu Euch. Bald wird die gerechte Sache siegen, der alte Ruhm des Vaterlandes wieder hergestellt sein. Auf zu den Waffen!

Schill.«

Es wurden unverweilt die Uebergänge über die Saale und Elbe gesichert, Schill wandte sich nach Bernburg, ließ aber seine Reiter bis Halle streifen, wo das westphälische Wappen abgerissen und statt dessen der preußische Adler aufgerichtet wurde. Auch stießen dort 60 Freiwillige zu seiner Schaar. Aber schon traten auch allerlei schlimme Vorzeichen hervor, welche die bedenkliche Lage in ihrem wahren Lichte zeigen konnten. Dörnbergin Hessen hatte am 21. April den längst vorbereiteten Aufstand unter dem Landvolke durchgesetzt, doch es war ihm nicht gelungen, das Militär zum Abfalle zu bewegen; seine Unternehmung scheiterte und er entwich nach Böhmen. Mit dieser niederschlagenden Nachricht traf das andere Gerücht von der Donau her zusammen, daß Napoleon abermals gesiegt und den Erzherzog Karl nach Böhmen zurückgedrängt habe. Schmerzlich sah sich nun Schill in seiner Hoffnung, daß die Unternehmungen gegen den Feind in allen Theilen Deutschlands wirksam ineinander greifen würden, getäuscht; sein Muth blieb unerschüttert, sein Entschluß fest. Als er seinen Offizieren die bedenkliche Lage der Dinge offen darlegte, riefen Alle: Vorwärts!

Der französische Befehlshaber in Magdeburg hatte inzwischen eine Heeresabtheilung gegen Schill abgesandt; dieser verließ also Bernburg am 4. Mai und zog dem Feinde entgegen. Bei Dodendorf, eine starke Meile vor Magdeburg, trafen sie aufeinander. Da außer den französischen Bataillons noch ein westphälisches Linienregiment ihm gegenüberstand, versuchte Schill die deutschen Truppen zu sich herüberzuziehen. Lieutenant Stock ritt, ein weißes Schnupftuch schwenkend, vor die Front eines westphälischen Quarré's und rief mit lauter Stimme: Wir sind nicht als Eure Feinde gekommen, sondern um deutsche Brüder von französischer Fremdherrschaft zu befreien; vereinigt Euch mit uns zu diesem edlen Zwecke! Aber Alle schwiegen, und als Stock zurückritt, trafen ihn mehrere Flintenschüsse, die ihn zu Boden streckten. Da man dies einem Mißverständniß zuschrieb, machte Lieutenant Bärsch einen zweiten Versuch, ward aber mit einem Hagel von Kugeln begrüßt.

So war Schill gezwungen, den Kampf zu beginnen und gegen deutsche Brüder zu kämpfen. Mit Erbitterung und Wuth stürzten seine Husaren auf die dichten Vierecke. Schill hatte nicht mehr als 400 Husaren, 60 reitende Jäger und etwa eben so viel Mann Fußvolk. Aber die Tapferkeit ersetzte die Zahl; die Quarré's wurden gesprengt, eine nicht geringe Zahl der Feinde niedergehauen, gegen 170 Mann nebst dem verwundeten Oberst Vautier gefangen genommen, sämmtliche Pulverwagen, mehrere Fahnen, Waffen und Gepäck erbeutet. Doch die zwei französischen Kompagnien leisteten hartnäckigeren Widerstand; sie zogen sich auf die steile Anhöhe des Dodendorfer Kirchhofes zurück und pflanzten dort eine Kanone auf. Gegen diese Anhöhe stürmten die Jäger, welche von ihren Pferden abgesessen waren, aber ihre Zahl war allzugering und der Mangel an Infanterie machte sich auf das Empfindlichste fühlbar. Sollte man noch mehr Blut opfern, da schon so viele tapfere Brüder gefallen waren? Einem Kourier wurde bald nachher von den Schill'schen Husaren folgende Depesche des Gouverneurs zu Magdeburg an den General Gratien abgenommen:
» Le téméraire Schill invase Nos pays. J'avais pris avec la plus grande partie de ma garnison une position forte, pour mettre fin à ses progrès et pour observer le grand chemin de Magdebourg. Ses husards ne se battent pas comme des soldats ordinaires, mais comme des enragés; ayant rompu et sabré mes carrées ils firent le reste prisonnier. Venez à mon secours le plus tôt que possible.
Michaud.
«
(»Der tollkühne Schill fällt unser Land an. Ich hatte mit dem größten Theil meiner Besatzung eine feste Stellung gewonnen, um seinen Fortschritten Einhalt zu thun und die Straße nach Magdeburg zu beobachten. Seine Husaren schlagen sich nicht wie gewöhnliche Soldaten, sondern wie Wüthende; nachdem sie meine Carre's durchbrochen und niedergehauen, machten sie den Rest zu Gefangenen. Kommen Sie so bald als möglich mir zu Hülfe.«)
Vgl. Schills Zug nach Stralsund und sein Ende. Tagebuch eines seiner Vertrauten. (Quedlinburg und Leipzig 1831.)
Schill zog um 6 Uhr Abends (6. Mai) ab, und ging am folgenden Tage über Tangermünde nach Arneburg, wo er 5 Tage lang rastete, um seine Reiterei zu verstärken und zwei Infanterieabtheilungen zu bilden. Doch die Mittel zur Ausrüstung waren bald erschöpft, die Aussicht immer trüber. Der König von Westphalen hatte ein Dekret erlassen, worin er einen Preis von 10,000 Franken auf Schills Kopf setzte und allen Behörden befahl, auf die »Schill'sche Räuberbande« Jagd zu machen. Sein eigener König forderte den Unbesonnenen vor ein Kriegsgericht und verurtheilte das ganze Unternehmen. Zu gleicher Zeit hatte auch Napoleon ein Bülletin gegen den »Räuber« Schill erlassen, und befohlen, daß ein Beobachtungskorps an der Elbe gebildet werden solle, um ihn zu vernichten.

Erst am 12. Mai stieß jene aus Berlin entwichene Infanteriekompagnie, die früher in Pommern unter Schill gefochten hatte und seinen Namen führte, zu der in Arneburg versammelten Schaar. Es war ein rührender Anblick, als nun Schill mitten unter seinen Getreuen stand, sie alle mit Namen nannte, Allen mit Händedruck dankte für ihre aufopfernde Liebe. Noch einmal erklärte Schill vor sämmtlichen auf dem Marktplatz versammelten Truppen, daß er nicht eher den Säbel in die Scheide stecken werde, bis auch das letzte Dorf wieder frei geworden sei. »Sollte ich,« so schloß er, »in dem Versuche untergehen und Deutschland trotzdem nicht frei werden, nun, so ist auch dann noch ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen!« Er brach nach der kleinen mecklenburgischen Festung Dömitz auf, um wenigstens einen Punkt an der Elbe zu gewinnen, wo er festen Fuß fassen könnte. Sein Handstreich gelang auch vollkommen; seine Bewaffneten drangen in die Citadelle und nahmen die Besatzung gefangen. Doch zeigte sich's auch bald, daß der Platz auf die Dauer nicht zu halten sei.

Unterdessen waren nach Magdeburg mehrere Tausend Franzosen und Westphälinger geeilt unter dem Befehle Albignacs. Holländer unter Gratien nahmen ihre Richtung nach Stendal. Von Rostock rückten Mecklenburger vor und 1500 Dänen stellten sich unter Ewald zwischen Hamburg und Lübeck auf. Am 25. Mai hatten die Mecklenburger wieder das Fort Dömitz erstürmt und dem nun allerseits Umstellten blieb nur noch die Seeseite offen, und er säumte nicht, sie zu suchen. Nachdem er am 25. Mai bei Dammgarten 500 Mecklenburger auseinander gesprengt hatte, langte er vor Stralsund an und bemächtigte sich der Stadt, deren Werke vor Kurzem geschleift worden waren. Doch fanden sich hier noch 400 Kanonen, 6000 Gewehre und einige Zentner Pulver.

Es galt, so schnell als möglich die Befestigungen wieder herzustellen, und jeder Kriegsmann legte rüstig die Hand an's Werk. Einige warfen Schanzen auf und pflanzten Schanzpfähle, andere öffneten die verschütteten Gräben; die Zugänge wurden verbarrikadirt und die Geschütze aufgepflanzt. Man wollte dem heranziehenden Feinde zeigen, daß man Willens sei, auf Tod und Leben sich zu vertheidigen. Noch am 30. Mai Abends schrieb Schill an den Erzherzog Karl, daß er hoffe, Stralsund werde sich als ein zweites Saragossa erweisen. Aber es sollte anders kommen, als die Patrioten hofften.

Am 31. Mai erschienen die Holländer und Dänen, wohl 7000 Mann stark. Ein falscher Angriff, auf das eine Thor unternommen, verdeckte den ernstlichen auf das andere, nur schwach befestigte. Der Feind drang in die Stadt, von Straße zu Straße. Mann mit Mann ward gekämpft. Schills Leute thaten Wunder der Tapferkeit, aber sie mußten der Uebermacht unterliegen, ihr Führer, welcher den holländischen General Cateret niedergehauen, sank in der Fährstraße, nachdem er einen Schuß durch den Kopf, einen in die Schulter und einen starken Hieb über das Gesicht erhalten hatte. Dgl. A. A. Zeitg. 1809, S. 671. Alsbald hörte alle Gegenwehr auf; 150 Reiter sammt einigen Jägern schlugen sich durch, und erhielten freien Abzug nach Preußen, wo die Offiziere vor ein Kriegsgericht gestellt und mit Festung und Kassation bestraft wurden, aber die bei Dodendorf und Stralsund gefangenen eilf Offiziere wurden von den Franzosen nach Wesel geführt und dort erschossen. Die Allg. Zeitg. nennt 11. Dgl. S. 1148 und 1102. Ein 1835 von der preußischen Armee errichtetes Denkmal deckt ihre Asche. Schills von den vielen Wunden ganz unkenntlich gewordener Leichnam wurde mit Mühe aufgefunden, ein holländischer Wundarzt trennte auf Befehl des Generals Gratien den Kopf vom Rumpfe, um ihn in Weingeist aufzubewahren. Diese Trophäe ward nach Kassel geschickt, wo König Hieronymus seine Augen daran weidete; darauf kam sie in den Besitz des berühmten Naturforschers Bougmans in Leyden und ward unter den Köpfen berüchtigter Mörder und interessanter Mißgeburten den Besuchern gezeigt. Erst im Jahre 1837 gaben die Holländer (die doch nur der deutschen Tapferkeit ihre wiedergewonnene Selbständigkeit zu danken hatten) das edle Haupt heraus; es ward nach Braunschweig ausgeliefert und nebst der Asche von 14 zu St. Leonhard bei Braunschweig erschossenen Kriegern Schills feierlich beerdigt. Der Rumpf ward zu Stralsund auf dem St. Knieperkirchhofe eingescharrt. –

Sie trugen ihn ohne Sang und Klang,
Ohne Pfeifenspiel und ohne Trommelklang,
Ohne Kanonenmusik und Flintengruß,
Womit man den Soldaten begraben muß.

Sie schnitten den Kopf von dem Rumpfe ihm ab,
Und legten den Leib in ein schlechtes Grab; –
Da schläft er nun bis an den jüngsten Tag,
Wo Gott ihn zu Freuden erwecken mag!

Dem Heldengeist, der den auch in seinem Irrthum ehrenwerthen Helden beseelte, konnte man aber nicht den Kopf abschneiden und die Asche Schills war eine Aussaat, die nach dem Winter von 1812 herrlich emporwuchs.


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