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Johann Jakob von Moser

Bildquelle: Projekt Gutenberg-DE

Johann Jakob von Moser.

Lebensgeschichte J. J. Mosers von ihm selbst beschrieben (1768). Die beiden Moser in ihrem Verhältnis zu deutschem Leben und Wissen (Mit Benutzung ungedruckter Quellen) von Rob. Mohl in den Monatsblättern zur Ergänzung der A. Z. 1846, August. – Das Leben Johann Jakob Mosers. Aus seiner Selbstbiographie, den Archiven und Familienpapieren dargestellt von A. Schmid (Stuttgart, Liesching 1868).


Wir halten die Tapferen hoch in Ehren, welche mit dem Schwert in der Hand die Grenzen des Vaterlandes vor dem Eindringen des Feindes schützen oder den eingedrungenen Feind wieder zurückschlagen und seinen Uebermuth züchtigen; aber nicht minder verdienen jene Männer den Lorbeerkranz, die im stillen Wirken zwar, doch nicht minder muthvoll, mit den Waffen des Geistes für Recht und Gerechtigkeit im eigenen Vaterlande kämpfen und für ihr Volk in die Schranken treten, welche Brauch und Herkommen des Volkes heilig zu halten lehren und es eben sowohl vor der Willkür despotischer Fürsten als falscher Propheten des Tages sicher zu stellen wissen. Darum mögen zwei Rechtsgelehrte, Moser und Möser, den Reigen deutscher Vaterlandsfreunde eröffnen, weil sie mit ihrer ganzen vollen Lebenskraft deutsches Recht und deutsches Volksthum zu Ehren gebracht haben.

Johann Jakob Moser wurde am 18. Januar 1701 in Stuttgart geboren. Seiner Familie war schon 1573 vom Kaiser Maximilian II. der Adelstand mit dem Namen »Moser von Filsek« verliehen; doch später von ihr nicht mehr geltend gemacht worden. Unser Moser machte als junger Mann, da er sich um den Regierungsrathstitel bewerben wollte, seinen Adel wieder geltend, ließ jedoch das Prädikat auch fallen, sobald er »die Ehre und Güter dieser Welt mit einem andern Auge anzusehen angefangen hatte«. Der Vater Mosers war Herzogl. Würtembergischer Rechnungs- und Expeditionsrath zu Stuttgart, die Mutter eine Tochter Mislers, des Königl. Schwedischen Konsistorialraths und Dompredigers zu Stade. Was sich am Sohne schon früh herausstellte, war ein außerordentlicher Fleiß, verbunden mit großer Leichtigkeit im Arbeiten, aber auch ein unruhiger unsteter Sinn, vom Ehrgeiz und Trieb in's Weite angeregt. »Mein seliger Herr Vater,« erzählt Moser in seiner Selbstbiographie – »sparte keine Kosten an mir, weil er aber nicht selbst ›von Studien da war‹, erreichte er seinen Zweck nicht. Hätte beständig eine der Sache gewachsene Person, welche mein lebhaftes, aber auch meisterloses Gemüth zu regieren gewußt hätte, meine Studien dirigirt, so hätte ich es in den sogenannten humanioribus und der Philosophie weit gebracht; denn es fehlte mir weder an Naturgaben, noch an Fleiß. Aber ich lernte unordentlich, wollte schon damals Bücher schreiben und übersetzte zu dem Ende, weil ich es nicht besser verstand, mit großer Geduld viele altrömische Schriftsteller in's Deutsche, schrieb ein Antiquitäten- und Medaillen-Kabinet, auch philosophische Traktate. Meine Lehrer hatten zum Theil nicht das erforderliche Geschick, theils war ich ihnen mit meinem Fleiß überlästig, wie denn einstens ein Präzeptor, als ich ihm freiwillig wöchentlich zwei Mal 100, einstens aber auf Ein Mal 1000 Verse in allerlei Gattungen brachte, das Buch voller Unwillen von sich warf und sagte: Narr! meinst du, ich habe meine Besoldung allein auf dich? und der Rektor des Gymnasiums sprach, als ich ihm freiwillig allzuviele lateinische Reden brachte, zu mir: Tu es moleste sedulus! (du wirst mir mit deinem Fleiß beschwerlich!)«

Sechzehn Jahr alt bezog er die Universität Tübingen, um die Rechte zu studiren. An dem römischen Recht, das nach damaliger Art sehr geistlos behandelt wurde, fand er gar keinen Geschmack. Dagegen wurde sein Interesse durch das deutsche Staatsrecht angezogen, das Professor Helfferich las; hier fand er, was er suchte, »brauchbare Dinge und wirkliche Fälle und Begebenheiten.« Neben dem Studium ward fleißig geschriftstellert und auch ein gelehrter Briefwechsel mit damals hervorragenden Männern angeknüpft. Schon in seinem 19. Jahre war er Professor der Rechte in Tübingen; doch der Neid seiner älteren Kollegen sorgte dafür, daß er über einen Gegenstand lesen mußte, der nichts Anziehendes hatte, so daß ihm die Zuhörer ausblieben. Um seiner Jugend mit einem Titel nachzuhelfen, bewarb er sich um den Charakter eines Regierungsrathes. »Desto besser fortzukommen und aus Eitelkeit wagte ich es, ob ich gleich erst 20 Jahre hatte, um den Regierungsraths-Charakter zu bitten, und reisete zu dem Ende in den Deinacher Sauerbrunnen, allwo sich der Hof damals befand. Herr v. Schunk war gefallen und der Komitial-Gesandte Freiherr v. Schütz an seine Stelle gekommen. Ich traf ihn auf dem Spaziergange an und eröffnete ihm mein Vorhaben; er machte mir aber schlechte Hoffnung, weil ich noch keinen Bart und der Herzog sich entschlossen hätte, mit diesem Charakter an sich zu halten. Doch ließ er sich in einen etlichstündigen Diskurs über allerlei die würtembergische Historie und Staatsrecht betreffende Materien mit mir ein und er bezeugte sein Vergnügen über meine Einsichten, sonderlich über meine Muthmaßung, woher es kommen möge, daß Würtemberg in der Wormser Matrikel vom Jahre 1521 mit einem Churfürsten-Anschlag belegt worden sei; so daß er endlich sagte, ich sollte ihm mein Memorial geben. Ich leugnete, daß ich es bei mir hätte, ging nach Haus und machte noch zwei andere, in deren einem ich um den Charakter eines Raths, in dem andern aber eines Hofgerichts-Assessors bat. Um 11 Uhr gab ich ihm alle drei, um daraus dasjenige zu wählen, womit er durchdringen zu können glaubte, und um 2 Uhr war es schon von dem Herzog unterschrieben, daß ich den Regierungsraths-Charakter haben sollte.«

Der Titel brachte aber keinen Gehalt, und da sich der junge Professor auch schon seit einem Jahre verlobt hatte, sann er nach, wie und wo er schneller eine gesicherte Stellung gewinnen möchte. Er beschloß, sich nach Oesterreich zu wenden. Arm an Geld und Kleidung, ohne Bekanntschaft und Empfehlungsbriefe reiste er von Ulm die Donau hinab, gelangte glücklich nach Wien und wandte sich gleich an eine Hauptperson, den Reichskanzler Grafen v. Schönborn, der ihn gütig aufnahm. Leider bekam er aber bald nach seiner Ankunft das viertägige Fieber, und mußte sich damit die ganze Zeit schleppen. Auf der öffentlichen Windhag'schen Bibliothek lernte er einen jungen katholischen Gelehrten kennen, Namens Hahn, der den bekannten gelehrten Benediktinerabt Gottfried von Göttweig bei dessen historischen Forschungen unterstützte und dem Prälaten von dem schwäbischen Professor erzählte. So ward Moser auch dem Herrn Abt bekannt und von diesem wie vom Grafen Schönborn wiederholt eingeladen. Man versprach ihm eine sehr einträgliche Stelle bei der böhmischen Kanzlei und die besondere Gnade Seiner kaiserlichen Majestät, wenn er den katholischen Glauben annehmen wollte. »Blutarm war ich,« sagt Moser, »und ich hatte damals keinen Funken Religion, nicht einmal einer natürlichen, aber ich war doch viel zu ehrlich dazu, als daß ich mich auch nur äußerlich hätte stellen wollen, ich hielte die katholische Religion für besser als die evangelische.« Mit allem Freimuth sagte er dem Herrn Prälaten, daß er durchaus keine Lust hätte, sein Bekenntniß zu ändern, und die Religionsgespräche, die nun abgehalten wurden, änderten nicht seinen Entschluß.

»Indessen blieb dennoch der Herr Reichsvizekanzler mein gnädiger Herr. Ich hatte auch verschiedene Mal bei Kaiser Karls VI. Majestät Audienz. Einmal trug es sich zu, daß ich eben um die zur Ertheilung der Audienz gegebene Stunde, welche ich nicht versäumen durfte, mein Fieber bekam. Ich hielt in dem königlichen Vorgemach den Frost aus, und als ich in der Hitze war, wurde ich zum Kaiser hineingerufen, da ich so matt war, daß ich kaum stehen konnte. Aus Eitelkeit redete ich den Kaiser lateinisch an, er antwortete mir auch in eben dieser Sprache und zwar länger, auch etwas deutlicher als sonst seine Gewohnheit war. Des andern Tages schickte der Herr Reichsvizekanzler einen Kanzellisten zu mir und ließ mich wissen: ich dürfte mir eine kaiserliche Gnade ausbitten. Ich bat darauf um eine Medaille zum Angedenken, erhielt aber eine goldene Gnadenkette nebst einer daran hangenden güldenen Medaille mit des Kaisers Bild und Wahlspruch.«

Er reiste darauf im Frühjahr 1722 bei schlechter Witterung und noch schlechterer Gesundheit in die Heimath zurück, und da ihm das Geld fast ausgegangen war, mußte er sich auf der Reise höchst kümmerlich behelfen. Dennoch hatte er Muth genug, bald nach seiner Rückkehr in Stuttgart mit seiner Verlobten Hochzeit zu halten, im Glauben, die ihm in Wien zu Theil gewordene Auszeichnung werde auch bei seinen Vorgesetzten in Stuttgart den besten Eindruck hervorbringen. Darin hatte er sich aber sehr getäuscht; der Konferenzminister, Freiherr von Schütz, sagte ihm geradezu, man könne nicht begreifen, wie ihm als jungem Manne auf diese Weise begegnet sei; er müsse etwas zum Nachtheil des Hauses Würtemberg entdeckt oder an die Hand gegeben haben. Seine Lage war mißlicher als zuvor.

Im Jahr 1724 ward die Frage aufs Tapet gebracht, wie das Reichskammergericht ohne kaiserliche Zuschüsse erhalten werden könnte? Moser hatte auch ein Gutachten ausgearbeitet, ging damit nach Wetzlar, ward aber nach Wien verwiesen, da das Kammergericht selber in dieser Frage nichts entscheiden konnte. So trat denn Moser noch im Herbst desselben Jahres seine zweite Reise nach der Kaiserstadt an und trug sein Gutachten vor. Der Präsident des Reichshofraths, Graf von Windischgrätz, sagte ihm aber rund heraus, wenn er sonst nichts in Wien zu verrichten hätte, möchte er nur wieder nach Hause reisen, denn aus seinen Vorschlägen würde nichts, auch wenn sie die besten und zweckmäßigsten wären; da das Kammergericht schon jetzt nichts auf den Kaiser gäbe, was dann erst geschehen würde, wenn es des kaiserlichen Hofes gar nicht mehr bedürfte?

Doch dem Reichsvizekanzler war die Anwesenheit des würtembergischen Rechtsgelehrten wieder sehr willkommen, da er seine Hülfe in Ausarbeitung mehrerer Rechtsfragen, betreffend die Gerichtsbarkeit katholischer Landesherren über ihre evangelischen Unterthanen, brauchen konnte, und sich schon früher von dem schnellen, sicheren Arbeiten Moser's überzeugt hatte. Seine Thätigkeit fand bald Anerkennung und würdige Belohnung; er erhielt nicht bloß ein bedeutendes Geldgeschenk, sondern auch die Zusicherung einer Pension von 600 Gulden, und dabei freie Tafel, Wohnung und Bedienung im Hause des Grafen v. Schönborn. Entschlossen in Wien sich niederzulassen, wenn er in seinem Vaterlande kein Brod finden würde, kehrte er im Sommer 1725 nach Stuttgart zurück. Auf seine Bitte um eine wirkliche Regierungsrathsstelle (allenfalls ohne Besoldung, aber doch mit bestimmter Anwartschaft darauf) erhielt er den Bescheid, es sei ihm der Aufenthalt in Wien gestattet, doch unter der Bedingung, einer etwaigen Zurückberufung nach Würtemberg gewärtig zu sein. Auf dieses hin verkaufte Moser alles Entbehrliche und zog mit Weib und Kind nach Wien.

Kaum war er ein Vierteljahr dort in Thätigkeit gewesen, als der würtembergische Gesandte im Auftrage seines Hofes ihm den Vorschlag machte, ob er nicht als wirklicher Regierungsrath mit voller Besoldung zurückgehen wollte? Der ehrliche Schwabe glaubte seinem Landesherrn zunächst Gehorsam schuldig zu sein und nahm den Antrag an, obwohl alle seine wiener Freunde ihm diesen Schritt widerriethen. Der Präsident des Reichshofraths wollte Moser zulieb sogar von der gewöhnlichen Ordnung abgehen und ihm eine überzählige evangelische Reichshofraths-Agentenstelle zuwenden. Der Abt von Göttweig sagte zu ihm: Ich habe allen Respekt für die Reichsfürsten; aber ihre Höfe sind Bäche, da fängt man Schneiderfischlein: Wien ist der Ozeanus, da fängt man Walfische! Moser aber ging in seine Heimath zurück.

Den 25. Juni 1726 ward er in das fürstliche Regierungsraths-Kollegium zu Stuttgart eingeführt und begann mit regstem Eifer sein Werk. »Um zu zeigen, daß ich nichts referirte, was ich nicht vorher zu Hause gelesen und überdacht hatte, gewöhnte ich mich von dem ersten Tage an, von allen mir zum Vortrag zugestellten Stücken wenigstens den kurzen Inhalt zu Papier zu bringen, und mein Votum beizusetzen. Wenn ich es nun in dem Regierungs-Kollegio referirt hatte, schrieb ich hinzu 1) welchen Tag es geschehen, 2) was für ein Secretarius beim Protokoll gesessen, und 3) ob es bei meinem Votum verblieben oder wohin der Schluß des Kollegii ausgefallen sei. Dieses habe ich fortgesetzt, so lange ich Regierungsrath gewesen, und es hat mir damals und hernach auf mancherlei Weise genützt.« Jedoch blieb der oft kränkliche Mann nicht eben lange in seiner Stellung. Als 1727 die Kanzlei von Stuttgart nach Ludwigsburg verlegt wurde, welche Stadt damals noch schlecht angebaut war, trug er Bedenken, in die neue feuchte Amtswohnung zu ziehen, und war entschlossen, abermals nach Wien zu gehen. Der Herzog sah ihn aber dort am unliebsten, und so ward ihm das Anerbieten gemacht, ob er nicht als ordentlicher Professor des Rechts zu dem Collegio illustri in Stuttgart wolle, mit Beibehaltung seines Charakters und seiner Besoldung als Regierungsrath? Das wäre eine höchst bequeme Stellung gewesen, da er gar nicht gehalten war zu Vorlesungen, und solche Gnadenstelle konnte ihm sein Regierungspräsident, der den Umzug nach Ludwigsburg veranlaßt hatte, unmöglich gönnen. Dieser brachte es beim Herzog dahin, daß Moser 1729 nach Tübingen gehen mußte. Dort legte sich nun der stets emsig studirende Rechtsgelehrte auf sein Lieblingsfach, das deutsche Staatsrecht. Er sagt darüber: »Wien und meine Regierungsrathsstelle hatten mich gelehrt, was brauchbar sei und was nicht. Ich fand kein Lesebuch (Lehrbuch) über das deutsche Staatsrecht, das nach meinem Geschmack geschrieben gewesen wäre; dahero schrieb ich eins nach meiner eigenen Denkungsart, darin ich die Alterthümer, das römische Recht etc. ganz wegließ, und die deutsche Staatsverfassung bloß vortrug, wie sie heutigen Tages beschaffen ist; und weil ich für Deutsche schrieb, so faßte ich mein Buch auch deutsch ab.« »Auch fing ich von Neuem an, ein pragmatisches » europäisches Völkerrecht« zu lehren. Hierzu gab mir ein junger Herr v. Tillier von Bern Gelegenheit. Er sagte, daß er wohl bei einem gewissen Professor ein schönes Kollegium über des Hugo Grotius »Recht im Kriege und Frieden« ( de jure belli et pacis) gehört, aber nichts weiter daraus gelernt habe, als was vor 1700 und 2000 Jahren zu der Römer und Griechen Zeiten Völker-Rechtens gewesen sei. Er möchte aber erfahren, was unter den heutigen europäischen Mächten und Völkern Rechtens und Herkommens sei! Ich sagte, ich wüßte es auch nicht und müßte es selbst erst lernen. Er hielt aber so lange bei mir an, bis ich mich dazu entschloß und ein Kollegium darüber las. Nun starb er zwar noch während des Kollegii; ich hatte aber einmal einen Geschmack an der Sache gewonnen, machte den Plan zum ganzen Werk in meinen »vermischten Schriften«, und hätte immer gewünscht, so viel Zeit zu bekommen, daß ich selbigen hätte ausführen können.«

Mosers praktische Richtung fand bei den Studenten den lebhaftesten Anklang, zum Schrecken seiner Kollegen, die im alten Schlendrian beharrten, und um sich an dem Gefeierten zu rächen, ihm durch die Zensur seiner Druckschriften allerlei Hemmniß bereiteten. Zuletzt brachten sie es dahin, daß ihm von der Regierung alle seine Schriften weggenommen wurden, unter dem Vorwande, man wolle eine Separation vornehmen zwischen den herrschaftlichen Akten und Privatschriften. Man wollte sich überzeugen, ob seine Korrespondenz nach Wien nicht staatsgefährliche Dinge enthalte, und behielt anderthalb Jahre lang seine Schriften in Händen. Ungeduldig über die Ränke und den Neid von kollegialischer Seite legte er seine Professur nieder, blieb jedoch einstweilen in Tübingen, da ihm der herzogliche Prinz, Karl Alexander, gute Versicherungen gab auf den Fall, daß Er zur Regierung kommen würde.

Ueber seine zu dieser Zeit erfolgte Sinnesänderung im Betreff der Religion, äußert sich Moser also: » Anno 1733 fing ich an, mit meinem Christentum es mir Ernst werden zu lassen, und meine Ehegattin wurde zu gleicher Zeit von Gott ergriffen, ohne daß eines von dem andern etwas wußte, bis es sich einige Zeit hernach offenbarte: welches dann unsere ohnehin vergnügte Ehe noch weit lieblicher und gesegneter machte. Weil es uns aber an hinlänglichem Unterricht fehlte, so blieb ich noch vier Jahre in einem gesetzlichen Zustande. – Sonntags nach vollendetem öffentlichen Gottesdienst sammelte sich unvermuthet von selbst nach und nach ein Häuflein redlicher Seelen in meinem Haus, da wir dann unsere fernere Andacht mit Singen, Beten und Betrachtung des Wortes Gottes hatten. Sobald als die Zahl anfing stark zu werden, ertheilte ich dem Stadtsuperintendenten Dr. Hagmaier Nachricht von der ganzen Sache, und er hatte nichts dagegen. Als noch die Zahl sich mehrte und zwei fürstliche Konsistorialbefehle deswegen an Dr. Hagmaier ergingen, berichtete er so günstig, daß wir ungestört gelassen wurden, wie denn niemals die geringste Unordnung vorging, und auch nach meinem Fortgang aus Tübingen diese Erbauungsstunden noch viele Jahre fortgesetzt wurden.«

Herzog Karl Alexander gelangte 1733 zur Regierung, und im Sommer des folgenden Jahres ward Moser durch ein für ihn ehrenvolles Dekret in seine vorige Regierungsrathsstelle wieder eingesetzt. An Arbeit fehlte es auf diesem Posten nicht, und da man sein großes Talent kannte, wurden die wichtigsten Sachen ihm übertragen. Dennoch sah er sich genöthigt, da seine Familie sich vermehrte und die Besoldung »beschnitten und unrichtig gereichet« wurde, nebenbei noch Bücher zu schreiben, so daß er der Last der Geschäfte zu erliegen dachte. Sein Ruhm war in allen deutschen Ländern ausgebreitet, und schon im Jahr 1736 erhielt er vom Könige von Preußen, Friedrich Wilhelm I., den Ruf nach der Universität Frankfurt a. d. O. als Universitäts-Direktor, Ordinarius der Juristenfakultät und preußischer Geheimrath. Der Herzog entließ ihn ungern; Moser hatte ihm noch eine werthvolle Sammlung würtembergischer Rechtsurkunden und Schriften, die er auf eigene Kosten zusammengebracht, für das herzogliche Archiv überlassen, und der Herzog sandte ihm folgendes gnädige Handschreiben nach:

Wohl-Edler
Besonders lieber Herr Geheimbder Rath.

Gleichwie Ich des Herrn Geheimbden Raths gegen Mir und Mein Fürstliches Haus geäußerte Devotion in beschehener Extradition Dessen privatim colligirter Literalien mit Dank erkenne, und dagegen dem Herrn Geheimbden Rath solche auch dahin vorbehalte, ›daß, wenn dessen Kinder mit der Zeit sich etwa in Meinem Lande wieder einzufinden und sich darin zu stabiliren gedächten, Ich ihnen darunter auf eine convenable Art Meine Willfährigkeit zu bezeugen nicht entstehen werde,‹ als habe demselben solches hierdurch zu erkennen geben und zugleich versichern wollen, daß ich führohin sein und verbleiben werde

Des Herrn Geheimbden Raths
wohlaffektionirter
Karl Alexander, H. z. W.

Stuttgart
den 12. Oct. 1736.

Die frankfurter Universität war dazumal in schlimmen Umständen; die Zahl der Studenten gering, die meisten Professoren träge, vom Fortschritt der Wissenschaft keine Rede. Mit wahrem Riesenfleiß entfaltete Moser seine Thätigkeit als Lehrer, Schriftsteller und Vorgesetzter der Fakultät, sobald er aber den Herren Kollegen zu Leibe ging, stand Alles wider ihn auf. Zu dem Verdruß gesellte sich öfteres Unwohlsein, so daß sich sein Arzt äußerte: »er müsse eine eisenmäßige Natur haben, daß er nicht schon längst den Tod davon gehabt hätte.« Moser bat, einer von den Kuratoren der Universität möchte selber kommen und die Uebelstände mit eigenen Augen sich anschauen. Herr v. Reichenbach kam; er ließ alle Professoren in pleno zusammenkommen, im Kreis herumsitzen, las aus Mosers Bericht einen Punkt nach dem andern ab, und fragte dann, ob dem so wäre? Da sollte Einer dem Andern in's Gesicht sagen: er sei faul, ein schlechter Dozent, seinem Amt nicht gewachsen etc. Moser hatte unter Anderem berichtet, daß über dem vom König eigenhändig unterzeichneten Befehl, es sollte alle vier Wochen ein Professor nach dem andern in der Reihe herum öffentlich disputiren, sich Jeder hinwegsetzte. Der Herr Präsident sagte: Es solle ein Jeder zu Protokoll erklären, ob er dem Befehl nachkommen wollte oder nicht? Als es an den Professor Fleischer kam, erklärte er sich: Nein! ich gehorche dem Befehl nicht, es hat ihn ein Narr angegeben! und der Herr Präsident hörte das gelassen an. Weil Niemand öffentlich sprechen wollte, mußte endlich Moser, um nicht als ein Lügner dazustehen, den Mund allein aufthun und Vieles sagen, was mancher Kollege nicht gern hörte. Es kam zwar bald nachher ein neues »Reglement«, aber Niemand kümmerte sich darum.

Unter solchen Umständen länger zu bleiben, war einem Manne wie Moser, der es mit seinem Berufe treu und ehrlich meinte, nicht wohl möglich, zumal als nun auch die Anklägereien und böswilligsten Verleumdungen wieder anfingen. Der König selbst kam nach Frankfurt; das war Mosern lieb, er trat dem bereits wider ihn eingenommenen Fürsten fest gegenüber. Als nach der Sitte damaliger Zeit auf Befehl des Königs der lustige Rath Morgenstern in einem besonderen Anzug im großen Hörsaale erschien, um eine Disputation »vernünftige Gedanken von der Narrheit« zu halten, sollten die Professoren opponiren und Moser den Anfang machen. »Der König (so heißt es in der Selbstbiographie) hielt im Auditorio in Gegenwart einer großen Menge Leute, vorher, ehe Morgenstern kam, einen langen überaus merkwürdigen Diskurs mit mir. Als ich ihm aber meinen Sinn in Ansehung des Opponirens zu erkennen gab, wurde er unwillig und meinte, es sei geistlicher Hochmuth und Heuchelei, daß ich nicht opponiren wolle. Indessen wurde ich doch wirklich mit dem Opponiren verschont.«

Moser hatte schon mehrere Mal um seinen Abschied gebeten, aber ihn nicht erhalten. Als er aber in einer Dissertation »über das Recht und die Art der Thronfolge« Kaiser Karls VI. pragmatische Sanktion vertheidigte (der zufolge Maria Theresia ihrem Vater in der Regierung folgen sollte) und auch über eine genaue Abfassung derselben an den österreichischen Staatssekretär v. Bartenstein schrieb, ward solches vom preußischen Hofe übel vermerkt, und der König ertheilte ihm den Abschied unter ehrender Anerkennung seiner Treue und seines Wohlverhaltens.

Nun zog sich Moser mit seiner Familie in das stille Landstädtchen Ebersdorf im Voigtlande zurück, wo er acht Jahre, »die vergnügtesten und seligsten Stunden« in seinem Leben, verweilte und ganz der Wissenschaft sich widmete. Am meisten beschäftigte ihn sein Riesenwerk »über das deutsche Staatsrecht«, nicht selten ward er aber auch von diesem und jenem Reichsfürsten bei wichtigen Staatsgeschäften verwendet, und war nach dem Tode Karls VI. zweimal bei der Kaiserwahl, indem man seinen Rath bei den Wahlkapitulationen benutzte. Auf diese unabhängige und doch geistig anregende Stellung – denn Moser stand mit namhaften Gelehrten in stetem Verkehr – folgte die Uebernahme des Ministeriums (1747-1749) im Ländchen Hessen-Homburg; dann aber in Hanau die Gründung und Leitung einer Bildungsanstalt für künftige Staatsmänner, welche Stellung ihm sehr zusagte, da sein Wirken unbehindert und von sichtbarem Erfolg gekrönt war. Mitten in dieser Arbeit überraschte ihn die Anfrage, ob er nicht als Landschafts-Konsulent wieder in sein Vaterland zurückkehren wolle? Man muß das tief im schwäbischen Gemüth wurzelnde Heimathsgefühl, aber auch den Patriotismus des wackeren Moser in Anschlag bringen, um zu begreifen, daß er einem Rufe folgte, der ihn aus einer glänzenderen und angenehmeren Stellung wieder in eine eben so verwickelte als undankbare Berufsthätigkeit führte. Wir lassen ihn selbst darüber sich äußern:

»Wenn ein Landschafts-Konsulent seinem Amt gewachsen ist, auch bei der Landschaft den nöthigen Kredit hat, kann er in manchen Fällen mehr Gutes stiften und mehr Böses hindern als ein Wirklicher Geheimer Rath, ja als das ganze Geheime Raths-Kollegium, und der Hof selbst schreibt den Gang der landschaftlichen Sachen ordentlicher Weise den Konsulenten zu. Indessen kam doch dieser Antrag in keine Vergleichung mit den Stellen, die ich ausgeschlagen hatte. Aber ich wußte, wo es meinem Vaterlande fehlte. Die Land- und Stadtökonomie, vornehmlich aber das Manufaktur-, Handlungs- und Polizeiwesen litten noch viele Verbesserungen, in deren Ermangelung das baare Geld stromweis zum Lande hinaus- und wenig hineinging, welches, wenn kein Krieg in dasigen Gegenden geführt wird, nothwendig eine allmählige Verzehrung der Landeskräfte nach sich ziehen muß. Weil ich nun bei meinem Aufenthalt in Frankfurt a. d. O., Ebersdorf, Homburg und Hanau mancherlei Einsicht und Erfahrung hierin bekommen hatte, verhoffte ich, meinem Vaterlande hierin wichtige Dienste leisten zu können. Ich entschloß mich also, diese Bedienung anzunehmen, und, um zu zeigen, daß ich dabei nicht auf mein Privatinteresse sehe, gab ich auf Befragen: wie viel ich Besoldung verlangte? zur Antwort: was der Landschaft guter Wille sei. Die herzogliche Konfirmation erfolgte ohne Schwierigkeit, auch mit Vorbehalt meines Geheimenraths-Charakters; nur daß ich mich dessen nicht bedienen sollte, wenn ich als Konsulent bei Hofe oder in der Kanzlei erschiene. Gleichwie ich aber meine Ehre schon seit langen Jahren nicht mehr in Titel und Rang suche, sondern im Gegentheil öfters nur gar zu wenig daraus mache: also ließ ich auch meinen Geheimenraths-Charakter in Hanau zurück, und da ich mich nicht schämte, Landschafts-Konsulent zu. sein, so schämte ich mich auch nicht, mich so nennen zu lassen.«

Moser zog also im Oktober 1751 wieder nach Stuttgart. Anfangs ging Alles gut, man war mit ihm wohl zufrieden und wunderte sich nur, daß er in so kurzer Zeit sich in die Landschaftsangelegenheiten hineinarbeiten und so richtig darüber urtheilen konnte. Gern hätte er seine hanauische Akademie auch in Stuttgart fortgesetzt; die Regierung wollte es aber nicht leiden, aus Furcht, es möchte der Universität Tübingen ein Nachtheil daraus erwachsen. Sodann machte er einen Entwurf zu einer »patriotischen Gesellschaft«, welche, in verschiedene Klassen eingetheilt, sich mit Förderung und Verbesserung der würtembergischen Staats-, Kirchen-, Gelehrten- und Naturgeschichte, mit der Oekonomie, dem Manufakturwesen, dem Handel und der Polizei beschäftigen sollte. Allein ein »sonst wackerer« Geheimer-Rath rieth von dem Unternehmen ab, weil es sonst heißen würde, kaum sei Moser wieder in's Land gekommen, so wolle er auch schon reformiren.

Als er nun aber mit Ausrottung der vielen Mißbräuche in und außer der Landschaft Ernst machte, ging der Handel an; der landständische Ausschuß wollte aus seiner trägen Ruhe nicht aufgerüttelt werden, und nannte Mosers Vorschläge »Chimären«. Der Konsulent zeigte zwar, mit Hinweisung auf seine »Grundsätze einer vernünftigen Regierungskunst«, die im auswärtigen Publikum die beste Aufnahme gefunden hatten, daß sämmtliche Rathschläge sehr praktische Resultate bezweckten, indem sie darauf hinausliefen: 1) das Geld im Lande zu erhalten, 2) noch mehreres hereinzubringen, 3) das darin vorhandene in besseren Umlauf zu setzen, mithin des Landes innere Kräfte zu vermehren und den Unterthanen bessern Wohlstand zu verschaffen; – es half aber Alles nichts, er fand überall den heftigsten Widerstand und konnte nicht durchdringen.

Der Herzog freute sich übrigens des Vorgehens seines Landschafts-Konsulenten und schrieb noch 1756 eigenhändig an ihn: »Wollte Gott, es dächte Jeder so patriotisch wie der Herr Konsulent und Ich; es ginge gewiß Herrn und Lande wohl.« Mit des Herzogs Genehmigung ward denn doch Manches durchgesetzt. Als aber der Landesherr Geld brauchte und oft widerrechtlich der Landschaft Steuern auflegte, begann Moser auch dem Landesherrn gegenüber die wohlbegründeten Rechte der Landschaft zu vertreten. Als dann vollends der Graf von Montmartin zum Kabinetsminister berufen ward, der den Herzog in seinem absoluten Wesen bestärkte und von der Landschaft aller Reichs- und Landesverfassung zuwider unbedingten Gehorsam forderte, konnten die Landschafts-Ausschüsse dazu nicht stillschweigen, und es entbrannte ein heftiger Streit zwischen der Regierung und den Ständen. Moser wollte die Rechte des Landes in seinem »landständischen Staatsrecht« auseinandersetzen; da erschien ein herzoglicher Adjutant und nahm ihm die Manuscripte weg. Endlich erhielt er sie wieder, aber mit dem Verbot, sie drucken zu lassen. Die herzoglichen Rescripte waren so bitter, daß ein Anderer in Mosers Stelle geflohen oder von seinem Posten abgetreten wäre. Moser kannte die Gefahr, aber fürchtete sie nicht.

Am 12. Juli 1759 ward Moser vor den Herzog berufen. Er konnte sich wohl denken, was seiner wartete. Man ließ ihn lange im Vorzimmer stehen; er aber, stark im Glauben, daß die gerechte Sache auch Gottes Sache sei, sprach aus der Fülle seines Herzens zu dem anwesenden Geheimen Sekretär:

Unverzagt und ohne Grauen
Soll ein Christ
Wo er ist
Sich stets lassen schauen.

Vom Herzog ward er sehr ungnädig mit folgender Erklärung empfangen: »Weil alle Meine bisher gegen ihn erlassenen Resolutionen nichts gefruchtet, sondern die Landschaft mit ihren respektswidrigen und ehrenrührigen Schriften noch immer fortfährt, so sehe ich Mich genöthigt, Mich seiner als des Konzipisten Person zu versichern und ihn nach Hohentwiel zu schicken. Ich werde die Sache durch die allerschärfste Inquisition untersuchen lassen.« Moser antwortete: »Euer Durchlaucht werden einen ehrlichen Mann finden.«

Die Nachricht von seiner Verhaftung, aber auch von seinem standhaften Muth verbreitete sich durch das ganze Land. Der Herzog hatte für gut befunden, daß seine landesväterliche Handlung noch am selben Tage in der Stuttgarter Zeitung durch einen Artikel beschönigt wurde, worin der arme Moser auf's häßlichste »abgemalt« ward, und zu gleicher Zeit wurde auch sein zweiter, im herzoglich würtembergischen Staatsdienste stehender Sohn ohne Weiteres und ohne alles Verhör kassirt, ja er bekam nicht einmal die Erlaubniß, eine Oberforstmeisterstelle anzunehmen, welche ihm der Fürst von Ysenburg sogleich angetragen hatte. Drei Jahre lang war der jüngere Moser der Noth Preis gegeben, bis man ihm endlich erlaubte, außer Landes zu gehen. Der Vater aber wurde zu Hohentwiel in einem Zimmer eingesperrt, das er vier Jahre lang nicht verlassen durfte; er bekam weder eine Kirche noch einen Geistlichen zu sehen, durfte mit Niemand sprechen, alles Schreibmaterial ward ihm entzogen, und nur Bibel und Gesangbuch nebst einem Predigtbuche ward ihm gelassen. Erst vier Jahre nach seiner Einkerkerung (1763) erhielt er die Freiheit, zuweilen mit einem Offizier auf der oberen Festung herumgehen zu dürfen. Er selber berichtet u. A. über diese Zeit:

»Ich theilte meine Zeit so ein, daß ich sie abwechselnd mit Beten, Lesen des Alten und Neuen Testaments und der Gesänge zubrachte. Meine Frau (sie starb vor Gram noch vor Mosers Befreiung, ohne ihn auch nur Ein Mal zu sehen) schickte mir eine kleine Schreibtafel, die mir aber der Kommandant ohne Stift einhändigte. Ich schrieb deshalb mit den Spitzen meiner Schuhschnallen und mit dem Stiel meines silbernen Löffels auf die Pergamentblätter, die jedoch wenig faßten, da die Schreibtafel klein war. Auf die an den Herzog gerichtete Bitte, die von mir in der Gefangenschaft gedichteten geistlichen Lieder ungehindert niederschreiben zu dürfen, erhielt ich keine Antwort. Nun begann ich, meine Sachen mit der Spitze der Lichtputze in die weiße Zimmerwand zu kratzen, welche nach und nach ganz überschrieben wurde. Ebenso schrieb ich mit dem nämlichen Werkzeug zwischen die gedruckten Linien meines aus Schreibpapier bestehenden Exemplars der Steinhofer'schen Evangelien-Predigten. Gleichmäßig verfuhr ich mit meiner halle'schen Bibel.«

»Nachdem zuerst meine Frau und dann auch meine Kinder an mich schreiben durften, gewährten mir die unbeschriebenen Stellen dieser Briefe, die übrigens der Kommandant möglichst beschnitt, neues Material, sowie jedes andere alte, wenn auch noch so schlechte Papier, das mir irgendwie zukam. – Die indessen stumpf gewordenen Instrumente, Lichtputze und Scheere, wetzte ich auf dem eisernen Ofen und polirte sie an den aus Eichenholz gefertigten Stühlen meines Zimmers. Durch Wiederabschreiben der in die Wand gekratzten und durch Hinzufügung neuer Lieder, die also alle weiß auf weiß geschrieben waren, entstand eine so reiche Sammlung, daß später bei ihrer Herausgabe acht kleine Oktavbändchen und in der zweiten Auflage des Jahres 1766 zwei Oktavbände von 114 Druckbogen davon voll wurden. Außer diesen zahlreichen Liedern verfaßte ich auch eine Anzahl theologischer und publicistischer Abhandlungen (im Ganzen 43) und bei stets unerschütterter Lebhaftigkeit des Geistes selbst einige humoristische und satyrische Aufsätze. – Ich mußte in diesem Arrest von 1759 bis 1764 ausharren, ohne daß die mir vom Herzog drohend angekündigte Inquisition erfolgte, oder ich auch sonst nur zur Rede gestellt wurde. Meine Frau starb unter der Zeit vor Gram.« Vergeblich schritt die Landschaft mit ihren Bitten und Vorstellungen ein. »Als aber endlich im Jahr 1763 der Hubertusburger Friede erfolgte und mein ältester Sohn wegen meiner Befreiung da und dort bittend auftrat, erklärte ihm Seine königliche Majestät in Preußen Friedrich der Große) ›wie Höchstdieselben schon vorher, als sie von dem harten und unverdienten Schicksal und der noch fortdauernden Gefangenhaltung seines meritirten Vaters benachrichtigt worden, ihren Gesandten in Wien beauftragt hätten, durch die nachdrücklichsten Vorstellungen bei dem kaiserlichen Hofe darauf zu dringen, daß dem Herzog von Würtemberg durch des Kaisers Majestät ernstliche Anmahnung geschehe, diesen alten würdigen und hartbedrängten Mann aus seinem Gefängniß loszulassen.‹ Zugleich hatten königl. Majestät in Preußen ihren Gesandten instruirt, die Gesandten Englands und Dänemarks dahin zu vermögen, seine Vorstellungen durch gleiches angelegentliches Gesuch zu unterstützen etc. Dennoch blieb Alles beim Alten, bis sich die Landschaft klagend an den Reichshofrath wendete (30. Juli 1764) und unter Anderem erklärte, daß es bei den von bösen, Herrn und Land schädlichen ungetreuen Rathgebern ertheilten violenten consiliis um weniger nicht als um gänzliche Zernichtung und Mundtodtmachung derjenigen landständischen Mitglieder zu thun sei, welche für die Aufrechthaltung der landständischen Gerechtsame zu wachen mit schweren Eiden belegt seien.« Darauf erging folgende Ordre des Herzogs von Würtemberg an den Kommandanten von Hohentwiel:

»Dem Arrestanten und ehemaligen Landschafts-Konsulenten Moser zu eröffnen, wie Ich durch die vielfältige Fürbitte von den Seinigen und Andern bewogen worden, den Entschluß zu fassen, denselben, ohnerachtet er sich durch seine manchen schweren Verbrechen einer schärferen Ahndung schuldig gemacht, seines bisherigen Arrestes zu entlassen, wann gedachter Moser sothane Entlassung als eine unverdiente Gnade erkennen, um solches nochmalen schriftlich unter Bereuung seiner großen Fehler und Vergehungen bitten, auch einen bereits im Jahr 1759 anerbotenen Revers ausstellen wird.«

Dazu konnte und mochte sich aber der ehrliche Moser nicht verstehen. In seinem Antwortschreiben sagte er: »Ew. Herzogliche Durchlaucht haben bei meiner Arretirung mir Nichts anderes Schuld gegeben, als daß ich der Verfasser der mißfälligen landschaftlichen Schriften sein solle. Darauf habe ich aber den 15. Juli 1759 von hier aus gründlich geantwortet. Da ferner auch in Dero jüngster Ordre nicht die geringste Spur ist, in was meine schweren Verbrechen bestehen sollen, so wollen Ew. Herzogliche Durchlaucht mir nicht in Ungnaden vermerken, daß ich, als ein mit Ehren in der Welt bekannter, seit 44 Jahren um Dero Herzogl. Haus und Land auf vielerlei Weise wohlverdienter und nun auf der Grube gehender Mann, mich nicht zu entschließen vermag, meine Freiheit mit dem Verlust meiner wohl und sauer erworbenen Ehre zu erkaufen.«

Mittlerweile war den 6. September 1764 ein Beschluß des Reichshofraths erfolgt, kraft dessen kaiserliche Majestät dem Herzog unter Anderem eröffneten: »Den Konsulenten Moser seiner fünfjährigen gefänglichen Haft gegen hinlängliche Kaution unverzüglich zu entlassen.« In Folge dessen wurde ein Regierungsrath nach Hohentwiel geschickt, den Verhafteten über alle die Punkte zu vernehmen, deren Hauptinhalt auf Mißverständnissen und böswilligen Verleumdungen beruhete. Moser wies ebenso fest als freimüthig den Ungrund der Beschuldigungen nach und so folgte denn endlich am 25. September 1764 seine Freilassung, jedoch nicht ohne Ausstellung eines Kautionsscheines, der also lautete:

»Ich gelobe an Eides Statt, daß nach meiner Entlassung wegen all' derjenigen Sachen, um welcherwillen ich bisher in Gewahrsam gewesen, ich mich allezeit und auf jedesmaliges Verlangen zu weiterer Untersuchung und Erörterung in Reichs- und Landesverfassungsmäßiger Ordnung vor dem herzogl. würtembergisch landesherrlichen Forum gehörig stellen, und sofort dem endlichen rechtlichen Erkenntniß geziemend unterwerfen soll und will?

Als dann Moser wenige Wochen später bei dem Herzog um Wiederherstellung des Vergangenen einkam, so erhielt er zwar eine mürrische ungnädige Antwort, doch auch zugleich das thatsächliche Bekenntniß, daß ihm, dem völlig Reinen, durchaus Unrecht geschehen sei. Es wurde ihm nun kein Verbrechen mehr Schuld gegeben, sondern nur geäußert, daß sein Arrest aus »erheblichen, wichtigen«, namentlich politischen Gründen verhängt worden sei. Den von ihm ausgestellten Kautionsschein erhielt er wieder zurück, und der Verfolgte ließ es dabei bewenden. Hatte er doch die Genugtuung, daß alle Biedermänner ihm ihre lebhafte Theilnahme bezeigten, als er von Hohentwiel zurückkehrte; sogar die Schweizerstädte Schaffhausen, Zürich, Bern, hatten während seiner Gefangenschaft in den Kirchen öffentlich für ihn beten lassen. Nun liefen aus Norden und Süden die ehrenvollsten Beglückwünschungsschreiben ein, unter denen eins von der Judenschaft zu Frankfurt, eins von dem dänischen Staatsminister v. Bernstorff in seinem und des Königs Namen. »Der Allerhöchste sei gelobt,« heißt es darin, »der Ihnen Kraft verliehen, große und langwierige Leiden unerschrocken und ohne Verletzung Ihrer Pflichten zu ertragen, und der, nachdem er Sie zu einem nicht nur in jetzigen Zeiten, sondern auch bei der Nachkommenschaft aller Ehren würdigen Märtyrer einer guten und gerechten Sache gemacht, Ihnen auch nun mächtig herausgeholfen hat. Er wolle Sie schon in diesem Leben für diese Ihrem Vaterlande erwiesene Treue belohnen, und Sie Ihrem würdigen Herrn Sohne Friedrich Karl v. Moser, geb. zu Stuttgart 1723, gest. zu Ludwigsburg 1798, Reichshofrath in Wien, dann hessen-darmstädtischer Hofrath, ausgezeichnet als staatsrechtlicher Schriftsteller und ebenso durch seinen patriotischen Freimuth. Unter seinen Schriften: »Patriotische Gedanken von der Staatsfreigeisterei (1755), Sammlung moralischer und politischer Schriften (1763-1764), Reliquien (1767), Patriotisches Archiv (1784).« Von Kaiser Joseph II ward er in den Freiherrnstand erhoben. und ganzer Familie zum großen und immerwährenden Segen setzen.«

Obwohl auch von der Regierung als Landschafts-Konsulent wieder anerkannt, zog sich Moser doch nun von den öffentlichen Angelegenheiten zurück, und im Jahre 1770, da sich der Herzog und die Stände im sogenannten »Erbvergleich« aussöhnten, wurde er aus den »landschaftlichen Konsulentenpflichten und Diensten unter Beibehaltung einer jährlichen Pension von 1500 Gulden« entlassen. Den Rest des vielbewegten Lebens widmete der stets rüstige und thätige Greis seiner schriftstellerischen Thätigkeit. Zwanzig Jahre nach seiner Befreiung starb er am 30. September 1785, in einem Alter von 84 Jahren. Als biederer Deutscher hatte er treulich gehalten, was er seinem Herzog versprochen hatte, nämlich das Vergangene zu vergessen. In seiner Selbstbiographie erzählt er ganz treuherzig: »Des Herrn Herzogs Durchlaucht haben seit meiner Entlassung mich von Neuem genauer kennen lernen und mir erlauben lassen, mir eine Gnade auszubitten. Als ich Ihnen persönlich aufwartete, äußerten Sie sich gnädig gegen mich, daß Sie nun wüßten, daß ich ein ehrlicher Mann, guter Patriot und getreuer Unterthan sei und könnte mich auf Ihre Protektion verlassen. Sie gedachten ferner in den erlassenen Dekreten meiner in den rühmlichsten Ausdrücken, haben auch eben dieses nachher in den gnädigen Handschreiben und sonst bezeuget, und mich zur herzoglichen Tafel gezogen.«

Als ihn bald nach seiner Befreiung aus dem Kerker der Herzog um Rath gefragt hatte, über die Beilegung des Zwistes mit den Ständen, antwortete der in seinem Freimuth und seiner Aufrichtigkeit unveränderliche Greis unter Anderem:

»Der einzige Weg, wodurch Herzogliche Durchlaucht wieder zu einer ungestörten Gemüthsruhe, angenehmen Regierung, Liebe im Lande und einem Ruhm und Glanz (welcher sich auf keine andere Weise jemals erlangen läßt) in der ganzen Welt gelangen können, ist das, wenn Ew. Herzogliche Durchlaucht sich gern entschließen können, wollen und werden: 1) Württemberg auf würtembergisch und zwar gelinde zu regieren; 2) sich dabei geschickter und ehrlicher Minister zu bedienen und selbige etwas bei sich gelten zu lassen; sodann 3) deren Hof-Oekonomie und Kamerale auf einen ganz andern Fuß zu setzen.« –

»Daß ferner Ew. Herzoglichen Durchlaucht bisherige Rathgeber Projekte und Grundsätze gehegt, die sie nimmermehr durchsetzen können und werden, auch der erste Minister (Graf Montmartin) unverzeihliche Staatsfehler gemacht habe, ist leicht zu erweisen. Es würde zwar sehr schwer halten, daß Ew. Herzogliche Durchlaucht auswärts her tüchtige Leute bekäme, denn das, was fast allen Geheimräthen, mir, meinem Sohn und noch Mehreren widerfahren ist, schreckt sicherlich einen Jeden, der sonst Brod in der Welt finden kann, sich in solche Umstände zu begeben.«

– »Und so dürfen Ew. Herzogl. Durchlaucht auch ganz gewiß glauben, Sie treiben es mit den jetzigen Hof- und anderen Ausgaben nicht hinaus, sondern werden, wenn Herzogliche Durchlaucht Sich nicht bald Selbst und freiwillig entschließen, Sich in die Notwendigkeit gesetzt sehen, Dinge geschehen zu lassen, die höchst unangenehm fallen müssen.«

– »Habe ich hier nicht nach Passionen gerathen, so ist es doch zu Deren wahrem, zeitlichen und ewigen Glück und Ruhm auf das getreueste geschehen. Und wenn auch Ew. Herzogliche Durchlaucht diesen Vorschlägen, noch zur Zeit gar kein gnädiges Gehör verleihen wollen, so werden Sie doch bei sich Selbst empfinden und nicht widersprechen können, daß die zärtlichste Devotion und eine unter den mir begegneten Umständen seltene Treue und Unempfindlichkeit über das Vergangene in diesem ganzen Schreiben die Feder geführt habe.«

In allen Bedrängnissen ließ sich Moser nie die innere Heiterkeit der Seele trüben, und jene Zufriedenheit, die aus dem Bewußtsein treu erfüllter Pflicht entspringt, war sein schönster Lohn. Er konnte aber auch von sich bekennen: »In meinen Aemtern und Schriften bin ich nie Parteigänger gewesen und habe mein Lebtag' nie den Grundsatz angenommen: »Wessen Brod ich esse, dessen Lied ich singe.« Recht ist bei mir Recht und Unrecht ist Unrecht, es mag meine Herren, meine Prinzipale oder sonst Jemanden treffen, wen es will; daher ich mich auch in meinen Diensten weder durch Versprechungen habe bewegen, noch durch Befehle nöthigen oder durch Drohungen schrecken lassen, Etwas zu vertheidigen, so ich für ungerecht oder übertrieben halte.« Kurz vor seinem Tode hat ihm noch sein ältester Sohn in dem genannten Patriotischen Archiv IV., 549 ein schönes Lob gespendet, das ebenso den Vater wie den Sohn ehrt. Er preist es als sein größtes Glück, einen Vater zu haben, der im vollsten Sinne des Wortes den Ehrentitel eines »Patrioten« verdiente. »Denn wer mehr kann sich unter unsern Zeitgenossen so nennen lassen als Er, der länger denn ein gewöhnliches Menschenalter mit Lehren und Schriften, mit Thaten und Handlungen für die Rechte, Gesetze und Freiheiten unsers allgemeinen und seines besonderen Vaterlandes gearbeitet, gewirkt, gestritten und gelitten, in mehr denn Einem Kampfe den Bekennerlohn der Wahrheit, den patriotischen Märtyrerkranz errungen, und selbst am Ziele seiner ehrenvollen Laufbahn seinen Prophetenmund noch aufthat, um in seinen Werken, den Früchten funfzigjähriger Erfahrung, unsern Nachkommen Zeugniß und Weissagung zu hinterlassen: wer wir waren? was wir sind? und was Deutschland nach uns zu werden beginne? Zu groß, um eines Andern Sklave, zu gerecht, um blinder Anhänger und Anbeter einer Partei zu sein, leiteten ihn in seinen Lehren und Rathschlägen nur das Gesetz und der große Gedanke der allgemeinen Wohlfahrt. Ich hatte das Glück, in meinem Vater zugleich meinen Freund und Führer zu haben, von ihm selbst geleitet und von früher Jugend an in die Grundsätze der Rechtschaffenheit, in die Geheimnisse des wahren Patriotismus eingeweiht zu sein.«

Was uns in dem Charakter Mosers so sehr anspricht, ist vor Allem seine Ehrlichkeit, in der er nicht wankte von der Kindheit bis zum Grabe; sein Schicksal, jedes von ihm hinterlassene Wort, sein ganzes Leben ist dessen Zeuge. Schon dem Jünglinge wurde in Wien vorausgesagt, daß er schwerlich hohe Stellungen erreichen werde, weil er allzu ehrlich sei. Der »ehrliche alte Moser« blieb eine stehende Bezeichnung. Ohne allen Stolz konnte er von Dem, was das Element seines Wesens war, sprechen: »Wie es oft Familien-Charaktere gibt, so ist die Ehrlichkeit der Charakter meiner Familie. Dafür passirt mein seliger Herr Vater bei Jedermann; diesen Charakter habe ich und meine Brüder jederzeit beständig behauptet, und in diesen Fußstapfen wandeln Gottlob meine lieben Söhne auch.«

Ein zweiter Charakterzug war seine Herzenseinfalt; er, der die Schliche und das Parteigetriebe in hohen und niederen Ständen erfahren, der von den Menschen so viel Ungemach erlitten hatte, blieb dennoch stets harmlos, unbefangen, offenherzig wie ein Kind. Und daß solches nicht aus Schwäche geschah, beweist seine felsenfeste Standhaftigkeit, mit der er das Recht behauptete.

Ein dritter Grundzug seines Wesens war seine Frömmigkeit. Es bleibt immerhin merkwürdig, daß er erst in seinem 30. Jahre und ganz aus freien Stücken, nachdem er zuvor kein besonderes religiöses Bedürfniß gefühlt hatte, der entschiedensten pietistischen Richtung sich zuwandte, in Schrift und That sich an die Spitze eines überkirchlichen Vereins stellte. An einem Sonntag geschah seine Bekehrung in Folge eines himmlischen Gesichts. Er hatte den Seinen das Evangelium vom barmherzigen Samariter erklärt und sich dann im Gebet mit dem Gesicht zu Boden geworfen. Plötzlich war es ihm, als stände er vor dem Gericht Gottes und daß er nun bekannte, wie er ohne sein Verdienst nur um Jesu Christi willen Vergebung seiner Sünden erlangen könne. Da trat Jesus aus dem Hintergrund hervor, bat für ihn um Gnade und sie wurde ihm gewährt. Sogleich rief er seine Hausgenossen zusammen und erzählte ihnen froherregt, was so eben mit ihm geschehen sei. In seiner Familie herrschte fortan ein streng frommer Ton; auch wurde er, wozu er gar keine Anlage zu haben schien, einer der fruchtbarsten geistlichen Dichter.

Seine äußere Erscheinung war stets reinlich, fast zierlich in Kleidung und allen Gewohnheiten, dem jüngern Geschlecht ein Bild der guten, alten Zeit. Nie war er mürrisch, kopfhängerisch, splitterrichtend; sein Christenglaube, der ihn mit seinem Gott versöhnt hatte, versöhnte ihn auch mit den Menschen, daß er Jeden gern anerkannte und Jedermann das Seine ließ. Und in diesem praktischen Verhalten bewährte sich's, daß sein Christenthum, wenn auch manches Ueberschwengliche und Schwärmerische (wie später bei Jung Stilling) mit unterlief, doch auf einer gesunden sittlichen Grundlage ruhete.

Er war durchaus nicht nervös oder schwächlich, konnte er doch noch in seinem 76. Jahre Kalbsknochen mit seinen Zähnen zermalmen, sogar Tische, ohne Beihülfe der Hände, mit den bloßen Zähnen in dem Munde herumtragen und dergestalt den Anwesenden Kaffee präsentiren. Sein Gesicht war so gut, daß er den zartesten Druck »bei geringem Mondenschein«, wie er selber berichtet, lesen und ohne Beschwerde den ganzen Tag hindurch schreiben konnte.


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