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Bildquelle: Dieses Buch

Freiherr von Stein.

Stein's Leben von Pertz, 6 Bde. Eine sehr tüchtige kürzere Darstellung, die auch selbstständigen Werth in Anspruch nehmen darf, ist: Stein und sein Zeitalter. Ein Bruchstück aus der Geschichte Preußens und Deutschlands in den Jahren 1804-1815. Von Dr. Sigismund Stern (Leipzig 1855). Vergl. H. C. v. Gagern: Mein Antheil an der Politik, Band IV. (Stuttgart 1833). E. M. Arndt: Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein (Berlin 1858).


Heinrich Friedrich Karl, Freiherr von und zum Stein, ward am 26. Oktober 1757 auf der reichsfreiherrlichen Burg »zum Stein« bei Nassau an der Lahn geboren. Von vier Söhnen war er der jüngste, von den zehn Kindern seiner Ellern das neunte. Alle seine Brüder sind vor ihm gestorben, mit ihm sollte das edle Geschlecht erlöschen, das zu dem ältesten reichsunmittelbaren Adel von Rheinfranken gehörte. Diese Freiherren in ihrer Unabhängigkeit von den kleinen Fürsten hatten im Bewußtsein ihrer aristokratischen Würde vorzugsweise sich den nationalen deutschen Sinn bewahrt, der nicht vergaß, daß Deutschland einst ein großes einheitliches Ganzes gewesen. War auch der Grundbesitz der Freiherren vom Stein nicht gerade ausgedehnt und dabei mit Schulden belastet, so hatte solches auf die stolze, unabhängige Gesinnung doch keinen Einfluß. Der Vater unsers Helden war übrigens ein einfacher, gerader und offener Charakter, weniger ausgezeichnet durch hohe Geistesgaben als durch natürliche Frische und deutsche Redlichkeit, der das heftige, derbe Wesen keineswegs Abbruch that. Sein Sohn konnte ihm die Grabschrift setzen:

Sein Nein war Nein gewichtig,
Sein Ja war Ja vollwichtig,
Seines Ja war er gedächtig,
Sein Grund, sein Mund einträchtig,
Sein Wort das war sein Siegel.

Seine Gemahlin war eine geborene Langworth von Simmern, eine Frau von ebenso klarem als tiefem Geist, lebhaftem Sinn und unermüdeter Thätigkeit, dabei christlich fromm, die treueste Mutter und Hausfrau.

In sittlich-reiner Atmosphäre eines schönen Familienlebens, in der anmuthigsten Gegend verlebte Stein auf dem alten Stammschlosse seiner Väter die Kindheit und erste Jugend. Der Vater, welcher ein Liebhaber der Jagd und Pfleger der Forsten war, trieb die Knaben fleißig zu Bewegung in freier Luft, während die Mutter die zarten Keime des Gemüthslebens pflanzte, die später zu so reicher Blüthe sich entfalteten. Der jüngste Sohn war der Mutter Liebling, und ihrer Bemühung gelang es, einen Familienvertrag zu Stande zu bringen, durch welchen die ausschließliche Stammesherrschaft auf ihn übertragen wurde.

An fleißigem Studium fehlte es unter den Söhnen wie Töchtern auch nicht. Karl fühlte sich besonders von der Geschichte und namentlich von der englischen Geschichte angezogen; auch die englische Sprache ward ihm bald geläufig. Einst, als die Geschwister Shakespeare's Sommernachtstraum aufführten, weigerte sich Karl, eine Rolle zu übernehmen, stellte sich aber mit dem Ausruf: I am the wall! in das Stück selber hinein, als hätte er schon jetzt geahnt, daß er zu einem Wall, zum Grund- und Eckstein in dem Wogendrange des Lebens berufen sei.

Sechszehn Jahr alt bezog er die Universität Göttingen, um nach dem Wunsche der Eltern für die politische Laufbahn sich zu bilden. Neben den Rechts- und Staatswissenschaften trieb er unausgesetzt das Studium der Geschichte und beschäftigte sich besonders mit den staatsökonomischen Schriften der Engländer. Schon jetzt zeigte er in der Wahl seiner Bücher wie seiner Freunde große Entschiedenheit und Festigkeit; das Mittelmäßige fand bei ihm keine Gnade. Unter seinen Freunden waren zwei ausgezeichnete junge Männer, der spätere Curator der Universität Göttingen, Brandes, und der als tüchtiger Staatsmann und politischer Schriftsteller bekannte Rehberg. Der letztere sprach sich in einem Briefe über Stein also aus: »Es war in allen seinen Empfindungen und Verhältnissen etwas Leidenschaftliches. Aber welche Leidenschaft! Dem lebendigen und unbiegsamen Gefühl für alles Große, Edle und Schöne unterordnete sich in ihm sogar der Ehrgeiz von selbst. Mit den wenigen Menschen, denen er sich hingab, war er nur durch die Vermittelung seiner Empfindungen verbunden, und wer dazu gelangte, konnte nicht anders als ihn wieder leidenschaftlich lieben. So habe ich mit ihm anderthalb Jahr auf der Universität zugebracht und einen Bund geschlossen, der für das Leben gelten sollte.«

Es war eine Zeit jugendlichen Aufstrebens; der göttinger »Hainbund« hatte wackere für deutsche Dichtkunst begeisterte Jünglinge vereinigt, Kants Philosophie war als glänzendes belebendes Gestirn am Himmel deutscher Wissenschaft aufgegangen und auch Rehberg ward eifriger Kantianer. Doch Stein blieb ernst und streng auf dem Pfade, den er sich vorgezeichnet, wollte den Schatz seines christlichen Glaubens nicht durch's Philosophien stören und hatte nur für das Praktische Sinn. Im Jahre 1777 nach vierjährigem Aufenthalt verließ er Göttingen, ging nach Wetzlar, um dort den Kammergerichtsprozeß kennen zu lernen, besuchte dann die kleineren deutschen Höfe, durchreiste Oesterreich und ging über Dresden 1780 nach Berlin. Die Eltern hätten es wohl gern, gesehen, wenn der reichsunmittelbare Baron dem österreichischen Kaiserhause seine Dienste angetragen hätte, aber Stein richtete seinen Blick auf den Staat des großen Friedrich, in welchem er den künftigen Schwerpunkt des deutschen Reiches zu erblicken glaubte. Daß das Reich als solches seiner Auflösung entgegengehe, hatte ihm seine Reise kund gethan.

Durch Verwendung des trefflichen Ministers v. Heinitz, den er wie. einen Vater verehrte, ward er schon in einem Alter von 24 Jahren von. Friedrich dem Großen als Kämmerer angestellt und in's Kollegium für Berg- und Hüttenwesen berufen, dem Heinitz vorstand. Stein machte sich sogleich mit dem größten Eifer vertraut mit seinem Gegenstande, begleitete den Minister auf seinen Geschäftsreisen, erhielt bereits im folgenden Jahre Sitz und Stimme in seinem Kollegium und 1782 die ehrenvolle Ernennung als Oberbergrath. Wegen seiner ausgezeichneten Sachkenntniß konnte ihm schon 1784 die selbstständige Leitung der westphälischen Bergämter und der minden'schen Bergwerkskommission übertragen werden.

Diese Stellung war von dem größten Einflusse auf die staatsmännische Bildung und Richtung Steins. Der noch sehr leidenschaftliche junge Mann hatte mit seinen Amtsgenossen harte Kämpfe zu bestehen, da er alle Schlaffheit und Unwissenheit schonungslos angriff; nach und nach lernte er sich mäßigen und auch seine Untergebenen lernten immer mehr die sittliche Reinheit seines Willens schätzen. Dann war es aber auch ein höchst glücklicher Zufall, daß Stein gerade in einem Landstrich wirkte, wo die Bevölkerung noch einen echtdeutschen Kern bewahrt hatte und namentlich jenes selfgovernment übte, das der politischen Richtung Steins besonders zusagte. Die Grafschaft Mark in ihrem Stolz auf althergebrachte Rechte und Freiheiten, in ihrem Gemeindeleben, das von selbsterwählten Vorständen geleitet wurde, in ihrer freisinnigen Kirchenverfassung, in der auch die Laien ein Wort mitsprechen durften, mußte das Bild eines freien, naturwüchsigen nationalen Lebens in der Seele eines Staatsbeamten befestigen, der seine Ideen an englischer Geschichte und Verfassung entwickelt hatte. Da ihm auch die Leitung des Gewerb- und Fabrikwesens anvertraut war, so übte er dieselbe nicht nach preußischer herkömmlicher Beamtenart, die Alles gängeln will, sondern zur Entwickelung der Selbstthätigkeit und Selbstständigkeit.

Im Jahre 1785 ward ihm auch eine diplomatische Sendung anvertraut, um dem Plane Kaiser Josephs, Baiern durch einen Austausch gegen die österreichischen Niederlande als »burgundisches Königreich« zu erwerben, entgegen zu wirken, und den Kurfürsten von Mainz auf Preußens Seite zu ziehen. Die Mission gelang, aber der gerade, allen Schleichwegen abholde Stein hatte dabei einen wahren Abscheu vor der Diplomatie bekommen.

Am 31. Oktober 1786 ernannte ihn der Nachfolger des großen Friedrich, Friedrich Wilhelm II., zum Geheimen Oberbergrath, und bald nachher machte er in Begleitung des nachmaligen Ministers des Bergbaues, Grafen von Reden, eine Reise nach England, die ihm höchst lehrreich ward nicht allein in der Anschauung der Eisenfabriken und Bergwerke, sondern auch in der näheren Kenntnißnahme des gesammten gesellschaftlichen und staatlichen, auf freien Einrichtungen beruhenden Lebens der Engländer. Nach seiner Rückkehr bot ihm die Regierung den Gesandtschaftsposten im Haag, dann in St. Petersburg an; Stein, der dem einmal ergriffenen Berufe treu bleiben wollte, lehnte die glänzenden Stellen ab, und ward nun zum ersten Kammerdirektor der Kriegs- und Domänenkammer zu Kleve und Hamm ernannt.

In diesem industrie- und handeltreibenden Bezirke ließ er sich's vor Allem angelegen sein, die Kommunikationsmittel zu verbessern; er machte die Ruhr schiffbar und bauete mehr als 20 Meilen Chausseen. In Uebereinstimmung mit den Ständen verwandelte er die sehr lästigen Naturalabgaben, die von Lebensmitteln oder Rohprodukten erhoben wurden – nicht bloß auf der Grenze, sondern auch an den Stadtthoren oder bei der Ueberfuhr von der Stadt aufs Land – in eine feste Klassensteuer, und beseitigte dadurch einen großen Hemmschuh des Verkehrs und Handels. Diese Maßregel ward später dem ganzen preußischen Finanzsystem zu Grunde gelegt und trug wesentlich zur Idee des deutschen Zollvereins bei, der alle Zollschranken im Innern des gemeinsamen Vaterlandes zu beseitigen strebte.

Bis zum Jahre 1792, wo die Wirkungen der französischen Resolution auch in Deutschland fühlbar wurden, blieb Steins Thätigkeit ungestört. Als der Herzog von Braunschweig seinen Rückzug genommen hatte, Mainz widerstandslos in die Hände der Franzosen gefallen war und man die Dinge am Rhein gehen ließ wie sie wollten, gehörte Stein mit seinem Bruder, dem Obersten, zu den Wenigen, die nicht den Kopf verloren. In Gießen trafen die Brüder mit dem hannöverschen Feldmarschall Grafen Walmoden zusammen und begannen zu handeln, ohne noch lange auf Befehl von ihren Regierungen zu warten. Stein rüttelte die beiden Landgrafen von Hessen auf, betrieb die Verbindung der Hessen, Hannoveraner und Preußen und die Stadt Frankfurt ward mit Hülfe der Handwerksburschen (2. Dezember 1792) befreit, das schwerbedrohete Wesel durch Steins Entschlossenheit gerettet. In den nächstfolgenden Kriegsjahren, in welchen er für die Verpflegung des Heeres Sorge zu tragen hatte, zeigte er dieselbe Entschiedenheit, womit er stets sicher den Augenblick erfaßte. Wohl hatte er Grund, seinem Freunde Rehberg, als dieser zauderte, eine verlangte Antwort zu geben, gerade heraus zu sagen: »Wenn Sie erst ein paar Feldzüge mitgemacht hätten, würden Sie sich nicht so lange bedenken!«

Am 5. April 1795 schloß Preußen den verhängnißvollen Separatfrieden zu Basel, wodurch es sich völlig isolirte und seinen tiefen Fall 1806 vorbereitete. Auch nach dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelms III. nahmen die Dinge keine bessere Wendung. Während in Oesterreich der junge Erzherzog Karl in echt deutscher Weise hervortrat und heldenmüthig kämpfte, sah Preußen ruhig zu. Stein schrieb in seinem Ingrimm Frau v. Berg: »Wir amüsiren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei, und unser Staat hört auf, ein militärischer Staat zu sein und verwandelt sich in einen exerzierenden und schreibenden. Wenn meine Einbildungskraft mir die Gestalten der einflußreichen und ausführenden Personen vorstellt, so, gestehe ich, erwarte ich nur wenig.«

Im Jahre 1796 ward Stein zum Oberpräsidenten sämmtlicher westphälischer Kammern (mit dem Wohnsitz in Minden) ernannt, und seine Thätigkeit erstreckte sich nun über ein Gebiet von 182 Quadratmeilen mit 500,000 Einwohnern. Unter den mancherlei Verbesserungen, die er in dieser Stellung einführte, möge nur auf die Zerstörung der Eigenhörigkeit der Bauern, eines Ueberbleibsels der Leibeigenschaft, auf die Aufhebung aller persönlichen Frohnden und die Gründung eines allgemeinen Kreditsystems für den kleinen ländlichen Grundbesitz hingewiesen werden. Bei wichtigen Staatsfragen berief man ihn öfters nach Berlin, ja seine Wirksamkeit war schon so ehrenvoll bekannt, daß ihm 1802 das Ministerium im Kurfürstenthum Hannover angeboten wurde. Stein lehnte den Antrag ab, weil er von der Nothwendigkeit überzeugt sei, die zersplitterten Kräfte Deutschlands zur Einheit zu verbinden, im hannoverschen Dienste aber in Gefahr gerathe, ein kleinstaatliches Interesse, das noch dazu ein undeutsches sei, verfolgen zu müssen. Um sich noch fester mit dem preußischen Staate zu verbinden, kaufte er (in Gemeinschaft mit einem Herrn v. Troschke) die Gutsherrschaft Birnbaum im Großherzogthum Posen, nachdem er schon vorher seine auf dem linken Rheinufer belegenen Erbgüter verkauft hatte, um der ihm so verhaßten französischen Herrschaft zu entgehen.

Dem Frieden zu Lüneville, in welchem Deutschland das linke Rheinufer verlor und den deutschen Fürsten, die auf dem jenseitigen Ufer Besitzungen hatten, Entschädigungen diesseits versprochen wurden, folgte der schmachvolle »Reichsdeputations-Hauptschluß« 1803, der die Ohnmacht des deutschen Reiches besiegelte. Der französische Eroberer warf mit deutschen Ländergebieten wie mit Fetzen eines zerrissenen Kleides um sich, unter dem Namen der Säcularisirung der geistlichen Güter und Mediatisirung der freien Reichsstädte ward Deutschland mit Deutschland entschädigt. Zur Uebernahme der an Preußen gefallenen westphälischen Bisthümer ward durch Kabinetsordre vom 6. Juni 1802 Stein bestimmt. Es war keine leichte Aufgabe, ein streng katholisches Land, das überdem unter der Fürstenbergschen Verwaltung alle Vorzüge einer nicht nur milden und frommen, sondern auch geistig anregenden Regierung genossen hatte, einem protestantischen Fürsten zu unterwerfen. Stein zeigte auch hier seinen edlen Sinn, indem er, obwohl entschiedener Protestant, das Gute auf katholischer Seite willig anerkannte und hervorhob. An seine Freundin, Frau v. Berg, schrieb er über Herrn v. Fürstenberg: »Er setzt vielleicht einen zu hohen Werth auf das Positive seiner Religion, auf die Form des Gottesdienstes, aber man finde mehr äußere Achtung für Religion, mehr Menschen von frommen, andächtigen Gefühlen, als ich anderwärts gefunden, und er erhält seinen Mitbürgern den Besitz eines gewiß unschätzbaren Kleinodes, dessen Verlust alle unsere Philosophismen nicht ersetzen.«

Da der Reichsverband so gar locker geworden war, wurden einige Fürsten auch nach den Gütern der Reichsritterschaft lüstern. Im Dezember 1803 erklärte der Herzog von Nassau-Usingen, er wolle für den zu erwartenden Fall der Auflösung der Reichsritterschaft die in seinem Gebiet gelegenen reichsritterschaftlichen Besitzungen unter seine Landeshoheit stellen, schickte auch sogleich einen nassauischen Amtmann auf Steins Güter Frücht und Schweighausen. Von Steins Seite erfolgte sogleich ein Protest, der also lautete:

»Deutschlands Unabhängigkeit und Selbstständigkeit wird durch die Konsolidation der wenigen reichsritterschaftlichen Besitzungen mit den sie umgebenden kleinen Territorien wenig gewinnen; sollen diese für die Nation so wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden, so müssen diese kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz, die Fortdauer des deutschen Namens abhängt, vereinigt werden, und die Vorsehung gebe, daß ich dieses glückliche Ereigniß erlebe!«

»In dem harten Kampfe, von dem Deutschland sich jetzo momentan ausruht, floß das Blut des deutschen Adels. Deutschlands zahlreiche Regenten, mit Ausnahme des edlen Herzogs von Braunschweig, entzogen sich aller Theilnahme und suchten die Erhaltung ihrer hinfälligen Fortdauer durch Auswanderung, Unterhandlung oder Bestechung der französischen Heerführer. Was gewinnt Deutschlands Unabhängigkeit, wenn seine Kräfte noch in größerer Masse in diese Hände konzentrirt werden?« –

»Der Adel, der der Stolz und die Stütze großer Monarchieen ist, gedeiht in einem kleinen Staat nur kümmerlich; ist er reich, so wird er ein Gegenstand der Scheelsucht, wo nicht des Fürsten, doch seiner Umgebungen; ist er arm, so eröffnen sich keine Aussichten zu seinem bessern Sein, er darbt und erlischt.«

»Wird der ritterschaftliche Verein auf eine gewaltsame Weise zertrümmert, so entsage ich dem Aufenthalt in einem Lande, das mich mit Gegenständen bitterer Erinnerungen umgiebt, und wo mir Alles den Gedanken an den Verlust meiner Unabhängigkeit und an meine neuen Fesseln zurückruft.«

»Es ist hart, ein erweislich siebenhundertjähriges Familieneigenthum verlassen und sich in entfernte Gegenden verpflanzen zu müssen, die Aussicht aufzugeben, nach einem arbeitsamen, und ich darf es sagen, nützlichen Geschäftsleben im väterlichen Hause, unter den Erinnerungen seiner Jugend, Ruhe zu genießen und den Uebergang zu einem bessern Sein zu erwarten. Es ist noch härter, alle diese Opfer nicht einem großen, edlen, das Wohl des Ganzen fördernden Zweck zu bringen, sondern um der gesetzlichen Uebermacht zu entgehen, um – doch es giebt ein richtendes Gewissen und eine strafende Gottheit.«

Noch schützte der Kaiser die Güter des Freiherrn; Steins Brief aber erschien gedruckt, und erweckte allgemeine Theilnahme für den Verfasser.

Im Jahre 1804, in welchem Napoleon sich die Kaiserkrone aufsetzte, ward Stein als Staatsminister nach Berlin berufen, für das Accise-, Zoll-, Fabriken- und Handelsdepartement. Während er mit gewohnter Energie in die Geschäfte eingriff, alle Land-, Binnen- und Provinzialzölle aufhob und so zuerst im Großen den Grundsatz zur Geltung brachte, daß vor Allem die gewerbliche und kommerzielle Thätigkeit des Volkes gehoben werden müsse, wenn die Finanzen des Landes sich heben sollen; während er die Verwaltung möglichst vereinfachte, die Bank und Seehandlung zu neuem Aufschwung brachte: ging es mit der Politik Preußens nach Außen immer mehr den Krebsgang. Die Kabinetsräthe Haugwitz, Lombard und Beyme, die allein noch Einfluß übten auf den König, zwischen ihn und die Minister sich stellten, waren die Häupter der ebenso feigherzigen als käuflichen Friedenspartei, die allen Hohn und alle Schmach von Seiten Napoleons mit Verleugnung alles deutschen Sinnes geduldig hinnahmen, den Blick des Königs verblendeten, bis es, als diesem die Augen aufgingen, zu spät war. England, Rußland und Oesterreich hatten sich gegen Napoleon verbündet, und erwarteten von Preußen den Beitritt zu ihrem Bunde. Jene Friedens- und Neutralitätspartei wußte Preußens Theilnahme zu hintertreiben. Als Napoleon, die Neutralität verachtend, seine Truppen durch preußisches Gebiet marschiren ließ, Stein und andere Patrioten zum Kriege riethen und Kaiser Alexander selber nach Berlin kam: da ward zwar ein geheimes Bündniß geschlossen, aber mit dem entschiedenen Vorgehen von preußischer Seite so lange gezögert, bis die Schlacht von Austerlitz für die Verbündeten verloren war. Haugwitz hatte sogar den frechen Muth, im schönbrunner Vertrag auf eigene Hand einen Angriffs- und Vertheidigungsbund mit Frankreich zu schließen, und von Napoleon gegen Abtretung von Ansbach, Cleve und Neuenburg das Kurfürstenthum Hannover anzunehmen. Die Franzosen besetzten schon diese Gebiete, ehe noch von Berlin aus die Bestätigung jenes von Haugwitz unterschriebenen Vertrages eingetroffen war.

Stein setzte nun Alles daran, jene verderblichen Rathgeber der Krone zu entfernen; er übergab dem Könige eine geharnischte Denkschrift, die mit den Worten schloß: »Sollten Se. Königliche Majestät sich nicht entschließen, die vorgeschlagenen Veränderungen anzunehmen, sollten sie fortfahren, unter dem Einfluß des Kabinets zu handeln, so ist es zu erwarten, daß der preußische Staat entweder sich auflöst oder seine Unabhängigkeit verliert, und daß die Achtung und Liebe der Unterthanen ganz verschwinde.« Friedrich Wilhelm III. konnte sich nicht entschließen, ja er ward mißtrauisch gegen einen Mann, der auf solche Weise zu ihm zu sprechen wagte.

Das Unglück rückte mit sicheren Schritten immer näher heran. Als Napoleon mit Stiftung des Rheinbundes (12. Juli 1806) den letzten Kitt des deutschen Reiches gelöst; als Franz II. die römische Kaiserwürde niederlegt hatte; als französische Truppen in Franken und Westphalen einrückten: da endlich setzte der König (am 9. August) Alles auf den Kriegsfuß. Aber Alles ging so lau und lahm, daß die Prinzen Heinrich und Wilhelm, die Brüder des Königs, Prinz Louis Ferdinand und der Prinz von Oranien in Verbindung mit Stein und den Generalen Blücher, Rüchell und Pfuel am 2. September dem Könige eine Denkschrift übergaben, worin sie die Gefahr des Vaterlandes vorstellten und abermals auf die Nothwendigkeit hinwiesen, das Kabinet zu ändern. Der König war darüber aufgebracht, auch Stein erhielt einen Verweis. Bei solchem Schwanken gewann Napoleon Zeit, sein Heer zu vereinigen und im Oktober durch das Saalthal vorzudringen. Seine Siege bei Jena und Auerstedt (14., l5., 16. Oktober 1806) warfen die preußische Monarchie wie ein Kartenhaus über den Haufen. Der erste Minister und Gouverneur von Berlin theilte der Hauptstadt am 17. Oktober die traurige Nachricht mit den in ihrer Art klassischen Worten mit: » Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich bitte darum.« Am folgenden Tage entfloh er, ohne auch nur irgend eine Vorkehrung zur Vertheidigung der Stadt oder zur Rettung der reichen Vorräthe im Zeughause und den Magazinen getroffen zu haben. Stein, obwohl er krank am Podagra danieder lag, rettete die Gelder und begab sich nach Danzig.

Nun erst schien der König geneigt, auf Steins Vorstellungen einzugehen, der auf Entfernung der Kabinetsregierung drang und an Beyme's Stelle Hardenberg vorschlug. Graf Haugwitz und Lombard wurden entlassen, Beyme und viele Anhänger der Entlassenen blieben. Stein wurde zum Finanzminister ernannt; da er aber auf vollständige Aenderung des Systems drang und mit halben Maßregeln sich nicht zufrieden geben wollte, erregte er den Unwillen des Königs, der ihm in eigenhändiger Kabinetsordre seine Entlassung ankündigte. Darin hieß es u. A., daß Stein als ein »widerspenstiger, trotziger, hartnäckiger und ungehorsamer Staatsdiener anzusehen sei, der, auf sein Genie und seine Talente pochend, weit entfernt, das Beste des Staats vor Augen zu haben, nur durch Capricen geleitet, aus Leidenschaft und aus persönlichem Haß und Erbitterung handele«.

So stieß der im Irrthum über sein wahres Interesse befangene König einen Staatsmann von sich in demselben Momente, wo er desselben am nöthigsten bedurfte.

Stein kam Ende März 1807 auf seinem Stammsitz in Nassau an, und benutzte die Mußezeit zu Wiederherstellung seiner sehr angegriffenen Gesundheit, aber auch zum Besten des Vaterlandes, indem er seine Gedanken über die politische Wiedergeburt desselben zu Papier brachte. Im Juni 1807 hatte er seine Denkschrift »über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der preußischen Monarchie« vollendet. Der edle Mann hatte nicht nur nicht den Gedanken aufgegeben, seine Dienste der preußischen Monarchie zu widmen, sondern sich auch schon nach Männern umgesehen, denen er die einzelnen Staatsämter am liebsten anvertrauen mochte. Die Briefe, welche er von seinen früheren Untergebenen, den trefflichen Männern Niebuhr und Kunth erhielt, die auch den Muth und die Hoffnung aus eine bessere Zukunft nicht verloren hatten, erfrischten ihn und thaten ihm wohl.

* * *

Preußen, von Napoleon zu Boden geworfen, von Rußland verlassen, war der Botmäßigkeit des Gewalthabers preisgegeben. Es verlor im Frieden zu Tilsit (9. Juli 1807) die Hälfte seines Landes und Volkes, 200,000 Mann französische Truppen blieben als Besatzung und die zu zahlende Kriegssteuer betrug nicht weniger als 58 Millionen Francs nebst 62 Millionen der Landeseinkünfte, welche Summe theils in Krongütern, theils in baarem Gelde aufgebracht werden sollte. Der unglückliche König mußte überdies seinen ersten Minister Hardenberg entlassen, so wollte es Napoleon. Doch der tiefgebeugte Friedrich Wilhelm III. zeigte sich im Unglück groß; er verlor nicht den Muth und – berief Stein im selben Moment, in welchem Hardenbergs Entlassung erfolgte. Stein vergaß alle erlittene Unbill; seine Antwort an den König lautete: »Euer Königlichen Majestät Allerhöchste Befehle wegen des Wiedereintritts in Dero Ministerium der Einländischen Angelegenheiten sind mir durch ein Schreiben des Kabinetsministers Hardenberg d. d. Memel, den 10. Juli, am 9. August zugekommen. Ich befolge sie unbedingt und überlasse Eurer Königlichen Majestät die Bestimmung jedes Verhältnisses, es beziehe sich auf Geschäfte oder Personen, mit dem Eure Königliche Majestät es für gut halten, daß ich arbeiten soll. In diesem Augenblicke des allgemeinen Unglücks wäre es sehr unmoralisch, seine eigene Persönlichkeit in Anrechnung zu bringen, um so mehr, da Ew. Majestät selbst einen so hohen Beweis von Standhaftigkeit geben.«

Die Zeit, in welcher Stein als preußischer Minister wirkte, war die kurze Frist vom 30. September 1807 bis zum 24. November 1808, aber dieses Eine Jahr war entscheidend für Preußens Wiedergeburt; Stein legte unter Sturmwind und Erdbeben den festen Grund zu einem neuen Staatsbau, auf welchem fortgebaut werden konnte, auch wenn der Meister nicht mehr persönlich Hand anlegte. Vor Allem mußte den ausschweifenden, aber unerbittlichen Geldforderungen des Feindes so viel als möglich genügt werden, und da galt es denn, die Finanzkraft des zusammengeschmolzenen Landes aufrecht zu erhalten und auch die kleinsten Quellen zu eröffnen und durch weise Benutzung zu Einem Ganzen zu sammeln. Die alten Zunftschranken, Adelsprivilegien und Beamtenplackereien, welche schwer auf dem Ackerbau lasteten, Handel und Gewerbe hemmten, mußten niedergerissen, allen Gliedern des Staats eine freie Bewegung zu Theil werden. Wenige Tage nach Steins Ernennung ging bereits von Memel (9. Oktober) eine Verordnung aus, nach welcher fortan es Bürgern und Bauern erlaubt sein sollte, auch solche unbewegliche Güter an sich zu bringen, deren Besitz bisher ein ausschließliches Vorrecht des Adels gewesen war, sowie auch diesem zugestanden ward, bürgerliche und bäuerliche Güter zu erstehen und bürgerliche Gewerbe zu treiben. Auch die Zerstückelung der Güter (unter Vorbehalt der Rechte der Gläubiger) ward zugestanden – eine Maßregel, die durch die Noth der Zeit entschuldigt werden mag. Alle Art von Dienstzwang und Leibeigenschaft sollte aufhören, Unterthänigkeit weder durch Geburt noch durch Heirath begründet werden. Bald darauf erschien eine zweite Verordnung, welche die traurige Lage der Grundbesitzer zu bessern strebte. Um bei den immer mehr sich steigernden Schulden ihren gänzlichen Untergang abzuwehren und übereilten Versteigerungen (zu ihrem und ihrer Gläubiger Vortheil) zuvorzukommen, bewilligte der König eine allgemeine Zahlungsnachsicht (Indult) bis zum 24. Januar 1810. Ferner ward für die städtischen Gemeinden eine besondere Städteordnung entworfen, wodurch die Bürger zur selbstständigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten aufgefordert wurden, und wie auf diesem untersten Punkte des Staatslebens die Geschäfte vereinfacht und die Strebungen in Einen Brennpunkt vereinigt werden sollten, so wurden in gleicher Weise die höchsten Stellen (Ministerien) organisirt: die oberste Verwaltung des Staates ward fortan in den Staatsrath unter unmittelbarer Leitung des Königs gewiesen und für die einzelnen Zweige der Leitung des Inneren, der Finanzen, des Auswärtigen, des Krieges und der Justiz wurden fünf besondere Ministerien gebildet, die wieder in einzelne Abtheilungen (Sektionen) zerfielen und ihre Geschäftsthätigkeit genau abgrenzten. Was die Ministerien für das ganze Land, das waren die »Regierungen« für die Provinzen, die demgemäß in »Regierungsbezirke« eingetheilt wurden. Die lokalen Interessen der Kreise wurden in die Hände von Landräthen gelegt. Um aber die Theilnahme des Volkes am Großen und Ganzen nicht zu unterdrücken, wurden Provinzial- und Reichsstände errichtet, denen nicht nur Antheil an der Gesetzgebung, sondern auch an der Verwaltung eingeräumt werden sollte.

Wie Stein für die Neugestaltung des inneren staatlichen Lebens, wirkten Scharnhorst und Gneisenau für eine neue, aus der Volkskraft hervorgehende Heerverfassung, welche den altpreußischen Zopf und Kamaschendienst beseitigte. Die drei Patrioten Stein, Scharnhorst und Gneisenau suchten den König für ein Bündniß mit Oesterreich zu gewinnen, das sich wider Napoleon rüstete; sie wiesen darauf hin, wie sich an verschiedenen Orten bereits Geheimbünde gebildet hätten, mit deren Hülfe ein allgemeiner Aufstand des Volkes wohl zu bewirken sei, und wie gerade mit Aufgebot der Volkskraft den Franzosen der unbezwingliche Gegner erstehen würde. Als der König sich nicht geneigt zeigte zur Ausführung eines so kühnen Planes, rieth der umsichtige Scharnhorst, die Sache für jetzt fallen zu lassen und rückhaltslos noch den Franzosen sich anzuvertrauen. Stein glaubte den Sinn des Königs noch umstimmen zu können und setzte die Vorbereitungen zum Kampfe fort, trotz der französischen Aufpasserei. In der Mitte August (1808) sandte er einen seiner Vertrauten (den Assessor Koppe) mit Aufträgen an den Fürst von Sayn-Wittgenstein nach Doberan; der Ueberbringer gerieth in die Hände des Feindes, Steins Brief ward ihm abgenommen und machte bald darauf, mit bitteren Bemerkungen begleitet, in französischen und deutschen Zeitungen die Runde. Eine Stelle darin lautete: »Die Erbitterung nimmt in Deutschland täglich zu, und es ist rathsam, sie zu nähren und auf die Menschen zu wirken. Ich wünschte sehr, daß die Verbindungen in Hessen und Westphalen erhalten würden und daß man auf gewisse Fälle sich vorbereite, auch eine fortwährende Verbindung mit energischen, gutgesinnten Männern erhalte, und diese wieder mit Andern in Berührung setze. Die spanischen Angelegenheiten machen einen sehr lebhaften Eindruck, und beweisen handgreiflich, was wir längst hätten vermuthen sollen.«

Stein nahm seine Entlassung, die ihm der König mit schwerem Herzen am 26. November bewilligte: Napoleon schleuderte von Madrid aus den Bannstrahl gegen den deutschen Freiherrn, und sein Edikt, das der französische Gesandte St. Marsan überbrachte, ist ein merkwürdiges Zeugniß seiner Wuth. Es lautete:

»Der, Namens Stein ( le nommé Stein), welcher Unruhen in Deutschland zu erregen sucht, ist zum Feinde Frankreichs und des Rheinbundes erklärt. – Die Güter, welche der besagte Stein, sei es in Frankreich, sei es in den Ländern des Rheinbundes, besitzen möchte, werden mit Beschlag belegt. Der besagte Stein wird, wo er durch unsere oder unserer Verbündeten Truppen erreicht werden kann, persönlich zur Haft gebracht.«

»Gegeben in unserem kaiserlichen Lager zu Madrid am 16. Dezember 1808.

Napoleon

Der also Geächtete floh nach Oesterreich; am 5. Januar 1809, wo er zum letzten Male mit seinen Freunden in Berlin eine Zusammenkunft gehabt hatte, sprach der Major v. Röder das prophetische Wort: »Eure Exzellenz werden jetzt durch die Franzosen Ihres angestammten Erbes beraubt; wir Preußen müssen es Ihnen mit unserem Blute wieder erobern.« Der Ehrenmann besiegelte wenige Jahre später sein Wort mit dem Tode des Helden. Der Name »Stein« ward zur Parole für alle muth- und hoffnungsvollen Deutschen, die das Herz auf dem rechten Flecke hatten. Im Vertrauen auf die göttliche Vorsehung, die noch Alles zum Besten lenken werde, reiste Stein über Schlesien nach Prag, und begab sich von dort, einer Weisung der österreichischen Regierung folgend, nach Brünn. Dort traf am 1. März auch seine Familie ein, und der schwer geprüfte Mann ward um so mehr getröstet, als er in seiner Gemahlin einen Heldenmuth erkannte, den er bei der Zartheit ihres Wesens kaum für möglich gehalten hätte. Auf der Rückseite des Briefes, in welchem sie ihm ihre und der Kinder Ankunft verkündigt, fand sie von der Hand ihres Gemahles die Worte Schillers:

Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück, –
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe;
Was Feuers Wuth ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben:
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
Und sieh', ihm fehlt kein theu'res Haupt.

Mit freudiger Hoffnung blickte Stein auf Das, was in Oesterreich geschah, wo die Regierung zum ersten Male seit Jahrhunderten wieder im Volk ihre Stütze suchte und fand. Die wackeren Tyroler hatten die französischen und bayrischen Besatzungen aus ihrem Lande getrieben, Erzherzog Johann mit ihrer Hülfe in Oberitalien glücklich gekämpft, und der Kriegsheld Erzherzog Karl hatte bei Aspern den bisher Unbesiegten geschlagen. Wären die vereinzelten Heldenkämpfe Schills und des Herzogs von Braunschweig im Norden des deutschen Vaterlandes ein Signal geworden zur Volkserhebung, hätte Preußen nicht länger gezaudert und hätten beide Fürsten, Kaiser Franz und König Friedrich Wilhelm, an die deutsche Nation sich gewendet, dann wäre schon jetzt der Reichsfeind besiegt worden, und es hätte nicht erst des Brandes von Moskau und der Beihülfe der Russen bedurft, um Deutschland zu befreien. Aber auf die Schlacht von Aspern folgte die von Wagram und der wiener Friede, der Napoleon auf den Gipfel feiner Macht erhob. Deutschland mußte noch tiefer gedemüthigt werden, um zu lernen – einig zu sein.

In Preußen ging Vieles wieder den Krebsgang, und wenn auch Männer wie Wilhelm v. Humboldt, Nicolovius und Süvern im Unterrichtswesen bessere Einrichtungen durchsetzten, und Sack, Vincke, Schön, Merkel als Regierungspräsidenten im Sinne Steins wirkten, so fehlte doch die einheitliche kräftige Leitung des Ganzen, und ein Ministerium Altenstein war der kritischen Zeit nicht gewachsen. Als Napoleon wegen der ausbleibenden Zahlungen drohende Worte erhob, schien dem schwachmüthigen Altenstein das beste Rettungsmittel die Abtretung der Provinz Schlesien zu sein! Nun ward Hardenberg als Staatskanzler in's Ministerium berufen, der einen Finanzplan vorlegte, über den er zuvor mit Stein konferirt hatte.

Am 19. Juli 1810 starb die Königin Luise im 35. Jahre ihres Alters; ihr Tod machte das Maaß der Leiden voll; Stein in seiner treuen Anhänglichkeit und Liebe hätte gern sogleich dem Könige geschrieben, aber die Furcht, daß dieser Schritt von den Höflingen, die ihn haßten, falsch gedeutet werden möchte, als suche er die Rückkehr, hielt ihn zurück. Desto mehr ergoß er sein ebenso zart als tief fühlendes Herz in dem Briefwechsel mit der Prinzeß Wilhelm, die ihm vertrauensvoll ihr ganzes edles, frommes Gemüthsleben offenbarte.

Im Juni 1810 war Stein mit seiner Familie wieder nach Prag übersiedelt, und widmete sich mit aller Sorgfalt dem Unterricht und der Erziehung feiner Töchter. Als im folgenden Jahre der allgewaltige Napoleon mit Rußland brach, in seinem Kriegszug auch Preußen mit fortriß und Oesterreich fortzureißen im Begriff war, schien ihm nichts übrig zu bleiben, als nach England zu fliehen. Da erhielt er am 19. Mai durch den Prinzen Ernst von Hessen-Philippsthal folgenden Brief vom russischen Kaiser:

»Die Achtung, welche ich immer für Sie hegte, hat keine Aenderung durch die Ereignisse erlitten, welche Sie von dem Steuer der Geschäfte entfernten. Es ist die Energie Ihres Charakters und die ausnehmenden Talente, die sie Ihnen erworben haben.

»Die entscheidenden Umstände des Augenblicks müssen alle wohldenkende Wesen, Freunde der Menschlichkeit und der freisinnigen Ideen wieder verbinden. Es handelt sich darum, sie von der Barbarei und Knechtschaft zu retten, die sich bereiten, um sie zu verschlingen.

»Napoleon will die Knechtung Europa's vollenden, und um dieses zu erreichen, muß er Rußland niederwerfen. Schon lange bereitet man sich hier für den Widerstand und die kräftigsten Mittel sind hier seit langer Zeit versammelt.

»Die Freunde der Tugend und alle vom Gefühl der Unabhängigkeit und der Liebe zur Menschheit belebte Wesen werden von dem Erfolge dieses Kampfes betroffen. Sie, Herr Baron, der sich auf eine so glänzende Art unter ihnen ausgezeichnet hat, Sie können kein anderes Gefühl hegen, als das, zu dem Erfolge der Anstrengungen beizutragen, welche man im Norden machen wird, um über Napoleons eindringenden Despotismus zu triumphiren.

»Ich lade Sie auf die inständigste Weise ein, mir Ihre Gedanken mitzutheilen, sei es schriftlich auf eine sichere Weise, sei es mündlich, indem Sie zu mir nach Wilna kommen Der Graf v. Lieven wird Ihnen zu diesem Zwecke einen Eintrittspaß mittheilen. Ihre Anwesenheit in Böhmen könnte freilich von großem Nutzen sein, da Sie sich, so zu sagen, im Rücken der französischen Heere befinden. Aber Oesterreichs Schwäche wird dieses so gut als gewiß unter die Fahnen Frankreichs stellen und könnte Ihre Sicherheit oder doch die Ihres Briefwechsels gefährden.

»Ich fordere Sie daher auf, das Gewicht aller dieser Umstände reiflich zu überlegen und diejenige Wahl zu treffen, welche Ihnen die geeignetste erscheint für den Nutzen der großen Sache, der wir Beide ungehören. Ich habe nicht nöthig, Ihnen zu versichern, daß Sie in Rußland würden mit offenen Armen empfangen werden. Die aufrichtigen Gesinnungen, die ich gegen Sie hege, sind Ihnen dafür eine sichere Gewähr.«

St. Petersburg, den 27. März 1812.

Alexander.

Stein war alsbald entschlossen. Mit dem in Prag zurückbleibenden Staatsrath Gruner traf er die nöthigen Verabredungen über die beste Art, auf welche von Prag aus die französischen Streitkräfte zu beobachten und Verbindungen in ihrem Rücken anzuknüpfen seien. Am achten Tage nach dem Empfang jenes kaiserlichen Briefes war er bereits auf der Reife nach Rußland und kam schon am 12. Juni in Wilna an. Am 18. Juni übergab er dem Kaiser Alexander eine Denkschrift, worin er ihm die traurige Lage Deutschlands darstellte, die Mittel angab, um die deutschen Truppen aus dem Lager Napoleons in das entgegengesetzte herüberzuziehen, durch den Druck deutscher patriotischer Zeitungen, durch Verbreitung von gesinnungstüchtigen Büchern, wie Arndts »Geist der Zeit«, das deutsche Nationalgefühl anzuregen und so das Volk zum allgemeinen Kampf wider seine Unterdrücker zu entflammen. Beharrlichkeit im Kampf wider Napoleon auf Tod und Leben, das war die große Idee, für welche der felsenfeste Stein auch das edle Herz Alexanders gewann. Das weiche, den Eindrücken des Augenblickes leicht hingegebene Gemüth des Kaisers bedurfte eines solchen Charakters wie Steins; als erst das erreicht war, daß, obwohl die russischen Heere geschlagen von einer Stellung zur anderen zurückgedrängt waren, obwohl Moskau mit seinen 250,000 Menschen geräumt und den Flammen überliefert werden mußte – Alexander doch ausrief, nun gehe der Krieg erst an! – da war auch der Fall Napoleons entschieden. Die Kaiserin Mutter, der Großfürst Konstantin riefen nach dem Brande von Moskau laut nach Frieden; aber wie sehr auch die Größe des Unglücks den Kaiser ergriff, so daß seine Haare sich bleichten, so blieb er dennoch beharrlich und seine Ausdauer ward herrlich gekrönt. Als dann nicht lange nachher die Trümmer der großen Armee unter Schnee und Eis begraben lagen, da führte auch jene »Friedenspartei« bei Hofe wieder das große Wort. Stein war zu einem Familienfest geladen. Die Kaiserin Mutter, die nicht lange zuvor so kleinmüthig gewesen war, sprach jetzt von lauter Glück und Sieg: »Fürwahr, wenn von dem französischen Heere Ein Mann über den Rhein in's Vaterland zurückkommt, werde ich mich schämen, eine Deutsche zu sein!« Stein ward bleich vor Zorn, und plötzlich sich erhebend brach er in die Worte aus: »Ew. Majestät haben sehr Unrecht, solches zu sagen und vor den Russen zu sagen, welche den Deutschen so viel verdanken. Anstatt zu sagen: Sie würden sich der Deutschen schämen, sollten Sie lieber Ihre Vettern nennen, die deutschen Fürsten. Ich habe in den Jahren 1792-1796 am Rhein gelebt, das brave deutsche Volk war nicht Schuld; hätte man ihm vertraut, hätte man es zu brauchen verstanden, nie wäre ein Franzose über die Elbe, geschweige die Weichsel und den Dniepr gekommen!« Die Kaiserin, anfangs bestürzt über die kräftige Rede, faßte sich jedoch bald und erwiderte würdig: »Sie haben Recht, Herr Baron, ich danke Ihnen für die Lektion!«

Als die Franzosen Rußland geräumt hatten, bedurfte es der ganzen Kraft und Begeisterung Steins, um Alexander zur Fortsetzung des Krieges zu bewegen, aus dem Vertheidigungs- einen Angriffskrieg zu machen, trotz der erlittenen großen Verluste und der Friedensliebe von Kutusow, Romanzow und anderen Einflußreichen. Stein drang geradezu auf die Entfernung Romanzows, »dieses falschen phantastischen Geistes, angefüllt von faden, durch das verfaulte Herz eines Höflings ausgesprochenen Anekdoten,« und Alexander bewilligte sie. Es ward eine neue Aushebung angeordnet, England sagte Unterstützung zu, und der Krieg auf deutschem Boden begann.

Es drängte den feurigen Mann, baldmöglichst nach Preußen zu kommen. Noch lag zwar der König in den Fesseln des französischen Bündnisses; noch zauderte Oesterreich; aber der kühne York hatte bereits auf seine eigene Gefahr (am 30. Dezember 1812) mit dem Schwert den Knoten einer zaghaften und falschen Politik zerhauen, mit Rußland einen Vertrag geschlossen und sein Truppenkorps aus dem Napoleonischen Dienst zu Alexanders Fahnen geführt. Die Provinz Preußen hatte sich einmüthig erhoben. Stein kehrte sich nicht an Schnee und Frost; mitten im Winter, am 5. Januar 1813, verließ er Petersburg, begleitet von seinem treuen Arndt. Dieser schreibt: »Wir hatten große und gewaltige Tage, wir hatten auch manche fröhliche Tage in St. Petersburg verlebt; wir hatten unter vielem Traurigen und Widerlichen doch viele Erscheinungen eines tapfern und ehrenhaften Volks gesehen.« In Wagen, die auf Schlitten gesetzt wurden, kamen sie nach Pleskow. Dort trafen sie den General Chasot, der zurückgeblieben war, um aus den Tausenden deutscher Gefangenen für die deutsche Legion zu werben, besinnungslos am Lazarethfieber niederliegend. Er war von seinen Rekruten angesteckt, von welchen auch die meisten den vollen Tod schon im Leibe hatten. »Sein Adjutant v. Tiedemann, ein geborner Preuße, führte uns an sein Bett, den Minister warnend, seinem Aushauch nicht zu nahe zu treten. Ich drückte dem Tapfern die Hand, Stein aber, ihn auf die Stirn küssend, rief dem warnenden Tiedemann zu: »Ei was Lebensgefahr! wir stehen immer zwischen Leben und Tod, aber auf diesem Felde steht man doppelt dazwischen.« Wir sollten den vortrefflichen Mann nimmer wieder sehen – in einigen Tagen war er eine Leiche, ich mußte seiner Tochter seinen Tod melden.«

»Wir gelangten nun bald auf die große Straße, welche das fliehende französische Heer gezogen war; man konnte sie wohl ein Leichenfeld des Kriegs nennen. Schon waren uns Bauernschlitten in Menge begegnet, auf denen kranke und marode gefangene deutsche Jünglinge, aus welchen die Legion rekrutirt werden sollte, gegen Norden geführt wurden; hinter den Schlitten her gingen die noch gehen konnten, einige Dutzend Kosaken mit gezückten Peitschen geleiteten und trieben die Unglücklichen. Ach! die meisten von ihnen, bleich, hager und hohläugig, trugen den Tod, dem sie bald unterliegen sollten, in allen ihren Zügen. Der Weg ging durch eisige Felder und über gefrorene Sümpfe, hin und wieder durch Tannen- und Birkenwälder, wo man nur einzelne schlechte Gerippe von Hütten, durch die Flüchtlinge des Heeres in einen dach- und fensterlosen Zustand versetzt, manche auch nur in angebrannten Balken und Ständern das gräßliche Bild des Kriegs ausmalend, erblickte. Die Schlitten rollten hie und da über Leichen, links und rechts lagen Leichen, Pferde, Trümmer von Kanonenlaffetten, auch standen einzelne verlassene Wagen und Karren im Schnee fest gefroren; Raben flogen und krächzten, und Wölfe heulten ein gräuliches Konzert darüber her. O schaurig waren die Nächte, wo der Mond und die Sterne auf den grausen kalten Jammer herabschauten.«

So gelangten sie durch die Haiden und Wälder Litthauens, unter Begleitung von einzelnen zerrissenen armen Soldaten und der Musik von Wölfen, Elstern und Raben, am dritten Tag ihrer Fahrt nach Wilna, von wo Stein nach dem russischen Hauptquartier Kutusows abfuhr, während Arndt noch einige Tage blieb, um das nachfolgende Gepäck zu erwarten.

»Wilna einst eine schöne Stadt, aber wie sah diese Stadt jetzt aus! Von Freund und Feind durchzogen und ausgesogen, und von den fliehenden Franzosen nach Gefechten und Scharmützeln mit Kosaken noch rein ausgeplündert, mit allen schauerlichsten Zeichen des Wintermordfeldzugs. In den Städten überall war der Anblick und das Gefühl einer Verlassenheit und Oede, als seien die Bewohner ausgestorben, so still war es meistens auf ihren Gassen. So sah man hier nur selten das Gesicht eines ordentlichen deutschen oder polnischen Mannes; nur Juden, orientalisch immer aufgeweckt und munter in und vor den Thüren stehend, und immer auf neues und lärmendes oder Gewinn versprechendes lauschend; nur bei Juden – so sehr war Alles ausgeleert und ausgeplündert – konnte man allenfalls noch einige Nothdurft befriedigen, doch suchte man auch da jetzt Manches vergebens.

»Welche Gräuel habe ich hier gesehen! Unweit von meinem Gasthaus das Thor, aus welchem man nach Grodno fährt – ein, wie man dem sehr verwüsteten Bau noch ansah, weiland prächtiges Kloster, jetzt alles, was geöffnet, geleert und zerbrochen werden konnte, offen, leer und verwüstet, die öden Fensterluken, kein Fenster ganz, doch in einzelnen inneren Gemächern immer noch einige kranke oder verwundete Gefangene; der Hof draußen ein Leichenhof, wie er in Ländern des Christenthums gottlob wohl selten erblickt worden ist; die Todten, wie sie gestorben, als nackte Leichen, immer sogleich frisch aus den Fenstern geworfen, lagen in gräßlich gethürmten Haufen bis zum dritten Stockwerk empor, jetzt gottlob alle auch zu Eis gefroren, so daß ihre Beine auf den hartgefrorenen Straßen gewiß doppelt geklappert haben. Eben waren Hunderte von Schlitten beschäftigt, hier und vor andern Lazarethen der Stadt die klappernden Gebeine aufzuladen, und in breite Waken der Wilna zu werfen, damit sie so über Kowno in den Riemen, und so immer weiter, den Fischen der Ostsee ein mageres kümmerliches Futter, zu ihrer letzten Bestimmung fortgespült würden.

»Und die Vorstadt vor Wilna? Da hatten Raub, Mord, Brand und Tod, wie es schien, am allerärgsten gewüthet. Reste von abgedachten, zum Theil auch eingeäscherten Häusern, Hütten und Scheunen – Holz und Stroh und was von Balken und Sparren niederzureißen war, hatten die unglücklichen Flüchtlinge natürlich zum Feuermachen oder Kochen verbraucht – hin und wieder Reste niedergebrannter steinerner Häuser – da lagen in einem großen Saal, sehr massiv aus Stein gebaut, wo sie wohl letzten Schutz gesucht, die zerrissenen Leichen, umgeben von Kleidern, Mützen, Hüten, Schärpen, es lagen auch einige Leichen, zum Theil angebrannt, neben und in Backöfen, Oefen und Kaminen, vielleicht durch zu geschwinde Hitze und Wärme zu geschwind zum Tod geführt, halbverbrauchte Holzkohlen und Holzklötze neben den halbverbrannten Leichen, deren Inhaber in der erstarrten Besinnungslosigkeit dem Feuer leicht zu nahe gekrochen sein mochten. O Menschengeschicke! wie viele Leichen lagen so in Wäldern und Feldern, hinter Mauern und Zäunen, ja auf Misthaufen, unbeweint und unbegraben, über deren Wiegen einst auch glückselige Mütter gesungen, gebetet und gesegnet haben!«

In dem preußischen Städtchen Lyk traf Arndt mit Stein wieder zusammen, wo bereits Kaiser Alexander mit allen Generalen, Hofmarschällen und Ministern anwesend war. In Gumbinnen trafen sie Schön.

»In der Zeit, wo Stein an der Spitze des preußischen Staats gestanden hatte, im Jahre 1808 bis in 1809 hinein, war Schön, wie man zu sagen pflegt, als treuer Helfer und Genoß ihm nicht nur an der Hand, sondern, wie viele erzählen, auch an dem Kopf, ja mit im Kopf und im Herzen gewesen. Manche Entwürfe, und vorzüglich die Durcharbeitungen und gehörigen Ordnungen und Reihungen dieser Entwürfe der neuen Stein'schen Verfassung in Beziehung auf Städte-Ordnung, Bauerwesen, Aufhebung der Leibeigenschaft u. s. w. wurden nicht bloß von Schöns Hand geordnet, sondern auch von seinem Kopf entworfen gesagt.

»Kurz, ich gewahrte bald, hier standen alte Vertraute neben einander, und ich gewahrte mit wahrer Ergötzung, daß Schön den edlen Ritter und seine Art durch und durch kannte, und mit ihm verkehren gelernt hatte. Er verstand in einer eigenen trockenen Weise um den Bart und die Mähnen des Löwen zu spielen, und ihn durch Scherze und Gegenreden doch nicht dahin zu bringen, daß er zornig mit seinen Tatzen aushieb. Ich meine hier die ernsten und wichtigen Dinge, worüber bald in Königsberg verhandelt werden sollte; über die Begebenheiten des Tages ward abgerissen und leichter hingefahren. Höchst ergötzlich waren mir die vielen Erzählungen der jüngstverflossenen Wochen, von den Durchzügen der gegen Westen fliehenden Franzosen, und von dem Betragen und der Einquartierung der hohen Offiziere, Marschälle, Generale und Intendanten Napoleons, wie sie unter Schöns Augen sich begeben hatten.

»Man hat in Gumbinnen für die Vornehmsten und Obersten, wie natürlich, die besten Quartiere bei den angesehensten Bewohnern der Stadt ausgesucht, und ihnen die Quartierzettel darauf zugestellt; viele hatten sich aber ohne Wissen von Präsidenten (Schön) und Polizei unter der Hand an andern Stellen die Nachtwohnung gesucht, und bei einem Schuster oder Schneider mit dem Preis von fünf, sechs Thalern für den Nachtschlaf oft ein elendes Stübchen und Bettchen gedungen; sie hatten nämlich doch, fuhr Schön fort, wohl etwas von dem Bewußtsein ihres Uebermuths und der in diesem Land verübten Frevelthaten im Leib, und fürchteten, da man die Quartierzettel eines jeglichen Namens wußte, nächtlicherweile leicht aufgehoben und abgeführt oder gar todtgeschlagen zu werden. Sie kamen auch wirklich meist in einem so armseligen jämmerlichen Aufzug an, so zersprengt und einzeln nach einander, mit zerbrochenen Wagen und Geschirr, mit abgetriebenen Pferden, zum Theil gar zu Fuß, ohne irgend einen marschallischen und generalischen Prunk und Pracht – wie fern von dem Glanz und Stolz, mit welchem sie vor nicht neun Monaten über Weichsel und Riemen gegen Osten gezogen waren, daß sie von ein paar Hundert lustigen und wohl berittenen Husaren leicht hätten können abgefangen und zusammengehauen werden. Das Volk wäre dazu wohl lustig, und, nach den Mißhandlungen und Schändungen, die es von ihnen gelitten hatte, auch wohl berechtigt gewesen; ja hätte nur einer der Obern die Trompete geblasen: schlagt todt, schlagt todt! von den Tausenden dieser Generale und Offiziere wäre kein Mann über die Weichsel entkommen.«

Hier fiel Stein ihm ein: »Aber warum haben Sie die Kerle denn nicht todtschlagen lassen?« Und Schön erwiderte ihm ruhig: »So zornig Sie bei Gelegenheit auch werden können, Sie hätten es auch nicht gethan.« Jener aber rief zurück: »Ich glaube, ich hätte blasen lassen.« Nach diesem Wortwechsel belächelten beide sich eine Weile.

Auf Steins Verlangen hatte sich in Königsberg der Landtag versammelt, der sich bescheiden nur »landständische Versammlung« nannte und des Königs Genehmigung vorbehielt. Es galt, die nöthigen Vorbereitungen zu treffen, die Kräfte des Landes gegen den Tyrannen zu bewaffnen. Am 7. Februar kehrte Stein zu Kaiser Alexander zurück, dessen Hauptquartier sich nach Breslau zu bewegte. Auch Friedrich Wilhelm war von Potsdam aufgebrochen und gegen Osten gezogen. Am 25. Januar zog er in Breslau ein. Der ungebrochene Muth des Volkes und die hohe, opferwillige Begeisterung desselben erweckten auch im Könige Muth und Vertrauen und sein Aufruf »An die Jugend der gebildeten Klassen zu freiwilligem Jägerdienst« hallte in Aller Herzen wieder, und wenige Tage darauf konnte er aus dem Fenster des Breslauer Schlosses einen langen Wagenzug sehen – es waren c. 80 Wagen mit Freiwilligen aus Berlin.

Bis aber ein einmüthiges Handeln zwischen dem Kaiser Alexander und dem Könige von Preußen vereinbart war, mußten noch manche Hindernisse aus dem Wege geräumt werden. Stein reiste, vom russischen Kaiser beauftragt, nach Breslau; er langte krank dort an und fand kaum ein bequemes Logis; der König sandte ihm keinen Gruß, die Höflinge flohen den Löwen wie die Pest und vermeinten, ihn zu ignoriren. Doch dieser genas und hatte die Freude, seine Frau und Töchter nach langer Trennung wieder begrüßen zu können; sie waren in der bittersten Kälte Tag und Nacht gefahren. Auch Kaiser Alexander kündigte seinen Besuch an und nun hielt es der Hof für passend, statt des ärmlichen Stübchens im Wirthshause ihm eine anständigere und bequemere Wohnung anzuweisen. Jubelnd ward Alexander vom Volke begrüßt, als er in Breslau einfuhr; er vergaß aber seines großen Freundes nicht und schloß ihn mit Herzlichkeit in seine Arme. Da verdoppelte denn auch der Hof seine Freundlichkeit und der Besuche, die sich meldeten, war fortan kein Ende.

Der Bund zwischen Rußland und Preußen ward in's Reine gebracht, Berlin ward der französischen Besatzung ledig, Mecklenburg trat zur deutschen Sache, der russische General Tettenborn zog in Hamburg ein, Blücher rückte mit seinem Heer gegen Dresden zu und die beiden patriotischen Krieger Gneisenau und Scharnhorst waren seine Quartiermeister geworden. Der französische Gesandte in Berlin, St. Marsan, erhielt am 26. März die preußische Kriegserklärung, am folgenden Tage erschien des Königs Aufruf: »An mein Volk«. Professor Steffens hatte vom Katheder herab in echt patriotischer Weise auch einen Aufruf an seine Studenten erlassen, und selbst den Soldatenrock angezogen. In Dresden traf er mit Stein und Moritz Arndt zusammen, und freuete sich nicht wenig, dem »großen Deutschen« näher treten zu dürfen. Er ward mit Arndt zu Tische geladen und es kam die Rede auf Schelling und die deutsche Philosophie. »Das weiß ich wohl,« sagte Stein, »daß die deutsche Jugend von dieser spekulativen Krankheit angesteckt ist; der Deutsche hat einen unglücklichen Hang zur Grübelei, daher begreift er die Gegenwart nicht und ist von jeher eine sichere Beute seiner schlaueren und gewandteren Feinde geworden.« – »Exzellenz!« antwortete Steffens, »zwar hat die Jugend auf eine erfreuliche Weife in Masse sich erhoben, dennoch ist eine nicht geringe Zahl zu Hause geblieben. Ich möchte eine Wette darauf wagen, daß kein einziger Angesteckter unter ihnen ist. Wer ist kühner hervorgetreten, wer hat das Volk entschiedener entflammt, als es galt, den Feind mit geistigen Waffen zu bekämpfen, als die zwei spekulativ grübelnden Deutschen Fichte und Schleiermacher?« Solche Entschiedenheit gefiel dem entschiedenen Manne, und er nahm sie keineswegs übel.

Stein war zum General-Administrator aller von Napoleons Joch wieder frei werdenden deutschen Länder ernannt; gern hätte schon jetzt das sächsische Volk mit Alexander, den es freudig als Retter begrüßte, gefochten, aber sein König glaubte dem französischen Gebieter mehr Rücksicht schuldig zu sein als den Unterthanen. Stein hatte mit dem großen Gedanken sein Vaterland wieder betreten, daß Alles daran zu setzen sei, um Deutschland seine alten Grenzen bis an die Maaß und die Vogesen zurückzugeben, ihm eine nationale Verfassung zu sichern und Rußland von Uebergriffen nach Westen abzuhalten. Darum lag ihm so viel an dem Bündniß mit England, und schon in Rußland hatte er an Münster geschrieben, der Bedenken getragen, ob wohl Stein als Preuße, und er als Hannoveraner unter Einen Hut paßten: »Es ist mir leid, daß Ew. Exzellenz in mir den Preußen vermuthen und in sich den Hannoveraner entdecken – ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland, und da ich nach alter Verfassung nur ihm und keinem besondern Theil desselben angehörte, so bin ich auch nur ihm und nicht einem Theil desselben von Herzen ergeben. Mir sind die Duodezfürsten in diesem Augenblick großer Entwickelung vollkommen gleichgültig, es sind nur Werkzeuge; mein Wunsch ist, daß Deutschland groß und stark werde, um seine Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Nationalität wieder zu erlangen und beides in seiner Lage zwischen Rußland und Frankreich zu behaupten, das ist das Interesse der Nation und ganz Europa's, es kann auf dem Wege alter zerfallener und verfaulter Formen nicht erhalten werden.« Nun hatte zwar Oesterreichs Erhebung auch die Auflösung des schmachvollen Rheinbundes zur Folge, aber Oesterreich belohnte diese napoleonischen Vasallenfürsten mit dem vollen Souveränetätsrecht, wodurch die Zerrissenheit Deutschlands besiegelt ward. Und als dann der Feind bei Leipzig aufs Haupt geschlagen war, da zeigte sich's noch offenbarer, daß Oesterreich ebenso der Vernichtung Napoleons als einer Wiedergeburt Deutschlands entgegen war. Es drängte unaufhörlich zum Frieden und Metternich wußte für seine Ansicht die gesammte Diplomatie Englands, Preußens und Rußlands zu gewinnen. »Nur Stein leistete beharrlichen Widerstand. Es gelang seinem Feuereifer, den Kaiser Alexander mit gleicher Beharrlichkeit zu erfüllen und ihn, wie von Moskau über die Grenzen seines Reichs, so vom Herzen Deutschlands bis über den Rhein und von den Grenzen Frankreichs bis nach Paris mit sich fortzureißen, bis endlich das große Werk der Vernichtung Napoleons vollbracht war. – Die Bourbons wurden wieder eingesetzt, der Pariser Friede geschlossen und der Wiener Kongreß sollte der deutschen Nation die Frucht des Riesenkampfes bringen, den sie für ihre Freiheit so ruhmvoll bestanden hatte. Hier aber war es, wo an dem zähen Widerstande eines engherzigen und ränkevollen Diplomatenheers selbst die Riesenkraft eines Stein endlich erlahmen und erliegen mußte. Er konnte es nicht verhindern, daß aus den Berathungen und Beschlüssen dieses Kongresses statt eines großen, einigen und freien deutschen Bundesreichs, wie er es längst in seinem Geiste trug, ein zwerghaftes, verkrüppeltes und markloses Werk hervorging, das man die deutsche Verfassung nannte und das doch nur ein Organ zur Fesselung des wachgewordenen Volksgeistes und zur Pflege des Sondergeistes der Einzelstaaten sein konnte. – Schwergebeugt von dem Bewußtsein, die Aufgabe seines Lebens trotz seines gewaltigen Ringens nicht gelöst zu haben, brachte Stein den Rest seines Lebens fern von aller großen politischen Wirksamkeit zu. Man bedurfte des gewaltigen Geistes nicht mehr, ja man konnte ihn nicht mehr gebrauchen, da man ja vielmehr der unausgesetzten Anwendung kleiner und kleinlicher Mittel bedurfte, um die große Zeit der nationalen Erhebung allmälig aus dem Gedächtniß der Völker zu verlöschen.« Vgl. Dr. Stern im Vorwort zu seiner o. a. Schrift: »Stein und sein Zeitalter.«

Metternich haßte allen deutschen Patriotismus, allen idealen Schwung des deutschen Geistes, alles geistige Streben der Völker und wußte leider auch bei dem König von Preußen die Furcht vor den revolutionären Gelüsten des Volkes so rege zu erhalten, daß sich Preußen sogar zum Polizeidiener Oesterreichs erniedrigte. Stein konnte weder die ihm von Metternich angetragene Stelle eines österreichischen Bundespräsidialgesandten zu Frankfurt annehmen, noch wäre er nach Hardenbergs Tode zu einem Nachfolger des Staatskanzlers geeignet gewesen. Wie hätte er eine Rüge ertragen sollen, wie solche dem Bundestagspräsidenten Grafen Buol-Schauenstein vom Fürsten Metternich zu Theil ward wegen einer freisinnigen Rede, die Graf Buol für das Recht des Volkes gegen die Ansprüche gewisser Fürsten (des Kurfürsten von Hessen) zu halten gewagt hatte! Und in Preußen ganz besonders hatte man schnell genug vergessen, daß die heldenmüthige Aufopferung und Treue des Volkes den Staat gerettet hatte. Da mußten die freisinnigen und charaktervollen Männer, die es mit dem Fortschritt zum freien durch Staatsgrundgesetze sicher gestellten Verfassungsleben gut meinten, den feigen Höflingen Platz machen; es trat jene Schmaltz-Kampz'sche Periode ein, in welcher man überall Demagogenthum roch und jedes freimüthige Wort als ein staatsgefährliches Verbrechen bestrafte. Stein mußte es erleben, daß man den edeln Patrioten Ernst Moritz Arndt, seinen treuen Gehülfen im Kampf wider die Fremdherrschaft, der Professorenstelle in Bonn enthob, ihn gefangen setzte und ihm wie einem verbrecherischen Landstreicher den Prozeß machte. Nach seiner Rückkehr von Paris lebte Stein meist auf seinem Schlosse Kappenberg in der preußischen Provinz Westphalen, nahe bei Dortmund, da ihm der Aufenthalt auf seinem nassauischen Stammgute durch seine Mißhelligkeit mit der nassauischen Regierung verleidet war. Eine Hauptthätigkeit in der Stille seines Privatlebens bildete die Stiftung einer »Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde« und die Herausgabe der durch den wackeren Geschichtsforscher Pertz besorgten unschätzbaren Monumenta Historica Germaniae, für welches echt patriotische Unternehmen er die besten Kräfte gewonnen hatte und keine Mühe und Geldausgaben scheuete.

Die Verbesserung und Verschönerung seiner Güter, hülfreiche Theilnahme, wo es galt, Arme und Nothleidende zu unterstützen, gemeinnützige Pläne, wie die Errichtung eines Fräuleinstiftes, des Prediger-Seminars, Verbesserung der Gefängnisse, Gründung eines protestantischen Krankenhauses nahmen seine rastlose Thätigkeit in Anspruch. Eine vielseitige Korrespondenz erhielt ihn stets auf dem Laufenden in Bezug auf den Gang der politischen Angelegenheiten; mit der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgte er die Entwickelung der großen Zeitereignisse, wie die Erhebung Griechenlands, die französische und polnische Revolution. Die Hausordnung war streng eingetheilt, und streng wurde Alles zur Zucht, Frömmigkeit und Pflicht angehalten. Dabei waltete aber die aufrichtigste Liebe, und wenn ein Geschäft zur besondern Zufriedenheit des Freiherrn abgemacht war, pflegte er wohl zu seinen Beamten zu sagen: »Nun wollen wir auch für die Armen sorgen, die Armen müssen auch was haben.«

Der Tod seiner geliebten Frau brachte sein Gemüth in eine sehr ernste Stimmung. Im Jahre 1793 hatte er sich mit der jungen schönen Gräfin Wilhelmine v. Walmoden, Tochter des Feldmarschalls, vermählt und nun in 26jähriger Ehe mit ihr gelebt, mit jedem Jahre sie mehr lieben und schätzen gelernt. »Seelenadel, Demuth, Reinheit, hohes Gefühl für Wahrheit und Recht, Treue als Mutter und als Gattin, Klarheit des Geistes, Richtigkeit des Urtheils – sie sprechen sich durch ihr ganzes viel geprüftes Leben aus und verbreiteten Segen auf alle ihre Verhältnisse und Umgebungen.« So schilderte ihren Charakter der trauernde Gatte selbst.

Eine Reise in die Schweiz und dann das Amt eines westphälischen Landtagsmarschalls, das Stein auf den Landtagen 1826, 1828 und 1830 bekleidete, brachten eine Zerstreuung und Abwechslung in sein Stillleben. Im Jahre 1830 stellte sich plötzlich ein Schlaganfall ein, der sich im Frühjahr 1831 wiederholte. Er sank bei Tische um, die Zunge war gelähmt und er blieb während fünf Stunden in Ohnmacht. Als er sich erholte und die Sprache wieder kam, hörte man ihn seufzen: »Ach Gott, hier liege ich und die schlagen sich in Polen!« Todesgedanken und trübe Bilder von Umwälzungen des europäischen Lebens erfüllten seine Seele; als ihn eine Erkältung auf das Krankenlager warf, bereitete er sich auf sein Ende vor, nahm von seiner Umgebung Abschieds hatte für Jeden noch ein ernst-liebreiches Wort, mit der Ergebung und Zuversicht des christlichen Glaubens schloß er, ein echt christlicher Held, sein großes inhaltreiches Leben, das ein nicht unerwarteter Lungenschlag am 29. Junius 1831 beendete. Von nah und fern waren die Armen herbeigeeilt, die, unten im Schloß sich versammelnd, den Tod ihres Wohlthäters laut beweinten. Eine Frau rief wehklagend aus: »Der gute Minister todt? Nun, wenn der nicht im Himmel ist, so kommt keiner hinein!« Rührendes Zeugniß der Theilnahme und Dankbarkeit, schöner als alle Lobreden und Denkmäler von Marmor.

Pertz, der Biograph Steins, faßt die Erscheinung des großen Mannes in folgende Züge zusammen: Der Leib, in welchem diese Feuerseele gewohnt hatte, war von mittlerer Größe, untersetzter stämmiger Gestalt, starken Gliedern, breiter Brust und Schultern, und hatte im Lauf eines langen heftig bewegten Lebens seine zähe, ausdauernde Kraft bewährt. Noch wenige Jahre vor seinem Tode besaß er alle seine Zähne, wie sie sein Vater noch im 81sten Jahre mit in's Grab genommen hatte. Aus der breiten gewölbten Stirn und der mächtigen Nase, den starken Kinnbacken und dem festgeschlossenen Munde sprach der scharfe, durchdringende und umfassende Geist, die mächtige, unverwüstliche Willenskraft, die, wo Pflicht gebot, vor keinem Hindernisse zurückwich; und die rasche Beweglichkeit seines Wesens spiegelte sich in den feurigen braunen Augen, wie auf den feinen schmalen Lippen der Ausdruck des strengen Ernstes mit kindlicher Milde und Gutmüthigkeit oder raschem Spott leicht wechselte. Rasch und bestimmt wie sein ganzes Sein, sein Empfangen und Urtheilen, sein Wollen und Ausführen war feine ganze Bewegung. Seine Rede kurz und entschieden, wie er sie auch bei Anderen liebte; schwatzen und um die Sache herumgehen war ihm ein Greuel. Sein Gang war fest und kräftig, wobei er sich im Alter eines Krückstocks, seines »braunen Hengstes« bediente, mit dem er sich auf seinen täglichen Spaziergängen nöthigenfalls vor den Füßen freie Bahn machte. Sein Anzug einfach, den Bedürfnissen gemäß; ein dunkelblaues oder schwarzes Kleid bezeichnete den Vertrauten Alexanders mitten unter den glänzenden Uniformen des kaiserlichen Hauptquartiers zu Kalisch, wie später in der ländlichen Zurückgezogenheit zu Kappenberg.

Auf seiner Grabstätte zu Frücht steht die schöne Inschrift:

»Der letzte seines über sieben Jahrhunderte an der Lahn blühenden Rittergeschlechts; demüthig vor Gott, hochherzig gegen Menschen, der Lüge und des Unrechts Feind, hochbegabt in Pflicht und Treue, unerschütterlich in Acht und Bann, des gebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn, in Kampf und Sieg Deutschlands Mitbefreier. Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.«

Steins Marmorbüste ist auf Anordnung König Ludwigs von Bayern in der Walhalla bei Regensburg, und eine im Friedenssaale zu Münster von Mitgliedern des vierten westphälischen Landtags aufgestellt. »Aber köstlicher und dauernder als von Marmor oder Erz steht sein Heldenbild im Gedächtniß seines Volkes und wird, so lange deutsche Herzen für Freiheit und Recht, für des Vaterlandes Wohlfahrt und Größe schlagen, in unvergänglichen Ehren leben und wirken.«

* * *

Stein war ebenso entschieden christlich als national gesinnt, und sein Gottvertrauen hielt ihn aufrecht in allen Stürmen des Lebens. An den Freiherrn von Gagern (Nassau, den 22. April 1819) schrieb er: »Das kleine Buch ›über Religion‹ habe ich mit großem Interesse gelesen, es ist vereinigend und aussöhnend. Ein unbeugsamer Nacken, ein stürmisches unruhiges Gemüth, das findet nur einen Zaum und eine Befriedigung seiner Sehnsucht in den Lehren der Offenbarung, ihm ist die heilige Schrift entweder nichts, oder eine Zuschrift aus der Ewigkeit:

Der, der meinen Geist entzückt,
Den ich jetzo noch nicht sehe,
Hat aus der gestirnten Höhe
Mir die Zeilen zugeschickt

– wie eine fromme, reine und edle Dichterin sich ausdrückt.«

»Bei der ernsten feierlichen Stimmung, in die Sie die Erwartung des Endes setzte, nahmen Sie Cicero's de natura deorum zur Hand? Konnte Ihnen der Schüler der griechischen Weltweisen, der römische Staatsmann denn mehr sagen von dem Land, das Ihnen entgegenwinkte, als der Gekreuzigte und Auferstandene, durch dessen Gnade wir allein gerecht werden?« (An denselben, 6. Mai 1822.)

Da ihm bei dem Mangel schöpferischer Phantasie auch die philosophische Richtung des Geistes fehlte, ward er leicht heftig und bitter den rationalistischen Regungen gegenüber, wie er denn von der ganzen idealistischen Philosophie der Deutschen wenig hielt. Der treffenden Entgegnung, die er auf seine einseitige Bemerkung über den Idealismus und das Philosophenthum vom Professor Steffens erhielt, ist schon oben Erwähnung gethan, und er nahm eine derbe entschiedene Antwort niemals übel. »Wenn der heillose Rationalismus,« schrieb er an Eichhorn (1818, 22. April), »in unserer protestantischen Kirche doch aufhörte! Warum will man das Unerklärbare erklären, das Geheimnißvolle enthüllen mit unserem zerstückelten Wissen, unseren beschränkten Kräften? Eine Synodalverfassung wird unsere aufgeklärten (Stein hätte hinzusetzen können »auch unsere dogmatisch-zelotischen«) protestantischen Geistlichen zwingen, zu der Einfachheit der christlichen Lehre zurückzukehren. Denn nicht ihr exegetisch naturphilosophisches Gewäsch, nicht ihr christlich atheistisches Rothwälsch, sondern die einfache Lehre des Christenthums, auf die sich Glaube, Liebe und Hoffnung gründen, will und bedarf das deutsche Volk zur Richtschnur im Leben, zum Hort und festen Anker im Tod.«

Stein wollte überall ein Positives, Festgegründetes, aus dem Leben auf das Leben Wirkendes, im Kirchlichen wie im Staatlichen. Darum neigte er auch mehr zu England als zu Frankreich, dessen abstrakte Staats- und Gesellschaftstheorieen ihm schlecht zusagten. Ueber die deutsche Verfassungsfrage äußerte er sich u. A.:

(Nassau, 29. September 1819.) »Das Wichtigste, was zur Ruhehaltung in Deutschland geschehen kann, ist, dem Reich der Willkür ein Ende zu machen und das einer gesetzlichen Verfassung zu. gründen und zu beginnen; an die Stelle aber der Büralisten und der demokratischen Pamphletisten – von denen die ersteren das Volk durch Viel- und Schlechtregieren drücken, die andern es reizen und verwirren – den Einfluß und die Einwirkung der Eigenthümer setzen.«

Stein wollte damit aber keineswegs dem egoistischen Treiben einer Junkerpartei das Wort reden, und hat sich oft streng darüber geäußerte Goldene Worte finden sich in seiner zu Münster 1828 gehaltenen Landtagsrede, wo es u. A. heißt: »Gewiß verdient das von unserem geliebten König gebildete Institut der ständischen Versammlungen den innigsten, ehrfurchtsvollsten Dank aller Preußen, da nicht die Schule allein, sondern Theilnahme an den Angelegenheiten des Ganzen der sicherste Weg ist zur Vollendung der sittlichen und geistigen Ausbildung eines Volkes. Sie entrückt den Menschen, aus den Schranken der Selbstsucht, versetzt ihn in das edle Gebiet des Gesammtwohls, und an die Stelle des Treibens nach Genuß und Gewinn oder des starren Hinbrütens der Faulheit und des Versinkens in Gemeinheit tritt ernste Verwendung des Geistes, Willens und Vermögens auf das dem Vaterland Gemeinnützige und das wahrhaft Wissenswürdige; und es entwickelt sich durch religiös-sittliche Erziehung und durch selbstständiges freisinniges Handeln eine Energie des Geistes und Willens, die Quelle von vielem Edlen und Großen wird, bei den Einzelnen und bei der Gesammtheit.

»Aus dieser Energie entspringt in großen Momenten des Lebens der Staaten und der Einzelnen, die hohe Begeisterung der sich für National-Erhaltung und Vaterlands-Vertheidigung aufopfernden Heerschaaren und Helden.

»Auch die Wissenschaft gewinnt durch politische Freiheit und Thätigkeit, bei deren Abwesenheit sie sich oft zu trockenen Untersuchungen oder zu leeren Träumen hinneigt, die der Religion und bürgerlichen Gesellschaft leicht gefährlich werden können.

»Die Ausbildung des ständischen Instituts verlangt aber eine schonende zarte Behandlung, sie wird gestört durch starres Kleben am Mechanismus veralteter centralisirender Formen, durch amtlichen Dünkel und Ansprüche auf Unfehlbarkeit, durch leere Furcht vor revolutionären Gespenstern, die oft Feigheit hervorruft und Schlauheit benutzt

Daß Stein keine mittelalterlich privilegirte, sich gegenseitig abschließende Stände wollte, geht aus einer Aeußerung gegen Gagern hervor: »Mir scheint, Spaltung in politische Parteien, in Liberale, Konstitutionelle, Monarchisten und ihre Unterabtheilungen ist weniger nachtheilig, als Trennung in Stände, wo Adelsstolz, Bürgerneid und Bauernplumpheit gegen einander auftreten, mit aller Bitterkeit und Verblendung der gekränkten Eigenliebe, wo Einer den Andern niederzutreten sucht, und zwar ohne alle Rücksicht auf Erhaltung der Verfassung, und hierzu die Unterstützung der Büreaukratie zu erlangen sucht

Arndt erzählt in seinem werthvollen Buche: »Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfrei Herrn vom Stein« unter Anderem: »Die westphälischen Stände, Stein an ihrer Spitze, wünschten und baten die Erfüllung des königlichen Versprechens, endlich alle kleine Provinzialversammlungen zusammenzuwerfen und mit dem allgemeinen Reichstag einen Anfang zu machen. Stein hatte diese westphälische Bitte, ja diese durch das ein ganzes Vierteljahrhundert gesäumte und hingehaltene königliche Versprechen gerechte Forderung an den Prinzen Wilhelm von Preußen geschickt, der damals als königlicher Statthalter für Rheinland und Westphalen in Köln wohnte. Er hatte bald, ich weiß nicht auf welchem Wege, erfahren, daß diese gerechte Bitte von dem Prinzen nicht mit genug dringlichen und feurigen Worten, wie die Roth und die Stimmung der Zeit sie befahl, an den König eingesandt worden war. Nun war bald nach der Einsendung jener Bitte, wenige Wochen vor Steins Tode, der Prinz mit Gemahlin und Kindern nach Schloß Kappenberg zu Stein zum Besuch gekommen. Da nimmt Stein, ehe man sich an die Mittagstafel setzt, den Prinzen und seinen Begleiter, den Grafen Anton Stolberg, in ein Nebenzimmer und kanzelt beide mit gewaltigen Worten ab: »Die Zeit sei nicht so süß und so sanft, daß sie so tüchtige und mächtige Dinge, so gerechte und gehobene Wünsche und Forderungen, als die treuesten Stände hätten aussprechen und machen gemußt, mit so süßen und sanften Verblümungen und Verzierungen der königlichen Majestät hätten darlegen gesollt, sondern sie hätten den vollen Ernst und die ganze Furchtbarkeit, welche die Zeit in ihren Eingeweiden trage und wie ihr nur mit starken und heroischen Mitteln zu begegnen sei, dem Könige mit ehrlichster geradester Offenheit schildern und darstellen müssen.« Kurz, er hatte beide so gescholten, daß die Prinzessin, die im Saal Alles hatte vernehmen können, vor Schreck erblaßt war – denn donnern konnte er bei solcher Gelegenheit – dann hatte er mit den Worten geschlossen: »Jetzt sind wir miteinander fertig, Königliche Hoheit, kommen Sie, lassen Sie uns jetzt ein Glas Wein darauf trinken.«

So blieb der große Mann noch groß und würdig in seinen Ansichten, als das Schicksal seine Wirksamkeit auf den engen Kreis einer Provinz zurückgedrängt hatte, und so manche trübe Erfahrung sein Gemüth verstimmte. An den Grafen Arnim, als sich derselbe dem Staatsdienste wieder zuwandte, schrieb er die denkwürdigen Worte zur Lehre und Warnung für alle deutsche Staatsmänner:

»Religiöse Sittlichkeit und Vaterlandsliebe sind die einzigen nicht zu erschütternden Träger des Charakters; ihrer Entwickelung und Befestigung bedarf der Mann, der sich zu höheren Stellen bestimmt und sie erreicht, noch mehr als der, so sich in den einfachen Verhältnissen des Privatlebens bewegt, und er ist daher durch seine Bestimmung gebieterisch aufgefordert, auf jene Zwecke seine ganze Aufmerksamkeit zu richten. In großen Situationen entscheidet Charakter mehr als Geist und Wissen; man kann Anderer Geist und Wissen benutzen und muß ihn wegen der menschlichen Beschränktheit benutzen, aber den Charakter eines Andern kann man sich nicht aneignen, wohl sich mit Aufhebung aller Selbstständigkeit unterwerfen.«

»Eine zweite Bemerkung glaube ich machen zu müssen über eine Klippe, an der viele praktische Geschäftsmänner scheitern: das Erstarren in der Routine und in der krampfartigen Vielthuerei. Dem praktischen Geschäftsmann strömen eine Menge Einzelheiten zu; nach den bestehenden Formen wird er mit ihnen nicht allein überladen, sondern er soll sie prompt abarbeiten, d. h. leicht hinweg schiebend: diese Behandlungsart bildet nicht, ermüdet und hat das Nachteilige, daß sie die fortschreitende Entwickelung stört, zu dem Schlendrian herabzieht und leider uns mit der Masse von Geschäftsmännern überladet, die sie zu einer seichten Vielschreiberei und der Wuth zu centralisiren hinreißt. Diese Männer leben in ihren Akten, in Erinnerung von Bruchstücken ihrer akademischen Studien, und ahnen nichts von den raschen unaufhaltsamen Fortschritten des menschlichen Geistes und seiner auf Verbesserung der politischen Formen gerichteten Kräfte. Um sich auf der Bahn der Fortschritte des menschlichen Geistes zu erhalten und um an ihnen Theil zu nehmen, ist es unerläßlich, fortzufahren an seiner eigenen wissenschaftlichen Bildung zu arbeiten und mit der staatsrechtlichen, staatswirthschaftlichen und geschichtlichen Literatur vertraut zu bleiben, auch die größeren Ereignisse im politischen äußern und innern Leben der fremden Nationen zu verfolgen. Die vollkommene geistige und sittliche Bildung eines Volks besteht in der Bildung des einzelnen Menschen, in der politischen Entwickelung des ganzen Staates zur politischen gesetzlichen Freiheit. Diese ist in Deutschland noch höchst unvollkommen, und daher entsteht in dem deutschen Charakter und Geist eine Lücke und Lähmung, die nur freie Institutionen und das öffentliche Leben, nicht die Schule allein, zu beseitigen vermögen.«

In solchen Worten spricht der Genius Deutschlands, dessen treuer Dolmetsch der deutsche Reichsfreiherr war, zu seinem Volke; möchten sie im Gemüth und Charakter Derer, die auf das Wohl und Wehe der Nation Einfluß üben, nicht bloß Anklang finden, sondern zur Wahrheit werden, auf daß, wenn abermals der Feind hereinbrechen sollte, es nicht an Steinen fehlen möge, an schroffen, eckigen, granitharten Felsen an denen er sein stolzes Haupt zerschelle.

– – Und es hat nicht an solchen Felsen gefehlt! so dürfen wir nach dem glorreichen Kriege von 1870/71 sagen; es hat in der Stunde der Entscheidung nicht an einem »Stein« im Rath des Königs, nicht an den »Scharnhorst und Gneisenau« im Heere gefehlt. Was der herrliche deutsche Freiherr von Preußen erhofft, von der Wiederherstellung eines einigen mächtigen deutschen Reichs als den Grundtrieb seiner Seele in seinem kerndeutschen Herzen gehegt und gepflegt hat: es ist zur Wirklichkeit geworden, hat Leben und Gestalt gewonnen. Die Saat, welche Er voll Zuversicht und Muth ausgestreuet hat, ist – langsam aber sicher – emporgewachsen, erblühet und zu gesunder nährender Frucht herangereift.


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