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12. Allerheiligen.

. Anmuthig zu lesen sind des Homerus gewaltige Gesänge, Herz erhebend Cicero's schwungvolle Reden, aber tausendmal schöner ist des Mägdleins rosiger Mund, der dem Geliebten zum ersten Male entgegenflüstert, dass er ihr Eins und Alles sei. So dachte der Klosterschüler Hartmud, der mit einer reichen Zahl von Leidensgefährten in der dumpfen Schulstube zu Allerheiligen über den Büchern sass. Draussen webte der Frühling in wonniger Lust, vor den hohen Bogenfenstern schwatzten die Schwalben allerlei Zeug von den dummen Menschen, die in der Lenzespracht nichts Besseres zu thun wüssten, als sich in Mauern zu verschliessen. Auch Hartmud hätte lieber den schnellfüssigen Achilles im Stich gelassen und den sündhaften Verres, um hinaus zu wandern durch Wald und Flur, zumal Einer entgegen, die ihn vor allem anzog.

Das war früher anders gewesen. Hartmud war wohlhabender Leute Kind und der Vater hatte ihn auf die weitberühmte Schule zu Allerheiligen gebracht, damit er später ein Rechtsgelehrter werde. Mit aller Macht hatte sich der Jüngling, der begabter war als seine Kameraden, auf die Studien geworfen. Aber seitdem er in Elmy's, des holden Zigeunerkindes, schwarze Augen geschaut, war es mit aller Arbeit vorbei. Auf einer Streiferei ins Gebirge hatte er das Mädchen, das einer in der Nähe fest angesiedelten Ziegeunerhorde angehörte, kennen gelernt. Schön wie der junge Mai war ihm die schlanke, jugendliche Gestalt, als er sie zum ersten Mal erblickte, entgegentreten, und mit ihrem Anblick war jauchzend die Liebe in sein Herz eingezogen. Bald hatte das Mädchen seine Gefühle erwidert und so trafen sie sich allabendlich im tiefen Walde zu süssem Herzen und Kosen. Der Wald verschwieg ihr Geheimniss und die lauschenden Vöglein plauderten ihr Liebesglück den bösen Mönchen nicht aus. Als Hartmud wieder einmal die Ferien zu Strassburg verbracht hatte, wo sein Vater, ein Goldschmied, am Markte ein stattliches Haus besass, da hatte er seinem Lieb ein goldglänzendes Ringlein zum Andenken mitgebracht. Nun hatte ein altes Weib aus der Horde, der Elmy angehörte, dem Mädchen einst prophezeit und die Worte:

Ein Kleinod seh ich gleissen,
Wahr' es fein, wahr' es fein!
Solang du's dein magst heissen,
Ist auch das Glücke dein

kamen ihr seither nimmer aus dem Gedächtniss. Wie sollte sie anders als das Ringlein für dieses Kleinod ansehen? Sorgsam hütete und wahrte sie's. Nur wenn sie zum Walde und der Liebe entgegenging, steckte sie das Ringlein an den Finger. Oft auch, wenn sie für sich allein war und ihres Glückes dachte, zog sie es heraus und liess es in der Sonne glänzen. Da, als sie wiederum eines Tages tief in Gedanken sass und sich träumend seines Glanzes freute, rauschte es über ihr; in plötzlichem Schreck liess sie den Reif fallen, den im nächsten Augenblick ein gewaltiger Rabe mit krummem Schnabel erfasst und in die Lüfte entführt hatte.

In fassungslosem Jammer stand das Mädchen und schaute ihrem entschwundenen Glücke nach. Gerade gegenüber am andern Ufer des Grindbaches erhob sich steil eine Felswand von ungeheurer Höhe. Dort, wohin kein Mensch gelangen konnte, barg der Rabe seinen Raub. Aber aus Elmy's Herz war aller Friede dahin. Abergläubig wie sie war und eingedenk des Spruches der Zigeunerin, hatte sie das ganze Glück ihrer Zukunft an dieses Symbol ihrer Liebe geknüpft gesehen. Schwermuth legte sich auf ihr Gemüth, ihr silbernes Lachen und Singen, das sonst den Thalgrund erfüllt, war verstummt. Da entschloss sich Hartmud, der unzählige Male sich in Trostesworten erschöpft und sie von neuem seiner Liebe versichert hatte, zu einem energischen Schritt. Nach mehreren der Vorbereitung gewidmeten Tagen ging er ans Werk. Mit unendlicher Mühe war es ihm gelungen, bis hart zu der schwindelnden Höhe emporzusteigen, wo sich in der Felsenwand der Rabenhorst befand. Auf einen Abend hatte er wiederum das Mädchen bestellt, gerade da er sein Vorhaben zu Ende zu bringen gedachte; heute sollte das Ringlein wieder in seine Hände kommen und jubelnd wollte er's seiner Liebsten als gleichsam neues Geschenk entgegenbringen. Ungeduldig erwartete ihn das Mädchen und ging ihm auf dem Wege entgegen. Unruhig flatterten ihr zu Häupten die Raben. Als sie plötzlich in die Höhe blickte – da glaubte sie ihr Herz erstarren zu fühlen. Hoch oben in schwindelnden Lüften schwebte an einem Seile Hartmud und kämpfte vergeblich wider die gegen ihn herandringenden Vögel an. »Hartmud!« schrie sie auf. Da erschrak der Jüngling und in gewaltigem Rucke riss das Seil. Unaufhaltsam wirbelte der Unglückliche hinab in die grause Tiefe und der blühende Körper zerschellte an den Uferklippen des Waldbaches.

Da brach das Zigeunermädchen zusammen, und als sie aus ihrem tiefen Schlafe wieder erwachte, da hatte Wahnsinn ihren Geist umnachtet.

Die Felswand heisst bis auf den heutigen Tag der Studentenfels.

* * *


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