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14. Kloster Lichtenthal.

. Auf dem Chor der Klosterkirche in Lichtenthal sieht man ein alterthümliches Madonnenbild, aus Holz geschnitzt und bemalt, von irgend einem alten Meister der Byzantinischen Schule. Früher stand dieses Bild auf einem Seitenaltar der ältern Klosterkirche, der jetzigen Todtenkapelle, und genoss einer besondern Verehrung von Seiten der Nonnen des Gotteshauses, wofür die Sage als Grund angeführt wird, dass dasselbe einst das Kloster vor der Verheerung durch feindliche Horden geschirmt habe.

Als einst in Deutschland ein blutiger Krieg entbrannt war, der besonders den Rheinlanden verderblich wurde, näherten sich die feindlichen Kriegsscharen auch dem schönen Oosthale, worüber die Nonnen im Kloster Lichtenthal in heftige Angst und Sorge geriethen, denn es war ihnen schon viel zu Ohren gekommen von der wilden Grausamkeit und unerhörten Roheit, womit die Feinde im fremden Lande zu hausen pflegten, wie Brand ihre Wonne sei, und Mord wehrloser Greise, Frauen und Kinder ihre grösste Lust. Da dachten auch die Nonnen an Flucht als den einzigen Rettungsweg, der ihnen blieb, und bereiteten sich dazu. Vorher versammelten sie sich noch in der Klosterkirche, sich durch gemeinsames Gebet zur mühseligen Fahrt zu stärken. Kaum hatten sie hier ihre Andacht begonnen, so stürzte athemlos ein Thalbewohner herein, blutend und mit zerrissenen Kleidern, und verkündete, wie er eben mit genauer Noth einem Haufen Plünderer entronnen sei, auf den er gestossen, und der gerade auf das Kloster losstürme. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war die einstimmige Antwort sämmtlicher Nonnen auf diese Schreckensbotschaft. Die Aebtissin aber gebot Ruhe, trat vor das Muttergottesbild, hing ihm die Klosterschlüssel, die sie sich vom Gürtel losgenestelt, über den Arm, und betete mit gefalteten Händen und lauter Stimme:

»Mutter des Weltheilands, schütze du dieses fromme, unentweihte Haus, diese langjährige Zufluchtsstätte deiner treuen, ergebenen Dienerinnen vor ruchlosen Händen, denn irdische Hülfe ist nicht mehr zu hoffen; bei dir allein ist noch Schutz und Schirm. Nimm auch uns, deine armen Töchter, in deine gnädige Huld, und bewahre uns vor den frevelnden Rotten, von denen uns Aergeres droht als der Tod; sei du unser Geleit auf der Flucht!«

Hierauf floh die fromme Schar, die Aebtissin an der Spitze, durch eine Seitenpforte über den Cäcilienberg. Noch hatten sie diesen nicht weit hinter sich, als schon schwere Schläge gegen das verschlossene Hauptthor donnerten, das auch bald dem umgestümen Andrang weichen musste. Krachend stürzten die hohen Thorflügel und unaufhaltsam drang die blut- und beutegierige Rotte über den Klosterhof gegen die geweihten Hallen vor. Schon hatten sie die Pforte fast erreicht, da öffnet sich langsam die Thür der Kapelle, und unter dem gewölbten Thorbogen hervor schwebt das Marienbild von strahlendem Glänze umwogt, und hält zürnenden Antlitzes dem heranstürmenden Haufen drohend die Schlüssel entgegen. Ein jäher Schreck, ein gewaltiges Entsetzen fasst bei diesem Anblick auch die Muthigsten, alle flüchten und halten nicht eher an, als bis das Kloster weit hinter ihnen liegt. So war das Kloster gerettet, und als die Nonnen zu ihrem wunderbar geschirmten Gotteshause zurückkehrten, fanden sie alles in demselben Zustande, wie sie es verlassen. Aber sie vergassen auch des Dankes nicht, und dem wunderthätigen Marienbilde, dem sie allein ihre und des Klosters Erhaltung zuschrieben, ward fortan die gebührende Verehrung als Hort und Schirm des Klosters.

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