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32. Fürstenzell.

. Im dreizehnten Jahrhundert zogen aus Deutschland viele Edle und Reisige nach Preussen und Liefland, um dort mit den deutschen Rittern gegen die Ungläubigen zu fechten. Einem solchen Zuge schloss sich auch Kurd von Fürstenzell an, dessen Stammschloss auf einem Hügel an der Alb, einige Stunden vom Rheine lag. Er liess eine junge Gattin und zwei Töchter im zartesten Alter zurück. Der Ritter von Fürstenzell wurde schon im ersten Treffen von den heidnischen Preussen gefangen und zu schimpflicher Knechtsarbeit verurtheilt. Ueber fünf Jahre brachte er in dieser traurigen Lage hin, bis endlich ein grosser Sieg der Christen ihm Gelegenheit verschaffte, zu seinen Glaubensbrüdern zu entfliehen. Aber jetzt erwachte zugleich das Weh der Heimath in seinem Herzen. Er gedachte seiner Gattin und Kinder, und bange Besorgnisse knüpften sich an diese Erinnerung; darum beschloss er, nach Hause zurückkehren, legte ein Pilgergewand an und machte sich augenblicklich auf den Weg. Nach vielen Mühseligkeiten sah er endlich das Land seiner Väter wieder, und war kaum noch eine halbe Tagreise von seiner Burg entfernt, als er spät am Abend ein Nonnenkloster erreichte, wo er um Herberge ansprach. Er wurde freundlich aufgenommen und gut bewirthet; hierauf rief die Schaffnerin ein junges Dienstmädchen herbei und befahl ihr, den Pilger in die Herberge zu führen, die einige hundert Schritte vom Kloster entfernt lag. Bertha, so hiess das Mädchen, war eine schmucke Dirne von etwa achtzehn Jahren, und schien sehr überrascht, einen Pilger zu sehen, der aus so fernem Lande kam und für das Kreuz gestritten.

»Ihr kommt aus Preussen?« fragte sie auf dem Wege nach der Herberge mit einer Stimme, die mehr als gewöhnliche Neugierde verrieth.

»Ja, mein Kind.«

Ein Ach! entschlüpfte bei dieser Antwort dem Munde des schönen Mädchens.

»Du seufzest«, sagte der Pilgrim, »hast du vielleicht einen Bruder oder Vater, der mit den deutschen Schaaren in jenes Land gezogen?«

»Nein, nein«, erwiderte die Jungfrau etwas verlegen. »Aber ein Rittersmann aus unserer Gegend ist vor mehr als fünf Jahren zu den Schwertbrüdern gegangen, und Niemand weiss, ob er noch lebt, oder seinen Tod gefunden hat.«

»Wie heisst der Mann?« fragte hastig der Pilgrim.

»Kurd von Fürstenzell.«

»Ich kenne den Ritter, er ist auf dem Heimweg zu den Seinen«, rief der Pilgrim. »Aber weisst du vielleicht Bescheid von ihnen?« setzte er mit ungewisser Stimme hinzu.

»Wohl weiss ich Bescheid; ach, der arme Ritter!«

»Um Gottes Willen lass mich hören, auch das Schlimmste.«

Sie hatten unterdessen die Herberge erreicht, vor welcher eine Bank stand. Das Mädchen drückte den Pilgrim sanft auf die Bank nieder, setzte sich neben ihn und ergriff seine Hand. »Ritter Kurd von Fürstenzell findet seine Burg in den Händen eines Räubers, Diether von Malsch, und seine Gattin im Grabe.«

»Meine Burg, meine Gattin, meine Elsbeth, meine armen Kinder, verloren?«

»Gott!« rief das Mädchen, und stürzte in die Arme ihres Vaters, »ich bin Eure Irmentraut, meine Schwester ist hier im Kloster.«

Irmentraut erzählte nun, wie sich drei Jahre nach seinem Weggange plötzlich das Gerücht von seinem Tode verbreitet, und Diether hierauf Ansprüche auf Fürstenzell als ein Mannslehen gegründet; sie erzählte ferner, wie er sich mit Gewalt des Schlosses bemächtigt, und ihre Mutter in dunkler Nacht mit ihren Kindern geflohen; wie sie eine Zuflucht in dem Kloster gefunden, wo Frau Elsbeth bald darauf gestorben. »Die gute, fromme Äbtissin«, setzte sie hinzu, »gab mir und der Schwester, unserer Sicherheit wegen, andere Namen, und sie befürchtet Alles von der Hinterlist des Ritters von Malsch. Meine Herkunft um so sicherer zu bergen, musste ich sogar Magd des Klosters werden.«

»Meine Tochter eine Magd, eine Leibeigene!« rief der Pilgrim in wildem Ingrimme.

»Zürnet nicht, Vater«, sagte die Jungfrau, »man lässt mich nur ganz leichte Dienste verrichten, und die Äbtissin hatte nur unsere Rettung im Auge.«

Nach langem Nachsinnen gebot der Pilger seiner Tochter, das tiefste Stillschweigen über das Begebniss dieses Abends zu beobachten. Er wolle die Nacht über mit sich selbst zu Rathe gehen, was in dieser bedenklichen Lage zu thun sein möchte.

Auf der Burg Fürstenzell war einige Tage später ein grosses Bankett, welches der Ritter den Edlen aus der Nachbarschaft gab. Bei der Tafel herrschte die ungebundenste Lust, als ein Diener bleich, athemlos mit der Nachricht hereinstürzte: der Geist des alten Kurd von Fürstenzell sei in der Burgkapelle erschienen. Ein Grauen ergriff die Gäste, und einige derselben dachten an einen schnellen Rückzug. Diether‹s Blicke waren starr nach der Saalthüre gerichtet. Diese öffnete sich jetzt plötzlich und herein trat der Pilgrim. Sein bleiches Gesicht, seine von Leiden gefurchte Stirne und Wangen, die dünnen, weissen Locken und der verwirrte, lange Bart gaben ihm das Ansehen, als komme er aus dem Grabe. Die Ritter waren wie in Stein verwandelt. Langsam schritt der Pilgrim an der Tafel hinauf bis zu dem Stuhle, wo Diether sass, legte diesem die Hand auf die Schulter und sagte: »Du bist der Räuber meines Eigenthums, der Mörder meiner Elsbeth!« Diether's Blut gefror zu Eis, er machte eine Bewegung, fiel aber vom Stuhl zur Erde und war eine starre Leiche.

»Gott, ich danke dir, dass du gerichtet!« rief jetzt der Pilgrim und faltete die Hände; dann wandte er sich an die anwesenden Ritter: »Kennt Ihr mich nicht mehr, und seid doch zum Theil meine alten Waffengefährten? Wunderbar hat mich der Herr gerettet aus vielen Irrsalen.« Er erzählte nun, wie es ihm ergangen, und Alle freuten sich aufrichtig seiner glücklichen Heimkehr und erkannten in dem plötzlichen Tode des Ritters von Malsch Gottes Fügung.

Bei Ettlingen in der Nähe des Landsitzes Hellberg sieht man noch wenige Spuren der alten Burg Fürstenzell; der Ort führt jetzt den Namen »Burgstädel«.

* * *


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