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51. Der Hirtenknabe am Kandel.

. Ein Hirtenknabe führte täglich an den wiesenreichen Abhängen des hohen Kandels, dessen innerste Tiefen aus einem grundlosen See bestehen sollen, der, wenn er einmal ausbräche, das ganze Land unter Wasser setzen würde, das Vieh seines strengen Herrn auf die Weide, und wenn er dann so von oben herab auf die Stadt Waldkirch und die spazierengehenden, schöngeputzten Bürger und ihre Frauen und Töchter sah, da ward ihm oft recht wunderlich zu Muthe. Er dachte bei sich: »Warum habe ich nicht auch einen reichen Mann zum Vater? Ich hätte dann nicht nöthig, mich in Lumpen zu kleiden, mit den schlechtesten Bissen mich zu begnügen und den ganzen Tag auf dem Berge herumzuklettern, um das Vieh zu hüten. Meine Eltern waren aber Bettelleute und sind lange todt; mein Herr schilt und schlägt mich unaufhörlich, und wenn ich den Tag hindurch recht müde geworden bin, so muss ich des Nachts mit der Streu im Stalle vorlieb nehmen. Ich bin doch recht unglücklich!«

So dachte der Knabe und weinte still vor sich hin. Der böse Feind aber war aufmerksam auf ihn geworden; er verwandelte sich schnell in einen Jäger und ging, einen schwarzen, zottigen Hund an der Seite, mit starken Schritten auf den Knaben zu. Dieser wischte sich alsbald die Thränen aus den Augen und versuchte fröhlich auszusehen, aber es gelang ihm nicht. »Warum hängst Du den Kopf, Bürschlein?« hub der Jäger an zu fragen, »siehst Du denn nicht, wie die Buben dort unten im Thal so lustig sind und sich ihres Lebens freuen?« Da schlug der arme Knabe die Augen auf und ein neuer Stich fuhr ihm in's Herz; denn er sah auf einer Wiese eine Menge schöngekleideter Knaben Ball spielen und hörte sie singen und jauchzen. Aber die kleinen Pferdefüsse derselben ward er nicht gewahr, sonst wäre ihm nicht das Weinen noch stärker gekommen. Da der Jäger sah, dass schon die erste Versuchung so gut ausgefallen, ward er noch zutraulicher, setzte sich neben den Knaben und ermunterte ihn, ihm zu gestehen, was er eigentlich auf dem Herzen habe. Nach einer Weile gab der Knabe, noch immer schluchzend, zur Antwort: »Ach! ich bin gar zu arm und habe weder Vater noch Mutter mehr!« »Ist es nur dies?« tröstete der Jäger, »so ist dir gar bald geholfen. Es steht nur bei mir, dich reich zu machen und an Kindesstatt anzunehmen.«

»Ei, könntet und wolltet Ihr das?« rief jetzt der Knabe voll freudiger Ueberraschung, sprang auf und hob seine blauen Augen recht bittend und zutraulich zu dem grünen Mann empor. Aber dieser bekam jetzt plötzlich ein heftiges Zucken im Gesichte, wie man es gewöhnlich bekommt, wenn man unversehens in die helle Sonne hineinblickt; denn hinter dem Knaben stand in blendendem Lichtglanze sein Schutzengel und drohte dem Bösen mit dem Finger. Der Knabe aber bemerkte den Schutzengel nicht, sondern nur die Gesichtsverzerrungen des Jägers, darum fuhr er jetzt voll Schrecken zurück. Allein der Jäger, in dergleichen Fällen schon geübt, drehte geschwind den Kopf auf die Seite, und rief dem Knaben zu: »Setze dich nur wieder ruhig neben mich hin; es ist mir eine Schnacke in das rechte Auge geflogen, ich muss es nur eine kleine Weile zuhalten.« Nach und nach wusste der grüne Mann den armen Knaben immer mehr zu bethören, so dass ihm Nichts als Geld und kostbare Kleider vor den Augen flirrten. »Das Mittel, dich reich zu machen«, nahm der Jäger nun wieder das Wort, jedoch noch immer mit abgewendetem Gesicht, »es ist ganz einfach. Hier in dem Berge befinden sich ungeheure Schätze, welche von einem alten Ritter darin vergraben worden sind, und die du leicht heben kannst. Du brauchst nur morgen in aller Frühe mit einem Zug Ochsen vor den Felsen da unten zu kommen, so wirst du mich antreffen, wir werden dann den Felsblock wegführen und uns schnell der Schätze bemächtigen. Ich nehme dich hierauf als meinen Sohn an, dann sagst du deinem Herrn Lebewohl auf immer, und wirst ein schmucker, reicher Junge. Aber versprechen musst du mir, Niemanden etwas von der Sache zu sagen und morgen früh an gar nichts Anderes zu denken, als an unsere Schätze.« Gern gab der Knabe sein Wort darauf und sprang wie ausser sich vor Freude herum, als der Jäger heimlich seinem Hunde einen Wink gab, dass dieser unter das weidende Vieh hineinfuhr und es auseinandertrieb. Während der Knabe hinzueilte, um es wieder zusammenzubringen, waren Jäger und Hund verschwunden. Auch die spielenden Kinder auf der Wiese verloren sich, und einem aufmerksameren Blicke wäre es schwerlich entgangen, wie eines da, das andere dort in eine Spalte des Berges hinabschlüpfte.

Voll Ungeduld trieb nun der Knabe seine Heerde nach Hause, noch ehe der Abend hereingebrochen war, wesshalb ihn sein Herr neuerdings mit Schelten und Schlägen empfing. Aber der Geplagte, der sonst augenblicklich in Thränen ausbrach, machte sich jetzt Nichts daraus, da er ja den glücklichen Wechsel seines Schicksals so nahe vor sich wusste. Auch während des Schlafes liessen ihn die Schätze nicht ruhen. Schon sah er im Innern des Kandels einen Palast von lauter blitzenden Edelsteinen, von der holdseligsten Fee, die er sich als seine künftige Mutter dachte, und dem stattlichen Jäger, seinem künftigen Vater, bewohnt, die ihn beide mit Liebkosungen überschütteten.

Der anbrechende Tag weckte und ermahnte ihn, nicht länger zu zögern. Das bisher nie versäumte Morgengebet vergessend, flog er rasch vom Lager empor, und der Schutzengel des verblendeten Knaben wandte sich betrübt von ihm. Und wundersam: Die Pferde und Stiere, die sonst auf jeden seiner Winke so willig waren, wollten ihm jetzt durchaus nicht gehorchen und er brachte sie nur mit vieler Mühe in das Joch und aus dem Stalle, während noch Alles auf dem Hofe im tiefen Schlummer lag. Doch kam er noch zur rechten Zeit, ganz wie der Jäger es gewünscht hatte, an den bewussten Felsen, und der Böse lachte schon im Stillen, dass ihm die Beute so ganz nach Willen ins Netz gehe.

Als ihn jetzt der Jäger, hastig aus dem Gebüsch hervortretend, begrüsste, da blieb diesem der Hut in den Zweigen hängen; die zwei Hörnchen auf seiner Stirne, welche der Böse nie ganz zurücktreten machen kann, blieben dem Knaben nicht unbemerkt; jedoch entschuldigte sich der Jäger, er habe vorhin den Kopf so gewaltig an einen Felsen gestossen, dass er davon die grossen Beulen bekommen. Hierauf trieb er den Knaben an, seinen Zug an den eisernen Ring zu spannen, den er bereits in die Felsenwand eingeschmiedet hatte. Allein dem Knaben war noch von dem Schrecken über die zwei Hörnchen her nicht mehr ganz wohl zu Muthe – indessen, wer einmal A gesagt hat, der muss auch B sagen, und so spannte denn der Junge mit jetzt recht schwerem Herzen sein Vieh an den Ring, schwang seine Geissel und rief nach alter Gewohnheit: »Hü, in Gottes Namen!« Kaum waren diese Worte aus seinem Munde, als sich plötzlich der Himmel verdunkelte, der Donner rollte, die Blitze vor den Thieren niederschlugen, die Erde erzitterte und im Innern des Berges ein Rauschen und Toben sich erhob, als ob der Sturm ein ganzes Meer aufwühlte und dieses durch eine schmale Schlucht hervorbrechen müsse. Der Jäger verschwand. Der Knabe aber war bewusstlos zu Boden gesunken. Die vier Stiere rissen sich los und gingen durch, und noch lange scholl rings in Berg und Thal umher das entsetzliche Toben und Brausen, Donnern und Blitzen, aus dem Kandel und vom Himmel her.

Als der Knabe nach ungefähr einer Stunde wieder zu sich kam und mit angstverstörten Blicken um sich sah, fand er Alles in der Runde wieder ruhig: die Morgensonne glitzerte durch die grünen Büsche, die verschüchterten Vögel kehrten zu ihren Nestern zurück und fingen wieder zu singen an. Was aber das Sonderbarste war: ein helles Bächlein rieselte durch das Gestein dahin, das doch an dieser Stelle nie zuvor sichtbar gewesen. Der Knabe wusste nicht, ob er wache oder träume, und rieb sich die Augen, um deutlicher zu sehen. Und wie erstaunte er, als er zum Felsen hinaufblickte und dort aus der nackten, verbrannten Wand eine Quelle hervorsprudeln sah, so stark, als wenn 20 bis 30 Brunnenröhren zusammen ihr Wasser hertrieben. Wie gross aber war erst seine Freude, als jetzt der Vogt von Siensbach zufällig heraufkam, vor Entzücken die Hände über dem Kopf zusammenschlug, ihm um den Hals fiel und sagte, dass jetzt der höchste Wunsch seines Dorfes erfüllt sei, indem jetzt – was man bisher schwer entbehrt hatte – eine gesunde, frische Quelle sowohl zum Trinken als auch zum Bewässern der Wiesen da sei. Zugleich aber machte ihn der Alte, nachdem ihm der Knabe sein Abenteuer mit dem Jäger erzählt hatte, auf die entsetzliche Gefahr aufmerksam, in die sein Leichtsinn ihn und das ganze Thal hätte stürzen können. »Hättest Du, als Du dein Stiergespann mit der Geissel antriebst, um den Felsen hier hinwegzuziehen, nicht gerufen: in Gottes Namen, so wäre dieser Block, der nichts anderes ist als das Eingangsthor zu dem unterirdischen See dort unter dem Kandel, herausgefahren, die wilde Fluth hervorgebrochen und Du mitsammt den Einwohnern des ganzen Thals von ihr verschlungen worden. Doch der Herr sei gelobt! Er hat uns durch Deinen eigenen Mund von der tückischen List des Satans glücklich errettet!«

Hierauf wurde der Knabe von dem Vogt in das Dorf geführt, wo seine Botschaft den lautesten Jubel erregte. Der Alte, der schon vorher mit der armen Waise Mitleid gefühlt hatte, nahm ihn an Sohnesstatt an und gab ihm später seine Tochter zur Ehe. Vergl. Schnetzler, Bad. S. B. I.

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